Donnerstag, 9. Januar 2020

Historische und persönliche Bemerkungen zum 33-Jahres-Rhythmus




Vor mir liegt die letzte Ausgabe der Zeitschrift „Junge Freiheit“ vom 3. Januar 2020. Auf Seite 13 habe ich eben die begeisterte Rezension eines Essay-Bandes von Michael Klonovsky, dem – wie ich nebenbei erfahre – gelegentlichen Redenschreiber von AfD-Politiker Alexander Gauland (ehemals CDU) von Ex-Spiegel-Autor Matthias Matussek gelesen.
Der Essayband von Klonovsky trägt den Titel „Der fehlende Hoden des Führers. Vermischte Essais“ und erschien im Karolinger Verlag, Wien 2019.
Unter der Überschrift „Im Bann des Meistergauklers“ schreibt sich Mattussek im Hauptteil seiner Rezension seinen Ärger über den deutschen Haus- und Hof-Philosophen Jürgen Habermas von der Seele, wobei ich ihm wieder einmal nur zustimmen kann. Dieses Stück Satire möchte ich hier gerne in seiner ganzen Länge zitieren, denn es sagt so viel aus über den Zustand unserer zeitgenössischen Philosophie, die zwischen dem Vielschreiber Peter Sloterdjik und dem unverständlichen Kommunikator Jürgen Habermas hin und herpendelt.
Zunächst aber verteidigt Matussek Richard Wagner, der von den ahnungslosen Linken seit einiger Zeit in die rechte Ecke geschoben wird. Es fällt mir schon lange auf, dass im Kultursender SWR2 viel Mendelsohn und wenig Wagner gesendet wird, so als wollte man den einen ins und den anderen aus dem Gedächtnis der Hörer verschieben.
Matussek schreibt:
Klonovsky mache „eine Liebeserklärung an den österreichischen Komponisten Anton Bruckner, dieses vom Leben echt mies behandelte zölibatäre Genie, Gipfel und Schlussstein symphonischer Kunst, kurz und bewegt, sowie eine Hommage auf Richard Wagner, den Revolutionär, den Umstürzler, den Kunstpriester, den Klonovsky zunächst einmal von dem Missverständnis befreit, er sei der Troubadour der Rechten gewesen. Er kam von weit, weit links, ‚man würde Wagner nicht sonderlich fehlinterpretieren, wenn man ihn als Protofeministen‘ (all diese starken Frauen von Brünhild bis Sieglinde) ‚und im Jahrhundert fehlgegangenen 68er bezeichnete‘. Hm, nun gut. Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, dass Adorno in seinem Essay zum Essay ausdrücklich die Stilmittel der Zuspitzung und Übertreibung billigt.
Klonovsky weiter: Und von dort, eben von linksaußen, brachte Wagner auch den Antisemitismus mit und zitiert Marx: ‚Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judentum, wäre die Selbstemanzipation unserer Zeit (...) Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element (...)‘
Die Grundannahme bei Wagner, so Klonovsky, müsse sein: ‚andere Komponisten schrieben Musik, um ihr Publikum zu unterhalten oder zu enthusiasmieren. Wagner schrieb, weil er eine andere Gesellschaft wollte. (...)
Und dann kommt Matussek auf Habermas:
„Mein persönlicher Favorit der Sammlung indes ist die gutgelaunte Abrechnung mit der ‚Kampfkunst des Transzendentaldemokraten Jürgen Habermas‘ unter dem Titel ‚Nur ein Diskurs kann uns retten‘. Die Habermassche Entdeckung, ja Essenz der Demokratie darf in aller Schlichtheit auf den Kernspruch der Paartherapie heruntergebrochen werden: Wir müssen reden. Und zwar gleichberechtigt und herrschaftsfrei.
Damit hat es der fälschlicherweise der adornitischen Frankfurter Schule zugerechnete Habermas zum international renommiertesten deutschen Philosophen gebracht.
Seine ‚Theoroie des kommunikativen Handelns‘ entspräche, so Klonovsky, ungefähr dem, was die Mamis immer gesagt haben, wenn man mit blutiger Nase nach Hause kam: ‚Kinder, vertragt euch!‘
Niklas Luhmann befand schlicht: ‚Der Endzustand des Habermasschen Universums ist das Geschwätz.‘ Allerdings ist es ein durchaus stacheldrahtbesetztes, ein rigides und intrigengestähltes Diskursmanagement, das Habermas da betreibt.
Wirksam wurde es geradezu modellhaft in der sogenannten Historiker-Debatte, in der die These, die der Geschichtsdenker Ernst Nolte zur Diskussion gestellt hatte, nämlich dass der Bolschewismus mit seinen Todeslagern das Modell für die Nazi-KZs vorgegeben habe, von Habermas, unter Mobilisierung journalistischer und akademischer Hilfstruppen, derartig als Sakrileg verdammt wurde, dass der Name Nolte gründlich verbrannt war und diejenigen, die ihm , wie halbherzig auch immer, zur Seite gestanden hatten, als nicht länger satisfaktionsfähig galten.
Jürgen Habermas träumt vom geeinten Europa, ja letztlich vom Kantschen ewigen Frieden, und er kann durchaus rabiat und ausschließend werden, sollte ihm jemand dabei in die Quere kommen. Sein öffentlicher Erfolg ist umso rätselhafter, als er seine Thesen und Argumente in einer soziologischen Ingenieurs- und Bürokratensprache vorzubringen pflegt, was Klonovsky zu dem schönen Apercu verleitet, dass der deutsche Philosoph in alle Weltsprachen übersetzt sei – außer ins Deutsche.“
Mir hat die Habermas-Sprache, die sich in der linken Soziologie der 70er Jahre eingebürgert hat, noch nie gefallen. Sein wissenschaftlich unfaires Verhalten gegenüber dem Kollegen Nolte war für mich der intellektuelle Sündenfall der Linken. Diese kalte Art, die eigene Macht im Universitätsbetrieb zu missbrauchen, um einen unbequemen Wissenschaftler mundtot zu machen, finde ich satanisch: Habermas, dessen meist abgelesene Reden wegen seiner angeborenen Hasenscharte an der Oberlippe schwer verständlich sind, machte sich 1986 zum Sprecher eines ahrimanischen Ungeistes.
Merkwürdigerweise fällt dieser „Historikerstreit“ zusammen mit einer anderen Entwicklung, die zur Zeit Ronald Reagans und Margret Thatchers zum neuen Neoliberalismus führte, als die Wallstreet sich mit „faulen Papieren“ anschickte, die Finanzmärkte zu übernehmen. Beides muss man, so meine ich, zusammensehen: Die Einschränkung der Denkfreiheit, die ausgerechnet von Deutschland ausging, wo die „Gedankenfreiheit“ ein großes Ideal sein sollte, und der Aufschwung des wirtschaftlichen Liberalismus durch die Rücknahme staatlicher Regulierungen.
Dass in dem Jahr des Kometen Haley, von dem Rudolf Steiner voraussagte, dass er entweder einen totalen Umschwung in die Menschheit oder einen weiteren Fall in den Materialismus bringen könne, auch der Kernreaktor im ukrainischen Tschernobyl explodierte, gehört für mich zu einer Gesamtschau dazu: Im Westen (Amerika) wird der Kapitalismus kurz vor der Globalisierung der Wirtschaft durch die Theorien der Chicagoer Schule (Milton Friedman) beflügelt, in der Mitte werden der Gedankenfreiheit die Flügel gestutzt und in der Sowjetunion beginnt mit der „Wolke“ unter dem neuen Parteisekretär Michail Gorbatschow ein Wandel der Politik, der unter den Namen „Perestroika“ (Wandel) und „Glasnost“ (Transparenz) eine neue Ära einzuleiten versprach.
Leider ist außer dem Untergang des Kommunismus nicht viel Positives daraus entstanden, wenn man nicht in der darauf einsetzenden Globalisierung der Märkte und die Schrumpfung der angeblich nun freien Welt zu einem globalen Dorf eine notwendige erste Etappe auf dem Weg zur allgemeinen Verbrüderung der Menschheit (im Sinne von Schillers Ode "An die Freude", die im Beethoven-Jahr landauf, Sender ab immer wieder erklingen wird)  sehen will.

Es sind ja nun doch schon mehr als 33 Jahre her, dass all die Dinge geschehen sind, die ich oben erwähnt habe. Dennoch ist mir heute Nachmittag plötzlich bewusst geworden, was ich oben von dem möglichen Umschwung mit dem Wiedererscheinen des Halleyschen Kometen geschrieben habe, das heißt, woran ich beim Schreiben zwar vage gedacht habe, es mir aber gar nicht wirklich eingestehen wollte. Man könnte es als Einbildung auffassen, aber ich hatte in meinen Facebookbeiträgen – die ja eigentlich Auszüge aus meinen Tagebucheinträgen sind – schon zweimal erwähnt, dass ich in jenem Jahr, als ich als Geographie- und Geschichtslehrer an der Ecole Rudolf Steiner in Verrieres unterrichtete, mit meinem damaligen Kollegen Bodo von Plato gesprochen habe und ihn deutlich darum bat, bei der Michaelitagung 1986 über die Vorgänge vom 8. Februar 1925 zu sprechen. Bodo von Plato, der 2001 selbst in den Vorstand gewählt wurde, hat meinen Impuls entweder gar nicht verstanden oder ignoriert, obwohl er 1986 selbst ein Buch über die Gesellschaftsgeschichte („Zur Entwicklung der anthroposophischen Gesellschaft – Ein historischer Überblick“) verfasst hat. Für mich wäre die offene Aussprache darüber ein erster Schritt gewesen, das Unglück, das über die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft mit den Ausschlüssen der von Rudolf Steiner selbst ernannten Vorstandsmitglieder Ita Wegman, Elisabeth Vrede und vieler anderer naher Schüler Rudolf Steiners im Jahre 1935 gekommen ist, zu wenden, indem man die damals zu Unrecht Ausgeschlossenen vollständig und öffentlich rehabilitiert. Offenbar war damals die Zeit noch nicht reif für solch eine Aussprache. Erst im vergangenen Jahr, also genau 33 Jahre danach, hat Peter Selg das längst Überfällige unternommen und eine detaillierte Studie „Zur Rehabilitierung Ita Wegmans“ vorgelegt („Die Intentionen Ita Wegmans 1925 – 1943“), nachdem Bodo von Plato im Jahr davor (2018) als Vorstandsmitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft mit Sitz in Dornach nicht mehr bestätigt worden war.
Das wollte ich zum spirituellen 33-Jahres-Rhythmus noch ergänzen.

Nun habe ich diese Passage auch noch auf Facebook veröffentlicht. Die meisten meiner Leser werden damit nicht viel anfangen können, aber wer meine letzten Beiträge aufmerksam gelesen hat, wird vielleicht etwas bemerken, etwas, was ich eigentlich auch erst jetzt, als ich die Ereignisse vor meinem inneren Auge Revue passieren ließ, bemerkt habe. Ich bin selbstverständlich nicht der einzige, der damals auf den 8. Februar hingewiesen hat und nicht erhört wurde. Aber ich war zumindest einer von ihnen.
Was Bodo von Plato anbelangt, so schuldet er mir noch ein Buch, das er von mir 1986 ausgeliehen hat. Obwohl er mir vor ein paar Jahren, als wir uns bei einer Tagung zufällig über den Weg liefen, versprochen hatte, es mir zu schicken, habe ich es bis heute nicht zurück erhalten. Francis Boudenot, der ebenfalls Kollege in Verrieres war, hat mich bei unserem „Gipfel“ am 25. August in Bain-Les-Bains darauf aufmerksam gemacht, dass Bodo von Plato seinen Sohn ausgerechnet „Jagoda“ genannt hat. Gendrich  Jagoda (1891 – 1938)[1] war einer der übelsten Direktoren des sowjetischen Geheimdienstes, der unzählige Menschen auf dem Gewissen hat. Er war Jude.
Das ist insofern interessant, als Bodo von Plato damals beteiligt war, als ich in Verrieres von einem Tag auf den anderen gekündigt wurde, weil ich eine angeblich judenfeindliche Bemerkung im Unterricht gemacht hatte: Ein Schüler der 9. Klasse, in der ich Geschichte unterrichtete, hatte Schreibhefte, die ich eingekauft hatte, verteilt und sollte das Geld in der Klasse einsammeln. Er verlangte von jedem Schüler fünf Centimes mehr, als die Hefte gekostet hatten, und wollte den Gewinn einstecken. Als ich es merkte, fragte ich ihn spontan: „Bist du Jude?“.
Das war mein „Todesurteil“. In der noch am gleichen Abend einberufenen Sonder-Konferenz machte man mir anschließend klar, dass ich als Deutscher in Frankreich solche „antisemitischen“ Äußerungen niemals machen dürfe. Später verstand ich, warum.

1 Kommentar:

  1. Alles, was ich – angeregt durch die Arbeit über die „umstrittene Anthroposophin“ Judith von Halle – in den vergangenen zwei Wochen über Anthroposophen und Dornach geschrieben und zum Teil auf Facebook oder in meinen Blogs („Kommentare zum Zeitgeschehen“ und „Johannes Stürmer Filmkritik“) veröffentlicht habe war im Grunde ein Versuch, mit anderen ernsthaft um die Anthroposophie ringenden Menschen ins Gespräch zu kommen. Immer wieder aber stoße ich, selbst bei meinen liebsten Freunden, auf Vorurteile, Ängste und Konventionen. Keiner sagt offen seine Meinung, niemand hat den Mut, wahrhaftig Stellung zu nehmen. Das lässt mich jeden Tag von neuem überdenken, ob ich überhaupt noch etwas „veröffentlichen“ soll. Es wird einfach sinnlos, nur sich selbst immer und immer wieder zu hören beziehungsweise zu lesen.
    Im Zusammenhang mit meinen Fragen bin ich wieder einmal auf ein Büchlein von Peter Selg gestoßen, in dem er zwei Vorträge veröffentlicht hat, die er im Jahre 2012 gehalten hat: „Die Identität der Anthroposophischen Gesellschaft“. In der Niederschrift des ersten der beiden Vorträge zitiert er einen Passus aus einem Vortrag von Rudolf Steiner aus dem Krisenjahr 1923 (GA 257, „Anthroposophische Gemeinschaftsbildung“), der mir das eigentliche Problem besonders gut auf den Punkt zu bringen scheint. Obwohl ich kein großer Freund von aus dem Zusammenhang gerissenen Steinerzitaten bin, so möchte ich diese Stelle heute doch abtippen:
    „Nun, wir mögen noch so schöne Ideen aufnehmen aus der Anthroposophie, aus dieser Kunde von der geistigen Welt, wir mögen theoretisch durchdringen alles dasjenige, was von uns vom Äther-, Astralleib und so weiter gesagt werden kann, wir verstehen dadurch noch nicht die geistige Welt. Wir beginnen das erste Verständnis für die geistige Welt erst zu entwickeln, wenn wir am Seelisch-Geistigen des anderen Menschen erwachen. Dann beginnt erst das wirkliche Verständnis für die Anthroposophie. Ja, es obliegt uns, auszugehen von jenem Zustande für das wirkliche Verständnis der Anthroposophie, den man nennen kann: Erwachen des Menschen an dem Geistig-Seelischen des anderen Menschen. Die Kraft zu diesem Erwachen, sie kann dadurch erzeugt werden, dass in einer Menschengemeinschaft spiritueller Idealismus gepflanzt wird. (...) Da mag die Anthroposophische Gesellschaft in gewissen Epochen so oder so ausschauen – die Anthroposophie ist unabhängig von jeder anthroposophischen Gesellschaft und kann unabhängig von einer solchen gefunden werden. Sie kann aber allerdings auf besondere Art auch dadurch gefunden werden, dass Mensch an Mensch zu erwachen versteht und sich auf diese Weise, aus diesem Erwachen Gemeinschaftsbildungen ergeben. Denn man erwacht mit den Menschen, mit denen man sich zusammenfindet, immer aufs Neue, deshalb bleibt man mit ihnen zusammen. Da sind innere spirituelle Gründe da. Das muss immer mehr und mehr verstanden werden innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft (...) (Peter Selg, op.zit. S 34)

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