Dienstag, 1. November 2016

"Gieriges Geld" und "Agrarwende" - eine Veranstaltung in der Akademie Schloss Kirchberg


Warum habe ich von diesem Mann noch nie etwas gehört!?
Gestern bekam ich durch ihn ganz unerwartet auf viele Fragen, die ich schon so lange mit mir herumtrage und die gerade jetzt im Zuge meiner Vorbereitung auf den "Orientierungskurs für Flüchtlinge" ganz aktuell sind, eine kompetente Antwort.
Wie es so geschieht, sah ich gestern Vormittag beim Gang durch die Schwäbisch Haller Markthalle, die vornehmlich Lebensmittel der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft anbietet, an der Eingangstür ein Plakat, auf dem ich etwas von einer Veranstaltung in der „Akademie Schloss Kirchberg“ las, die in irgendeinem Zusammenhang mit Martin Luther und der Reformation zu stehen schien. Da die Tür sich automatisch öffnete, war das Plakat, bevor ich es wirklich lesen konnte, schon wieder verdeckt. Ich schaute also, ob ich nicht irgendwo beim Stand der Erzeugergemeinschaft einen Flyer finden könnte, der mir weiterhilft. Den fand ich schließlich auch. Ich las das Thema und erfuhr, dass die Veranstaltung am gestrigen Abend, also bewusst am Reformationstag, mit einem Einführungsvortrag zum Thema „Von Luthers Irrtum im Bauernkrieg zur Solidarität der Kirchen mit den Bauern weltweit“ beginnen sollte. Rudolf Bühler schien zu der Veranstaltung einzuladen, denn es hieß im Flyer „19.00 Uhr: Begrüßung und Einführung ins Thema“ durch Rudolf Bühler, der, wie ich bei der Gelegenheit erfahre, im Jahre 1984 – dem Orwell-Jahr – mit acht weiteren Bauern in Wolpertshausen die „Bäuerliche Erzeugergemeinschaft“ gegründet hatte, der inzwischen 1450 Bauern angehören.
Von dem Referenten des Abend-Vortrages, Professor Dr. Ulrich Duchrow aus Heidelberg, hatte ich noch nie etwas gehört. Ich las jedoch, dass am folgenden Tag, also heute, auch Dr. Winfried Dalferth, unser ehemaliger Dekan, der am 17. Juli diesen Jahres verabschiedet wurde, ein Referat halten würde. Die Namen Rudolf Bühler und Winfried Dalferth hatten neben dem Namen Martin Luthers mein Interesse geweckt. Ich hatte den ganzen Nachmittag Zeit, mir zu überlegen, ob ich am Abend nach Kirchberg fahren solle. Eigentlich stand mein Entschluss aber schon fest, zumindest den Abend-Vortrag zu besuchen.
Der Vortrag von Ulrich Duchrow war eine Offenbarung. Ich habe mir heute Morgen ein Video angeschaut, in dem er in einem Vortrag über sein Buch „Gieriges Geld“ referiert, das er auch gestern Abend erwähnte und aus dem er zusammenfassend seine wichtigsten Thesen vortrug, die er in für mich überzeugender Weise mit der Geschichte der Geldwirtschaft verknüpft. Ulrich Duchrow ist von Haus aus protestantischer Theologe und zieht die Texte des Alten Testamentes als Quellen für jenen Umschwung im achten vorchristlichen Jahrhundert heran, als die Geldwirtschaft eingeführt wurde. Es ist hochspannend, da ich dabei wieder auf die „üblichen Verdächtigen“ stoße, die Juden.
Duchrow erzählt von dem Wunsch der Israeliten, wie die umliegenden Völker einen König zu haben. Er verweist – mit Luther – auf 1. Samuel 8, wo der Schreiber ausführt, welche „Ausbeutung“ des Volkes herrschen wird, wenn über Israel – gegen den Willen Jahves – ein König herrschen wird. Das betrifft vor allem die Bauern, wenn Samuel schreibt (1.Sam 8, 14f): „Eure besten Äcker und Weinberge und Ölgärten wird er (der König) nehmen und seinen Großen geben. Dazu von euren Kornfeldern und Weinbergen wird er den Zehnten nehmen…“ und so weiter. All diese Dinge geschehen nur, damit der Fürst in ausschweifendem Luxus leben kann. In seiner „Vermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ aus dem Jahr 1525, dem Jahr der Bauernaufstände, klagt Martin Luther in deutlicher Sprache zunächst einmal die Fürsten an: „Das Schwert ist euch am Halse. Dennoch meint ihr, ihr sitzt so fest im Sattel, man werde euch nicht können ausheben. Diese Sicherheit und verstockte Vermessenheit wird euch den Hals brechen. Das werdet ihr sehen. Ich hab’s euch früher verkündet, ihr sollt euch hüten vor dem Spruch des Psalms 107, 40: ‚Er schüttet Verachtung über die Fürsten‘. Ihr ringt danach und wollt auf den Kopf geschlagen sein; davor hilft kein Warnen noch Erbarmen.“ (Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Band 4, S 102f)
Duchrow erklärt, wie der Kapitalismus im Mittelalter mit der „Satisfaktionslehre“ des Anselm von Canterbury „im Himmel“ beginnt, wie er durch die Kreuzzüge verstärkt wird und wie „das Kapital“ schließlich die ganze Welt ergreift. Er übersetzt „Kapital“ mit „gieriges Geld“. Das Wesen des Kapitals sei, sich zu vermehren und das fördere die Gier. Dem stellt er Gegenbewegungen gegenüber, die weltweit von China bis in den Mittelmeerraum im sechsten vorchristlichen Jahrhundert einsetzten: den achtgliedrigen Pfad Buddhas, die Sprüche Lao-tses und die Philosophie des Kon-fu-tse, die Thora der Juden und schließlich die Lehre Jesu Christi, die in einem Satz zusammengefasst, lautet: „Der Mensch kann nicht zwei Herren dienen: Gott und dem Mammon“.
All diese Aussagen sind mir aus dem Herzen gesprochen. Und ich verstehe nun, warum meine Generation immer nach einer Alternative zum Kapitalismus gesucht hat. Der Kapitalismus ist dabei, den Planeten zu zerstören. Er führt zu Kriegen und zur Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Er ist tödlich und muss bekämpft werden. Das tut Professor Duchrow seit 1992, als er zusammen mit anderen in Straßburg das "Parlament von unten" gründet. Später, im Jahre 2000, war er einer der Mitbegründer von "Attac Deutschland", einer Bürgerrechtsbewegung, die seit 1998 in Frankreich existierte.
Es wird mir klar, dass in der Akademie Schloss Kirchberg, die dieses Jahr gegründet wurde, eine radikale „Umkehr“ (im Sinne der ersten der 95 Thesen Martin Luthers) stattfinden soll. Im Schloss Kirchberg, so führt Rudolf Bühler in seinem Schlusswort aus, wurde im Jahre 1949, also im gleichen Jahr, in dem die Bundesrepublik gegründet wurde, die erste Bauernschule Deutschlands eröffnet. Das Bild des Gründers Fritz Strempfer (7.04.1907 – 14.07. 2003) hängt im Nebenraum des Rittersaales, in dem die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft nach den Vorträgen auch einen leckeren Imbiss kredenzt.
Dass die „Umkehr“ von den Bauern ausgehen sollte, macht Rudolf Bühler noch einmal klar. Sie sind es, die die Böden pflegen, damit sie fruchtbar bleiben, und die auf ihnen die Pflanzen anbauen und die Tiere weiden lassen, die für eine gesunde Ernährung der Menschen sorgen sollen. Die Bundesernährungsministerin Renate Künast, die einen Hohenloher Biobauern als Berater engagiert hatte, sprach schon vor Jahren von der „Agrarwende“. Erst jetzt merken immer mehr Verbraucher, dass die in den Supermärkten angebotenen Lebensmittel degeneriert und voller Rückstände sind und immer mehr schwenken um auf Bio. Es bieten jetzt sogar Discounter wie Aldi und Lidl Bio an. Ob das allerdings wirklich „Bio“ ist, ist mehr als fraglich. Es wird sich in der nächsten Zeit hoffentlich die „Spreu vom Weizen“ trennen.
Wir sind Zeugen einer neuen „Reformation“ und ich bin froh, dass Kirchenmänner wie Ulrich Duchrow, aber auch der katholische Papst Franziskus, der gestern anlässlich des Reformationstages in der evangelischen Kathedrale im südschwedischen Lund ein Gespräch mit den skandinavischen Protestanten geführt hat und heute in einer ökumenischen Messe im Stadion von Malmö vor Katholiken und Protestanten die Einheit der christlichen Kirche beschwören wird, treibende Kräfte bei diesem friedlichen Prozess sind.



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