„Was ist Wahrheit?“
Wieder werde ich durch diese Diskussion um den gestrigen Bundestagsbeschluss mit dieser Frage
konfrontiert.
Aber wie sehr ich auch darüber
nachdenke: ich komme zu keinem anderen Ergebnis als gestern. Sogar im Gespräch
mit meinem besten Freund G., das wir zum Schluss vertagen mussten, weil
wir uns gegenseitig „angegriffen“ beziehungsweise missverstanden fühlten, kam
ich nicht zu einer neuen Sichtweise. Das tut mir weh, aber ich kann es einfach
nicht mit meinem Denken vereinbaren, dass nicht sauber mit Begriffen umgegangen wird. Leider ist darunter, wie ich feststellen musste, auch mein lieber
Freund, der ein durchaus rationaler Mensch ist.
Für mich ist der Begriff Ehe so
klar definiert wie in der Mathematik eins plus eins zwei ist.
Meine Definition für Ehe, die ich
für die allgemeingültige halte, versucht, den Inhalt dieses Wortes in einem
Satz auszudrücken: „Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau mit dem
grundsätzlichen Ziel oder der grundsätzlichen Möglichkeit, Vater und Mutter zu werden.“
Ich finde keine andere Definition. Auch G. konnte mir keine andere nennen.
Man kann, wenn man will, noch
zwischen der „Ehe vor dem Standesamt“ und „der Ehe vor Gott“, sprich zwischen
weltlicher und kirchlicher Trauung als symbolisch-rechtlichen Akten
unterscheiden. Ich habe beides erlebt. Aber immer stimmt die Definition, wie
sie auch in Artikel 6 des Grundgesetzes gemeint ist.
Es ist ja selbstverständlich,
dass der Inhalt des Wortes „Ehe“ im tiefsten Sinne ein Ideal ist, das kaum von einem Menschen
wirklich einmal gelebt werden kann. Aber das ist das Wesen von Idealen. Sie
sind wie Leuchttürme, die uns Orientierung in den Stürmen des Lebens auf
unruhiger See geben.
Ich habe I. am 15. Juni 1979
standesamtlich und am 17. Juni 1979 kirchlich geheiratet. Der tiefere Grund
war, dass unser erstes Kind unterwegs war. Am 17. Juli 2007 habe ich mich nach
28 Jahren und einem Monat von I.– gegen ihren Willen – scheiden lassen.
Am 18. November 2009 habe ich A. standesamtlich – und ganz bewusst nicht
kirchlich – geheiratet. Am 29. Juli 2016 hat sie sich – gegen meinen Willen – nach
nur knapp sieben Jahren von mir scheiden lassen. Für diese standesamtliche Ehe
habe ich mich nur deshalb entschieden, weil ich A. vor den "bösen Zungen" auf
dem Dorf beschützen wollte. Und, weil ich sie liebe.
Es gibt Begriffe, die kann und
will ich nicht definieren. Darüber war ich mir mit G. einig: dazu gehört
zum Beispiel das Wort „Liebe“. Auch da kann man sich natürlich dem Inhalt
nähern, indem man zwischen erotischer Liebe (Eros), Nächstenliebe (Caritas) und
Gottesliebe (Agape) unterscheidet. Aber Liebe ist unendlich viel größer als der
Verstand und ein Mensch kann sie auch nicht mit der Vernunft erfassen.
Durch die heute übliche „Liberalität“,
die mit dem Schlagwort „anything goes“ umschrieben werden kann, werden alle
Kategorien des abendländischen Denkens (seit Aristoteles) umgeworfen. Jeder
kann seine eigene Wahrheit „erfinden“. Wenn er eine Mehrheit findet, die ihm
zustimmt, kann sogar über diese „Wahrheit“
abgestimmt werden, wie es gestern im Bundestag geschehen ist. Dadurch wird sie „sanktioniert“, aber nicht "wahr".
Das war vor 68 Jahren noch
anders, als die Väter und Mütter des Grundgesetzes in einer Villa bei Frankfurt
zusammenkamen, und über eine zu schaffende Verfassung für die zu gründende
Bundesrepublik berieten.
Im Grunde war Helmut Kohl, der
heute im Dom von Speyer mit einem Requiem „verabschiedet“ wurde, soweit ich
sehe, der erste hochrangige deutsche Politiker, der einen dieser wichtigen
Begriffe „in Misskredit“ gebracht hat. Ich meine nicht den Begriff „Ehe“,
sondern den Begriff „Ehre“, der noch viel schwieriger zu „definieren“ ist als
das Wort „Ehe“.
Er hat sich auf sein „Ehrenwort“
berufen, um die Helfer in der kriminellen CDU-Spendenaffäre zu schützen. Darf
man mit dem Begriff „Ehrenwort“ die Wahrheit vertuschen? Darf man durch ein „Ehrenwort“
unehrenhafte Handlungen decken? Geht das?
Ich meine klar und deutlich:
nein! Das geht nicht!
Deshalb halte ich Helmut Kohl
nicht für einen großen Politiker, auch wenn er das mit seinen 1,93 m rein
äußerlich schon war.
Trotzdem habe ich mir heute die Trauerfeier im Speyrer Dom
via Fernsehen (Erstes Programm) angeschaut. Ich wollte ihm dadurch, obwohl ich
mit seiner Politik überhaupt nicht einverstanden war und bin, dennoch „die
letzte Ehre“ erweisen.
Wenn ich aber die Herren Prälaten
vor dem Altar unter dem romanischen Kreuz sehe und höre, so frage ich mich, was
wohl Christus gesagt hätte, wenn er dabei gewesen wäre. Ich glaube kaum, dass
er so „schöne“ Worte gefunden hätte. Ich bin sogar überzeugt, dass er die
Feierlichkeit durch wahre Worte
gestört hätte, von der Polizei ergriffen und aus dem Dom geworfen worden wäre –
mit anschließender Verurteilung.
Warum geht mir das alles so nah?
Ich fühle mich als ein Mensch,
der sich – eigenständig und mit viel Mühe – aus der christlich-abendländischen
Tradition heraus ein Weltbild errungen hat und danach zu leben versucht. Solange
diese Tradition noch trägt, glaube ich an sie. Aber ich leide darunter, wenn
die wahren und ewigen Werte dieser Tradition leichtsinnig preisgegeben werden
zugunsten von ganz anderen Werten, die im Augenblick „en vogue“ sind:
Relativismus (statt Wahrheitssuche und echte Toleranz), Hedonismus (statt
Leidensfähigkeit) und Narzissmus (statt wahres Interesse am anderen).
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