Mittwoch, 15. Juni 2016

Winston Churchill - der Mann des Jahrhunderts


Gestern (14. Juni 2016) war Themenabend auf Arte. Es ging um Großbritannien und den möglichen Ausstieg des Landes aus der EU. Am 23. Juni, also in acht Tagen, stimmen die Briten über den „Brexit“ ab. Der Ausgang ist mehr als ungewiss. Ich kann die Enttäuschung vieler Europäer über die „Fehlkonstruktion“ der Europäischen Union gut nachvollziehen, obwohl ich im Prinzip für ein vereintes Europa bin.
Zu später Stunde zeigte der Sender mit der Dokumentation „Sir Winston. Der Mann des Jahrhunderts“ (Winston Churchill – Un geant dans le siecle) einen 90minütigen Film über den mehrmaligen britischen Premierminister Winston Churchill (1874 – 1964).

Ich mochte diesen Mann noch nie. Aber ich kannte auch nicht viel von ihm. Ich weiß nur, dass er (Hitler-) Deutschland hasste und dass er es offenbar war, der die Bombardierungen deutscher Städte befahl. Dieses Kapitel wurde in der Dokumentation allerdings ausgeklammert. Immerhin wurde gesagt, dass die Bombardierung eines Vororts von London durch die deutsche Luftwaffe zu Beginn des Krieges (den Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich am 3. September 1939 erklärt hatten[1]) eigentlich nicht beabsichtigt war, sondern aufgrund eines Navigationsfehlers „versehentlich“ geschah. Das war am 24. August 1940. Als Churchill daraufhin am nächsten Tag wutentbrannt und gegen den Rat seiner Generäle Berlin – absichtlich – bombardieren ließ, wurde Hitler seinerseits wütend und schlug erst jetzt mit Bombardierungen Londons, Devons, Coventrys und anderer südenglischer Städte zurück. Aber die Briten blieben trotz zehntausender Toter gelassen und sagten: „London can take it“ (Das steckt London weg).
Die Kausalität dieser Ereignisse wird in herkömmlichen Geschichtsdarstellungen verschleiert. Hier wird sie einmal wahrheitsgetreu erzählt. Es wird fairerweise auch festgestellt, dass die deutschen Messerschmids zu Beginn der „Battle of England“ im Juli und August 1940 zunächst nur „militärische Ziele“ in Südengland bombardierten und nicht, wie die Alliierten am Ende des Krieges, als das Dritte Reich im Grunde schon besiegt war, auch die Zivilbevölkerung treffen wollten.
In der französischen Dokumentation von David Korn Brzoza wurde deutlich, wie stark die Deutschen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wieder waren und wie sie in den ersten Kriegsjahren von Sieg zu Sieg „stürmten“. Hitlers Armee schien im Jahre 1940 „unbesiegbar“. Die Welt hatte wieder Respekt vor Deutschland. In diesem Jahr wurde Winston Churchill mit 65 Jahren zum ersten Mal zum britischen Premierminister gewählt. Der Premierminister ist nun in seinem Element. „Er strotzt vor Energie. Die Bulldogge ist zum Löwen geworden“, sagt der Kommentator des Films.
Churchill war der Architekt der alliierten Allianz gegen Hitler-Deutschland. Er holte die Amerikaner mit Roosevelt, die das Empire bereits seit Kriegseintritt mit Waffen und Munition versorgen, und die Russen mit Stalin mit „ins Boot“, um dieses Deutschland nach fünf mörderischen Jahren schließlich zu besiegen.  Sein Hass auf Deutschland, das ihm 1915 während des Ersten Weltkrieges als Verbündeter des Osmanischen Reiches vor Gallipoli in den Dardanellen eine vernichtende Niederlage beschert hatte, war grenzenlos. Er wollte Deutschland „eine Lektion erteilen, die es und die Welt nicht mehr vergessen würde“, wie er in einer Rede vor dem amerikanischem Kongress am 26. Dezember 1941, zwei Wochen nach Pearl Harbour,  formulierte. Diese Drohung ist wahr geworden.
Im August 1942 reist Churchill nach Moskau, um sich mit Stalin zu treffen. Auch ihn kann er überzeugen, eine „zweite Front“, zunächst in Nordafrika (Operation „Torch“), zu eröffnen und die „Achsenmächte“ (Deutschland und Italien) dadurch „in die Zange zu nehmen“. Dadurch wird der fähigste der deutschen Generäle, Feldmarschall Erwin Rommel, „gebunden“ und kann nicht zur Ostfront wechseln, wo es vor Stalingrad zur ersten Niederlage der sonst siegreichen deutschen Armeen kommt. Churchills Strategie geht auf.
Den jungen Churchill, der in der Schule als faul und undiszipliniert auffiel, nennen seine Mitschüler nur „die kleine Bulldogge“, was eigentlich sehr gut seinen Charakter beschreibt. Bulldoggen sind Kampfhunde. Eine seiner Lehrerinnen soll gesagt haben: „Für mich war er das boshafteste Kind der Welt.“ Das lässt tief blicken.
Sein Vater, Lord Randolf Churchill, starb nach einem ausschweifenden Leben am 24 Januar 1895 mit 46 Jahren an Syphilis. Auch seine Mutter, eine Amerikanerin, amüsierte sich gern und hatte sogar ein Verhältnis mit König Edward VII. Winston Churchill wird 90; aber er stirbt am gleichen Jahrestag wie sein Vater, genau am 24. Januar 1964. Er war allerdings die letzten Lebensjahre ein schwer kranker Mann, wie ich einem Buch entnehme, das schon lange in meiner Bibliothek steht: Pierre Accoce/Pierre Rentschnick, „Kranke machen Weltgeschichte“ (Ces malades qui nous gouvernent), Editions Stock 1976, Econ-Verlag 1978, Moewig-Taschenbuch, 1981 (S 130 – 144).
In der Dokumentation erfahre ich, dass es Churchill war, der bereits im Ersten Weltkrieg als Marineminister den Flottenbau der Royal Navy forcierte (und zum Beispiel die gefürchtete „Dreadnought“ bauen ließ), der die Entwicklung der Royal Airforce (RAF) vorangetrieben hat, der Panzer entwickelte, britische Radaranlagen installierte und schließlich auch den britischen Geheimdienst MI6 ins Leben rief.
Es heißt in dem Film, dass Churchill am 10. Mai 1940, dem Tag, an dem Hitler Belgien, Luxemburg und Holland angriff, „seine Stunde gekommen“ sah, von der „er geträumt hatte“. „Er glaubt, nur für diesen Augenblick gelebt zu haben“, sagt der Kommentator. Der Zweite Weltkrieg ist für Churchill eine „persönliche Angelegenheit“ und „die Krönung seiner Karriere“. Seine stärkste Waffe aber ist seine „Sprachgewalt, an der er seit nunmehr vierzig Jahren feilt“. Dabei hat der Premier wie sein König Georg VI einen Sprachfehler. Er lispelt. Darüber spricht der Film aber nicht.
Rudolf Steiner sagt einmal in seinen Karma-Betrachtungen, dass Menschen, die in einem früheren Leben viel gelogen haben, mit einem Sprachfehler in die nächste Inkarnation treten würden. Das würde zu Winston Churchill passen.
Berühmt ist in diesem Zusammenhang auch seine Rede an die britische Regierung und an das britische Volk, die in dem Film im Originalton zu hören ist: Er habe dem britischen Volk nichts anderes zu bieten, als „Blood (Blut), Toil (Mühsal), Tears (Tränen) and Sweat (Schweiß)“. Der Höhepunkt seiner Rede beschwört dreimal  den „Sieg um jeden Preis“ als einziges Kriegsziel, und der Agnostiker Churchill schämt sich nicht, sogar Gott auf Englands Seite in seinen Kampf gegen die „Schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte“ einzubeziehen. Churchill wird in einer Wochenschau nach dem D-Day (06.05.1944) „The Architect of Victory“ genannt. Bekannt ist auch das zur Ikone geronnene Bild Churchills, das ihn zeigt, wie er mit Daumen und Zeigefinger das „V“ macht, das Victory-Zeichen. Manche haben sich schon gefragt, ob das nicht vielmehr eher ein okkultes „Satanssymbol“ ist.
Winston Churchill, der seit frühen Jahren unter Depressionen leidet, braucht die Herausforderungen durch den Krieg und durch den Feind, um „glücklich“ zu sein. Das gibt seinem Leben einen Sinn. Als er 1945 abgewählt wird, fällt er zurück in seine Depressionen. Der Mann isst gerne gut, raucht unzählige Havanna-Zigarren und liebt den Whisky. Am Tag nach seiner Kongress-Rede in Washington hat er eine Herz-Attacke. Er zwingt seinen Arzt, Lord Maron, die „Schwäche“ geheim zu halten, um das eben beschworene Bündnis mit den USA nicht zu gefährden.
Auch der engste Berater von Präsident Roosevelt, Harry Hopkins, der den Kontakt zwischen den beiden Staatsmännern hergestellt hatte, war ein kranker Mann. Ihm wurde bereits 1939 ein Teil des Magens entfernt, weil er Krebs hatte. Der in erster Ehe mit der Jüdin Ethel Gross verheiratete Hopkins starb bereits am 29. Januar 1946 mit 55 Jahren.
Der Kettenraucher Franklin Delano Roosevelt (FDR) war ihm am 12. April 1945, noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, mit 63 Jahren vorausgegangen.
Zwei Monate zuvor, am 11. Februar 1945, hatte der amerikanische Präsident zusammen mit dem britischen Premierminister und dem sowjetischen Diktator Josef Stalin im Rokoko-Palast von Jalta auf der Krim den Vertrag unterzeichnet, der die Nachkriegsgeschichte Europas bis 1989 bestimmen sollte. Die ganze Welt wurde in „Einflusssphären“ aufgeteilt, in den Ostblock und in den Westblock. Das Britische Empire war bedeutungslos geworden. Nun gab es nur noch zwei Supermächte auf dem Planeten, die sich die Welt teilten.
Es war der Brite Winston Churchill, der die Grenze zwischen den beiden Blöcken, die mitten durch das geteilte Deutschland und dessen ehemalige Hauptstadt ging, zum ersten Mal im März 1946 in einer Rede an der Universität von Fulton/Missouri als „Iron Curtain“ (Eiserner Vorhang) bezeichnete, der von „Stettin in the Baltic“ bis nach „Triest in the Adriatic“ die kommunistische von der „freien“ Welt trennen würde.
Aber seine Depressionen („the black dog“) holten Churchill nach dem Sieg über Nazi-Deutschland und vor allem nach der verlorenen Parlaments-Wahl am 25. Juli 1945 wieder ein. Er möchte „sterben wie Roosevelt“. Sein Leben empfindet er „als Hölle“. In seiner Ehe ist er „nur noch gereizt“. Seine Frau Clementine schreibt in einem Brief an ihre Tochter Mary: „Anstatt uns gegenseitig zu stützen, streiten wir ständig. Er ist so unglücklich.“
Der beginnende Zerfall des „Empires“ trägt zu seiner schlechten Stimmung bei. Er kann nicht ertragen, dass die nun regierende Labourpartei 1948 der Unabhängigkeit Indiens zustimmt.
Nachdem er 1951 noch einmal zum Premierminister gewählt worden ist, dankt Winston Churchill am 4. April 1955 endgültig ab. Später resigniert er auch im Leben und sagt: „Ich habe so viel getan, um letztendlich nichts zu tun.“ Auch muss er erleben, wie seine Familie zerfällt. Das bedrückt ihn sehr: Sein ältester Sohn Randolph, ein „Schürzenjäger“, trinkt zu viel und macht beim Spiel Schulden, auch seine Tochter Sarah „macht mehr durch Alkoholexzesse von sich reden als durch Schauspielerei“, seine zweite Tochter Diana „hat sich während einer sehr tiefen Depression das Leben genommen“. „Nur die jüngste Tochter Mary scheint ihr Leben zu meistern und kümmert sich um ihre Eltern“.
Dass dieser Staatsmann von manchen heute noch verehrt wird und als ein Genie in die Geschichte eingegangen ist, verwundert mich. Aber ich verstehe es jetzt besser.



[1] Im Film heißt es allerdings verschleiernd dazu: „Als Hitler sechs Monate später Polen überfällt, treten Frankreich und England in den Krieg ein“ (Minute 40). Das ist die übliche Halbwahrheit, mit der die Geschichte „verdreht wird“. Frankreich und England sind nicht in einen schon begonnenen Krieg eingetreten, sondern haben den Krieg „erklärt“. Der „Überfall“ Polens durch Hitler war ihnen der willkommene Anlass. Diese Kriegserklärung wird auch in dem tendenziösen Film über den britischen König Georg VI., „The King’s Speech“ aus dem Jahre 2010 thematisiert, den ich erst vor ein paar Wochen (am 06. Mai) zum ersten Mal sah (bei einem Themenabend auf 3SAT („Adel verpflichtet“).

1 Kommentar:

  1. Das hatte ich gar nicht vor: so ausführlich über den Dokumentarfilm „Sir Winston. Der Mann des Jahrhunderts“ zu schreiben. Ich bin jedoch dankbar, dass ich endlich mehr über diese wichtige Persönlichkeit zur Zeit des Zweiten Weltkrieges erfahren durfte. Ich habe mir den Film gestern während des Schreibens noch einmal genau angeschaut und in meiner „Kritik“ direkt daraus zitiert.
    Ich saß bis um Mitternacht an meinem Text, habe mich dann, weil ich ihn doch aufschlussreich fand, in meinem Blog „Kommentare zum Zeitgeschehen“ veröffentlicht und auch schon einen zustimmenden Kommentar von meinem Facebook-Freund und Friedensaktivisten Wilfried Michalski bekommen:
    Sehr interessant.....zumal ich mich sehr gut wiederfinde bei: "Ich mochte diesen Mann noch nie. Aber ich kannte auch nicht viel von ihm."....Daher besten Dank für den erhellenden Beitrag.
    (Aber ich glaub' ...ich mag den immer noch nicht. .....!)
    Ich bin allerdings heute Morgen erst nach 1.00 Uhr eingeschlafen und nach knapp vier Stunden Schlaf um 5.00 Uhr wieder aufgewacht. Wenn ich mich mit historischen Themen und insbesondere mit Themen, die die beiden Weltkriege betreffen, beschäftige, dann fühle ich mich immer ganz nahe an etwas, das ich noch nicht erklären kann. Aber es packt mich und lässt mich nicht mehr los. Ich lasse es zu, dass meine Gedanken immer weiter um dieses Thema kreisen. Dabei reflektiere ich, was ich selbst „herausgefunden“ zu haben meine, und überprüfe es in Gedanken. Ich will keine gedanklichen „Schnellschüsse“ machen, Vorgefertigtes wiederholen, Meinungen übernehmen. Ich will selbst hinter die „Wahrheit“ kommen. Dabei denke ich im Grunde immer an meine heimatvertriebenen Eltern und insbesondere an meinen Großvater Waldemar Rumbaur, den stellvertretenden Vorsitzenden des „Bundes der Heimatvertriebenen“ in den 60er Jahren. Er war ein „Homo Politicus“ und er hatte Kontakt mit jenen Menschen, die die deutsche Nachkriegsgeschichte gestalteten: Mit Willy Brandt, als er noch Regierender Bürgermeister von Berlin war, und mit Konrad Adenauer, dem mehrmaligen Bundeskanzler der jungen Republik. Mein Großvater hat regelmäßig Kommentare zu den Zeitereignissen publiziert, von denen ich in meinem Familienarchiv „Durchschläge“ besitze. Ich fühle mich nun stark in seiner Tradition. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass er mir „über die Schultern schaut“, wenn ich schreibe. Er ist im Jahr 1974 gestorben. Ich habe einen Teil seiner Bibliothek geerbt und ich weiß noch, dass er sich besonders mit den drei Konferenzen (Teheran, Jalta, Potsdam) auseinandergesetzt hat, in denen die „Big three“ (Churchill, Stalin und Roosevelt) die Nachkriegsordnung Europas und der Welt „beschlossen“.

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