Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Es scheint ein besonderer Gnadenstern über unserer Kirche zu stehen. Ich
komme eben aus der Kinderhandlung, die jeden Sonntag nach der Menschenweihehandlung
für die Erwachsenen stattfindet. Noch nie habe ich so viele Kinder bei dieser
Handlung gesehen, an der ich vielleicht erst drei- oder viermal teilgenommen
habe. Allein die Kinder, die direkt daran teilnahmen, erfüllten schon zwei
Stuhlreihen. Ich habe sie gezählt und kam auf die Zahl 20. Aber außerdem saßen
noch mindestens zehn jüngere Kinder oder Babys bei ihren Eltern im Raum und
verfolgten die Handlung erstaunlich ruhig: kein Kreischen, kein Lachen, kein
Weinen und nicht einmal Geflüster „störte“ die Heilige Handlung, die so schön
und einfach ist und auch mir jedes Mal zu Herzen geht.
Als die Kinderhandlung vorüber war, spürte ich plötzlich hinter mir eine
Kinderhand am Ärmel: es war die kleine Fenna, das vierjährige Töchterlein der
Familie, die seit September direkt unter mir wohnt. Sie war mit ihren Eltern
gekommen, die auch in der Reihe hinter mir saßen. Fenna hatte mich wohl als
erste entdeckt. Ich habe schon früher gespürt, dass sie mich mag, wenn sie sich
mir vertrauensvoll an die Seite setzte und selig lauschte, wenn ich ihr eine
Geschichte vorlas. Sie ist so ein hübsches Mädchen mit ihren goldblonden Haaren
und ihren großen braunen Augen. Ihr Bruder Kiell hat an der Handlung teilgenommen,
ohne dass ich ihn zunächst erkannt hatte. Auch Sarah Leiblin von der Solawi (Solidarische
Landwirtschaft) war mit ihrem jüngsten Kind, einer kleinen Janne, und ihrem
kleinen Sohn da. Ich hatte sie bestimmt seit über einem halben Jahr nicht mehr
gesehen und freute mich sehr, sie wiederzusehen.
Ich fragte Frau Kristalli nach der Handlung im Vorraum: „Was passiert da
gerade?“ Sie hatte auch keine Antwort und hob bescheiden die Schultern. Dabei
bin ich sicher, dass es ihr segensvolles Wirken in der Waldorfschule ist, wo
sie seit nunmehr anderthalb Jahren Religionsunterricht gibt, das die Eltern und
ihre Kinderlein kommen lässt. Es ist die neue Generation, die hier eine
geistige Heimat gesucht und gefunden hat. In allen anderen religiösen
Gemeinschaften bleiben die Kinder und die Jugendlichen weg und wenn die treuen
Alten gestorben sein werden, wird es kaum noch Menschen geben, die zum
Gottesdienst in die Kirchen kommen.
Anders ist es in der Christengemeinschaft, zumindest hier in Schwäbisch
Hall: die Gemeinde wächst, seitdem wir eine neue größere Kirche haben. Ich
fürchte sogar, dass der Raum bald wieder zu klein sein wird.
In der Menschenweihehandlung war ich dieses Mal so wach wie bisher noch
nie. Ich schaute und lauschte mit meinen Augen und Ohren und gleichzeitig auch
mit den Augen und Ohren von Gisela Victoria Schaller, die gestern Abend mit knapp 82
Jahren in Heidenheim über die Schwelle gegangen ist. Wir waren vor nunmehr
40 Jahren in Stuttgart zusammen aufs Waldorflehrerseminar gegangen. Sie ist später
Klassenlehrerin an der Waldorfschule Heilbronn geworden, ich Oberstufenlehrer in Heidenheim. Ich hatte Gisela bei der Einweihung unserer neuen Kirche am 6. Januar 2019 zum letzten Mal gesehen.
Insgesamt traten an diesem letzten Sonntag nach Epiphanias 22 Gemeindemitglieder
vor den Altar, um Brot und Wein zu empfangen. Mit den beiden – heute männlichen
– Ministranten waren es 24 Persönlichkeiten, denen „der Friede“ gespendet
wurde. Auch das ist eine viel größere Anzahl als früher, als sich die Kirche
noch in der Gelbinger Gasse befand. Lange nicht alle Anwesenden sind dabei vor
zur Kommunion gegangen. Ich schätze, dass noch einmal so viele in der Kirche
saßen, aber ich habe sie nicht gezählt.
Es ist ein Wunder.
Ein Wunder, das mir Mut macht.
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