Sonntag, 26. Mai 2019

Schwan oder hässliches Entlein?


Gestern war ich in der Handlung und bei der anschließenden Besprechung des Christuswortes „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ aus den Abschiedsreden (Johannes 14, 1 – 14). 
Die Kirche war nicht besonders voll. Bei der Menschenweihehandlung traten – zusammen mit den beiden Ministrantinnen dieses Mal nur sieben Personen vor den Altar. Bei der Betrachtung waren wir dann immerhin mit Frau Kristalli 13, wie so oft. Allmählich lerne ich alle treuen Mitglieder unserer Gemeinde persönlich kennen. 
Das Gespräch kreiste wieder um das Rätsel des „Ich bin“. Frau Kristalli sprach zuerst über den achtgliedrigen Pfad des Buddha, über die vier großen Wahrheiten und die drei Übel. Die Hinduisten und Buddhisten, so sagte sie, kannten das „Ich“ noch nicht. In den Menschen walteten nur „Kräfte“, die sie von einem Leben zum anderen führten, wobei sich der Mensch auch als Tier inkarnieren konnte. Von der ewigen Individualität sprachen sie noch nicht. Erst durch das Christentum erwachte der Mensch zum „Ich bin“, indem er den Christus, das eigentliche „Ich“, in sich aufnahm. Dann konnte der Mensch mit Paulus sagen: „Nicht ich, sondern der Christus in mir“.
Wir sind natürlich noch weit davon entfernt, das vollumfänglich sagen zu können. Aber wir beobachten, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich mit der eigenen Biographie beschäftigen, um diesen Wesenskern zu finden. Frau Kristalli ermuntert uns geradezu, das zu tun. Man könne so viel Schicksalhaftes darinnen finden. Man müsse nur aufmerksam auf alles lauschen, was an einen herantrete und es ernst nehmen.
Genau das übe ich, seitdem ich Tagebuch schreibe. 
Ich erinnerte mich daran, wie ich zum ersten Mal von dem Christuswort „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ gehört habe. Es war im Frühling 1973 beim "Berufsorientierungskurs" in Stuttgart. Ich war gerade 21 Jahre alt geworden, hatte von Frau Luba Husemann meine ersten Rudolf-Steiner-Bücher bekommen und durch sie auch von dem einwöchigen Kurs im Sozialwerk der Christengemeinschaft an der Haussmannstraße erfahren. Besonders beeindruckt hat mich dabei der Vortrag vor Dr. Mees, der eben dieses Christuswort ans Ende seiner Ausführungen stellte. Dabei ordnete er das Wort „Weg“, das er mit dem Wort „Bewegung“ in Verbindung brachte, dem rhythmischen System (Herzschlag und Atem), die „Wahrheit“ dem Nerven-Sinnespol mit dem Wahrnehmen und Denken und das „Leben“ dem Stoffwechsel- und Fortpflanzungspol zu.
Ich habe viele Vorträge in meinem Leben gehört, aber dieser ist mir unvergesslich geblieben. Das „Ich-Bin-Wort“ begegnet mir auch jedes Mal, wenn ich die Jakobuskirche auf dem Hohenberg besuche. Dort gibt es auf dem Friedhof westlich der Kirche ein Kreuz, auf dem es steht.

Ich weiß nicht mehr, welches genau das Stichwort war, aber ich erinnerte in dem an die Betrachtung anschließendem Gespräch gestern Vormittag an die sogenannte „Michaels-Prophetie“. Rudolf Steiner hatte vorausgesagt, dass er am Ende des 20. Jahrhunderts mit etwa 48 (vier Mal zwölf) seiner engsten Schüler und Freunde wiederkommen würde und sich dann mit den Schülern der Schule von Chartres und ihrem Lehrer Alanus vereinen werde, um die Anthroposophie zur „Kulmination“ zu führen. Ich sagte, dass wir nicht traurig sein sollten, weil diese Prophetie scheinbar nicht eingetroffen sei. Wir sollten nur aufmerksamer werden, damit wir auch die Zeichen sehen, die damit verbunden sind.
Frank Peter gab zu bedenken, dass die meisten Menschen heute ganz in äußeren Ereignissen lebten und kaum noch auf ihr Inneres hörten. Er sagte, sie wollen „Events“. „Da geschieht etwas, aber es passiert nichts.“ Deswegen muss sofort das nächste „Event“ her. So gingen wir an den wirklich wichtigen Dingen vorbei, die „passieren“.
Die Dinge sind passiert, aber sie geschehen nicht im grellen Licht der Öffentlichkeit, sondern in kleinen, intimen Zusammenhängen. Nichts davon steht im „Spiegel“ oder in der „Zeit“.
Auch Helmut Zander, der nun anlässlich der 100-Jahr-Feier der Waldorfschule wieder ein Buch veröffentlicht hat, mit dem er die öffentliche Meinung beeinflussen will, beweist nur, dass er blind für die Realität des Geistes ist. Wieder stellt er Rudolf Steiner als „Scharlatan“ hin, wie er es schon in seinem ersten Buch über „Anthroposophie in Deutschland“ versucht hatte. Das neueste Werk des katholischen Theologen heißt: „Die Anthroposophie – Rudolf Steiners Ideen zwischen Esoterik, Weleda und Demeter“. Es ist im renommierten Ferdinand-Schöningh-Verlag erschienen.
Es lohnt sich nicht, ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Im neuesten „Anthroblog“ kann man eine Besprechung des Bandes von Wolfgang G. Vögele unter der Überschrift „Anthroposophie – eine esoterische Großmacht?“ lesen[1].
Noch heute versuchen also Menschen wie Helmut Zander, den Geistesforscher vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu verleumden, nachdem man ihn nicht mehr verleugnen kann.
Das erinnert mich an eine andere bedeutende Geistesforscherin, von der Rudolf Steiner einmal gesagt hat, dass es kaum einen Menschen gab, der mehr  verleumdet wurde als sie: Helena Petrovna Blavatsky.
In dem Vortrag Rudolf Steiners vom 4. November 1917 ("Die Helena-Sage und das Freiheitsrätsel"), den ich nun schon mehrmals zitiert habe, steht folgendes über die griechische Helena, die eine Tochter „Ledas und des Schwans“ war, wobei sich im Schwan der Göttervater Zeus selbst versteckte:
„Goethe wusste wohl, eigentlich müsste dasjenige, was hinter der Helena steckt, so verehrt werden, wie Faust die Helena verehrte. Aber gerade in Bezug auf die Helena sind die schlimmsten Kräfte der Verleumdung im Spiel gewesen. Die Menschen könnten lernen an solchen Dingen, wie gerade dasjenige, was anerkannt werden sollte, was vielleicht am höchsten steht, am meisten verleumdet werden kann.“

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