Gestern fand in der Europahalle
von Wolpertshausen unter dem Motto „Unsere Bauern – Unser Land“ der vierte
Hohenloher Bauerntag[1] statt.
Rudolf Bühler lädt seit
dem Jahre 2015 die Bauern der "Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft“ (BESH) und alle
interessierten Freunde sowie die Bürger der Umgebung zu einem kostenlosen „Bauernschmaus“
und zu Vorträgen von kompetenten Rednern
aus Politik und Wissenschaft nach Wolpertshausen ein. Zwei Säle der Europahalle sind dabei mit über
tausend Gästen gut gefüllt.
Ich war an Lichtmess 2017 zum
zweiten „Hohenloher Bauerntag“ mit Lena zum ersten Mal, 2018 mit Lena, Olga und
Michael beim dritten Bauerntag zum zweiten und dieses Jahr beim vierten ohne Begleitung zum dritten Mal dabei.
Der Saal, in dem die „Prominenten“
aus der Region saßen, war, als ich gegen 11.45 Uhr eintraf, schon wieder sehr voll. Dennoch
fand ich einen leeren Platz ganz vorne in der ersten Reihe, etwas zehn Plätze
vor der Bühne.
Rudolf Bühler, der Gründer und
Vorstand der BESH, begrüßte mich in einer Pause auf dem Flur persönlich und ich
hatte spontan den Impuls, ihn zu umarmen. Ich halte diesen Mann für einen
Glücksfall für die Landwirtschaft nicht nur in der bäuerlichen Region Hohenlohe,
sondern Deutschland- ja sogar weltweit. Er setzt sich für allgemeine
Bauernrechte und gegen das sogenannte „Landgrapping“ ein und hat zusammen mit
Fachleuten aus vielen Nationen eine „Charta“ erarbeitet und bei der UNO eingereicht,
die vor kurzem unterzeichnet wurde (USA hat dagegen gestimmt, Deutschland hat
sich der Stimme enthalten).
Schon während meines Geographie-Studiums
hatte ich erkannt, dass nur die Urproduktion, zu der die Landwirtschaft maßgeblich
gehört, volkswirtschaftliche „Werte“ erzeugt, ohne Ressourcen zu verbrauchen
oder Folgekosten zu generieren, wenn sie ökologisch betrieben wird (leider ist
es bei der industrialisierten konventionellen Landwirtschaft heute anders). Ich
hatte damals eine umfangreiche Seminararbeit zu dem Thema verfasst, die ich auf
Anregung von Frau Gisela von Kanal ausgearbeitet und an die Zeitschrift „Scheidewege“
geschickt hatte. Zu einer Veröffentlichung ist es dann aber nach einigem Hin
und Her doch nicht gekommen, vermutlich, weil ich „keinen Namen“ oder
akademischen Titel hatte.
Auch Frau Christina, die
rumänische Ehefrau von Rudolf Bühler und Leiterin des Regionalmarktes, begrüßte mich persönlich auf dem Flur und
nannte mich netterweise „Professor“, weil ich bereits einige ihrer Mitarbeiter
in meinen Sprachkursen unterrichtet hatte. Sie sagte, dass sie etliche neue
Mitarbeiter hätte, die gerne Deutsch lernen wollten, und bat mich, sie
anzuschreiben.
Ich freute mich auch, "meinen" ehemaligen Dekan, Herrn Dr. Winfried Dalferth[2], unter den Prominenten zu
sehen und wir begrüßten uns herzlich.
Nicht gekommen waren die regionalen
Vertreter des Bauernverbandes.
Die Andacht, mit welcher der
Hohenloher Bauerntag traditionell eingeleitet wird, hielt diesmal Pfarrer Georg
Eberhardt aus dem Büro des baden-württembergischen Landesbischofs Otfried July.[3]
Als Redner waren die
Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch vom baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium,
Professor Dr. Hubert Weiger vom BUND, Rezzo Schlauch und der
Bundestagsabgeordnete Harald Ebner (Bündnis 90/die Grünen) eingeladen. Ich
konnte mich dieses Mal ganz auf die Vorträge konzentrieren. Alle wurden von
Profikameraleuten aufgezeichnet.
Besonders beeindruckt hat mich
wieder der Vortrag von Rezzo Schlauch, dem ehemaligen Grünen-Politiker, der wie
Joschka Fischer aus Hohenlohe stammt. Er erzählte, dass beim eben zu Ende
gegangenen Gipfeltreffen der Wirtschaftsführer in Davos dieses Jahr
nachdenkliche Töne angeschlagen wurden. Etliche Redner hatten sich gefragt, ob
die Globalisierung nicht mit dafür verantwortlich sei, dass in vielen
europäischen Ländern als Gegenreaktion nationalistische Bewegungen erstarken. Anders
war es, so berichtet er, auf der ebenfalls vor kurzem zu Ende gegangenen „Grünen
Woche“ in Berlin, wo er beim Deutschen Bauernverband kein Anzeichen des
Umdenkens erleben konnte. Rudolf Bühler war mit einigen Bauern der BESH unter
den etwa 35.000 Demonstranten, die seit mehreren Jahren unter dem Motto „Wir
haben es satt“ für eine „Agrarwende“ eintreten.
Das einzige Hoffnungszeichen sei
bei all den Jahresanfangsevents der „Hohenloher Bauerntag“ an Lichtmess, bei
dem man Aufbruchsstimmung erleben könne, sagte Hubert Weiger, der selbst aus
einer Familie von Forstleuten stammt und sich schon deshalb seit Gründung des
BUNDs für nachhaltige Landbewirtschaftung einsetzt.
Das dramatische Insekten- und
Vogelsterben der letzten 30 Jahre, zu dem die chemische Agrarindustrie maßgeblich
beigetragen hat, hätte viele Menschen aufgeweckt. Das „Bienensterben“ stehe symbolisch für die Vergiftung unserer Landschaften mit den Erzeugnissen der
großen Chemiekonzerne.
Man könne jedoch nicht die Bauern,
welche diese Gifte einsetzen, allein dafür verantwortlich machen. An den bedrohlichen Eingriffen in die Natur als unserer Lebensgrundlage seien vier
Gruppen von Menschen beteiligt: Die Hersteller
der giftigen „Pflanzenschutzmittel“, die Politik,
die sie zulässt, die Bauern, die sie
verwenden und last, but not least, wir Verbraucher,
wenn wir immer nur „billig“ einkaufen wollen.
Eine ökologisch verträgliche
Landwirtschaft hat ihren Preis.
Wenn die Verbraucher heute –
statistisch gesehen – nur noch 14 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben,
wesentlich weniger als zum Beispiel für Unterhaltungselektronik, dann muss sich
niemand wundern, dass im Laufe der letzten 35 Jahre die Natur so sehr
geschädigt wurde, dass heute unter dem Symbol „Bienensterben“ die Alarmglocken läuten.
Rudolf Bühler war schon damals
(1984) einer der Pioniere einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft,
indem er sich für die vom Aussterben bedrohte Rasse des „Schwäbisch-Hällischen
Landschweins“ einsetzte und 1986 die BESH gründete.
Heute ist die „Bäuerliche“ ein
funktionierendes Vorzeigemodell nachhaltigen und ökonomisch erfolgreichen
Wirtschaftens.
Beim letzten Bauerntag hat meine russische Freundin Lena einen interessanten älteren Mann, den Malteserritter Michael
Braun, kennengelernt, an dessen ansonsten voll besetztem Tisch wir weit vorne
bei der Bühne tatsächlich noch freie Plätze gefunden hatten. Es kam nach der Begegnung zu
einer Einladung zu einem Fest auf dem „Rittergut“ in Elpershofen, wo der Herr
Baron – so will ich ihn einmal betiteln – einen Gedichtabend mit kulinarischen
Spezialitäten für vorwiegend regionale Künstler als Gästen gab. Auf diesem Fest
lernte ich auch die Künstlerin Sonja Streng, die Mutter von Wildis Streng
kennen. Damit schloss sich wieder einmal ein Schicksalskreis. Wildis, die „blutjunge“ Autorin
von inzwischen sechs „Hohenlohe-Krimis“, hatten wir beim 60. Geburtstag einer Kollegin kennengelernt. Ihr Bekannter Klaus Klawitter, der sie vor zwei
Jahren bei einem Krimidinner im „Mohrenköpfle“, dem „Gasthaus“ bei der
BESH-Regionalvermarkter-Halle in Wolpertshausen, mit seinen Hohenloher Mundartliedern
musikalisch begleitete, spielte beim diesjährigen Bauerntag zwei seiner Songs.
Auch dieses Jahr habe ich wieder
eine schöne Begegnung auf dem Bauerntag gehabt. Das sind zwar ganz persönliche
Dinge, aber für mich doch auch sehr wichtig, weil ich jede Begegnung mit
Menschen für Schicksalsangelegenheiten halte, die – auch wenn sie vielleicht
nur einmalig sein sollten – einfach immer wieder wunderbar sind.
Ich sagte schon, dass ich dieses
Mal wieder einen freien Platz ziemlich weit vorne fand. Ich kam sehr schnell
mit dem Mann zu meiner Linken ins Gespräch. Schon an seinen Gesichtszügen sah
ich, dass er eine interessante Persönlichkeit sein musste. Ich fragte ihn, ob
er auch Bauer sei. Er verneinte, aber erklärte mir, dass er einst Bauer war, dann aber eine Umschulung gemacht
hätte.
Mein Interesse trieb mich, weiter
zu fragen. Es stellte sich heraus, dass mein Nachbar 86 Jahre alt ist (1933 geboren),
aus einem Ort namens Mulfingen an der Jagst (Standort der Firma EBM Papst, wo einige meiner osteuropäischen
Deutsch-Schüler arbeiten) stammt, wo er jetzt auch wieder wohnt, mit 38 Jahren „vom
Blitz getroffen" wurde, und sich vom Bauern zum Pastor (Hirten) „umschulen“
ließ. Anschließend war er 23 Jahre lang Pfarrer in einer Gemeinde im
österreichischen Kärnten. Jetzt ist er schon seit vielen Jahren pensioniert.
Als ich im Gespräch erwähnte,
dass meine Eltern aus Breslau stammen, verband er gleich zwei große evangelische
Theologen mit der Stadt, Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) und Jochen Klepper
(1903 – 1942)[4].
Von letzterem hatte ich schon öfters gehört. Dieser evangelische Theologe und
Schriftsteller war mit einer Jüdin verheiratet und hat sich zusammen mit ihr
und ihrer Tochter am 11. Dezember 1942 in Berlin das Leben genommen, weil ihm
die Zwangsscheidung und seiner Frau und der Tochter die Deportation drohte. Seine
Tagebücher aus der Zeit des Nationalsozialismus sind wie ein Gegenstück zu den
Tagebüchern des jüdischen Philologen Victor Klemperer (1881 – 1960).
Irgendwann fragte ich meinen Sitznachbarn
auch nach dem Namen. Als er „Leidig“ sagte, stutzte ich einen Moment, denn der
Name kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich verband zunächst nichts mit ihm. Als
er dann sagte, dass sein Sohn ebenfalls Pfarrer sei, und zwar in Schwäbisch
Hall, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es handelte sich um Pfarrer
Christian Leidig, den Nachfolger von Ingeborg Brehmer an der Kreuzäckerkirche,
also „meiner“ Gemeinde, der erst am 23. September 2018 in sein Amt „eingesetzt“
worden war. Dieser junge Pfarrer hat in Sankt Petersburg studiert und dort
seine russische Frau getroffen.
Pfarrer Leidig Junior kam
schließlich auch mit seiner Tochter kurz an den Tisch seines Vaters, so dass
wir uns begrüßen konnten.
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