Sosnovy Bor, der 23. August 2017 (Mittwoch,
8.48/9.48 Uhr)
Unsere
Zeit in Russland geht langsam zu Ende. Am Samstag wollen wir wieder aufbrechen. (...)
Heute
Nacht habe ich ausführlich von Vladimir Putin geträumt. Er saß nur wenige Meter
von mir entfernt in einem Saal des Nobel-Hotels „Rosa Luxemburg“ (ich habe
keine Ahnung, ob es das gibt) und trauerte über den Tod von Boris Jelzin. Er
schrieb in kyrillischer Schrift eine Art Widmung auf ein weißes Blatt Papier,
gab noch eine Art Edelstein dazu und schlug alles dann in eine aktuelle
Tageszeitung ein, die er Jelzin in den Sarg legen wollte, so als müsse er einen
„Grundstein“ legen.
Gestern
waren wir in Petershof.
Wir haben
uns zuerst die Parkanlage erwandert (450 Rubel pro Person) und anschließend
noch eine (russischsprachige) Führung durch den Hauptpalast mitgemacht (700
Rubel – d.h. 10.-Euro pro Person). Die zentrale Kaskade nördlich des Palasts
mit der berühmten zentralen Figur des Samson und all den anderen Statuen
mythologischer Figuren aus Gold wurde belagert von Scharen (oft chinesischer)
Touristen, die sie als Kulisse für „Selfies“ missbrauchten. Überhaupt bin ich
wieder einmal „schockiert“, wie viel fotografiert wird. Es ist eine wahre
Inflation von Bildern, die hier entsteht und in alle Welt hinausgetragen wird.
Wie
wohltuend sind dagegen die Gemälde im Palast, die in kunstvoller, meist
wochenlanger Arbeit entstanden sind, darunter auch eines von Olga von
Württemberg. Olga Nikolajewna Romanov (1822 – 1892), die Tochter von Zar Nikolaus
I., wurde 1864 als Gattin von König Karl I. von Württemberg Königin und hat unter
anderen sozialen Einrichtungen das bis heute bestehende Olga-Hospital gegründet.
Das wunderschöne Gemälde dieser russischen Großfürstin in einem Saal des
Petershofer Palastes war das einzige, was ich von der in aller Eile
vorgetragenen Führung mitbekam. Außerdem beeindruckte mich auch das
Arbeitszimmer Peters des Großen, das ganz aus Eichenholz geschnitzt ist.
Es stimmt
tatsächlich, dass die Deutschen diese Palast- und Gartenanlage barbarisch
zerstört haben. Darauf weisen zumindest überall großformatige historische
Fotografien hin. Ich schäme mich für diese Taten meiner Vorväter und sage laut
zu Lena und Olga, dass es eine Schande
ist.
Der Park
nördlich des Palasts ist streng symmetrisch gegliedert und beruht ähnlich wie
die Stadt Sankt Petersburg auf drei zentralen Strahlen, die von der Zarenkrone
auf dem Türmchen des zentralen Palastbaus ausgehen und über drei Fontänen der
zentralen Kaskade in Richtung Ostseeufer verlaufen. Die westliche Seiten-Achse „streift“ dabei eine achteckige Brunnen-Schale, in
deren Mitte eine Eva-Statue steht, von deren Füßen 16 Fontänen ein wunderbares
Wasserballet vollführen. Das gleiche spiegelt sich bei der östlichen
Seiten-Achse in einer Adams-Statue mit Fontäne.
So steht
das Ur-Menschenpaar als Mann und Frau Pate für die beiden Fächerstrahlen, die
sich im Verlaufe des Parks nach Westen und Osten noch weiter verzweigen. Der
mittlere Strahl, der vom alttestamentarischen Samson ausgeht, wie Herkules eine
Symbolfigur für Peters Kraft, führt nördlich genau auf den Finnischen Meerbusen
zu, südlich über das zentrale Palastzimmer in die Gartenanlage mit dem Neptun-Brunnen
und der Herkulesstatue. Samson versinnbildlicht Peters Sieg über die Schweden
am 27. Juni 1707. Herkules ist ein Symbol für Peters Landmacht, Neptun für
seine Seemacht.
Sosnovy Bor, der 24. August 2017
(Donnerstag, 10.27/11.27 Uhr)
Eben saß
ich neben Lenas Mutter im Wohnzimmer.
Im
Fernsehen kam eine Sendung, die sie sich ansah. Als ich mich nach dem
Frühstück, das wir heute ziemlich spät zu uns nahmen, neben sie setzte,
erkannte ich im Fernsehen eine Abbildung des griechischen Philosophen
Aristoteles. Sofort war mein Interesse geweckt und ich versuchte, zu verstehen,
um was es ging. Als ich dann plötzlich Erich von Däniken auf dem Bildschirm
sah, der in deutscher Sprache – und in russischer Übersetzung – von den
Astronauten-Göttern erzählte, die in prähistorischer Zeit angeblich von einem
Raumschiff aus die Erde beobachtet und dann einen Roboter auf die Erde
geschickt hätten, der Rohstoffe wie Gold einsammeln sollte, dann wusste ich,
woher „der Wind weht“. Von Lena hatte ich schon früher erfahren, dass viele
Russen an UFOs glauben. Schließlich sah ich in dem Fernsehkanal mit dem Signet
einer seitenverkehrten „4“ einen Atompilz. Es wurde suggeriert, dass es in
prähistorischer Zeit zu solch einer Katastrophe gekommen sei, was man nur mit
der Zündung einer Atombombe erklären könne. Dazu wurden Verse aus einem alten
Epos eingeblendet.
Ich
vermute sehr, dass es Verse aus der „Bhagavad Gita“ waren, aus der auch der berühmte
Satz „heller als tausend Sonnen“ stammt.[1] Mit diesen Worten beschrieb
der Kernphysiker Robert Oppenheimer, der den Atomblitz am 16. Juli 1945[2] im Corpus-Christi- Gebirge bei Los Alamos im
Staate Neu-Mexiko beobachtete, den Eindruck: er war der wissenschaftliche
Leiter des „größten und teuersten Experiments der Menschheitsgeschichte“
(Spiegel vom 23.08.2013), ein sehr gebildeter Mann. Er soll im Angesicht des durchdringenden
Lichtes, das von der Zündung ausging, die Verse aus der Bhagavad Gita rezitiert
haben.[3]
Heute
regnet es wieder in Strömen. Wir bleiben zu Hause.
Gestern
haben wir mit Olga Zarskoje Selo („Zarendorf“) in der Stadt Puschkin im Süden
von Sankt Petersburg besucht.
Der
Palast, der auf ein erstes Steinhaus von Katharina I., der ersten Frau Peters
des Großen, zurückgeht, wurde von ihrer gemeinsamen Tochter, der Zarin
Elisabeth I., unter ihrem Lieblingsarchitekten Bartolomeo Rastrelli ab 1725 zu
einer großzügigen Anlage ausgebaut, die wir heute noch bewundern können.
Überall sehen wir die Initiale „E“ in Kartuschen an der Fassade oder an den Wänden
der Innenräume. Die Süd-Ostfassade des „Katharinenpalastes“, durch die wir mit
etwa vierhundert anderen wartenden Besuchern eintreten, ist dreigeschossig und
mehr als 300 Meter lang. Sie endet im Nordosten mit der Palastkirche, die uns
durch ihre fünf goldenen Kuppeln schon bei der Anfahrt auf die Stadt Puschkin
aufgefallen waren. „Kolossalsäulen, Pilaster, Atlanten und Fensterverzierungen
beleben die Prachtfassade eines der schönsten Barockpaläste Europas“ (Nelles-Reiseführer,
S 234).
Besonders
die Atlanten interessieren mich beim Warten in der Schlange und ich informiere
mich mit Hilfe von Olgas Handy[4] über die Sage von Atlas,
die mir nicht mehr ganz gegenwärtig war. So erfahre ich, dass Atlas, einer der
Titanen, die sich unter Chronos gegen die Olympier um den Göttervater Zeus
erhoben, der König von Atlantis war. Zur Strafe wegen des Aufstandes verbannte
Zeus Atlas nicht in den Tartaros, sondern legte ihm das Himmelsgewölbe (Uranos)
am äußersten Rand der Welt auf die Schulter, um zu verhindern, dass es sich
wieder mit der Erde (Gaia) vereine. Atlas hatte viele Kinder, unter anderen die
Plejaden und die Hesperiden. Als Herkules seine elfte Aufgabe bekam, traf er
auch am Ende der Welt auf Atlas. Er überzeugte diesen, ihm die goldenen Äpfel
seiner Töchter zu holen und erklärte sich bereit, das Himmelsgewölbe so lange
an seiner statt zu halten. Darauf ging Atlas ein. Durch eine List gelang es
Herkules aber, Atlas die beschwerliche Last wieder zu übergeben und kehrte mit
den goldenen Äpfeln zu König Eurystheus zurück.
Mit
Scharen von Besuchern wurden wir durch die Zimmer des Palastes „geschoben“ und
lauschten den Worten unserer Führerin, die uns über den kleinen elektronischen
Lautsprecher im Ohr erreichten. Da sie auf Russisch waren, verstand ich nur
vereinzelte Bruchstücke. Das war der Fall, als der Name „Württemberg“ fiel.
Beim Nachforschen heute Morgen erfuhr ich, dass die Tochter des Bruders von
Carl Eugen, Sophie Dorothe Auguste Luise, Prinzessin von Württemberg, im Jahre
1776 von Katharina, der Großen mit ihrem Sohn Paul verheiratet wurde, der
später als Paul I. den Zarenthron bestieg. Sie hieß dann Maria Fjodorowna. Mit
ihrem später ermordetem Mann, dem gedemütigten Sohn Katharinas, hatte sie zehn
Kinder, darunter die beiden späteren Zaren Alexander I. und Nikolaus I. Auch
diese württembergische Prinzessin auf dem Zarenthron setzte sich in Sankt
Petersburg in der Nachfolge der Heiligen Elisabeth von Thüringen sehr für
wohltätige Einrichtungen ein und galt als eher sparsam.
Was Maria
Fedorownas Politik betrifft, so folgte sie offenbar dem konservativen Kurs
ihres Mannes Paul I., der die liberalen Ideen der französischen Revolution
strikt ablehnte. Andererseits wurde ihr Bruder Friedrich I. von Napoleons
Gnaden der erste König von Württemberg. Marias Sohn Zar Alexander I. war der
gefeierte „Sieger“ über Napoleon, der im Jahr 1812 vergeblich versuchte, Moskau
einzunehmen und dadurch auch das Zarenreich zu unterwerfen, wie er es zuvor
bereits mit Preußen getan hatte.
Europäische
Geschichte wird plötzlich ganz lebendig für mich.
Interessant
war für mich auch die klassizistische „Cameron-Galerie“, die von dem schottischen
Architekten Charles Cameron in den Jahren 1780 – 1789 in der Form eines
griechischen Tempels für Katharina II. errichtet worden war. Hier wollte sich
die Zarin mit ihren Gästen über Geschichte und Philosophie unterhalten. Unter
den mehr als zweihundert Jahre alten Bronze-Büsten im Umgang zwischen dem
vollkommen transparenten Tempel-Raum und den Kolonaden mit 44 weißen Säulen,
die den umlaufenden Fries und das Dach mit jonischen Kapitellen stützen,
entdecke ich Sokrates, Plato und Alexander den Großen. Aristoteles war mit
Sicherheit auch darunter, aber ich entdeckte ihn nicht beim eiligen
Durchschreiten. Meine Frauen waren plötzlich einmal wieder vorausgeeilt und
verschwunden.
Das
Bernsteinzimmer, um das so viel Aufhebens gemacht wird, enttäuschte mich im
Grunde. Ich bin kein Liebhaber von teurem Luxus und Prunk und interessiere mich
eher für die Arbeit der geschickten Handwerker und Künstler, die diesen Raum
schufen. In dem ursprünglich von Andreas Schlüter für den ersten Preußenkönig, Friedrich
Wilhelm I., entworfenen Zimmer, der es in seinem Schloss in Königsberg einbauen
ließ und später Zar Peter I. für seinen Winterpalast schenkte[5], sind auch vier
Mosaikdarstellungen zu sehen, die die fünf Sinne zeigen: der „Tast- und
Geruchssinn“ an der Südwand, der „Hörsinn“ an der Ostwand, der „Sehsinn“ an der
Nordwand und der „Geschmackssinn“ ebenfalls an der Ostwand. Nur an der
Fensterseite, der Westwand, sind keine Mosaiken.
In dem
Lyzeum in der Nachbarschaft der Auferstehungs-Kirche war der Dichter Alexander
Puschkin von 1811 bis 1817 Schüler. Nach ihm nannten die Kommunisten zum 100.
Todestag des Dichters 1918 die Stadt Zarskoje Selno Puschkin. Lena hat im Bücher-Shop
des Palastes einen Band mit Puschkins Märchen in deutscher Sprache gefunden,
den ich gekauft habe.
19.15/20.15 Uhr:
Heute
haben wir nichts unternommen.
Am
Nachmittag ist der Doktor gekommen, um Lenas Mutter zu untersuchen. Ich
unterhielt mich mit dem gebildeten Mann und versuchte, ihm zu erklären, was
Anthroposophie ist. Als ich ihm den Namen Helena Petrowna Blavatski nannte,
konnte er sich zumindest einen anfänglichen Reim machen.
Er seinerseits
erzählte mir von einem preußischen Oberst, der sich zur Zeit Hitlers mit den
Don Kosaken verbündete und mit ihnen gegen die „Roten“ kämpfte. Er nannte den
Namen „Oberst von Parvitz“, aber ich konnte im Internet nichts über ihn finden.
Ich las
heute Abend den sechsten Vortrag aus Rudolf Steiners Helsingfors-Zyklus vom 2.
Juni 1913. Darin wird auch die Stelle aus dem elften Gesang zitiert, an die der
des Sanskrit mächtige Julius Robert Oppenheimer bei der Zündung von „Gadget“,
der ersten der unter dem Namen „Trinity“ entwickelten drei Atombomben, dachte:
„Ich bin
die Urzeit, die alle Welt vernichtet.“
Rudolf
Steiner schildert die Lichtgestalt Krishnas als den Bringer des menschlichen
Selbstbewusstseins und der menschlichen Freiheit. Diesen Krishna kann und muss
jede einzelne Menschenseele in sich erleben im Laufe der Weltenevolution. Würde
er aber nur Krishna erleben, dann würde sich die Menschheit immer mehr
„individualisieren“; ich würde sogar das Wort „atomisieren“ dafür benützen,
denn so weit sind wir heute schon. Dadurch würde die Evolution in einer
Sackgasse enden. Deswegen musste aus dem Kosmos heraus ein anderer Impuls
kommen, der nun nicht auf die einzelne menschliche Seele im Sinne des
Selbstbewusstseins wirkte, sondern in der Menschenseele das Menschheitliche
wieder zum Bewusstsein brächte. Das ist der Christus-Impuls.
Mit
Wilfried Michalski hatte ich heute einen kleinen Austausch über das Thema. Er
hatte heute eine Erinnerung an einen Spiegel-Artikel vom 23. August 2013[6] auf seiner Seite gepostet,
die sich mit dem Manhattan-Projekt beschäftigte, und dazu an eigene Gedanken
erinnert, die er damals in seinem Weblog „Denkgarten“ veröffentlicht hatte[7]. Er erzählt dort, wie er
am 6. August vor ungefähr 30 Jahren einmal durch ein Kalenderblatt von zwei
Ereignissen dieses Tages erfuhr. Es war der Tag der Verklärung Christi und der
Tag des Abwurfes der zweiten Atombombe (Little Boy) auf die japanische Stadt Hiroshima. Seitdem lässt ihn dieser
Gegensatz zwischen der Atomkraft und dem Christuslicht nicht mehr los.
Sosnovy Bor, der 25. August 2017 (Freitag,
7.15/8.15 Uhr, Saint Louis)
Heute
Morgen scheint wieder die Sonne in Sosnovy Bor.
Gestern
las ich auch noch den siebten Vortrag aus dem Helsingfor-Zyklus. Da ging es um
die „schöpferischen Kräfte“, die Nachts am Menschen arbeiten und zu denen der
Hellseher Zugang hat, sie allerdings auch nicht im unmittelbaren Wirken
beobachten kann, sondern sich die entsprechenden Erkenntnisse erst im
Nachhinein bewusst machen kann. Rudolf Steiner betont in diesem Zyklus
mindestens zweimal, dass die Tatsache der „zwei Jesusknaben“ von ihm nur auf
diesem Wege gefunden werden konnte. Diese schöpferischen Kräfte hängen aufs
engste mit der Schwester- oder Bruderseele der Menschheit zusammen, die sich
seit der alten Lemuris nur einmal auf Erden verkörpert hat, nämlich um die
Zeitenwende in dem Lukasknaben. Diese Schwesterseele der Menschheit nahm Arjuna
in Krishna wahr.
In der zu
Ende gehenden Woche haben wir die Schöpferkräfte dreimal in drei verschiedenen
Varianten erleben dürfen: in den Parkanlagen aus dem 18. Jahrhundert rund um
Sankt Petersburg. All diese griechischen Götter und Göttinnen, die Nymphen,
Nereiden, Atlanten und Jahreszeitenwesen, die die von Menschenhand gestalteten
Gärten und Parks beleben, sind Manifestationen dieser schöpferischen Kräfte,
wenn auch zum Teil in Symbolform – Herkules steht für Peters Landmacht, Naptun
für Peters Seemacht, Samson für Peters Sieg über die Schweden – zum Teil als
allegorische Gestalten. Immer wieder taucht auch das Geschwisterpaar Apollo und
Artemis/Diana auf. Auch der Götterbote Hermes ist oft an wichtigen Stellen zu
finden.
Der Höhepunkt
der russischen Park- und Gartenkunst ist wohl die Zeit Katharinas der Großen.[8] Sie regierte von 1762 bis
zu ihrem Tod 1796 als Zarin in Russland. Das war ungefähr zur gleichen Zeit,
als in Preußen Friedrich der Große (regiert von 1740 – 1786), und im Habsburgerreich
Österreich-Ungarn Maria Theresia (regiert von 1740 – 1780) herrschten. Nur
Katharina II. war Zeitgenossin der Französischen Revolution, die das
französische Königshaus der Valois stürzte.
Katharina
der Großen verdankt das Land die meisten Palastausbauten in der Form, wie wir
sie heute sehen. Katharina hatte ihren Gatten, Zar Peter III. in Peterhof abgesetzt.
In Oranienbaum musste der Zar seine Abdankungsurkunde unterschreiben und am
selben Tag wurde Katharina in der Kasaner Kathedrale in Sankt Petersburg durch den
Metropoliten zur Alleinherrscherin Russlands erklärt.[9] Alle drei Stätten haben
wir auf unserer Reise besucht.
Katharinas
Regierungszeit fällt zusammen mit der Goethezeit. 1762 war Goethe 13 Jahre alt.
Von 1759 bis 1761 war während des Siebenjährigen Krieges im Haus der Familie
Goethe in Frankfurt der französische General und Stadtkommandant Thoranc
einquartiert. Er hatte seine Schauspieltruppe dabei. Goethe hörte viel
Französisch und begann seinen ersten, nicht erhaltenen Roman, in dem er viele
europäische Sprachen mischte.[10]
Die
eigentliche Goethezeit begann 1775 mit der Ankunft Goethes in Weimar und endete
1805 mit Schillers Tod. In dieser Zeit, die man auch die „Weimarer Klassik“
nennt, entstanden die Hauptwerke der deutschsprachigen Literatur. Ihr voraus
ging die klassische Zeit der Französischen Kultur im Zeitalter Ludwigs XIV. mit
dem Dichterdreigestirn Corneille, Racine und Moliere.
Während
die französische Klassik bald im Formalismus erstarrte, bleib die Weimarer
Klassik bis heute lebendig.
Ich denke, dass diese wiederum die russische
Literatur prägte.
So bewegte
sich die Quelle der „schöpferischen Kräfte“ von England (Shakespeare) über
Frankreich (Racine, Corneille, Moliere) und Deutschland (Lessing, Goethe und
Schiller) nach Russland (Alexander Puschkin), also von Westen nach Osten.
Puschkin (1799 – 1837), der etwa 1812 nach dem Sieg Zar Alexanders I. über
Napoleon, als er noch auf dem Elite-Gymnasium von Zarskoje Selo war, mit 13
Jahren zu schreiben begann[11], gilt heute als
russischer Nationaldichter, denn er schrieb nicht mehr in französischer,
sondern in russischer Sprache. Puschkin war auch der erste russische Dichter,
von dem ich ein Buch erhielt. Es sind die Erzählungen, die unter dem Titel „Der
Postmeister“ veröffentlicht wurden. Heiderose S., meine Klassenkameradin auf
dem Gymnasium, die heute in Amerika verheiratet ist, hat es mir vor ungefähr 50
Jahren geschenkt.
Am
Mittwoch haben wir, bevor wir nach Zarskoje Selo fuhren, Lenas Vater Fjodor bei
der Arbeit besucht. Er arbeitet in der Großgärtnerei „Rosia“ am Rande von
Sasnovy Bor und ist dort als Elektroingenieur zuständig für die
Stromversorgung. Es ist ein Riesenbetrieb, der den ganzen „Oblast Leningrad“
mit über sechs Millionen Menschen mit Salat und Gemüse versorgt. Die Gärtnerei
arbeitet nach der modernsten Anbaumethode, die aus Holland stammt. Die in
individuellen Töpfen gezogenen Tomaten-, Auberginen- und Paprikapflanzen werden
mit der computergesteuerten Tröpfchen-Methode, in der sich auch die Nährlösung
befindet, bewässert.
Es ist
schon merkwürdig zu erleben, wie am gleichen Ort sowohl der Strom für die weite
Umgebung aus der lebensfeindlichen Atomkraft gewonnen, als auch Lebensmittel
für die Menschen der Umgebung auf dem moorig-sauern Boden erzeugt werden, der
hier am Ufer des Finnischen Meerbusens den Untergrund bildet. So nahe liegen
hier abbauende und aufbauende Kräfte, oder um es mit Rudolf Steiner (siebter
Vortrag) zu sagen: „Tages- und Nacht-Kräfte“ beieinander.
15.36/16.36 Uhr:
Lena ist
mit Olga in die Stadt zum „Shoppen“ gegangen. Ich bin zu Hause geblieben und habe
im achten Vortrag gelesen (bis S 136) und eine Stunde geschlafen.
Ich hatte
heute ein starkes Gefühl des Ekels gegenüber dem heutigen gottlosen Russland.
Ich sehe
die Löcher auf den Straßen, die bröckelnden Fassaden der Plattenbauten aus
sowjetischer Zeit, viele Männer, die wie Clochards aussehen und traurig und
hoffnungslos ins Leere blicken, oder Männer vor ihren Garagen bei ihren Autos,
dem einzigen Stolz ihres Lebens, höre selten einen Gruß oder ein freundliches
Wort und konstatiere ein komplettes Versagen bei staatlicher Organisation. Weil
wir nicht, wie ursprünglich geplant, nach Moskau zu Cousin Oleg fahren, haben
Lena und Olga die aus Deutschland mitgebrachten Geschenke heute bei der Post
aufgegeben, um sie per Paket zu schicken. Auf die Frage, wie lange das Paket
von Sosnovy Bor bis Moskau brauche, sagte die junge Frau am Postschalter: etwa
einen Monat. Ich konnte es kaum fassen. Ich wollte meinem Sohn eine Ansichtskarte
von Sankt Petersburg schicken. Aber in der Post von Sosnovy Bor gab es nicht die
frankierten Kuverts, die dafür nötig sind. Außerdem könnte es einige Wochen
dauern, bis die Post in Deutschland ankommt.
Was mir in
Russland gefällt, sind die Zeugnisse alter Zeit, und das sind vor allem die
Paläste und Gärten in Sankt Petersburg und Umgebung. Aber diese stammen
vorwiegend von europäischen Herrschern und Architekten.
Die beiden
einzigen zeitgenössischen Russen mit einer tieferen Bildung habe ich am Sonntag
in Vater Andrej und gestern in dem Doktor angetroffen, der Lenas Mutter
behandelt.
Leider hat
mir Andrej bis jetzt noch nicht auf meine Mail geantwortet und ich muss sagen,
ich bin nach dem „Höhenflug“ bei unserer Begegnung etwas enttäuscht. Ich
dachte, ich hätte einen Freund gefunden. Aber dieser „Freund“ schweigt seit
fünf Tagen. (Ergänzung vom 26.08.2017, 7.00/8.00 Uhr: Eben habe ich doch eine sehr freundliche Antwort von Vater Andrej erhalten.)
Vielleicht
hängt es damit zusammen, dass ich mich zu Rudolf Steiner „bekannt“ habe. Heute
erst las ich in der Taschenbuchausgabe des Helsingfors-Zyklus (S. 161), dass
Rudolf Steiner seine Vorträge nicht in Petersburg halten durfte, weil der „Heilige
Synod“ der Russisch-Orthodoxen Kirche als zuständige Behörde die „Bewilligung
für die Einreise (…) verweigerte“. Ich finde das geradezu tragisch.
Aber
offenbar ist die orthodoxe Kirche genauso „kleingeistig“ wie die katholische
Kirche, die ja die Schriften Steiners bis heute auf dem „Index“ stehen hat.
Da muss
ich an Dostojewskis Erzählung vom „Großinquisitor“ in dem Roman „Die Brüder
Karamasov“ denken, in der die Haltung der Kirche gegenüber dem wahren
Christentum so treffend charakterisiert wird.
[1] Inzwischen weiß ich, dass der Ausspruch so nirgends in
der Bhagavad Gita steht. In Wirklichkeit hatte Oppenheimer, laut Wikipedia, folgende
Verse rezitiert:
“If the radiance of a thousand suns / were
to burst at once into the sky / that would be like / the splendor of the Mighty
One and I am become Death, the shatterer of worlds.”
„Wenn das Licht von tausend Sonnen / am Himmel plötzlich bräch'
hervor / das wäre gleich dem Glanze dieses Herrlichen, und ich bin der Tod
geworden, Zertrümmerer der Welten.“
[2]
Seit der Kernphysiker Otto Hahn am 17. Dezember 1938 die Spaltung des Urans
entdeckt hat, arbeiteten amerikanische, sowjetische, deutsche und sogar
japanische Physiker an der Entwicklung der verheerenden Atombombe.
[4]
Mein Handy hat mir auf dieser Reise den Dienst versagt, weil ich mich nicht
mehr an das Passwort erinnerte. Da auch unser Navi ausfiel, kann ich mich in
diesem fremden Land nur mit Hilfe von Lena und Olga, aber auch mit Hilfe von
Karten orientieren oder verständigen. Immerhin bleibt mir mein Laptop.
[5]
Es handelt sich heute nur noch um eine Kopie, denn das tatsächliche
Bernsteinzimmer gilt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als verschollen.
[7] „Was mich persönlich in
den Aspekten des Religiösen und Spirituellen seit einigen Jahrzehnten bewegt,
ist die Frage, ob das 'Christentum' zur Welterfassung unter Maßgabe einer
'Gefahrenabwehr und heilsamer Weltentwicklung' nicht auch aus seiner
ureigensten inneren Substanz 'etwas zu bieten' hat? Ob mit dem
Christentum etwas in die Welt gekommen ist, das eigentlich etwas
ganz anderes in sich birgt, als das, was bisher maßgeblich in Erscheinung
getreten ist? Etwas, das unter dem ganzen Zeit-Mantel der
historisch-geschichtlichen Entwicklung der letzten zweitausend Jahre verborgen
ist? Etwas, das irgendwie 'verschütt gegangen' ist oder 'bewusst entstellt und
verschüttet wurde'. Aber etwas, das, jenseits menschlicher Schuld und
menschlichen Vermögens oder menschlichen Versagens in unserer Welt 'angelegt'
ist ... auf unsere (Wieder)Entdeckung wartet...und uns in Folge einer solchen
'Entdeckung' darauf verweisen könnte, dass auch das Christentum unsere Stellung
gegenüber Welt und MitWelt neu und ganz anders begründen
könnte!
Die 'Kernfrage' hinsichtlich des 'ganz anderen' hat sich mir vor über dreißig Jahren über einiges Nachdenken zur'Kernkraft' ergeben. Der Anlaß zu diesem 'Nachdenken' kam eigentlich sehr unscheinbar und gleichsam auf leisen Sohlendaher. Es war ein Kalenderblatt.
Ein Kalenderblatt, das einer Tageszeitung zum Jahreswechsel beigelegt war, und am 6. August, dem Gedenktag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, den Eintrag hatte: „Tag der Verklärung Christi“.
Die 'Kernfrage' hinsichtlich des 'ganz anderen' hat sich mir vor über dreißig Jahren über einiges Nachdenken zur'Kernkraft' ergeben. Der Anlaß zu diesem 'Nachdenken' kam eigentlich sehr unscheinbar und gleichsam auf leisen Sohlendaher. Es war ein Kalenderblatt.
Ein Kalenderblatt, das einer Tageszeitung zum Jahreswechsel beigelegt war, und am 6. August, dem Gedenktag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, den Eintrag hatte: „Tag der Verklärung Christi“.
Das hat mich irgendwie 'angesprochen'...und so stand ich dann etwas länger
mit meinem Kalenderblatt in der Hand (...und ahnte damals noch nicht, wie lange
mich das noch 'beschäftigen' sollte). Was ist das für ein Tag? AUCH am 6.
August? „Tag der Verklärung Christi“!?
Was ist die „Verklärung Christi“?
Was ist die „Verklärung Christi“?
Ich wusste damals nur aus meiner rudimentären Kenntnis des Christentums,
dass Christus bei seiner Verklärung den Anwesenden in einer
Strahlenhülle aus Licht „Heller als tausend Sonnen“ erschienen war. Und ebenso
lautete die gebräuchlichste Metapher (und ein Buchtitel) zum Atombombenabwurf
auf Hiroshima – Heller als tausend Sonnen.
Und genau diese beiden „Sonnen“, sollten, laut meinem Kalenderblatt, an
einem Tag vereint sein?! War das nur Zufall? Nur eine
lässliche Nebensache rein kalendarischer Übereinstimmung? Oder lag hinter den
'zwei Sonnen' an einem Tag noch etwas Tieferes?“ Wilfried Michalski am 30. Juni
2013
[8]
Der „Katharinen-Palast“ (nach Katharina I. benannt) In Zarskoje Selo entstand
nach den Plänen Bartolomeo Rastrellis von 1748 bis 1856 unter Zarin Elisabeth
I., der Lieblingstochter Peters und Katharinas I., also bereits sechs Jahre vor
Regierungsantritt Katharinas II.
[9]
„Katharina und ihre Vertrauten planten daraufhin
einen riskanten Staatsstreich. Sie versicherte sich zuerst der Unterstützung
einiger Garderegimenter, in denen unter anderen die Gebrüder Orlow dienten, dann ließ sie sich am 9. Juli
1762 zur Zarin ausrufen, während Zar Peter III. für abgesetzt erklärt wurde.
Katharina rückte mit der Garde nach Peterhof, wo Peter III. sich zu der Zeit
aufhielt, vor. Peter III. flüchtete zunächst nach Kronstadt, kehrte allerdings zurück und unterschrieb
anschließend in Oranienbaum seine Abdankungsurkunde. Katharina wurde noch am
selben Tag in der Kasaner Kathedrale von Sankt-Petersburg durch den Metropoliten Setschin zur Alleinherrscherin Russlands
erklärt. Peter III. wurde gefangengenommen und kam am 17. Juli 1762 unter
ungeklärten Umständen ums Leben. Nachdem sich die Lage im Lande nach Peters Tod
wieder beruhigt hatte, wurde Katharina II. am 22. Septemberjul./ 3. Oktober 1762greg. [6] in der Himmelfahrtskathedrale des Moskauer Kremls zur Zarin von Russland gekrönt, worauf sie das Land 34 Jahre lang regierte.“
(Wikipedia)
[10]
„Im Zuge des Siebenjährigen Krieges war von 1759 bis 1761 der französische
Stadtkommandant Graf Thoranc im Elternhaus einquartiert. Ihm und der
mitgereisten Schauspieltruppe verdankte Goethe seine erste Begegnung mit der
französischen Dramenliteratur. Angeregt durch die vielen erlernten Sprachen,
begann er als Zwölfjähriger einen mehrsprachigen Roman, in dem in buntem
Durcheinander alle Sprachen zur Geltung kamen.“ (Wikipedia)
[11]
Das Gedicht „Der Mönch“ entstand 1813
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