Ich habe Lena zur Arbeit nach Uttenhofen gebracht und auf dem Rückweg ein
Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter und Autor Udo di Fabio (geboren
1954)[1] zur Weimarer Verfassung
auf SWR2 gehört.
Heute vor 100 Jahren trat in Weimar die verfassungsgebende
Nationalversammlung der neuen Republik zusammen – in Weimar und nicht in
Berlin, weil die Hauptstadt des Deutschen Reiches durch sozialistische
Aufstände seit der sogenannten „Novemberrevolution“ unsicher war. Am 19. Januar
hatten die Deutschen zum ersten Mal in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und
geheimer Wahl die Abgeordneten der verfassungsgebenden Nationalversammlung gewählt.
Zum ersten Mal durften neben Männern ab dem vollendeten 20. Lebensjahr auch
Frauen wählen.
Der jüdische Verfassungsrechtler Hugo Preuß (1860 – 1925) war der
Hauptideengeber der Weimarer Verfassung. Er schuf unter anderem den Paragraphen
48, der Adolf Hitler in der „Notverordnung“ nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar
1933 die Außerkraftsetzung der Grund- und Menschenrechte ermöglichte. Er kritisierte
den Versailler Friedensvertrag und demissionierte am 20. Juni 1919, so dass es
zu der absurden Situation kam, dass seine Unterschrift unter der Weimarer
Verfassung, die doch auf ihn zurückging, fehlte.
Hugo Preuss, der aus dem sozialdemokratischen Lager kam, wollte der neuen
Republik eine föderalistische Struktur geben. So entwarf er die Einteilung der
Weimarer Republik in 14 voneinander unabhängige Freistaaten:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bc/Deutsches_Reich_Preuss.svg/1024px-Deutsches_Reich_Preuss.svg.png
Interessant ist, dass in diesem
Entwurf auch die Provinz Schlesien als Freistaat mit der Hauptstadt Breslau
enthalten ist, die ja nach dem Zweiten Weltkrieg Polen zugeschlagen wurde.
Westpreußen und Posen waren
bereits durch den Versailler Vertrag aus Deutschland herausgerissen worden, was
dann zu dem Konflikt führte, der am 1. September 1939 zu dem von
Hitler-Deutschland veranlassten „Überfall“ auf das neu gebildete
feindschaftliche Staatsgebilde Polen, das dem Dritten Reich die Zufahrt zu der
deutschen Hansestadt Danzig und nach Ostpreußen streitig machte, führte,
woraufhin England unter dem stotternden König Georg IV. Deutschland am 3.
September den Krieg erklärte.[2] Dieses Datum steht für den
Beginn des Zweiten Weltkrieges, der eine sechsjährige Friedens- und Aufbauzeit
(1933 – 1939) beendete und in eine ebenso lange Kriegszeit (1939 – 1945) mündete.
In der Regel wird jedoch der „Überfall“ auf den polnischen Sender Gleiwitz am
1. September als Beginn des Zweiten Weltkriegs verzeichnet, was sachlich
falsch, aber offensichtlich ideologisch gewollt ist.[3]
Außerdem sieht man auf der Karte
der Weimarer Republik, wie sehr Deutschland in der Potsdamer Konferenz der
Siegermächte im Jahre 1945 seiner Ostgebiete „beraubt“ wurde: Nicht nur
Schlesien und Preußen gingen verloren und wurden Polen zugeschlagen; die
Freistaaten Thüringen, Brandenburg und Obersachsen wurden unter sowjetische
Herrschaft gestellt. 1949 entstand aus dieser „Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ)
die Deutsche Demokratische Republik (DDR), ein sozialistischer Staat, der 1961
durch eine Mauer von der „kapitalistischen“ Bundesrepublik (BRD) abgetrennt
wurde und am 9. November 1989 durch die Öffnung der Mauer nach und nach große
Teile seines Volkes verlor.
Dieses mitteleuropäische Land hat
also im 20. Jahrhundert fünfmal seine Staatsform gewechselt: Bis 1918 war es
eine Monarchie, von 1919 bis 1933 eine Republik, von 1933 bis 1945 eine
Diktatur, von 1945 bis 1949 ein besetztes Land, es bestand von 1949 bis 1990 aus
zwei völlig unterschiedliche Staaten (die demokratische BRD und die
sozialistische DDR) und ist seit 1990 die wiedervereinigte Bundesrepublik.
Dass Deutschland bis heute aus
zwei deutschen „Völkern“ besteht, die im 20. Jahrhundert auf 40 Jahre vollkommen
unterschiedlicher Geschichte und Kultur zurückblicken, ist leider eine Tatsache.
Wenn die „Wessis“ zum Beispiel – wie vor einigen Wochen in Aachen geschehen –
den 1963 von Konrad Adenauer und General de Gaule unterzeichneten deutsch-französischen
Freundschaftsvertrag (Elysee-Vertrag) erneuerten, so setzt man stillschweigend
voraus, dass auch die 13 Millionen Ostdeutschen diese Tatsache feiern sollten,
obwohl sie damals eher Freundschaft mit der Sowjetunion als mit Frankreich
pflegten.
Bis in Einzelheiten wirkt bis
heute der vor knapp hundert Jahren einseitig dem deutschen Volk aufgezwungene
Frieden nach, der den Anfang der Zerschlagung dieses mitteleuropäischen Staates
machte, die nach dem Zweiten Weltkrieg weiterging.
Immerhin hat ein glückliches
Schicksal dazu geführt, dass 1990 durch ein politisches Versehen eine friedliche
Widervereinigung der beiden Hälften gelang und dass die Bundesrepublik heute
als führende Wirtschaftsmacht in Europa wieder anerkannt ist. Dass von den inzwischen
83 Millionen Einwohnern 18 Millionen einen Migrationshintergrund haben und gar
keine Deutschen im eigentlichen Sinne sind, sehen insbesondere nationalistisch
gesinnte Menschen in Ostdeutschland als Versuch, Deutschland durch „Umvolkung“
zu ruinieren.
Die deutsche „Willkommenskultur“
steht dabei – das sei in Klammern angemerkt – in klarem Widerspruch zu der
Politik Israels, die strikt auf die Reinhaltung der jüdischen Rasse in ihrem
eigenen Staat achtet.
Ich erwähne dies hier, weil ich
mein Land und meine Sprache liebe und immer öfters auch von deutschen
Jugendlichen Sätze höre, die nicht mehr dem Deutsch entsprechen, das ich
unterrichte.
Die vielen Ausländer dagegen, die
in allen deutschen Städten schon durch ihr Auftreten auffallen, sprechen unter
sich überhaupt kein Deutsch, auch wenn sie Deutschkurse gemacht haben. Wenn ich
ihnen in der Stadt begegne, dann fällt mir immer wieder ihr lautstarkes Reden
auf, egal, ob es mit ihren Begleitern oder am Handy ist. Dann merke ich, dass dieses
Verhalten nichts mit den deutschen Tugenden von Zurückhaltung und Unauffälligkeit
zu tun hat.
Diese tägliche Erfahrung mag
manche dazu verführen, zu glauben, dass die Deutschen in wenigen Jahrzehnten in
ihrem eigenen Land nichts mehr zu sagen haben. Das ist eine nicht ganz
unrealistische Drohkulisse, gegen die sich besonders in den neuen Bundesländern
die einst sozialistischen (also linken) Bürger massiv wehren und deshalb von
den Medien in die rechte Ecke gerückt werden.
So wird das politisch
wiedervereinigte Deutschland geistig erneut gespalten.
Das aller Bedrohlichste aber ist,
dass immer mehr Stimmen laut werden, die wieder einen starken politischen Führer
verlangen, weil sie die Demokratie für gescheitert ansehen. Dieser Zwiespalt,
der tatsächlich in gewisser Weise an die Wirren am Ende der Weimarer Republik
erinnert, wird uns in den nächsten Jahren vermutlich noch intensiv beschäftigen…
[1]
„Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. Eine verfassungshistorische
Analyse“ H.C. Beck, München 2018
[2]
Siehe hierzu den aufschlussreichen Film „The King’s Speech“ (2010) von Tom
Hooper. https://de.wikipedia.org/wiki/The_King%E2%80%99s_Speech
[3]
Siehe hierzu die gründliche historische Untersuchung „1939 – Der Krieg, der
viele Väter hatte“, Lau-Verlag, Reinbeck, 8. Auflage 2015, von Gerd Schultze
Rhonhof.
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