Samstag, 27. April 2019

Propaganda und Wahrheit - eine Fortsetzung


Wir sind inzwischen in unserer bundesrepublikanischen Konsensdemokratie so weit, dass alles, was rechts von der Merkel-Nahles-Koalition steht, geistig in das Lager der Rechtspopulisten, manchmal auch der „extremen Rechten“ gestellt wird. Die Anhänger der Merkel-Regierung sind „die Guten“, alle, die rechts von ihr stehen und zum Beispiel ihre Flüchtlingspolitik kritisieren, sind „die Bösen“. Sie werden als nationalistisch, fremdenfeindlich, rassistisch, im schlimmsten Fall sogar als antisemitisch diffamiert, wenn sie es zum Beispiel wagen, (öffentlich) Fragen zu der Zahl der im Holocaust ermordeten Juden zu stellen.
Sofort stürzen sich die „Beschützer der Demokratie“ auf diese Menschen und schreien: „Haltet den Dieb!“ Ich habe dann immer den Eindruck, als müssten sie die Menschheit vor einem neuen Hitler beschützen, der unmittelbar in den Startlöchern sitze. Überall sehen sie – geradezu paranoisch – Faschisten am Werk und „rufen“ laut und deutlich: „Wehret den Anfängen!“
Mit Sicherheit würde heute auch mein Großvater Rumbaur in dieses rechte Lager geschoben. Als ehemaliger „Funktionär“ eines schlesischen Vertriebenenverbandes hat er sich von vorneherein verdächtig gemacht. Rechts werden natürlich auch alle Russlanddeutschen verortet, weil viele von ihnen patriotisch denken und nicht wenige deshalb AfD wählen.
Man kann es kaum noch wagen, Positionen solcher „Rechter“ anzusprechen, wenn man nicht im Handumdrehen selbst zum Rechten erklärt werden will.
Günter Zemella hat offenbar wenige Gesprächspartner, obwohl er in einer Siedlung wohnt, in der ein Gymnasium, an dem ich im Schuljahr 2000/01 als Vertretungslehrer in Deutsch und Erdkunde eingesprungen war, wie eine Art geistiges Zentrum steht und wo dessen Lehrerschaft im Umkreis wohnt. Einer meiner ehemaligen Kollegen, dessen Sohn ich in der Oberstufe dieser Schule in Deutsch unterrichtete, ist bekannt mit dem Ehepaar. Frau Zemella hat ihn vor ca. 20 Jahren einmal zu einer Aktion befragt, die der Lehrer mit Schülern seiner Klasse in der polnischen Stadt Zamosc, der Partnerstadt von Schwäbisch Hall, unternommen hatte und über die in der Zeitung berichtet wurde. Obwohl er ihr eine Antwort versprochen hatte, wartet sie noch heute darauf: deutsche Schüler hatten zusammen mit polnischen Schülern die Aufgabe, das Gelände der Rotunde in Zamosc, einer Gedenkstätte an die Opfer deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, zu putzen. Während die deutschen Schüler putzten, schrieben die polnischen, statt zu helfen, den Satz „Arbeit macht frei“ in den Sand und offenbarten dadurch ihre deutschenfeindliche Einstellung.
Zemellas haben drei Kinder und neun Enkel. Die Ehefrau eines Sohnes ist Französin, ein anderes angeheiratetes Familienmitglied Russin aus Sankt Petersburg. Herr Zemella ist 1940 in der Nähe von Ratibor in Oberschlesien geboren, nicht weit von der tschechischen Grenze. Auch seine Frau stammt aus einem Dorf im benachbarten Kreis Leobschütz. Nach dem Einmarsch der Roten Armee sind sie als Kinder mit den Eltern nach Bayern geflüchtet, um dann wieder in ihre Heimat zurückzukehren, wo sie bis November 1958 geblieben sind. Herr Zemella hat in Ratibor Abitur gemacht und in Breslau begonnen, Jura zu studieren. Beide sprechen noch recht gut Polnisch und gebrochen Russisch. In der Bausparkasse Schwäbisch Hall war Herr Zemella drei Jahrzehnte lang als Teamleiter im Vollstreckungsbereich tätig.
Als Junge von 13 Jahren hat Herr Zemella das rechte Bein verloren. Er hatte sich 1953 beim Klettern über einen Zaun verletzt und danach viel Blut verloren. Die polnischen Ärzte hielten die Verletzung für eine Lappalie und behandelten sie nicht sachgemäß, bis es zu einer Sepsis kam und das gesamte Bein amputiert werden musste. Seitdem muss der willensstarke Mann Prothesen tragen.
Im Jahre 2008 erlitt Herr Zemella einen Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Trotzdem arbeitete der Rentner schriftstellerisch weiter und tippte seine Schriften mit einem Finger der rechten Hand in den Computer, darunter die 650 Seiten starke „chronologische Dokumentation des Luftkrieges gegen Deutschland 1940 – 1945“ mit dem Titel „Warum mussten Deutschlands Städte sterben?“ (Klosterhaus-Verlag, Lippoldsberg 2014). In diesem Buch stellt er, ausgehend von der Haager Konvention und anderen völkerrechtlichen Bestimmungen, fest, dass das strategische Flächenbombardement, das Churchill auch „moral bombing“ genannt hat, weil dadurch die Bevölkerung Nazi-Deutschlands zum Widerstand gegen das Regime gebracht werden sollte, ein Kriegsverbrechen war.
Nicht ein Wort des Jammers hörte ich in den zweieinhalb Stunden, die ich an diesem Vormittag bei dem Ehepaar verbringen durfte, das mir auf Anhieb sympathisch war. Ich erlebte nur sachliche Gesprächspartner, die ohne linke oder rechte Scheuklappen um die historische Wahrheit rangen.
In vielem waren wir uns einig.

Ich versuchte immer wieder, das gestrige Gespräch auf ein höheres geistiges Niveau zu bringen, und stieß dabei auf offene Ohren. Ich wollte auf keinen Fall in Rache- oder Hassgefühle hineinrutschen, die natürlich aufkommen können, wenn man sich bewusst wird, wie sehr die „treudoofen“ Deutschen von gewissen britischen, französischen und eben auch jüdischen Kreisen systematisch hintergangen, belogen und betrogen wurden, wenn man zum Beispiel an den Versailler Friedensvertrag denkt, in dem die „Alleinschuld“ Deutschlands „festgestellt“ wurde, oder auch an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der bis heute allgemein Hitler angelastet wird, obwohl er sich viele Male für Verhandlungen mit der polnischen Staatsführung bemüht hatte.
Adolf Hitler ist das „Monstrum“, auf das heute jeder halbwegs Gebildete, vor allem aber alle historisch Halbgebildeten, beliebig einprügeln können. Ich will Hitler nicht verteidigen, aber ich plädiere auch ihm gegenüber für eine gerechte Beurteilung.
Undifferenzierten Urteilen möchte ich mich nicht anschließen, aber auch nicht jenen nicht minder einfachen Antworten, die einfach gestrickte rechte „Dumpfbacken“ verbreiten.
Um ehrlich zu sein, habe ich solche Menschen noch nie persönlich angetroffen, sondern immer nur intelligente Menschen, die kritisch über die Deutungshoheit der Siegermächte sprachen. Wo immer ich auf „Rechte“ getroffen bin, haben sie sich korrekt verhalten, während die sogenannten „Antifaschisten“ viel aggressiver aufgetreten sind, wie ich es im Zusammenhang mit den Ereignissen in Rosenberg-Hohenberg, wo ich damals wohnte, miterleben konnte.
Jede linke Hysterie, die sich ein „rechtes Feindbild“ als Phantom zimmert, ist mir – auch wenn sie mit dem beliebten Schlagwort von der „wehrhaften Demokratie“ etikettiert wird – genauso widerlich, wie Aufmärsche oder Demonstrationen von rechten Gruppen, die sich im gemeinsamen Gebrüll vereinigen, als wären sie betrunkene Hooligans. In diesem Fall mache ich mir den Ausspruch von Georges Brassens zu eigen, der mehr als drei Menschen, die sich in einer Meinung lautstark vereinen, als „Bande de Cons“ bezeichnet hat. Wenn sich aber zwei oder drei im Namen Christi versammeln, dann ereignet sich etwas auf höherer Ebene.
Und genau dieses Gefühl hatte ich gestern bei dem Gespräch: ich musste unmittelbar an den „Weltgeist“ denken, von dem Hegel in seiner Geschichtsphilosophie spricht. Dieser Weltgeist, so sagte ich gestern, ist ein reales geistiges Wesen. Er wartet darauf, dass ihm die Menschen etwas von dem entgegenbringen, was sie als Wahrheit erkannt haben. Von der Lüge ernähren sich nur die Widersachermächte.
Ich habe Herrn und Frau Zemella als Menschen erlebt, die trotz aller Hindernisse, Verleumdungen und Anfeindungen seit Jahrzehnten unbeirrt um die historische Wahrheit ringen.

Ich habe über Mail wieder guten Kontakt zu Herrn Zemella. Er hat bei unserem Gespräch am (orthodoxen Kar-) Freitag auch das sogenannte Massaker von Malmedy vom 17. Dezember 1944 angesprochen und mir erzählt, dass deutsche Soldaten und ihr Kommandant Jochen Peiper eine Zeitlang sogar im Haller Gefängnis eingesessen und von den Amerikanern (besser gesagt: von amerikanischen Juden) sogar gefoltert wurden. Ihnen wurde vorgeworfen, 84 wehrlose amerikanische Kriegsgefangene erschossen zu haben.
Ich erinnerte mich nicht mehr genau daran, aber bei weiterer Beschäftigung mit dem Thema (zunächst auf Wikipedia) wurde mir klar, dass ich vor über drei Jahren, am 15. März 2016 in meinem ersten Filmkritik-Blog schon einmal darüber geschrieben hatte, und zwar in dem Zusammenhang mit dem Hollywoodfilm „Die Nacht der Generäle“.[1]
Nun holt mich dieses Thema wieder ein und ich wundere mich in gewisser Weise darüber, dass ein Teil des Dramas um den Panzerführer Jochen Peiper in Schwäbisch Hall, also so nah von mir, gespielt hat, nämlich in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt am Kocher, in der sich heute das Haus der Bildung befindet, wo ich meinen Russisch-Kurs besuche.
Herr Zemella hatte im Jahr 2009 einen Brief an Oberbürgermeister Pelgrim geschrieben, in dem er ihn bat, eine Gedenktafel an dem Gebäude anzubringen. Schließlich waren die Angeklagten Opfer der „Siegerjustiz“. 
Aber der Bürgermeister beschied den Antrag negativ, woraufhin ihm Günter Zemella am 20. 12. 2009 folgenden zweiten Brief schrieb:

Sehr geehrter Herr Pelgrim,
Für die Beantwortung meines Schreibens vom 22.11.2009 danke ich Ihnen. Sie lehnen die Gedenktafel für die deutschen Untersuchungsgefangenen und Angeklagten des Malmedy-Prozesses ab. Aufgrund der von Herrn Dr. Maisch vom Stadtarchiv herangezogenen Quellen unterstellen Sie, dass Soldaten der Waffen-SS nach variierenden Angaben 72 oder 87 bereits gefangene und entwaffnete amerikanische Soldaten bei Malmedy „kaltblütig ermordet“ hätten. Wären die US-Soldaten tatsächlich so umgebracht worden, dann hätte man nach Kriegsende den Tätern gewiss einen kurzen Prozess gemacht und sie allesamt zum Tode verurteilt und hingerichtet. Aber so war es eben nicht. Bis heute ist ungeklärt geblieben, ob die getöteten US-Soldaten Opfer von Kampfhandlungen oder eines Fluchtversuches waren. Um die Waffen-SS zur verbrecherischen Organisation zu erklären, brauchte man dringend „Beweise“. Das tragische Geschehen von Malmedy, das bereits nach 24 Stunden von der amerikanischen Presse zum „Massaker von Malmedy“ mit 200 ermordeten GIs hochgepuscht wurde, bot hierfür eine günstige Gelegenheit.

Fakt ist, dass im damaligen Landesgefängnis in Schwäbisch Hall, das den Amerikanern gleichzeitig als Internierungslager diente, vom Dezember 1945 bis zum Mai 1946 Voruntersuchungen gegen rund 600 bis 800 Soldaten der Waffen-SS stattfanden und dass dabei von amerikanischen Vernehmungsoffizieren menschenverachtende Foltermethoden angewendet wurden, um von den Inhaftierten Geständnisse für den Malmedy-Prozess zu erpressen. Hierfür gibt es genügend Beweise. Ich verweise nochmals auf den Ihnen vorgelegten dokumentarischen Bericht der Illustrierten Quick vom 10.02.1977, in dem die Foltermethoden der Vernehmungsoffiziere William Perl, Harry Thon, Raphael Shoemaker, Moritz Ellowitz und Josef Kirschbaum detailliert beschrieben sind. Da wurden manche der Angeschuldigten nicht nur herumgestoßen und geschlagen. Ferner verweise ich auf die Ihnen vorgelegten Auszüge aus dem Buch der amerikanischen Journalistin Freda Utley mit dem Titel „Unsere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Dort ist auf Seite 220 ausdrücklich von „Folterungen in den Voruntersuchungen in Schwäbisch Hall...“ die Rede. Schließlich weise ich nochmals auf den im Internet veröffentlichten „Bericht auf Grund dokumentarischer Unterlagen und eigenen Erlebens“ (S.18 f.) von Dietrich Ziemssen aus dem Jahre 1951 hin. Auch der in Hall allseits bekannte Gymnasialprofessor und Historiker Dr. Gerd Wunder hat zu dem Thema eine Dokumentation erstellt, die 1986 im Jahrbuch Württembergisch-Franken auf den Seiten 141 f. veröffentlicht wurde und dem Stadtarchiv sicher vorliegt. In allen diesen Unterlagen sind die unmenschlichen Vorgänge im Haller Gefängnis glaubwürdig dargestellt. Darüber hinaus gibt es sicher in Hall noch ältere Mitbürger, die diesen Sachverhalt bestätigen können.

Aber all diese glaubwürdigen Beweise scheinen Sie nicht zu interessieren. Ihnen kommt es offenbar nicht auf die Wahrheitsfindung, sondern auf die Darstellung des politisch Gewollten an, ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt. Es ist ja immer einfacher und bequemer, mit der Lüge zu leben als sich um die Wahrheit zu bemühen. Ich bitte Sie nochmals, Ihre Entscheidung  zu überdenken und mein Anliegen dem Gemeinderat vorzutragen.

Mit freundlichen Grüßen

Dass die amerikanischen Vernehmungsoffiziere allesamt Juden waren, die sich offenbar an den Deutschen rächen wollten, geht schon aus den Namen hervor.
Die ursprünglichen Todesurteile wurden immerhin in lebenslange Haft umgewandelt und die deutschen Offiziere schließlich Ende der 50er Jahre aus dem Gefängnis entlassen. Etwa zehn Jahre später wurde jedoch Hollywood tätig und griff einzelne Details des „Massakers von Malmedy“ auf, um einen die historische Wirklichkeit stark verzerrenden Film darüber in die Kinos zu bringen, der unter dem deutschen Titel „Die letzte Schlacht“ (Battle of the Bulge) lief.
Regisseur war der Brite Ken Annakin, der bereits in den 40er Jahren für das britische Informationsministerium und die Royal Airforce (RAF) Propaganda-Filme herstellte. Sein wohl berühmtester Film ist „Der längste Tag“ (The Longest Day) über die Landung der Amerikaner am 6. Juni 1944 in der Normandie. Der Tag ging als „D-Day“ in die Geschichte ein.
Der mit internationalen Stars besetzte Film wurde von den Produzenten Darryl F. Zanuck und Raoul Levy finanziert, die wie Anatole Litvak und Sam Spiegel, Regisseur und Produzent von „Night of the Generals“, jüdische Wurzeln hatten und kam 1962 im gleichen Jahr wie David Leans „Lawrence of Arabia“ in die Kinos.
Ich habe beide Filme gestern bei Amazon bestellt, um sie mir (noch einmal) anzuschauen (den Film „Der längste Tag“ habe ich bereits vor vielen Jahren einmal im Kino gesehen; aber damals hatte ich noch keine Ahnung).
Offenbar kommt der „Zweite Weltkrieg“, angeregt durch Günter Zemella, wieder neu in mein Blickfeld. Dieser Krieg, der schon das Leben meiner Eltern „zerstört“ hat, hängt bis heute wie ein Trauma über Deutschland, das auf „Erlösung“ wartet. Wenn zumindest ein „Häuflein“ Menschen die Geschichte ehrlich und mutig aufarbeitet, dann kann sich – so hoffe ich – die Atmosphäre zumindest ein wenig aufhellen.
Aus diesem Grunde habe ich mir auch das etwas teure Buch von Patrick Atge über Jochen Peiper[2] angeschafft, um einmal die Geschichte von einer anderen Seite zu studieren. Was ich gestern über das Massaker von Malmedy und den anschließenden Prozess bei Atge las, widerspricht eklatant den Darstellungen in den Hollywoodfilmen und entlarvt diese, wie bereits vermutet, als bewusste Lügengeschichten.



[2] Patric Atge, Jochen Peiper – Kommandeur Panzerregiment Leibstandarte, DVG-Verlag, Naunhof, 3. Auflage 2018, insbesondere die Seiten 370ff (Kapitel „Die Verhöre“)

Freitag, 12. April 2019

Symptomatisches über gesellschaftliche Trends und ihre geistigen Urbilder


Einige Meldungen der letzten Tage haben mich zum Nachdenken angeregt. Ich glaube, wir sind Zeugen eines großen Umbruchs, einer Weichenstellung, die über Sein oder Nichtsein einer zukünftigen, geistgetragenen Gesellschaft entscheidet.
Das Besondere unserer Zeit ist, dass ein großer Teil der Menschheit über ein Wissen verfügen kann, über das früher nur wenige verfügen konnten. Durch Internet, Smartphone und Co. können wir uns heute in Sekundenschnelle alle Informationen besorgen, die wir brauchen. Die Geisteswissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der „Bewusstseinsseele“. Ich denke, ein ansehnlicher Teil der Menschheit, allen voran die sogenannten „Intellektuellen“, ist heute auf dem Gipfel der Bewusstseinsseele angekommen.
Seit Ende der 60-er Jahre wird, zuerst unter den kalifornischen Hippies, der Ruf nach „Bewusstseinserweiterung“ laut. Jim Morrison von der Band „The Doors“ (nach Aldous Huxleys Roman „The Doors of Perception”[1]) fordert lautstark einen „Break-through“ (“Break on through to the other side”, 1967), also einen Durchbruch zur “anderen Seite”. Die Band „The Grateful Dead“ verteilte bei ihren Konzerten kostenlos LSD und machte selbst, von offiziellen amerikanischen Institutionen (CIA) damals erlaubte „Acid-Tests“. Die Beatles besangen in ihrer Hymne „Lucy in the Sky with Diomonds“ (1967) diese von dem Basler Chemiker Albert Hofmann (1906 – 2008)[2] entwickelte Droge.
Vertreter dieser sogenannten 68-er Generation gehören heute zu den einflussreichen, linksliberalen Intellektuellen, die den öffentlichen Diskurs weitgehend bestimmen. Manche, wie zum Beispiel der Salon-Philosoph Peter Sloterdijk, sehen die Entwicklung inzwischen aber eher kritisch.[3]
In jener Zeit begann aber auch eine ganz andere Entwicklung: Vor nun genau 50 Jahren kam der erste Asterix-Band heraus, ein Comic, der wegen seiner vielen politischen Anspielungen vor allem von Erwachsenen geliebt wurde. Jedenfalls machte er die Comic-Literatur unter Intellektuellen salonfähig. Als ich in dieser Zeit aufwuchs und zahlreiche Comic-Hefte „verschlang“, waren die „primitiven Bildergeschichten“ bei den meisten damaligen Erwachsenen, und vor allem auch bei der Kirche, noch verpönt.
Nun ist die Ankündigung der Veröffentlichung eines neuen Asterix-Heftes am 24. Oktober 2019 den meisten Medien eine Meldung wert. Obwohl Rene Goscinny, einer der beiden intelligenten Schöpfer der Figuren schon seit 1997 tot ist, wurde am Mittwoch, dem 10. April 2019, in einer extra anberaumten Pressekonferenz in Paris Band 38 der Comicserie mit dem Titel „Die Tochter des Vercingetorix“ angekündigt. Spiegel –Online berichtet von der Pariser Pressekonferenz unter dem bezeichnenden Titel: „Im Oktober trifft Asterix eine Pubertierende“.[4]
Überstrahlt wurde diese Meldung jedoch von einer anderen: Gleichzeitig wurde in sechs verschiedenen Metropolen der Welt von Mitarbeitern eines Forscherteams verkündet, dass es mit Hilfe von acht zusammengeschlossenen riesigen Radioteleskopen, dem „Event Horizon Teleskope“ (EHT) gelungen sei, eine „Aufnahme“ von einem 55 Millionen Lichtjahre entfernten „Schwarzen Loch“ zu machen.[5]
Auf der Titelseite  unserer Tageszeitung war am Donnerstag (11.04.) ein Mitglied des Forscherteams, Sheperd Doeleman[6], abgebildet, der die „Aufnahme“ in Washington präsentierte. Darüber las ich die Überschrift: „Forschern gelingt der Blick ins Nichts“.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Da steht ein spärlich behaarter junger Astrophysiker mit geöffnetem Mund vor dem „Foto“ eines roten Kreises, das er stolz als einen Beweis für die Richtigkeit einer Theorie präsentiert, die Albert Einstein zum ersten Mal 1905 publizierte (Rudolf Steiner nannte die „Relativitätstheorie“ „Blech“). Dass der Mann auch noch Sheperd, also Hirte, mit Vornamen heißt, ist für mich irgendwie bezeichnend: „Hirten“ wurden früher im Anschluss an Jesus, den „guten Hirten“, die Priester der katholischen Kirche genannt, weil Christus nach der Auferstehung dreimal zu Petrus gesagt hatte: „Weide meine Lämmer!“ (Joh. 21, 15 – 17).
Heute sind die Astrophysiker die neuen Hohe-Priester der wissenschaftsgläubigen Gemeinde. Sie verkünden allerdings keinen Gott, sondern allzu oft nur das „Nichts“. Es muss also niemanden verwundern, dass bei Menschen, deren Bewusstseinsseele noch starke Anteile der älteren „Gemüts- und Verstandesseele“ hat, durch solche Aussagen eine Stimmung erzeugt wird, die man seit Friedrich Nietzsche als „Nihilismus“ bezeichnen könnte.
Eine dritte Meldung machte an diesem Donnerstag die Runde. Der über 91-jährige ehemalige Papst Benedikt XIV. hat sich anlässlich der Zusammenkunft der Bischöfe Ende Februar im Vatikan wegen der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle Gedanken über die Ursachen dieser verheerenden Entwicklung in seiner Kirche gemacht und hat sie am Donnerstag, den 12. April veröffentlicht[7]. Er kommt zu dem Schluss, dass für die Auflösung der Moral innerhalb der Kirche der gesellschaftliche Wandel in den 60-er Jahren eine wichtige Rolle gespielt habe. Er begründet das im Einzelnen aus eigenem Erleben.
Ich möchte hier keine Urteile aussprechen, sondern nur beschreiben, was im Augenblick passiert.
 Alle drei Ereignisse sehe ich als Symptome einer Entwicklung, die eben vor ca. 50 Jahren – damals, in der Weihnachtszeit 1968,  kreiste die erste bemannte amerikanische Apollo-Kapsel um den Mond – begonnen hat.
Der Zeitraum von sieben mal sieben Jahren plus eins wird in der jüdischen Religion als „Jubeljahr“ bezeichnet. In solch einem Jubeljahr hat nun Israel selbst an jenem Donnerstag, den 11.04., einen Satelliten zum Mond geschickt, der auf den schönen biblischen Namen „bereshit“ getauft wurde. Dieses Wort steht ganz am Anfang der Thora beziehungsweise des Alten Testaments und bedeutet: „Am Anfang“ (schuf Gott Himmel und Erde). Leider war die Mission nicht von Erfolg gekrönt: der Satellit zerschellte auf dem Erdtrabanten, dem (nach Rudolf Steiner) ursprünglichen „Sitz“ Jahwes.[8]
In seinen 1904/05 veröffentlichten Aufsätzen „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ hat Rudolf Steiner zum ersten Mal den Schulungsweg beschrieben, der dem Menschen dazu verhilft, den „Durchbruch“ zur Erleuchtung – ohne Drogen – zu erreichen.
Es ist ein langer Weg, und er führt über mehrere Stufen. Die erste nennt Rudolf Steiner „Imagination“. Damit meint er die auf dem Schulungsweg zu entwickelnde Fähigkeit, hinter den äußeren Eindrücken innere Bilder zu sehen. 1968 stand an einer Pariser Hauswand die Aufforderung „L’imagination au Pouvoir“. Gleichzeitig aber erschien mit dem ersten Asterix-Band („Asterix, der Gallier“) eine Art Karikatur der zu entwickelnden Fähigkeit. Die beliebten Bildergeschichten sind eigentlich ein Rückschritt in die falsche Richtung, der sich seitdem durch den ständig wachsenden Bilderkonsum bis ins Unermessliche gesteigert hat. Ich bezeichne diese Entwicklung als „Infantilisierung“ der Gesellschaft.
Die zweite auf dem Schulungsweg zu entwickelnde Fähigkeit nennt Rudolf Steiner die „Inspiration“. Es geht dabei darum, auf das im Inneren leise erklingende göttliche Wort zu hören. Die Götter sind nicht mehr draußen – irgendwo im Weltraum – zu suchen, sondern im Menscheninnern. Bereits der erste Kosmonaut, der Russe Juri Gagarin[9], hatte 1961 festgestellt, dass es im Weltall keinen Gott gibt.
Wenn die Astrophysiker aus den Radiowellen (tonähnliche Geräusche), die sie mit ihren gigantischen Teleskopen aus den Tiefen des Weltraums empfangen, Bilder zaubern, dann ist das für mich wiederum nichts anderes als eine materialistische Karikatur der geistigen Fähigkeit der Inspiration.
Die dritte geistige Errungenschaft, die Rudolf Steiner nennt, ist die Intuition. Darunter versteht er die Vereinigung mit dem göttlichen Geist, eine Art Kommunion. Wer diese Stufe erreicht, lebt ganz aus dem Gottesbewusstsein heraus und ist im irdischen Sinne frei von allen Wünschen und Begierden, ähnlich wie es der große Gautama Buddha in seinem achtgliedrigen Pfad beschrieben hat.
Als eine Karikatur dieses Wunsches nach „Vereinigung“ kann man die zahlreichen Missbrauchsfälle ansehen, wo Menschen sich mit Kindern sexuell vereinigen wollen, die für sie noch etwas von der himmlischen Unschuld bewahrt haben. Dass sich auch katholische Priester daran beteiligt haben, wiegt besonders schwer. Ich nenne diese Fehlentwicklung „die Pornographisierung“ der Gesellschaft.
Insofern muss ich dem Herrn Ratzinger recht geben: Ende der 60-er Jahre kamen mit den ersten Aufklärungsfilmen („Helga“, Oswald-Kolle) auch die ersten (Soft-) Porno Filme wie „Schulmädchen-Report“ (Folge 1 bis 11) oder „Hausfrauenreport“ in die Kinos, die gewissen Menschen, die noch stark in der „Empfindungsseele“ gefangen sind, anregten, sich selbst (mit Gewalt) die sexuelle Befriedigung zu holen, die sie nicht freiwillig bekamen.
So stehen den drei positiven Bewusstseinsschritten der Imagination, Inspiration und Intuition drei negative gesellschaftliche Tendenzen entgegen: die „Infantilisierung“, der materialistische „Nihilismus“ und die „Pornographisierung“.