Montag, 27. November 2017

Das organisierte Verbrechen und die gegenwärtige deutsche Politik

Der Monat November geht allmählich – grau und mit viel Regen – zu Ende. Am vergangenen Sonntag begann die letzte Woche des Kirchenjahres. Im Gottesdienst am Totensonntag wurde Markus 13, 33 – 37 vorgelesen, wo es um das Warten auf den Herrn geht und das mit dem Ruf „Wachet auf!“ beginnt. In diesen Bildzusammenhang gehören auch die Geschichte von den klugen und den törichten Jungfrauen, ja im weiteren Sinne – wie am Straßburger Münster so wunderbar dargestellt – die Figuren von Synagoge und Ecclesia.
Arte brachte zu Beginn des Monats eine Reihe mit Filmen von Henri-Georges Clouzot, die sich mit dem sogenannten Bösen auseinandersetzten. Nun am Ende des Monats bringt der Sender eine Reihe mit Filmen des französischen Regisseurs Jean-Pierre Melville, die durchdrungen sind von einem tiefen Pessimismus.
Am Sonntagabend habe ich mit Lena zusammen „Le Cercle Rouge“ (Vier im roten Kreis) aus dem Jahre 1970 gesehen, gestern lief „Le Deuxieme Souffle“ (Der zweite Atem) aus dem Jahre 1966. Im Mittelpunkt beider Filme, die ganz ähnlich angelegt sind, stehen Gangster, die aus dem Gefängnis ausbrechen und in der Freiheit ihren nächsten Coup planen: In „Cercle Rouge“ ist es Alain Delon und in „Le Deuxieme Souffle“ Lino Ventura.
Die Filme spielen beide in einer harten, illusionslosen Männerwelt, die zugleich eine Unterwelt ist. Beide spielen in Marseille und Paris. Die französischen Städte erinnern an die amerikanischen Mobster-Metropolen Chicago und New York.
Melville zwingt uns durch seine ästhetisch perfekt komponierten Filme, mit diesen Männern mitzuleiden. Gangster als Identifikationsfiguren sind genau das Gegenteil von den üblichen Filmhelden jener Zeit. Das macht diese Filme revolutionär, zeugt aber auch davon, wie "das Böse" in den 60er Jahren „salonfähig“ wurde.
Durch meine Recherchen erfahre ich, dass sowohl Jean-Pierre Melville (eigentlich: Jean-Pierre Grumbach) als auch Yves Montand (eigentlich: Yves Livi), der als ehemaliger Polizist und späterer Gangster eine wichtige Rolle in „Le Cercle Rouge“ spielt, jüdischer Herkunft sind. Von daher fokussiere ich natürlich wieder einmal meinen Blick auf die untergründigen Botschaften der Filme.
Die Figuren scheinen mir wie gefangenen in einem sinnlosen Kreisen um ein Nichts, das in jedem Fall tödlich endet. Es gibt nicht den geringsten Hoffnungsschimmer, nicht das kleinste Lächeln auf den Gesichtern der Protagonisten. Die ganze Energie des Regisseurs scheint sich in der Schilderung der perfekten „Coups“ zu erschöpfen, die die Gangster in den beiden Filmen planen und minutiös durchführen, die aber am Ende auch ins Leere laufen. Die Botschaft der kühl-distanzierten Filme ist – kurz zusammengefasst: „Die Welt ist schlecht und das Leben ist sinnlos.“
Im Grunde handeln sie alle von den „eiskalten Engeln“, die sich seit 1879 auf der Erde ausgebreitet haben und das organisierte Verbrechen anführen. Warum sich der Jude Melville gerade für dieses Milieu so interessiert, wäre meine nächste Frage, die ich aber heute noch nicht beantworten kann.

Deutschland durchlebt seit der Bundestagswahl am 24. September 2017 ungewöhnliche Wochen: Die bisherige Stabilität des Exportweltmeisters scheint auf politischer Ebene zunächst einmal brüchig geworden zu sein. Die Suche nach einer neuen Regierungskoalition dauert nun schon mehr als zwei Monate. Dabei scheinen immer wieder neue Hindernisse aufzutauchen: Zuerst ließ die FDP unter Christian Lindner die Sondierungen mit den anderen Parteien (CDU/CSU und Grünen) platzen, wodurch Deutschland – zu meiner Genugtuung – eine sogenannte „Jamaika-Koalition“ (wie die ZEIT titelte, wäre das „Der Fluch der Karibik“ geworden) erspart blieb. Nun ist wohl am Montag (27.11.) durch den Vertrauensbruch des Landwirtschaftsministers Schmidt (CSU), der in Brüssel im Namen Deutschlands und gegen die Vereinbarung mit der Umweltministerin Hendriks (SPD) für die Verlängerung der „Lizenz zum Töten“, sprich für die Weiterbenutzung des verheerenden Unkrautvernichtungsmittels „Glyphosat“ in der Landwirtschaft gestimmt hat, eine Neuauflage der „Großen Koalition“ aus SPD und CDU/CSU auch wieder in Frage gestellt.
Das ganze kapitalistische System, das auf Wachstum (und Waffenexport) basiert, scheint in diesen Tagen auf dem Prüfstand zu stehen. Im Hintergrund „lauern“ die 92 Abgeordneten der AfD, die die Regierenden zumindest daran erinnern können, dass es möglicherweise eine Alternative zu diesem Wirtschaftssystem gibt, das mich in vielem an das „organisierte Verbrechen“ erinnert und das nach der "Kündigung" des Goldstandarts durch Richard Nixon im Jahre 1971 und seit der daraufhin erfolgenden Deregulierung durch den Neoliberalismus unter Ronald Reagan und Margret Thatcher in den 80er Jahren die Herrschaft über den Planeten übernommen hat, wie im einzelnen klar nachzuweisen wäre.
Insofern sind die Filme von Melville eine stimmige und geradezu prophetische Bestandsaufnahme der Gegenwart: Der sinnlose Materialismus ist im Grunde an seinem Ende angekommen. Ob aber in dieser Adventszeit ein Umschwung stattfinden wird, ist mehr als fraglich.

Die Rückzugsgefechte der „alten Welt“ werden andauern, auch wenn diese immer brüchiger geworden ist.

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