Montag, 16. Januar 2017

"Seid umschlungen, Millionen". Musik aus zwei Hafenstädten als Botschaft für eine bessere Welt.

Ein Impuls trieb mich gestern, am Sonntag, den 15. Januar 2017, das Buch des jüdischen Historikers Ilan Pappe vorzunehmen, das er 2006 über „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (Deutsche Ausgabe bei Haffmanns und Tolkemitt, 2014) geschrieben hat. 
Der Autor behandelt damit mutig ein Kapitel, das in der offiziellen israelischen Geschichtsschreibung ignoriert oder falsch dargestellt wird. Anhand von Dokumenten kann Ilan Pappe nachweisen, dass eine Gruppe von elf Zionisten um den charismatischen Führer David Ben-Gurion im März 1948, also unmittelbar vor der Gründung des Staates Israel, plante, die arabische Bevölkerung aus Palästina zu vertreiben. Das geschah dann auch mit Gewalt und Terror. Etwa 800000 Palästinenser, das heißt, etwa die Hälfte der eingesessenen Bevölkerung, wurden vertrieben und über 500 palästinensische Dörfer zerstört. Dabei hatten reiche Juden zu dieser Zeit erst knapp 5 Prozent des Landes durch Kauf in Besitz genommen.
Es ist bedenklich, dass ausgerechnet Juden, die so oft Pogrome erleiden mussten, nun im Zuge der Gründung eines eigenen Staates auf fremden Land selbst so ein Pogrom an der bäuerlichen arabischen Bevölkerung verübten. Das Schlimmste aber ist, dass dieses „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in den Mythen der Staatsgründung untergeht und die Akteure der „Maßnahme“ in Israel bis heute als Helden gefeiert werden.
Diese „Doppelzüngigkeit“ begegnet mir leider immer wieder in jüdischen Zusammenhängen. Bis heute sind die Verbrechen nicht „aufgearbeitet“. Sie offen anzusprechen und den noch lebenden Opfern oder Nachkommen der Opfer eine „Entschädigung“ anzubieten, das wäre die erste Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes.
Gerade gestern, am 15. Januar, ging in Paris eine Friedenskonferenz zu Ende, bei der Vertreter von 70 Nationen für eine „Zweistaatenlösung“ eintraten. Aber die beiden Hauptbeteiligten, Israel und Palästina, waren der Konferenz fern geblieben. Israel ist offiziell auch für die „Zweistaatenlösung“, tut aber von sich aus nichts dafür, sondern weitet täglich den Siedlungsbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem aus und reduziert damit das Land der arabischen Bevölkerung weiter. Hier sprechen die Vertreter des Staates wieder mit „gespaltener Zunge“.
Erfreulich ist dagegen, dass es auch Juden gibt wie den israelischen Regisseur Udi Aloni, die das heikle Thema mit künstlerischen Mitteln angehen. Sein Film „Junction 48“ wird gerade in den Kultursendern 3SAT ("Kulturzeit"am Freitag) und Arte ("Metropolis"gestern) beworben. Er spielt in einer der von der Säuberung betroffenen Städte, dem einst rein arabischen Lod, das nur zehn Kilometer von Tel Aviv entfernt ist, und erzählt die Geschichte eines jungen arabischen Rappers, Tamar Nafar. Es ist bezeichnenderweise eine israelisch-deutsche Koproduktion.


Und es gibt noch mehr positive Botschaften aus Israel.
Am Samstagabend zeigte 3SAT das Jubiläumskonzert des „Israel Philharmonic Orchestra“, das am 26. Dezember 2016, dem zweiten Tag des jüdischen Hanuka-Festes, anlässlich seines 80. Geburtstages im Charles Bronfman-Auditorium in der israelischen Haupt- und Hafenstadt Tel Aviv gegeben wurde. Der Dirigent Zubin Metha hatte nur Werke des deutschen Komponisten Beethoven ausgewählt. Dieses Orchester versucht mit Hilfe der Musik ein positives, friedliches Bild von Israel zu vermitteln, wie der Dirigent sinngemäß in einem Interview sagte.
Für die anschließende Dokumentation über die Entstehung des Orchesters im Jahre 1936 war ich zu müde. Es war der polnische Geiger Bronislaw Hubermann, der über 1000 jüdische Musiker mit Hilfe der Musik vor der Deportation in die Konzentrationslager gerettet hat.
In diesem Jahr 1936 hatten die Palästinenser gerade den ersten großen Aufstand gegen die neuen Besatzer ihres Landes unternommen, der von den Briten blutig niedergeschlagen wurde. Später fertigten die Israelis Listen an, in denen die Namen der am Aufstand Beteiligten aufgeführt waren. 1948 dann, als sie die einzelnen Dörfer „eroberten“, hatten sie diese Listen dabei und exekutierten, wie Ilan Pappe schreibt, alle Männer, die 1936 am Aufstand in irgendeiner Weise beteiligt waren.
Das sind die Methoden, die deutsche Nazis während des Krieges gegenüber feindlichen Partisanen angewendet haben, und die in vielen Filmen gezeigt werden, um die Brutalität der „bösen Deutschen“ zu veranschaulichen. Dass Zionisten die gleichen Verbrechen –  und zwar nach dem Krieg und außerhalb des Krieges – begangen haben, wurde bis jetzt in keinem Film gezeigt.
Immer wieder muss ich feststellen, dass hier mit zweierlei Maßstab gemessen wird: Die Deutschen sind ewig die Täter und die Juden immer die Opfer. Dieses Bild soll sich den Menschen, die sich immer weniger für Geschichte interessieren, weil sie ahnen, dass sie durch diese Geschichte sowieso „ganz irregeführt“ (Rudolf Steiner) werden, einprägen. Genau dafür wurden der „Holocaust-Gedenktag“ in Deutschland eingeführt und das monumentale „Holocaust-Denkmal“ in der deutschen Hauptstadt Berlin gebaut.
Aber die Lüge wird nicht ewig bestehen können. Die Wahrheit bricht sich Bahn.
In diesem Zusammenhang sehe ich die Angst unserer Politiker vor den „Hass-Botschaften“ in den sozialen Netzwerken, die sie jetzt massiv bekämpfen wollen. Natürlich machen die so jahrelang „Betrogenen“ und „Belogenen“ ihren Herzen jetzt, 100 Jahre nach der verhängnisvollen Balfour-Deklaration, Luft und verletzten die eingeübten Tabus. Jetzt haben sie durch das Internet die Möglichkeit, ihre „Meinung“ zu sagen, auch wenn diese manchmal derb klingt. Wie oft wurde nicht nur verbal, sondern real Gewalt gegen diese „einfachen“ Menschen ausgeübt! Wie oft haben sie sich vom Staat übergangen gefühlt! Wie oft wurden sie als „Pack“ bezeichnet und als Nazis beschimpft!
Und was die „Fake News“ anbelangt, die man jetzt von staatlicher Seite bekämpfen will, weil sie angeblich das Wahlverhalten der Menschen beeinflussen könnten, so erinnere ich mich nur an die zahlreichen Desinformationskampagnen staatlicher Institutionen in den vergangenen 100 Jahren. Dabei denke ich nicht einmal nur an die vielen verdeckten Operationen des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA. Die ganze Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit erscheint mir als eine bewusste Desinformationskampagne. Wenn nicht Fakten verdreht oder gefälscht wurden, so wurden sie doch entweder ausgeklammert oder in einen Zusammenhang gebracht, der die Täter, also die besiegten Deutschen, in ein besonders ungünstiges Licht rückten.
Es verwundert mich überhaupt nicht, dass auch viel Schlamm über die bewusst aufgerichteten „Dämme“ gespült wird, wenn sich „die Wut“ der Bürger Bahn bricht. Das Internet gibt den vom Bildungsniveau des durch Helmut Kohl 1984 eingeführten Privatfernsehens „geprägten“ Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und verarmten Rentnern eine Stimme. Das „Lumpenproletariat“ meldet sich zu Wort. Oder sind die Hass-Kommentare und Falschinformationen im Wesentlichen nur künstlich generierte Botschaften, die von sogenannten „Bots“ verbreitet werden?

Gestern schaute ich mir ein anderes Konzert an, das ebenfalls in einer Hafenstadt stattfand. Auf Arte wurde das Eröffnungskonzert der Elb-Philharmonie, dem neuen Wahrzeichen Hamburgs, vom 11. Januar 2017 ausgestrahlt.
Zuerst kam eine atemberaubende Dokumentation über den spektakulären Bau, dessen Grundstein am 2. April 2007 gelegt wurde. Bereits 2010 sollte der Konzertsaal, der von einem Basler Architekturbüro auf einem alten Hafenspeicher errichtet wurde, eröffnet werden. Aus den drei Jahren Bauzeit sind nun beinahe zehn Jahre und aus den veranschlagten Kosten von ca. 78 Millionen das zehnfache, nämlich rund 780 Millionen Euro,  geworden. Dafür hat die Stadt an der Elbe, in der vor 300 Jahren das erste Opernhaus Deutschlands errichtet wurde (und etwas später unter Gotthold Ephraim Lessing das erste deutsche Nationaltheater geplant war), jetzt ein wahres „Juwel“ (Bundespräsident Gauck bei seiner Eröffnungsrede) erhalten. Ich habe das fast fertig gebaute Konzerthaus, das wie ein glänzendes Schiff im Hafen zu liegen scheint, an Pfingsten 2015 bewundern können.  
Das Konzert stand unter dem Thema „Zum Raum wird hier die Zeit“ und begann mit einem Stück von Benjamin Britten mit dem Titel „Pan“ aus der Reihe „Sechs Metamorphosen nach Ovid“ Op. 49. Danach folgte ein modernes Stück von Henri Dutilleux mit dem Titel „Appels, Echos et Prismes“ aus „Mystere de l’instant“ (Mysterium des Augenblicks).
Schon dieser Auftakt des Konzerts macht deutlich, dass es den Veranstaltern um etwas Besonderes ging.
Wenn man den griechischen Gott Pan, wie es Georg Hartmann in einem seiner Aufsätze in dem Büchlein „Bewusstseinswege“ tut, mit dem „kleinen Hüter der Schwelle“ gleichsetzt, dem der Geistesschüler bei der Einweihung unweigerlich begegnet, dann scheint mir der Beginn des Konzertes mit einem Stück diesen Titels ganz bewusst gewählt zu sein, um eine Art weltlichen „Mysterientempel“ einzuweihen. Darauf deutet auch das folgende Stück, das den Ausdruck „Mysterium“ sogar im Titel führt und ganz eindeutig auch das Thema des ganzen Abends, das aus Richard Wagners „Bühnenweihfestspiel“ „Parsifal“ entnommen ist, hin. Das „Vorspiel zu Parsifal“, das nach der Pause erklingt, ist für mich dann auch der Höhepunkt des ganzen Konzertes. Durch solche Konzerte können sensible Menschen, die sich schon lange von den religiösen Institutionen abgewendet habe, einen Zugang zum Geistigen, vielleicht auch zum "Übersinnlichen" bekommen, denn Musik ist die Kunst, die aus einer jenseitigen Welt in die diesseitige "hereinragt".
Man kann nicht sagen, dass solch ein Konzerthaus „bescheiden“ ist. Aber es zeigt, dass Deutschland, das heißt hier, die Bürgerschaft der im Krieg von britischen Bombern so gut wie komplett zerstörten („Operation Gomorrha“) Freien Hansestadt Hamburg, auch viel Geld in die „Eroberung des Nutzlosen“ (Reinhard J. Brembeck in „Süddeutsche Zeitung“ vom Freitag, den 13. Januar 2017) zu investieren in der Lage ist. 

Dieses Konzerthaus wird die neue Visitenkarte Deutschlands in der Welt sein und ich hoffe nur, dass es nicht, wie schon einmal bei anderer Gelegenheit, den Neid anderer Völker hervorrufen wird. Dabei meine ich natürlich besonders Mitglieder eines bestimmten „Volkes“, das den Deutschen seit über hundert Jahren (nicht erst seit dem Holocaust!) nicht sehr gut gesonnen ist, ein Volk, dass offenbar Ludwig van Beethoven, nicht aber Richard Wagner liebt. 
Beide Komponisten gehören jedoch untrennbar zur „deutschen Hochkultur“!

Der vierte Satz von Beethovens neunter Symphonie mit der Europahymne „An die Freude“ nach dem Gedicht von Friedrich Schiller begeisterte denn zu Recht als Schluss die Zuhörer des Eröffnungskonzertes: „Seid umschlungen, Millionen!“

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