Heute wird auf
der ganzen Welt des 200. Geburtstages von Karl Marx gedacht.
In Trier wird an diesem Tag eine fünf Meter fünfzig hohe Monumentalstatue des Mannes enthüllt, welche die
Kommunistische Partei der Volksrepublik China der Geburtsstadt ihres Vordenkers
anlässlich des runden Jubiläums gestiftet hat. Karl Marx ist dort in der
Brückenstraße 10 am 5. Mai 1818 geboren und hat die ersten 17 Jahre in der zur
preußischen Rheinprovinz gehörenden katholischen Bischofsstadt mit damals
ungefähr 12000 Einwohnern gelebt. Trier war nach dem Wiener Kongress 1815
preußisch geworden; vorher war die Stadt französisch und viele seiner Bürger
genossen die Freiheit, die ihnen die französische Verfassung mit ihren
Menschenrechten bot.
Marx' Großväter
väterlicher- und mütterlicherseits waren Rabbiner in Trier. Marx' Vater, ein
Rechtsanwalt, ließ sich im Jahre 1816 oder 1817 protestantisch taufen. In
Preußen waren die Juden 1815 von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen
worden „und durch ein Votum des Innenministers vom 4. Mai 1816 wurde der
Begriff des öffentlichen Amtes unter
anderem auch auf die Rechtsanwaltspraxis und die Führung einer Apotheke
ausgedehnt.“[1]
Der Übertritt
des Rabbinersohnes zum christlichen Glauben geschah also nicht aus Überzeugung,
sondern aus Kalkül. „Dieser Schritt bedeutete den völligen Bruch mit seiner
Familie. Sein Bruder Samuel starb 1827 als Oberrabbiner von Trier.“[2]
Karl Marx wurde mit sechs Jahren am 26. August 1824 getauft.
Der
Marx-Biograf Werner Blumenberg schreibt: „Die Vorfahren des Vaters wie der Mutter
waren seit Generationen Rabbiner gewesen; es entsprach alter Sitte, dass die
Kinder von Rabbinern wieder mit solchen verheiratet wurden.“
Rabbi konnte
werden, wer aus den beiden Priesterfamilien der Levi oder der Cohen stammte. Aus
einer solchen stammte der Großvater von Karl Marx, Meier Halevi Marx, der
Rabbiner von Trier. Sein ältester Sohn war Heinrich, der ihm in dem Amte
folgte, also Karl Marx‘ Onkel.
„Die jüdischen
Gemeinden besaßen im Mittelalter, das bei den Juden bis etwa 1800 reicht, in
ihren inneren Angelegenheiten Autonomie. Die Gemeinden führten wirtschaftlich,
religiös und kulturell ein Eigenleben; ihr Vertreter gegenüber Stadt und Staat
war vor allem der Rabbiner. (…) Der Rabbiner war weniger Seelsorger und
Prediger; er war vor allem Lehrer und Gelehrter.“[3]
Diese
Gelehrten verwendeten ihr ganzes Leben auf das Studium der Heiligen Schriften
und fertigten bei Streitfragen entsprechende „Gutachten“ (Responsen) an.
„Ein Blick in
die Literatur über diese Normen, die hermeneutische Induktion, Analogie,
Antinomie oder den Syllogismus, gibt einen Eindruck von dieser bis zu den
letzten Möglichkeiten der Exegese vordringenden, äußerst scharfsinnigen und
häufig zu Spitzfindigkeiten führenden Methode.“[4]
Karl Marx
steht mit seiner Hauptschrift „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“
(1867), das seinen „Scharfsinn“ offenbart, ganz in der Tradition der
rabbinischen „Auslegungen“. Dabei spricht er rein theoretisch schlussfolgernd
über ein Thema, das er im praktischen Leben keinesfalls beherrschte. Alle
Biografen sind sich einig, dass weder Karl Marx noch seine Frau Jenny mit Geld
umgehen konnten. Wenn Geld da war, gaben sie es mit vollen Händen für ihren
gewohnten bürgerlichen Luxus aus, wenn keines da war, hofften sie auf ein
erneutes Erbe oder bettelten den Kapitalisten Friedrich Engels an. Karl Marx war
in jeder Hinsicht, gemessen an seinen eigenen Schriften, ein wandelnder
Widerspruch. Aber er war zweifellos sehr intelligent.
In der
bedeutenden Biografie des nach Matin Luther und Konrad Adenauer bekanntesten
Deutschen (ZDF-Umfrage 2004) von F. Mehring (1918) wird Karl Marx‘ jüdische
Herkunft nur am Rande gestreift. Das beklagt der jüdische Autor Eugen
Lewin-Dorsch 1923 in der Zeitschrift „Die Glocke“ in seinem Beitrag „Familie
und Stammbaum von Karl Marx“. Dort führt er aus:
„Mehring meint
zwar, dass schon der Vater von Marx ‚in frei menschlicher Beziehung gänzlich
aus dem Judentum herausgewachsen‘ sei, dass der Sohn ‚diese völlige Freiheit
von aller jüdischen Befangenheit als wertvolles Erbe aus seinem Elternhaus
übernommen‘ habe, oder dass sich in den Briefen des Vaters an seinen Sohn ‚keine
Spur von jüdischer Art und Unart‘ verrate. Mit einer solchen ausweichenden,
zugleich geringschätzigen und kenntnislosen Beurteilung der Sache ist wenig
anzufangen. Sie berührt lediglich die Oberflächenschicht des seelischen Lebens,
das Bewusstsein des Individuums von sich selbst, aber sie dringt nicht in die
Tiefe, dorthin, wo sich die Kräfte der Persönlichkeit unsichtbar und
geheimnisvoll bilden. ‚Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein
Alp auf dem Gehirn der Lebenden‘, hat Marx selber gesagt. Und wenn wir die
ganze Menschlichkeit dieses Mannes verstehen wollen, so müssen wir auch das
Erbe seiner rabbinischen Herkunft in Anschlag bringen, ein Erbe, dessen Größe
ihm selber wohl nie ins Bewusstsein getreten ist.“[5]
Nun hat sich
Karl Marx in seiner Frühschrift „Zur Judenfrage“ (1844) selbst über sein Verständnis
des Judentums geäußert. Während im Lutherjahr 2017 immer wieder auf die angeblich
antisemitischen Tendenzen im Werk Martin Luthers Bezug genommen wurde[6],
sind solche im Karl-Marx-Jahr 2018 für Marx bisher weitgehend ausgeblendet
worden. Dabei kann man in Marx‘ Schrift Sätze lesen, die der neue Antisemitismus-Beauftragte
der Bundesrepublik mit Sicherheit unter Antisemitismus-Verdacht stellen würde.
Da heißt es zum Beispiel (Originalton Karl Marx):
„Betrachten
wir den wirklichen weltlichen Juden, nicht den Sabbatsjuden, (…), sondern den Alltagsjuden.
Suchen wir das Geheimnis des Juden nicht in seiner Religion, sondern suchen wir
das Geheimnis der Religion im wirklichen Juden. Welches ist der weltliche Grund
des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der
weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das
Geld.“
Karl Marx sprach
hier mit Sicherheit nicht nur theoretisch, sondern aus Erfahrung. Und diese
Erfahrung kann bis heute gemacht werden, wenn man zum Beispiel nach der familiären
Herkunft der reichsten Banker, Börsenmakler und Hedge-Fonds-Eigentümer fragt.[7]
Marx fährt
fort:
„Das Geld ist
der eifrige Gott Israels, vor welchem kein andrer Gott bestehen darf. Das Geld
erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in Ware. Das Geld ist
der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher
die ganze Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes
beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und
seines Daseins, und dies fremde Wesen beherrscht ihn und er betet es an. Der
Gott der Juden hat sich verweltlicht, er ist zum Weltgott geworden.“
Dieser
scharfsinnigen Analyse der Realität ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Die
Ideen aus dem „Kapital“ wie zum Beispiel der durch Marx zuerst geprägte Begriff
der „Entfremdung“ tauchen in dieser Frühschrift zum ersten Mal auf.
Aber Karl
Marx, der getaufte Jude, geht noch weiter, wenn er schreibt:
„Der Jude hat
sich auf jüdische Weise emanzipiert, nicht nur, indem er sich die Geldmacht
angeeignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn das Geld zur Weltmacht und der
praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden
ist. Die Juden haben sich insoweit emanzipiert, als die Christen zu Juden
geworden sind.“[8]
Dieser tiefsinnigen
Analyse kann man wohl zustimmen, wenn man sie anhand konkreter Beispiele
vorurteilslos bis zu Ende durchdenkt.[9]
Marx‘ beide
berühmtesten Schriften, „Das kommunistische Manifest“ und „Das Kapital“, sind
erst nach seinem Tode (1883) wirklich bekannt und wirksam geworden. Die Ironie
der Geschichte war, dass es besonders jüdische Sozialisten waren, die diese
Ideen aufgriffen, verkürzten und aus ihnen das Fundament ihrer Bewegung
machten, die unter Lenin und Trotzki zum Beispiel den russischen Zar stürzten
und den Terror der Bolschewiki nach Russland brachten, dem Millionen von
unschuldigen Russen zum Opfer fielen.
Die
maßgeblichen kommunistischen Akteure des Sowjetstaates waren atheistische Juden,
die in Karl Marx eine Art „neuen Moses“ sahen[10].
Nun kann man
natürlich Karl Marx nicht direkt für diese Blutströme der Russischen Revolution
und die auf sie folgende Installation des menschenverachtenden Sowjetsystems verantwortlich
machen, genauso wenig, wie man Martin Luther für das Gemetzel des
Dreißigjährigen Krieges verantwortlich machen kann.
Dennoch scheint
mir bei diesen beiden Vordenkern das „Gesetz der hundert Jahre“ wirksam zu
werden: Obwohl es nicht die Absicht Martin Luthers war, die christliche Kirche
zu spalten, führten doch seine 95 Thesen im Jahre 1517 zu eben dieser. Fast
genau hundert Jahre später brach der Dreißigjährige Krieg aus, in dem
Katholiken gegen Protestanten und Protestanten gegen Katholiken kämpften.
Ähnlich
verhält es sich mit Karl Marx: Beinahe 100 Jahre nach seiner Geburt führten
Bolschewiken in seinem Namen die Oktoberrevolution in Russland durch, die dem russischen
Volk 70 Jahre Terror und Unterdrückung
auferlegte.
[1]
Werner Blumenberg, Karl Marx in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt,
Reinbek bei Hamburg 1962, S 15
[2]
a.a.O., S 15
[3]
a.a.O. S 13
[4]
a.a.O. S 13f
[5]
Zitiert nach Blumenberg, a.a.O. S 11
[6]
Dabei stand besonders seine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) im
Fokus, die ein wichtiges Dokument der Bewusstseinsgeschichte darstellt und den
damals herrschenden Geist sehr gut beschreibt. Wenn man die Schrift natürlich
aus heutiger Bewusstseinslage liest, dann hat man ganz andere Assoziationen.
[7]
Einer der reichsten Männer der Gegenwart, Larry Fink, der Vermögensverwalter
der Finanz-Firma „Blackrock“, ist jüdischer Herkunft. Der Band „Wem gehört die
Welt – die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus“ von Hans-Jürgen Jakobs
aus dem Münchner Knaus-Verlag (Mitglied der Random-House-Gruppe) aus dem Jahre
2016 führt viele weitere Beispiele an – ohne natürlich die jüdischen Bezüge zu
nennen. Das wäre in solchen Zusammenhängen wieder „antisemitisch“.
[8]
Die Zitate entnehme ich dem Aufsatz „Der ausgeblendete Antisemitismus“ von
Karlheinz Weissmann in der Wochenschrift „Junge Freiheit“ Nr. 19/2018 vom 4. Mai
2018, S 19
[9]
Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Betrug mit der Abschalt-Software in
Dieselfahrzeugen erinnern, der zwei große deutsche Vorzeigefirmen seit 2014 in
Verruf gebracht hat: Volkswagen und Bosch. Der neue VW-Chef möchte Volkswagen
nun wieder „ehrlicher“ machen, sagt er. Unter der Shareholder-Value-Mentalität,
die vor allem den Gewinnen der Aktionäre und der Börsenspekulanten geschuldet
ist, haben sich auch deutsche Unternehmen zu Handlangern des Kapitals machen
lassen.
[10]
Siehe die gründliche Untersuchung „Jüdischer Bolschwismus“ – Mythos und
Realität von Johannes Rogalla von Bieberstein, Edition Antaios, 2003/04