Einige Meldungen der letzten Tage
haben mich zum Nachdenken angeregt. Ich glaube, wir sind Zeugen eines großen
Umbruchs, einer Weichenstellung, die über Sein oder Nichtsein einer
zukünftigen, geistgetragenen Gesellschaft entscheidet.
Das Besondere unserer Zeit ist,
dass ein großer Teil der Menschheit über ein Wissen verfügen kann, über das
früher nur wenige verfügen konnten. Durch Internet, Smartphone und Co. können
wir uns heute in Sekundenschnelle alle Informationen besorgen, die wir
brauchen. Die Geisteswissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der „Bewusstseinsseele“.
Ich denke, ein ansehnlicher Teil der Menschheit, allen voran die sogenannten
„Intellektuellen“, ist heute auf dem Gipfel der Bewusstseinsseele angekommen.
Seit Ende der 60-er Jahre wird,
zuerst unter den kalifornischen Hippies, der Ruf nach „Bewusstseinserweiterung“
laut. Jim Morrison von der
Band „The Doors“ (nach Aldous Huxleys Roman „The Doors of Perception”[1])
fordert lautstark einen „Break-through“ (“Break on through to the other side”,
1967), also einen Durchbruch zur “anderen Seite”. Die Band „The Grateful
Dead“ verteilte bei ihren Konzerten kostenlos LSD und machte selbst, von
offiziellen amerikanischen Institutionen (CIA) damals erlaubte „Acid-Tests“.
Die Beatles besangen in ihrer Hymne „Lucy in the Sky with Diomonds“ (1967) diese
von dem Basler Chemiker Albert Hofmann (1906 – 2008)[2] entwickelte Droge.
Vertreter dieser sogenannten 68-er
Generation gehören heute zu den einflussreichen, linksliberalen
Intellektuellen, die den öffentlichen Diskurs weitgehend bestimmen. Manche, wie
zum Beispiel der Salon-Philosoph Peter Sloterdijk, sehen die Entwicklung
inzwischen aber eher kritisch.[3]
In jener Zeit begann aber auch
eine ganz andere Entwicklung: Vor nun genau 50 Jahren kam der erste
Asterix-Band heraus, ein Comic, der wegen seiner vielen politischen
Anspielungen vor allem von Erwachsenen geliebt wurde. Jedenfalls machte er die
Comic-Literatur unter Intellektuellen salonfähig. Als ich in dieser Zeit
aufwuchs und zahlreiche Comic-Hefte „verschlang“, waren die „primitiven
Bildergeschichten“ bei den meisten damaligen Erwachsenen, und vor allem auch
bei der Kirche, noch verpönt.
Nun ist die Ankündigung der
Veröffentlichung eines neuen Asterix-Heftes am 24. Oktober 2019 den meisten Medien
eine Meldung wert. Obwohl Rene Goscinny, einer der beiden intelligenten
Schöpfer der Figuren schon seit 1997 tot ist, wurde am Mittwoch, dem 10. April 2019,
in einer extra anberaumten Pressekonferenz in Paris Band 38 der Comicserie mit
dem Titel „Die Tochter des Vercingetorix“ angekündigt. Spiegel –Online berichtet
von der Pariser Pressekonferenz unter dem bezeichnenden Titel: „Im Oktober
trifft Asterix eine Pubertierende“.[4]
Überstrahlt wurde diese Meldung
jedoch von einer anderen: Gleichzeitig wurde in sechs verschiedenen Metropolen
der Welt von Mitarbeitern eines Forscherteams verkündet, dass es mit Hilfe von
acht zusammengeschlossenen riesigen Radioteleskopen, dem „Event Horizon
Teleskope“ (EHT) gelungen sei, eine „Aufnahme“ von einem 55 Millionen
Lichtjahre entfernten „Schwarzen Loch“ zu machen.[5]
Auf der Titelseite unserer Tageszeitung war am Donnerstag (11.04.)
ein Mitglied des Forscherteams, Sheperd Doeleman[6], abgebildet, der die „Aufnahme“
in Washington präsentierte. Darüber las ich die Überschrift: „Forschern gelingt
der Blick ins Nichts“.
Ich wusste nicht, ob ich lachen
oder weinen sollte: Da steht ein spärlich behaarter junger Astrophysiker mit
geöffnetem Mund vor dem „Foto“ eines roten Kreises, das er stolz als einen Beweis
für die Richtigkeit einer Theorie präsentiert, die Albert Einstein zum ersten Mal 1905 publizierte (Rudolf Steiner
nannte die „Relativitätstheorie“ „Blech“). Dass der Mann auch noch Sheperd, also Hirte, mit Vornamen heißt,
ist für mich irgendwie bezeichnend: „Hirten“ wurden früher im Anschluss an
Jesus, den „guten Hirten“, die Priester der katholischen Kirche genannt, weil
Christus nach der Auferstehung dreimal zu Petrus gesagt hatte: „Weide meine
Lämmer!“ (Joh. 21, 15 – 17).
Heute sind die Astrophysiker die
neuen Hohe-Priester der wissenschaftsgläubigen Gemeinde. Sie verkünden
allerdings keinen Gott, sondern allzu oft nur das „Nichts“. Es muss also
niemanden verwundern, dass bei Menschen, deren Bewusstseinsseele noch starke
Anteile der älteren „Gemüts- und Verstandesseele“ hat, durch solche Aussagen
eine Stimmung erzeugt wird, die man seit Friedrich Nietzsche als „Nihilismus“
bezeichnen könnte.
Eine dritte Meldung machte an
diesem Donnerstag die Runde. Der über 91-jährige ehemalige Papst Benedikt XIV.
hat sich anlässlich der Zusammenkunft der Bischöfe Ende Februar im Vatikan
wegen der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle Gedanken über die Ursachen dieser
verheerenden Entwicklung in seiner Kirche gemacht und hat sie am Donnerstag,
den 12. April veröffentlicht[7]. Er kommt zu dem Schluss,
dass für die Auflösung der Moral innerhalb der Kirche der gesellschaftliche
Wandel in den 60-er Jahren eine wichtige Rolle gespielt habe. Er begründet das im
Einzelnen aus eigenem Erleben.
Ich möchte hier keine Urteile
aussprechen, sondern nur beschreiben, was im Augenblick passiert.
Alle drei Ereignisse sehe ich als Symptome
einer Entwicklung, die eben vor ca. 50 Jahren – damals, in der Weihnachtszeit
1968, kreiste die erste bemannte
amerikanische Apollo-Kapsel um den Mond – begonnen hat.
Der Zeitraum von sieben mal
sieben Jahren plus eins wird in der jüdischen Religion als „Jubeljahr“
bezeichnet. In solch einem Jubeljahr hat nun Israel selbst an jenem Donnerstag,
den 11.04., einen Satelliten zum Mond geschickt, der auf den schönen biblischen
Namen „bereshit“ getauft wurde. Dieses Wort steht ganz am Anfang der Thora
beziehungsweise des Alten Testaments und bedeutet: „Am Anfang“ (schuf Gott
Himmel und Erde). Leider war die Mission nicht von Erfolg gekrönt: der Satellit
zerschellte auf dem Erdtrabanten, dem (nach Rudolf Steiner) ursprünglichen „Sitz“
Jahwes.[8]
In seinen 1904/05
veröffentlichten Aufsätzen „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“
hat Rudolf Steiner zum ersten Mal den Schulungsweg beschrieben, der dem
Menschen dazu verhilft, den „Durchbruch“ zur Erleuchtung – ohne Drogen – zu
erreichen.
Es ist ein langer Weg, und er
führt über mehrere Stufen. Die erste nennt Rudolf Steiner „Imagination“. Damit
meint er die auf dem Schulungsweg zu entwickelnde Fähigkeit, hinter den äußeren
Eindrücken innere Bilder zu sehen. 1968 stand an einer Pariser Hauswand die
Aufforderung „L’imagination au Pouvoir“. Gleichzeitig aber erschien mit dem
ersten Asterix-Band („Asterix, der Gallier“) eine Art Karikatur der zu
entwickelnden Fähigkeit. Die beliebten Bildergeschichten sind eigentlich ein
Rückschritt in die falsche Richtung, der sich seitdem durch den ständig wachsenden
Bilderkonsum bis ins Unermessliche gesteigert hat. Ich bezeichne diese
Entwicklung als „Infantilisierung“ der Gesellschaft.
Die zweite auf dem Schulungsweg
zu entwickelnde Fähigkeit nennt Rudolf Steiner die „Inspiration“. Es geht dabei
darum, auf das im Inneren leise erklingende göttliche Wort zu hören. Die Götter
sind nicht mehr draußen – irgendwo im Weltraum – zu suchen, sondern im
Menscheninnern. Bereits der erste Kosmonaut, der Russe Juri Gagarin[9], hatte 1961 festgestellt,
dass es im Weltall keinen Gott gibt.
Wenn die Astrophysiker aus den
Radiowellen (tonähnliche Geräusche), die sie mit ihren gigantischen Teleskopen
aus den Tiefen des Weltraums empfangen, Bilder zaubern, dann ist das für mich
wiederum nichts anderes als eine materialistische Karikatur der geistigen
Fähigkeit der Inspiration.
Die dritte geistige
Errungenschaft, die Rudolf Steiner nennt, ist die Intuition. Darunter versteht
er die Vereinigung mit dem göttlichen Geist, eine Art Kommunion. Wer diese
Stufe erreicht, lebt ganz aus dem Gottesbewusstsein heraus und ist im irdischen
Sinne frei von allen Wünschen und Begierden, ähnlich wie es der große Gautama
Buddha in seinem achtgliedrigen Pfad beschrieben hat.
Als eine Karikatur dieses
Wunsches nach „Vereinigung“ kann man die zahlreichen Missbrauchsfälle ansehen,
wo Menschen sich mit Kindern sexuell vereinigen wollen, die für sie noch etwas
von der himmlischen Unschuld bewahrt haben. Dass sich auch katholische Priester
daran beteiligt haben, wiegt besonders schwer. Ich nenne diese Fehlentwicklung „die
Pornographisierung“ der Gesellschaft.
Insofern muss ich dem Herrn
Ratzinger recht geben: Ende der 60-er Jahre kamen mit den ersten Aufklärungsfilmen
(„Helga“, Oswald-Kolle) auch die ersten (Soft-) Porno Filme wie „Schulmädchen-Report“
(Folge 1 bis 11) oder „Hausfrauenreport“ in die Kinos, die gewissen Menschen,
die noch stark in der „Empfindungsseele“ gefangen sind, anregten, sich selbst (mit
Gewalt) die sexuelle Befriedigung zu holen, die sie nicht freiwillig bekamen.
So stehen den drei positiven Bewusstseinsschritten
der Imagination, Inspiration und Intuition drei negative gesellschaftliche
Tendenzen entgegen: die „Infantilisierung“, der materialistische „Nihilismus“
und die „Pornographisierung“.
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