Meine Freundin Karen hat mir gestern nach
unserem Telefongespräch ein Foto ihres Schreibtisches per Whatsapp geschickt
und dazu geschrieben: „unzensiert!“ Dabei fand ich ihren Schreibtisch im
Vergleich zu meinem wunderbar ordentlich. Im Gegenzug schickte ich ihr ein Bild
von meinem Schreibtisch, der seit Wochen eher chaotisch aussieht, weil ich
einfach keinen Schwung habe, ihn aufzuräumen. Er ist mein persönliches „Denkmal
der Schande“. Karen fiel natürlich sofort auf, dass unter all dem Papier, das
da rumlag, auch ein Exemplar der „Bildzeitung“ war. Die auf Seite 93
aufgeschlagenen Spiegel-Ausgabe Nr. 48 vom 23.11.2019 mit dem Foto des
jüdischen Geschäftsmannes Ihor Kolomojskyi, dem (einfluss-) reichen Paten des
neuen ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Selenskyi, hat sie wohl nicht
gesehen. Ich schrieb ihr ironisch zurück: „Daher hole ich mein großes Wissen.“
Ich muss nun einfach eingestehen,
dass ich seit zehn Tagen, also genau seit dem 14. Januar 2020, jeden Morgen die
„Bildzeitung“ bekomme, weil ich vor zwei Wochen (am 9. Januar) ein sehr
attraktives Angebot für ein Jahresabonnement genutzt habe. Das hätte ich mir
nie träumen lassen, aber in gewisser Weise ist Lena „schuld“ daran. Als ich an jenem
Donnerstag zu meinem Kurs nach Sulzdorf musste, bat sie mich, ein Paket
abzuholen, das dort an der Aral-Tankstelle lagerte. Dabei sah ich den Titel auf
der neuesten Ausgabe der Bildzeitung: „KEIN KRIEG! Danke Mr. President!“ (Darunter las ich von dem Angebot).
Für mich war das natürlich eine
gute Nachricht. Ich glaube, die Gefahr eines Krieges mit dem Iran war
tatsächlich sehr groß gewesen, nachdem Donald Trump (in Übereinstimmung mit dem
israelischen Geheimdienst) den Befehl zur Tötung des iranischen Generals
Khassem Suleimani gegeben hatte. Die Trauerfeierlichkeiten für den populären
Anführer der Al-Kuds-Brigaden nutzte das Mullah-Regime, um die Massen des
iranischen Volkes auf den Straßen in Szene zu setzen. Es wurde medienwirksam hundert-
oder tausendfach Rache geschworen. Schließlich griffen die Iraner auch zwei
amerikanische Stützpunkte im Irak mit Raketen an, wobei aber angeblich keine
Menschen getötet wurden – offenbar hatte der Iran zuvor eine Warnung
ausgegeben. Unglücklicherweise explodierten allerdings in jener Nacht zwei
Raketen in der unmittelbaren Nähe eines ukrainischen Passagierflugzeuges, das
mit 176 Personen an Bord – vorwiegend Akademikern – kurz zuvor in Teheran gestartet war.
Das Flugzeug stürzte ab und alle Insassen wurden getötet. Nun gab es wieder
Demonstrationen in Teheran, dieses Mal nicht für, sondern gegen das Regime.
So viel kann ich den offiziellen
Nachrichten entnehmen, die ich natürlich nicht nur aus der Bildzeitung beziehe.
Ich habe die Bildzeitung, die so
gerne mit dem Begriff „Wahrheit“ operiert – so auch auf der Titelseite ihrer heutigen Ausgabe wieder („Die Wahrheit
über Neuners Trennung“)[1]
– auch deshalb gekauft, weil die Sprache der Texte so einfach ist, dass auch
Ausländer sie verstehen. Das Boulevardblatt ist die einzige Zeitung, die Lena bei
Gelegenheit liest und versteht. Den Kommentar von Chefredakteur Julian
Reichelt, in dem er die Liquidation von Suleimani auf der Titelseite zu
rechtfertigen versucht, habe ich abgetippt, kopiert und am vergangenen Freitag
meinen russischen Frauen ausgeteilt, um ihn mit ihnen zu lesen und zu
besprechen.
Im Januar „feiert“ die
Bildzeitung seit Jahren den wichtigsten Erinnerungstag Deutschlands, nämlich
die Befreiung der Insassen aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Man
kann annehmen, dass der 27. Januar zum höchsten säkularen Feiertag der
Bundesrepublik werden soll, damit die Deutschen regelmäßig an ihr größtes
Verbrechen erinnert werden und dadurch ein geistiges „Bollwerk“ gegen den
angeblich wachsenden Antisemitismus[2]
hierzulande geschaffen werden kann.
Anlässlich des diesjährigen 75. Jahrestages
der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 druckt die
Bildzeitung „weltexklusiv“ seit gestern die 54 Tagebuchseiten von Scheindi
Miller-Ehrenwald ab, die sie als 14-jährigens Mädchen heimlich geschrieben hat.
Die heute neunzigjährige „Überlebende des Holocaust“ wurde vom Chefredakteur
Julian Reichelt nach Berlin eingeladen, wo gestern im „Deutschen Historischen
Museum“ eine Ausstellung zu ihren Tagebüchern eröffnet wurde.
Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hielt die Eröffnungsrede. Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schickte ein Grußwort in englischer
Sprache, das Julian Reichelt bei der Eröffnung verlas. Die Bildzeitung
übersetzte das Grußwort ins Deutsche und zitiert in ihrer heutigen Ausgabe daraus:
„Zur Eröffnung der Ausstellung
‚Deportiert nach Auschwitz – Scheindi Ehrenwalds Aufzeichnungen‘ sende ich aus
Jerusalem herzliche Grüße („warm greetings“) an das Deutsche Historische Museum.
(...) Scheindis Darstellung ihres Kampfes um das Überleben der Schrecken von
Auschwitz-Birkenau, Deportation und Zwangsarbeit, erzählt mit den Augen eines
jungen Teenagers[3], dient
als intimes Portrait ihrer persönlichen Widerstandskraft. Es wird für Jahre
nachklingen. Noch wichtiger ist es, dass wir im Laufe der Jahre und mit
abnehmender Zahl der Überlebenden weiterhin ein
Licht auf das beispiellose Böse[4]
des Holocaust werfen. Nur durch eine solche Bildung können wir den
Antisemitismus in all seinen Formen erfolgreich bekämpfen und verhindern, dass
er sich weiter ausbreitet. Dieser Bericht aus erster Hand ist ein wirksames Instrument[5],
um zukünftige Generationen in der Hoffnung zu unterrichten, dass solche
Gräueltaten nie wieder vorkommen.“ (Bildzeitung vom 23. Januar 2020, S 9)
Interessant ist die Formulierung
„ein Licht auf das beispiellose Böse“, das der Holocaust darstelle, zu
„werfen“. Natürlich wird immer wieder betont, dass der „Holcaust“ „beispiellos“
oder einmalig gewesen sei, was jedoch nicht der historischen Wahrheit
entspricht. Der GULAG und der Hungertod von Millionen von Ukrainern
(„Holodomor“), organisiert vorwiegend von jüdischen Funktionären des Sowjetstaates,
waren dem Holocaust und den Lagern vorausgegangen! Aber dafür gibt es bisher
keine Gedenktage, weltweit bekannte Museen oder Gedenkstätten – bis auf kleine
Ausnahmen in Perm und in Kiew; aber wer weiß schon davon!?
Die Tagebücher der Frau Ehrenwald
werden angesichts der Tatsache, dass es immer weniger Überlebende des Holocaust
gibt, in der Tat „instrumentalisiert“,
wie es Netanjahu ganz offen zugibt, um die Deutschen, in deren Reihen das
„beispiellos Böse“ einst wirkte, in Schach zu halten, als ob die Deutschen
willens und in der Lage wären, solche „Gräueltaten“ wieder zu begehen. Wolfgang
Schäuble, den ein Kabarettist einmal ironisch „bösäugelnd“ genannt hat,
erweiterte in seiner Eröffnungsrede geschickt den Begriff des Antisemitismus,
indem er sagte:
„In Deutschland haben
Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus nichts zu suchen – nicht der
Antisemitismus im alten Gewand, nicht der zugewanderte, nicht der als
Israel-Kritik getarnte.“
Also kann man aus den beiden
Statements entnehmen, dass jede Form von Antisemitismus, die aus Deutschland
kommt, das „beispiellos Böse“ wiederholen könnte und dass deshalb nicht oft
genug davor gewarnt werden könne. Deshalb erklingt immer wieder der bekannte
Schlachtruf „Nie wieder!“, so als bestünde tatsächlich die realistische Aussicht, dass das
moderne Deutschland wieder einen Weltkrieg „anzetteln“, Konzentrationslager
einrichten und im industriellen Stil Juden „vernichten“ könnte.
Wer das für eine realistische
Möglichkeit hält, der leidet meiner Meinung nach unter einem pathologischen
Verfolgungswahn.
[1] Manuel
Neuner ist der millionenschwere Torhüter der deutschen
Fußballnationalmannschaft, der 2014 Modell stand für sein eigenes Wachs-Abbild
bei Madame Tussauds in Berlin und sich dabei in die junge Museumsmitarbeiterin
Nina Weiss verliebte. Im Juni 2017 haben die beiden in Italien geheiratet. Nun
scheint die Ehe des 33-jährigen Fußballers mit der 26-jährigen
Museumsangestellten schon am Ende zu sein – nach nur zweieinhalb Jahren.
[2] Aus zwei
unterschiedlichen Quellen habe ich in den vergangenen Tagen erfahren, dass es
maximal 200.000 Angehörige jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik gäbe. Eine
andere Quelle sprach von 100.000 „Gemeindemitgliedern“. Ich kann und will diese
Angaben nicht hinterfragen, aber angesichts einer solch kleinen Minderheit
kommt mir die Aussage, dass „Gewalttaten gegen Juden“ in Deutschland in den
letzten Jahren signifikant zugenommen hätten, etwas übertrieben vor.
[3] Müsste
eigentlich politisch korrekt „einer jungen Teenagerin“ heißen...
[4]
Hervorhebung von mir
[5] Hervorhebung
von mir
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