Heute ist schon ein komischer
Tag.
Auf dem Weg nach Kirchberg, wo
heute der letzte Unterricht des vierten von sechs Modulen stattfand, den wir
mit einem kleinen Fest beschlossen, hörte ich in den Feuilleton-Pressestimmen
des Senders SWR2 Auszüge aus zwei Artikeln der FAZ zum 90. Geburtstag von
Martin Walser, der heute von zahlreichen Literaturliebhabern mitgefeiert wird.
Ich kaufte mir daraufhin die heutige Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung in der einzigen Kirchberger Tankstelle, in der man auch überregionale
Zeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“, die „Welt“ und eben die FAZ bekommt. Mit
der Lektüre musste ich aber bis zum Nachmittag warten.
Unser Modul-Ende-Festchen, bei
dem meine 19 Kursteilnehmer um eine große Tafel saßen, auf der neben Obst, Chips und Tee Pizza von
Frau Sana A. aus Afghanistan und Kuchen von Frau Lida A. aus Tschetschenien angeboten wurde, war wie ein Geburtstagsfest.
Ich saß zwischen der hübschen
Celine M. aus Kamerun und der ebenfalls hübschen Lida A. aus
Tschetschenien. Mir genau gegenüber saß die wunderschöne Afghanin Fateme E. neben ihrem Mann Faramoz S. und ihrem gemeinsamen Sohn E., der immer
mit seinen Eltern in den Deutschkurs kommt und sich meistens still selbst
beschäftigt. Neulich habe ich ihm ein Fix-und Foxi-Ausmalbuch und eine Schachtel
Stockmar-Wachsmalstifte mitgebracht, mit denen er tagelang beschäftigt war. Frau
E. ist im fünften Monat schwanger.
Wie immer bei solchen Festen
sitzen die Männer zusammen und die Frauen von ihnen getrennt auf der anderen
Seite des Tisches.
Ich saß mitten unter den Frauen.
Wir sprachen über das Thema „Männer und Frauen“. Ich meinte, dass die
Frauen hier im Wohnheim sehr fleißig seien. Sie kochen, waschen, räumen auf,
putzen und kümmern sich um die Kinder, sind also rund um die Uhr beschäftigt
und am Abend müde und ausgepowert, während die Männer ein schönes Leben hätten,
Tee trinken, mit Freunden spielen oder über Politik diskutieren.
Es ist das typische Bild,
das wir Europäer von orientalischen Familien haben. Und die Frauen in der Runde
bestätigen es, ohne zu vergessen, ihre Männer zu loben. Sowohl meine Nachbarin
Lida A., als auch Sana A. sagen, dass sie „gute Männer“ hätten.
Frau A. erzählt, wie sie es
mit Hilfe einer Lehrerin aus Weckelweiler geschafft habe, ihr ältestes Kind in
die zweite Klasse der Waldorfschule nach Schwäbisch Hall zu bringen, wo es sehr glücklich ist,
nachdem es im Förderunterricht der hiesigen Schule von anderen Asylantenkindern
gehänselt und sogar geschlagen worden war. Frau A. und ihr Mann Hakim, ein
Ex-Polizist aus Herat, sind hier in Deutschland zum christlichen Glauben
übergetreten.
Am Ende des gemeinsamen Mahls
kommt Hakim A., der die Post geholt hat, strahlend in unser Klassenzimmer und
sagt etwas auf Dari. Alle eilen auf ihn zu und gratulieren ihm. Ich verstehe
nicht gleich, aber dann sehe ich das Schreiben, das er in der Hand hält: es ist
der Bescheid über die Anerkennung der gesamten Familie als Asylberechtigte.
Die Freude ist nach Wochen des
Bangens ungeheuer groß. Herr und Frau A. strahlen, wie ich selten Menschen
strahlen sah. Jeden Tag haben sie auf diesen Bescheid gewartet und konnten
nachts oft nicht richtig schlafen, weil sie auch mit einer Ablehnung und der
darauf folgenden Abschiebung rechnen mussten.
Es war für diese sympathische
Familie ein wahrer Freudentag, vermutlich noch freudenvoller als der neunzigste
Geburtstag des „Chronisten der deutschen Seele“, auch wenn die deutsche Seele
in meiner Person im Stillen den Geburtstag des Schriftstellers mitfeierte.
Erst gestern hatten Lena und ich Herrn H., einem Mann, der ebenfalls dieses Jahr 90
geworden wäre, bei einer Trauerfeier die letzte Ehre erweisen müssen. So nah
liegen Geburt und Tod nebeneinander.
Martin Walser sagt, alle Menschen
seien am 24. März 1927 in Wasserburg geboren.
Daran muss ich denken, als ich
mit meinen Kursteilnehmern, die aus der ganzen Welt im kleinen Kirchberg
zusammengefunden haben, in fröhlicher Runde am Tisch sitze.
Nach dem Kurs treffen wir Javad
H., der sehr schick angezogen ist. Ich erfahre, dass er letztes Wochenende
mit seiner Frau nach Balingen umgezogen ist und am 3. April bei Trigema in
Burladingen mit der Arbeit beginnen wird.
Javad war in meinem ersten
Sprachkurs und er hat immer die besten Fragen gestellt. Der Iraner spricht nun beinahe
perfekt Deutsch. Die Stelle bei Trigema habe ich dem gelernten Modedesigner vorgeschlagen. Wir haben
zusammen die Bewerbung verfasst und weggeschickt und ich war auch mit ihm und
seiner Frau, einer selten schönen Iranerin, in Burladingen beim
Vorstellungsgespräch. Auch Javad, der mit zwei persischen Freunden aus Balingen,
Ali und Reza, heute kurz nach Kirchberg gekommen war, um die letzten Sachen
abzuholen, strahlt wie ein Honigkuchenpferd, als wir uns vor dem Asylbewerberheim
versammeln, um eine gemeinsame Zigarette – ganz unter Männern – zu rauchen. Ich rauche eigentlich sonst nicht
mehr, insbesondere jetzt in der Fastenzeit nicht. Aber heute war eine gute Gelegenheit,
den Vormittag mit einer „Friedenspfeife“ zu besiegeln.
Zu Hause erwartete mich die neueste
Ausgabe des „Karl-May-Magazins“, einer Zeitschrift, die ich vor sieben Jahren
abonniert hatte, als ich einen der Redakteure kennenlernte. Damals sind wir
spontan Freunde geworden. Heute feiert auch er Geburtstag. Als ich dann in der
FAZ die Sätze wieder las, die ich am
Morgen im Radio gehört hatte, musste ich an ihn denken: „Er (Martin Walser)
habe sich in seinem Leben nie geändert, sei aber mal hierhin, mal dorthin
geschoben worden, von politisch links nach rechts“.
Diese Sätze gefallen mir. In
diesem Sinne hatte ich heute meinem lieben Freund gratuliert: „Bleib so wie Du
bist: das Original!“
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