Warum habe ich von diesem Mann noch nie etwas gehört!?
Gestern bekam ich durch ihn ganz
unerwartet auf viele Fragen, die ich schon so lange mit
mir herumtrage und die gerade jetzt im Zuge meiner Vorbereitung auf den "Orientierungskurs für Flüchtlinge" ganz aktuell sind, eine kompetente Antwort.
Wie es so geschieht, sah ich
gestern Vormittag beim Gang durch die Schwäbisch Haller Markthalle, die
vornehmlich Lebensmittel der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft anbietet, an der
Eingangstür ein Plakat, auf dem ich etwas von einer Veranstaltung in der
„Akademie Schloss Kirchberg“ las, die in irgendeinem Zusammenhang mit Martin
Luther und der Reformation zu stehen schien. Da die Tür sich automatisch
öffnete, war das Plakat, bevor ich es wirklich lesen konnte, schon wieder
verdeckt. Ich schaute also, ob ich nicht irgendwo beim Stand der
Erzeugergemeinschaft einen Flyer finden könnte, der mir weiterhilft. Den fand
ich schließlich auch. Ich las das Thema und erfuhr, dass die Veranstaltung am
gestrigen Abend, also bewusst am Reformationstag, mit einem Einführungsvortrag
zum Thema „Von Luthers Irrtum im Bauernkrieg zur Solidarität der Kirchen mit
den Bauern weltweit“ beginnen sollte. Rudolf Bühler schien zu der Veranstaltung
einzuladen, denn es hieß im Flyer „19.00 Uhr: Begrüßung und Einführung ins
Thema“ durch Rudolf Bühler, der, wie ich bei der Gelegenheit erfahre, im Jahre
1984 – dem Orwell-Jahr – mit acht weiteren Bauern in Wolpertshausen die
„Bäuerliche Erzeugergemeinschaft“ gegründet hatte, der inzwischen 1450 Bauern
angehören.
Von dem Referenten des
Abend-Vortrages, Professor Dr. Ulrich Duchrow aus Heidelberg, hatte ich noch nie
etwas gehört. Ich las jedoch, dass am folgenden Tag, also heute, auch Dr. Winfried
Dalferth, unser ehemaliger Dekan, der am 17. Juli diesen Jahres verabschiedet
wurde, ein Referat halten würde. Die Namen Rudolf Bühler und Winfried Dalferth hatten neben dem Namen Martin
Luthers mein Interesse geweckt. Ich hatte den ganzen Nachmittag Zeit, mir zu
überlegen, ob ich am Abend nach Kirchberg fahren solle. Eigentlich stand mein
Entschluss aber schon fest, zumindest den Abend-Vortrag zu besuchen.
Der Vortrag von Ulrich Duchrow
war eine Offenbarung. Ich habe mir heute Morgen ein Video angeschaut, in dem er
in einem Vortrag über sein Buch „Gieriges Geld“ referiert, das er auch gestern
Abend erwähnte und aus dem er zusammenfassend seine wichtigsten Thesen vortrug,
die er in für mich überzeugender Weise mit der Geschichte der Geldwirtschaft
verknüpft. Ulrich Duchrow ist von Haus aus protestantischer Theologe und zieht
die Texte des Alten Testamentes als Quellen für jenen Umschwung im achten
vorchristlichen Jahrhundert heran, als die Geldwirtschaft eingeführt wurde. Es
ist hochspannend, da ich dabei wieder auf die „üblichen Verdächtigen“ stoße,
die Juden.
Duchrow erzählt von dem Wunsch
der Israeliten, wie die umliegenden Völker einen König zu haben. Er verweist –
mit Luther – auf 1. Samuel 8, wo der Schreiber ausführt, welche „Ausbeutung“
des Volkes herrschen wird, wenn über Israel – gegen den Willen Jahves – ein
König herrschen wird. Das betrifft vor allem die Bauern, wenn Samuel schreibt
(1.Sam 8, 14f): „Eure besten Äcker und Weinberge und Ölgärten wird er (der
König) nehmen und seinen Großen geben. Dazu von euren Kornfeldern und
Weinbergen wird er den Zehnten nehmen…“ und so weiter. All diese Dinge
geschehen nur, damit der Fürst in ausschweifendem Luxus leben kann. In seiner
„Vermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ aus
dem Jahr 1525, dem Jahr der Bauernaufstände, klagt Martin Luther in deutlicher
Sprache zunächst einmal die Fürsten an: „Das Schwert ist euch am Halse. Dennoch
meint ihr, ihr sitzt so fest im Sattel, man werde euch nicht können ausheben.
Diese Sicherheit und verstockte Vermessenheit wird euch den Hals brechen. Das
werdet ihr sehen. Ich hab’s euch früher verkündet, ihr sollt euch hüten vor dem
Spruch des Psalms 107, 40: ‚Er schüttet Verachtung über die Fürsten‘. Ihr ringt
danach und wollt auf den Kopf geschlagen sein; davor hilft kein Warnen noch
Erbarmen.“ (Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Band 4, S 102f)
Duchrow erklärt, wie der
Kapitalismus im Mittelalter mit der „Satisfaktionslehre“ des Anselm von
Canterbury „im Himmel“ beginnt, wie er durch die Kreuzzüge verstärkt wird und
wie „das Kapital“ schließlich die ganze Welt ergreift. Er übersetzt „Kapital“
mit „gieriges Geld“. Das Wesen des Kapitals sei, sich zu vermehren und das
fördere die Gier. Dem stellt er Gegenbewegungen gegenüber, die weltweit von
China bis in den Mittelmeerraum im sechsten vorchristlichen Jahrhundert
einsetzten: den achtgliedrigen Pfad Buddhas, die Sprüche Lao-tses und die
Philosophie des Kon-fu-tse, die Thora der Juden und schließlich die Lehre Jesu
Christi, die in einem Satz zusammengefasst, lautet: „Der Mensch kann nicht zwei
Herren dienen: Gott und dem Mammon“.
All diese Aussagen sind mir aus
dem Herzen gesprochen. Und ich verstehe nun, warum meine Generation immer nach
einer Alternative zum Kapitalismus gesucht hat. Der Kapitalismus ist dabei, den
Planeten zu zerstören. Er führt zu Kriegen und zur Spaltung der Gesellschaft in
Arm und Reich. Er ist tödlich und muss bekämpft werden. Das tut Professor
Duchrow seit 1992, als er zusammen mit anderen in Straßburg das "Parlament von unten" gründet. Später, im Jahre 2000, war er einer der Mitbegründer von "Attac Deutschland", einer Bürgerrechtsbewegung, die seit 1998 in Frankreich existierte.
Es wird mir klar, dass in der
Akademie Schloss Kirchberg, die dieses Jahr gegründet wurde, eine radikale
„Umkehr“ (im Sinne der ersten der 95 Thesen Martin Luthers) stattfinden soll.
Im Schloss Kirchberg, so führt Rudolf Bühler in seinem Schlusswort aus, wurde
im Jahre 1949, also im gleichen Jahr, in dem die Bundesrepublik gegründet
wurde, die erste Bauernschule Deutschlands eröffnet. Das Bild des Gründers
Fritz Strempfer (7.04.1907 – 14.07. 2003) hängt im Nebenraum des Rittersaales,
in dem die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft nach den Vorträgen auch einen
leckeren Imbiss kredenzt.
Dass die „Umkehr“ von den Bauern
ausgehen sollte, macht Rudolf Bühler noch einmal klar. Sie sind es, die die
Böden pflegen, damit sie fruchtbar bleiben, und die auf ihnen die Pflanzen
anbauen und die Tiere weiden lassen, die für eine gesunde Ernährung der
Menschen sorgen sollen. Die Bundesernährungsministerin Renate Künast, die einen
Hohenloher Biobauern als Berater engagiert hatte, sprach schon vor Jahren von
der „Agrarwende“. Erst jetzt merken immer mehr Verbraucher, dass die in den
Supermärkten angebotenen Lebensmittel degeneriert und voller Rückstände sind
und immer mehr schwenken um auf Bio. Es bieten jetzt sogar Discounter wie Aldi
und Lidl Bio an. Ob das allerdings wirklich „Bio“ ist, ist mehr als fraglich.
Es wird sich in der nächsten Zeit hoffentlich die „Spreu vom Weizen“ trennen.
Wir sind Zeugen einer neuen
„Reformation“ und ich bin froh, dass Kirchenmänner wie Ulrich Duchrow, aber
auch der katholische Papst Franziskus, der gestern anlässlich des
Reformationstages in der evangelischen Kathedrale im südschwedischen Lund ein
Gespräch mit den skandinavischen Protestanten geführt hat und heute in einer ökumenischen
Messe im Stadion von Malmö vor Katholiken und Protestanten die Einheit der christlichen
Kirche beschwören wird, treibende Kräfte bei diesem friedlichen Prozess sind.
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