Ausnahmsweise ist dieses Jahr der
Reformationstag wieder einmal in ganz Deutschland Feiertag, weil sich heute der
Thesenanschlag Martin Luthers zum fünfhundertsten Mal jährt.
In seinem Vortrag vom 15. Januar
1917 spricht Rudolf Steiner auch über die Reformation auf eine Weise, dass mir
zum ersten Mal die tieferen Zusammenhänge klar werden. Er sagt, dass sich im
vierten nachatlantischen Zeitraum, in der griechisch-römischen Kulturepoche der
theokratische Charakter der dritten nachatlantischen Kulturepoche, der
ägyptisch-chaldäischen noch einmal wiederholt. Träger der Theokratie sind die
südeuropäischen Länder Italien und Spanien. Dort bildet sich als hierarchisch-theokratische
Macht die römisch-katholische Kirche heraus, die im Hohen Mittelalter, also im
13. Jahrhundert, berechtigterweise zu ihrer vollen Machtfülle heranwuchs. Aber
damals begannen schon Gegenströmungen. Rudolf Steiner verweist auf Walter von
der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, die ein Christentum abseits von Rom
anvisierten. Zur eigentlichen Opposition zu der Machtfülle der
römisch-katholischen Kirche kommt es aber erst zu Beginn der Neuzeit mit John
Wiclif, Johannes Hus und Martin Luther. Immer, wenn sich ein Impuls überlebt
hat, tritt ein neuer Impuls auf, um den alten abzulösen. Das sind die geistigen
Gesetze.
Der nächste Impuls ist das Diplomatische
der Franzosen, der eigentlich auf ein verborgenes Königtum einer früheren
Kulturepoche zurückgeht. Die ganze gebildete Welt sprach im 17. Und 18.
Jahrhundert Französisch. Diesem Impuls entstand eine Opposition in der
deutschen Klassik mit Schiller und Goethe.
Der dritte Impuls schließlich
geht von Großbritannien aus und betrifft das Kommerziell-Industrielle. Er will
sich über die ganze Welt ausbreiten, was ja heute durch die Globalisierung
bereits der Fall ist. Die Opposition zu diesem Impuls, so deutet Rudolf
Steiner zart an, stellt die Geisteswissenschaft dar.
Ich hatte mich entschlossen,
heute am Reformationsfeiertag einmal in den zentralen Gottesdienst in der
Stadtkirche Sankt Michael zu gehen und nicht in den Familiengottesdienst in der
Kreuzäckergemeinde.
Es war mein erster Gottesdienst
in der schönen spätgotischen Michaelskirche, in der Johannes Brenz 1527 die
Reformation eingeführt hat, zehn Jahre nach dem Thesenanschlag. Es war ein „Ökumenischer
Festgottesdienst zum Reformationstag“ mit der Dekanin Anne-Kathrin Kruse, die
ich dadurch zum ersten Mal predigen gehört habe. Außer ihr gestalteten Pastorin Ute
Armbruster-Srephan von der Evangelisch-Methodistischen Kirche, Bettina Koch von
den Baptisten und Pfarrer Thomas Hertlein von der katholischen Kirche den
Gottesdienst, der gleichzeitig vom südwestdeutschen Rundfunk für den Sender
SWR4 übertragen wurde.
Die schöne Einführung für die Hörer
sprach Rundfunkpfarrerin Dr. Lucie Panzer, die ich schon oft im Radio gehört
habe. Nun sehe ich die schlanke, sportliche Frau zum ersten Mal. Sie hat mir
mit ihrer schönen Aussprache am meisten gefallen.
Lustig fand ich, wie die vier
Pfarrerinnen im nördlichen Kirchenschiff auf einem Bänkchen Platz genommen hatten
und ihre Auftritte erwarteten, alle, außer Lucie Panzer und Frau Koch in
festlichem Ornat. Der katholische Geistliche, ebenfalls festlich gekleidet, der
– wie ich annehme – nicht verheiratet
ist, saß als fünfter genau in der Mitte der Frauen.
Dieser äußere Kontrast zeigt im
Grunde mehr als all die frommen Worte, die in den Beiträgen gesprochen wurden, das
wahre Verhältnis zwischen Evangelischer und Katholischer Kirche. Ein Abendmahl
gab es nicht, obwohl es ein Festgottesdienst war. Auch das ist bezeichnend für
die Kluft, die die beiden Kirchen immer noch trennt und die nicht so leicht zu
überbrücken ist.
Das Zölibat und die unterschiedliche
Abendmahlsauffassung sind die beiden Streitpunkte, die die Kirchen seit 500 Jahren
trennen.
Nach dem Festgottesdienst lud Oberbürgermeister
Pelgrim zum Empfang ins Rathaus ein, in jenen Rokoko-Bau, der genau gegenüber der
Michaelskirche an der Stelle steht, an der vor dem großen Stadtbrand bis zum 31.
August 1728 die Jakobskirche stand. Es gab im restaurierten Sitzungssaal Wein, Wasser,
Orangensaft und verschiedene Arten von Croissants.
Atemberaubend ist der einmalige Blick
vom Balkon des Sitzungssaales auf den Marktplatz, die Treppe, den romanischen Turm
und das Schiff der Michaelskirche. Vom Untergeschoss des Turmes grüßt die wunderbare
Michaelsstatue, also das Abbild des Stadtpatrons von Schwäbisch Hall.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen