Sonntag, 12. November 2017

Mit Rechten reden?

Immer wieder stoße ich auf Kritik von Freunden, die manche Dinge, die ich in meinen Blogs schreibe, „geradezu unerträglich“ finden und mich immer wieder mit dem „braunen Sumpf“ in Verbindung bringen wollen oder mich verdächtigen, der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ anzuhängen.
Dazu möchte ich folgendes feststellen: Ich habe durchaus in meinen letzten Schuljahren mit linken Ideen sympathisiert. Damals gab es kaum Alternativen zu dem kapitalistischen Gesellschaftsmodell. Alle „Guten“ waren Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mehr oder weniger links. Die ganz Überzeugten meiner damaligen Kameraden und Freunde traten auch bald einer linken Splitterpartei ein. Davon gab es etliche: Von Marxisten-Leninisten über Trotzkisten bis zu den Maoisten.
Dadurch, dass ich durch das Abitur gefallen war, weil ich während der Mathe-Prüfung nach der Lösung der ersten beiden Aufgaben „revolutionäre“ Comics gezeichnet hatte und dadurch mit 4,5 eine fünf in Mathe bekam, die ich nicht ausgleichen konnte, musste ich die 13. Klasse wiederholen und lernte im Schuljahr 1971/72 in einer von meinem verehrten Lehrer Bertolt Hasen-Müller gehaltenen „Philosophie-AG“ die Dreigliederung und in ihrem Zuge auch die Anthroposophie Rudolf Steiners kennen. Hier erst ahnte ich eine brauchbare Alternative zur bestehenden Gesellschaft und entschied mich für den Beruf des Waldorflehrers.
Ich glaubte an eine evolutionäre Veränderung der Gesellschaft und lehnte jede gewaltsame Revolution ab. Allerdings lernte ich während meines Germanistik-Studiums in Stuttgart auch einige militante Marxisten kennen, mit denen ins Gespräch zu kommen schier unmöglich war. Wenn ich es versuchte, so merkte ich bald, dass das einzige Ziel des Gegenübers „Indoktrination“ war. Ich verstummte und ließ den anderen reden, beobachtete aber ganz genau.
Mit der Zeit stellte ich fest, dass diese Menschen wie besessen von ihrer Idee des Kommunismus waren. Dabei denke ich vor allem an einen Zivi, der mit mir auf dem gleichen Zimmer in der Alexanderstraße wohnte. Er hieß Karle und sah aus wie Charles Bronson. Als strammer Kommunist stimmte er bei jeder passenden (oder unpassenden) Gelegenheit die „Internationale“ an. Natürlich war er rhetorisch besser als ich und ich hatte seinen Argumenten damals nichts entgegenzustellen. Ich hatte nie Karl Marx oder Lenin gelesen, nachdem ich festgestellt hatte, wie abstrakt intellektuell ihre Ideen waren. Die marxistische Ideologie interessierte mich nicht.
 „Kalle“, der übrigens jeden Abend mit einer anderen Frau ausging, war mir nicht unsympathisch, aber ich hätte nie eine dauerhafte Freundschaft mit ihm eingehen können. Es trennten uns Welten.
Anders ist es mir mit meinem Jugendfreund Konrad gegangen, einem Volksschullehrersohn aus streng katholischem Elternhaus. Er hat die Krankenpflegeausbildung an einem Münchner Krankenhaus (Rechts der Isar) absolviert, sich später proletarisiert und ist ins Ruhrgebiet gezogen, wo er im Bergbau gearbeitet hat. Außerdem hat er den Transport medizinischer Geräte nach Kuba organisiert. Er ist überzeugter Kommunist und Antifaschist und hat an der Wanderausstellung und  dem dazu erschienene Katalog und Buch „Zug der Erinnerung“ mitgearbeitet, in dem die Bundesbahn als rechtliche Nachfolgerin der Reichsbahn angeklagt wird, weil sie Menschen in die Konzentrationslager transportiert hat.
Wir konnten unsere Freundschaft lange aufrecht erhalten, auch wenn die Kontakte mit der Zeit immer seltener wurden. Aber gerade heute habe ich über Facebook eine Nachricht von ihm erhalten, worüber ich mich sehr gefreut habe.
Ein dritter Freund ist Fritz, der einstmalige „Chefredakteur“ unserer Schülerzeitung, an deren Gestaltung ich auch teilgenommen habe. Ein anderes Redaktionsmitglied, Johannes Legner, ist später Mitbegründer der TAZ und Pressesprecher von Joachim Gauck geworden.
Fritz war einer der besten Schüler des Gymnasiums. Ich wusste, dass er ein großer Verehrer von Ernst Bloch war. Wir hatten viele sehr schöne Gespräche, auch wenn wir nicht immer unbedingt gleicher Meinung waren. Er lehnte bei der Abiturfeier den ihm zugedachten Ersten Preis ab, proletarisierte sich und ging als einfacher Arbeiter zur BASF nach Ludwigshafen. Dort stieg er zum Betriebsrat auf und engagierte sich für die Arbeiterschaft. Ich schätze Fritz sehr als kritischen Geist. Er liest meine Blogs und findet sie zum Teil „unerträglich“, was er mir auch offen sagt.
Man kann sagen, dass ich bis vor zwei Jahren in vielem konform mit Konrad und Fritz ging. Für mich waren die Nazis eindeutig die Bösen und ich schämte mich wie viele für die Verbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg.
Ein Wendepunkt trat ein, als ich meinen ersten Deutschkurs gab. In dem Kurs waren vorwiegend syrische Flüchtlinge mit höherem Bildungsgrad. Als ich in einer Stunde nach den Grenzen Deutschlands auch die Grenzen Syriens besprechen wollte, wehrten sie sich, als ich den Namen „Israel“ nannte, ein Staat, der ja in den Golanhöhen an Syrien angrenzt. Ich verstand in diesem Augenblick überhaupt nichts mehr: Wieso durfte man nicht von „Israel“ sprechen. Ich mag keine „Tabuthemen“.  
Aber ein Kursteilnehmer aus Aleppo schaute mich aus traurigen Augen an und sagte: für uns gibt es nur Palästina. Von da an begann meine Nachforschung und ich erfuhr, warum so viele Araber dem 1948 gegründeten Staat feindlich gegenüberstehen.
Mein zweites Schlüsselerlebnis fand fast gleichzeitig statt. Ich lernte eine russische Frau kennen und lieben, durch die ich aus erster Hand erfuhr, wie es in der sowjetischen Gesellschaft in Wirklichkeit zugegangen ist. Daraufhin begann ich mich mit der Geschichte der Zaren und der Russischen Revolution zu beschäftigen.
Außerdem wollte ich schon lange wissen, wieso in Deutschland unter den Nationalsozialisten der Antisemitismus so stark wurde, zumal da das schlimmste antisemitische „Hetzblatt“ sogar meinen Familiennamen trug: „Der Stürmer“.
In den vergangenen drei Jahren recherchierte ich im Internet und stieß auf Zusammenhänge, die mir bis dahin vollkommen verborgen waren. Unter meinen Quellen waren mit Sicherheit auch Seiten „rechter“ Schreiber.
Früher habe ich solche Seiten aus Prinzip nicht angeschaut oder gelesen. Es war für mich wie für alle meine „linken“ Freunde nur „Volksverhetzung“. Inzwischen habe ich meine linken Scheuklappen abgelegt und meide nicht mehr alles, was den Anschein hat, „rechts“ zu sein oder von den Linken als „rechtspopulistisch“ bezeichnet wird. Ich versuche mir mein eigenes Urteil zu bilden. Allerdings übernehme ich nichts, was ich nicht geprüft habe.
Dabei stellt sich mir immer deutlicher heraus, dass vieles, was die „Rechten“ behaupten, nicht absolut falsch ist, auch wenn mir manchmal der Ton nicht gefällt. Das Anathema „Antisemitismus“ ist zwar ständig präsent, aber als Christ versuche ich immer, auch meine „Feinde“ zu verstehen. In dem Bannfluch „Antisemit“ höre ich leider immer wieder das „kreuzige“ und nicht das „Vater vergib ihnen“ durch.
Seitdem über neunzig AfD-Kandidaten im deutschen Bundestag Platz genommen haben, fordern immer mehr vernünftige Leute, man müsse auch mit den „Rechten“ reden. Aber wie kann man mit ihnen reden, wenn man ihre Positionen gar nicht kennt oder nicht kennen will?

Diese Hürde zu überwinden und einen Blick in den „Giftschrank“ zu tun, wird wohl notwendig sein, wenn es nicht zu einer vollkommenen Spaltung unserer Gesellschaft kommen soll.

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