Sonntag, 3. Februar 2019

Eindrücke vom 4. Hohenloher Bauerntag in Wolpertshausen an Mariä Lichtmess 2019


Gestern fand in der Europahalle von Wolpertshausen unter dem Motto „Unsere Bauern – Unser Land“ der vierte Hohenloher Bauerntag[1] statt. 
Rudolf Bühler lädt seit dem Jahre 2015 die Bauern der "Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft“ (BESH) und alle interessierten Freunde sowie die Bürger der Umgebung zu einem kostenlosen „Bauernschmaus“ und zu  Vorträgen von kompetenten Rednern aus Politik und Wissenschaft nach Wolpertshausen ein. Zwei Säle der Europahalle sind dabei mit über tausend Gästen gut gefüllt.
Ich war an Lichtmess 2017 zum zweiten „Hohenloher Bauerntag“ mit Lena zum ersten Mal, 2018 mit Lena, Olga und Michael beim dritten Bauerntag zum zweiten und dieses Jahr beim vierten ohne Begleitung zum dritten Mal dabei. 
Der Saal, in dem die „Prominenten“ aus der Region saßen, war, als ich gegen 11.45 Uhr eintraf, schon wieder sehr voll. Dennoch fand ich einen leeren Platz ganz vorne in der ersten Reihe, etwas zehn Plätze vor der Bühne.
Rudolf Bühler, der Gründer und Vorstand der BESH, begrüßte mich in einer Pause auf dem Flur persönlich und ich hatte spontan den Impuls, ihn zu umarmen. Ich halte diesen Mann für einen Glücksfall für die Landwirtschaft nicht nur in der bäuerlichen Region Hohenlohe, sondern Deutschland- ja sogar weltweit. Er setzt sich für allgemeine Bauernrechte und gegen das sogenannte „Landgrapping“ ein und hat zusammen mit Fachleuten aus vielen Nationen eine „Charta“ erarbeitet und bei der UNO eingereicht, die vor kurzem unterzeichnet wurde (USA hat dagegen gestimmt, Deutschland hat sich der Stimme enthalten).
Schon während meines Geographie-Studiums hatte ich erkannt, dass nur die Urproduktion, zu der die Landwirtschaft maßgeblich gehört, volkswirtschaftliche „Werte“ erzeugt, ohne Ressourcen zu verbrauchen oder Folgekosten zu generieren, wenn sie ökologisch betrieben wird (leider ist es bei der industrialisierten konventionellen Landwirtschaft heute anders). Ich hatte damals eine umfangreiche Seminararbeit zu dem Thema verfasst, die ich auf Anregung von Frau Gisela von Kanal ausgearbeitet und an die Zeitschrift „Scheidewege“ geschickt hatte. Zu einer Veröffentlichung ist es dann aber nach einigem Hin und Her doch nicht gekommen, vermutlich, weil ich „keinen Namen“ oder akademischen Titel hatte.
Auch Frau Christina, die rumänische Ehefrau von Rudolf Bühler und Leiterin des Regionalmarktes, begrüßte mich persönlich auf dem Flur und nannte mich netterweise „Professor“, weil ich bereits einige ihrer Mitarbeiter in meinen Sprachkursen unterrichtet hatte. Sie sagte, dass sie etliche neue Mitarbeiter hätte, die gerne Deutsch lernen wollten, und bat mich, sie anzuschreiben.
Ich freute mich auch, "meinen" ehemaligen Dekan, Herrn Dr. Winfried Dalferth[2], unter den Prominenten zu sehen und wir begrüßten uns herzlich.
Nicht gekommen waren die regionalen Vertreter des Bauernverbandes.
Die Andacht, mit welcher der Hohenloher Bauerntag traditionell eingeleitet wird, hielt diesmal Pfarrer Georg Eberhardt aus dem Büro des baden-württembergischen Landesbischofs Otfried July.[3]
Als Redner waren die Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch vom baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium, Professor Dr. Hubert Weiger vom BUND, Rezzo Schlauch und der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner (Bündnis 90/die Grünen) eingeladen. Ich konnte mich dieses Mal ganz auf die Vorträge konzentrieren. Alle wurden von Profikameraleuten aufgezeichnet.
Besonders beeindruckt hat mich wieder der Vortrag von Rezzo Schlauch, dem ehemaligen Grünen-Politiker, der wie Joschka Fischer aus Hohenlohe stammt. Er erzählte, dass beim eben zu Ende gegangenen Gipfeltreffen der Wirtschaftsführer in Davos dieses Jahr nachdenkliche Töne angeschlagen wurden. Etliche Redner hatten sich gefragt, ob die Globalisierung nicht mit dafür verantwortlich sei, dass in vielen europäischen Ländern als Gegenreaktion nationalistische Bewegungen erstarken. Anders war es, so berichtet er, auf der ebenfalls vor kurzem zu Ende gegangenen „Grünen Woche“ in Berlin, wo er beim Deutschen Bauernverband kein Anzeichen des Umdenkens erleben konnte. Rudolf Bühler war mit einigen Bauern der BESH unter den etwa 35.000 Demonstranten, die seit mehreren Jahren unter dem Motto „Wir haben es satt“ für eine „Agrarwende“ eintreten.
Das einzige Hoffnungszeichen sei bei all den Jahresanfangsevents der „Hohenloher Bauerntag“ an Lichtmess, bei dem man Aufbruchsstimmung erleben könne, sagte Hubert Weiger, der selbst aus einer Familie von Forstleuten stammt und sich schon deshalb seit Gründung des BUNDs für nachhaltige Landbewirtschaftung einsetzt.
Das dramatische Insekten- und Vogelsterben der letzten 30 Jahre, zu dem die chemische Agrarindustrie maßgeblich beigetragen hat, hätte viele Menschen aufgeweckt. Das „Bienensterben“ stehe symbolisch für die Vergiftung unserer Landschaften mit den Erzeugnissen der großen Chemiekonzerne.
Man könne jedoch nicht die Bauern, welche diese Gifte einsetzen, allein dafür verantwortlich machen. An den bedrohlichen Eingriffen in die Natur als unserer Lebensgrundlage seien vier Gruppen von Menschen beteiligt: Die Hersteller der giftigen „Pflanzenschutzmittel“, die Politik, die sie zulässt, die Bauern, die sie verwenden und last, but not least, wir Verbraucher, wenn wir immer nur „billig“ einkaufen wollen.
Eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft hat ihren Preis.
Wenn die Verbraucher heute – statistisch gesehen – nur noch 14 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, wesentlich weniger als zum Beispiel für Unterhaltungselektronik, dann muss sich niemand wundern, dass im Laufe der letzten 35 Jahre die Natur so sehr geschädigt wurde, dass heute unter dem Symbol „Bienensterben“ die Alarmglocken läuten.
Rudolf Bühler war schon damals (1984) einer der Pioniere einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft, indem er sich für die vom Aussterben bedrohte Rasse des „Schwäbisch-Hällischen Landschweins“ einsetzte und 1986 die BESH gründete.
Heute ist die „Bäuerliche“ ein funktionierendes Vorzeigemodell nachhaltigen und ökonomisch erfolgreichen Wirtschaftens.
Beim letzten Bauerntag hat meine russische Freundin Lena einen interessanten älteren Mann, den Malteserritter Michael Braun, kennengelernt, an dessen ansonsten voll besetztem Tisch wir weit vorne bei der Bühne tatsächlich noch freie Plätze gefunden hatten. Es kam nach der Begegnung zu einer Einladung zu einem Fest auf dem „Rittergut“ in Elpershofen, wo der Herr Baron – so will ich ihn einmal betiteln – einen Gedichtabend mit kulinarischen Spezialitäten für vorwiegend regionale Künstler als Gästen gab. Auf diesem Fest lernte ich auch die Künstlerin Sonja Streng, die Mutter von Wildis Streng kennen. Damit schloss sich wieder einmal ein Schicksalskreis. Wildis, die „blutjunge“ Autorin von inzwischen sechs „Hohenlohe-Krimis“, hatten wir beim 60. Geburtstag einer Kollegin kennengelernt. Ihr Bekannter Klaus Klawitter, der sie vor zwei Jahren bei einem Krimidinner im „Mohrenköpfle“, dem „Gasthaus“ bei der BESH-Regionalvermarkter-Halle in Wolpertshausen, mit seinen Hohenloher Mundartliedern musikalisch begleitete, spielte beim diesjährigen Bauerntag zwei seiner Songs.

Auch dieses Jahr habe ich wieder eine schöne Begegnung auf dem Bauerntag gehabt. Das sind zwar ganz persönliche Dinge, aber für mich doch auch sehr wichtig, weil ich jede Begegnung mit Menschen für Schicksalsangelegenheiten halte, die – auch wenn sie vielleicht nur einmalig sein sollten – einfach immer wieder wunderbar sind.
Ich sagte schon, dass ich dieses Mal wieder einen freien Platz ziemlich weit vorne fand. Ich kam sehr schnell mit dem Mann zu meiner Linken ins Gespräch. Schon an seinen Gesichtszügen sah ich, dass er eine interessante Persönlichkeit sein musste. Ich fragte ihn, ob er auch Bauer sei. Er verneinte, aber erklärte mir, dass er einst Bauer war, dann aber eine Umschulung gemacht hätte.
Mein Interesse trieb mich, weiter zu fragen. Es stellte sich heraus, dass mein Nachbar 86 Jahre alt ist (1933 geboren), aus einem Ort namens Mulfingen an der Jagst (Standort der Firma EBM Papst, wo einige meiner osteuropäischen Deutsch-Schüler arbeiten) stammt, wo er jetzt auch wieder wohnt, mit 38 Jahren „vom Blitz getroffen" wurde, und sich vom Bauern zum Pastor (Hirten) „umschulen“ ließ. Anschließend war er 23 Jahre lang Pfarrer in einer Gemeinde im österreichischen Kärnten. Jetzt ist er schon seit vielen Jahren pensioniert.
Als ich  im Gespräch erwähnte, dass meine Eltern aus Breslau stammen, verband er gleich zwei große evangelische Theologen mit der Stadt, Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) und Jochen Klepper (1903 – 1942)[4]. Von letzterem hatte ich schon öfters gehört. Dieser evangelische Theologe und Schriftsteller war mit einer Jüdin verheiratet und hat sich zusammen mit ihr und ihrer Tochter am 11. Dezember 1942 in Berlin das Leben genommen, weil ihm die Zwangsscheidung und seiner Frau und der Tochter die Deportation drohte. Seine Tagebücher aus der Zeit des Nationalsozialismus sind wie ein Gegenstück zu den Tagebüchern des jüdischen Philologen Victor Klemperer (1881 – 1960).
Irgendwann fragte ich meinen Sitznachbarn auch nach dem Namen. Als er „Leidig“ sagte, stutzte ich einen Moment, denn der Name kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich verband zunächst nichts mit ihm. Als er dann sagte, dass sein Sohn ebenfalls Pfarrer sei, und zwar in Schwäbisch Hall, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es handelte sich um Pfarrer Christian Leidig, den Nachfolger von Ingeborg Brehmer an der Kreuzäckerkirche, also „meiner“ Gemeinde, der erst am 23. September 2018 in sein Amt „eingesetzt“ worden war. Dieser junge Pfarrer hat in Sankt Petersburg studiert und dort seine russische Frau getroffen.
Pfarrer Leidig Junior kam schließlich auch mit seiner Tochter kurz an den Tisch seines Vaters, so dass wir uns begrüßen konnten.

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