Montag, 20. März 2017

"Tatort", Chuck Berry, Roland Emmerich und der gute Geschmack - Notizen zum vergangenen Wochenende

Gestern sah ich gegen meine sonstige Gewohnheit im Ersten den Tatort-Krimi mit dem Schleswig-holsteinischen Ermittler-Duo, „Borowski und das Darknet“, an, ein absolut geschmackloses Machwerk, das zu bester Sendezeit die Gemüter durch eine dicke Frau, die sich auszieht und zu dem Mörder ins Bett steigt, erregt. Heute prangt diese Szene auf dem Titelblatt der „Bildzeitung“ und alle Welt erfährt, wie diese „mutige“ Schauspielerin heißt.
Es gibt schon lange keine Grenzen des guten Geschmacks mehr.
Die Fernseh-Krimis der Tatort-Serie waren mit den Auftritten des Kommissars Schimanski (Götz George) in den Achtzigerjahren die ersten, die bewusst gegen die Geschmacks-Gewohnheiten des deutschen Spießers  verstießen.
Ein anderer Mann, der zum Niedergang des guten Geschmacks wesentlich beigetragen hat, wird heute in den Feuilletons der Tageszeitungen ausführlich gefeiert, nachdem er am Samstag mit 90 Jahren in der Nähe seines Geburtsortes bei der Stadt Saint Louis, Missouri gestorben ist: Chuck Berry. Er hat den Rockn’Roll nicht erfunden; das war Bill Haley. Aber er hat ihn populär gemacht. Sogar der Kultursender SWR2 spielte heute nach den Feuilleton-Pressestimmen kurz nach 7.30 Uhr den berühmtesten Song des Sängers und Gitarristen: „Johnny B. Goode“. Natürlich habe auch ich das Radio bei diesem Song auf volle Lautstärke gestellt. Ich hatte den Song in der Version von Grateful Dead zum ersten Mal gehört.
Mich wundert nur, dass sogar Bob Dylan diesen Mann, der abgesehen von den drei bekannten kaum eigene Lieder getextet und komponiert hat, als den „Songwriter des Rock‘n Rolls“ lobte. Auf die Urteile von Keith Richard und Paul McCartney gebe ich nicht viel. Letzterer verstieg sich sogar zu der Behauptung, Chuck Berry sei der „größte Dichter“ gewesen, den „Amerika hervorgebracht“ habe. Das halte ich für einen Werbegag.
Über den Rock’n Roll und seinen Feldzug gegen die klassische Musik („Roll over Beethoven“) und den damit verbundenen Verlust des guten Geschmacks könnte man viel schreiben.
Der amerikanische Soziologe Robert Bly hat es meiner Meinung nach auf den Punkt gebracht, als er seit den ersten Auftritten von Elvis Presley von der „Infantilisierung der Gesellschaft“[1] sprach. Es ist nicht nur eine „Infantilisierung“, sondern auch eine Desensibilisierung mit dieser „Musik“ verbunden, die nur mit Hilfe von elektrischen Tonträgern und einer gigantischen Musikindustrie künstlich aufgeblasen werden und die Jugend der ganzen Welt zudröhnen konnte. 
Diesen Verlust von Aufmerksamkeit erlebte ich am Samstagabend zum Beispiel bei dem Konzert meines Ex-Gesangvereins, bei dem ständig Kinder durch die Seitentür des Saals hinaus- und hereingingen und dabei jedes Mal die Türen schlugen.
Auch einige Erwachsene waren nicht in der Lage, die Tür leise zu schließen.
Wie sollen diese Kinder je die feinen Töne der Natur, der Musik und der Menschen wahrnehmen können, wenn ihre Sinne schon im jungen Alter abgestumpft werden, sei es durch das ständige Glotzen auf Handys und andere Bildschirme, sei es durch den sie den ganzen Tag umgebenden elektronischen Geräuschpegel?
Ich glaube, dass der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer leider Recht behalten wird, wenn er sagt, dass dadurch eine Generation heranwächst, die an einer ganz neuen Form der "Demenz" leiden wird, an der "Digitalen Demenz".
Ich frage mich, für wen das gut sein soll.
Jedenfalls nicht für die betroffenen Menschen, sondern lediglich für die wenigen, die sich damit eine goldene Nase verdienen, Leute wie zum Beispiel der Sindelfinger Hollywood-Regisseur und -Produzent Roland Emmerich, der mit seinen Blockbustern regelmäßig den guten Geschmack verletzt, und am Freitagabend für diese Leistung in der kleinen oberschwäbischen Stadt Laupheim mit einem weißen Lamm  aus Keramik ausgezeichnet wurde, mit dem von der Stadt neu gestifteten "Carl Laemmle-Preis".
Er will das weiße Lämmle "in die Küch" stellen, sagt er.
Das Schlimmste ist der grenzenlose Narzissmus, der sich überall breit macht. Die Menschen schauen nur noch nach dem eigenen Vorteil. Jeder, der eine Idee (und das Geld bzw. den Einfluss) hat, präsentiert diese und lockt das Publikum an. So hat zum Beispiel ein jüdischer Künstler (Erez Israeli) Bilder zum Märchen „Hänsel und Gretel“ gemalt und diese mit „Elementen des Holocaust“ versehen. Nun werden diese unappetitlichen Bilder in einer Salzburger Galerie ausgestellt.
Ich wundere mich immer wieder, wie solch eine Ausstellung überhaupt Zuschauer findet. Wer will so etwas sehen? Wer will übergewichtige nackte Frauen sehen? Wen interessiert, dass Herr Emmerich im Sommer seinen Lebensgefährten heiratet? Wer will überhaupt wissen, ob jemand lesbisch oder homosexuell ist? Das ist doch reine Privatsache. Warum gehen heute manche Promis damit „hausieren“ und fühlen sich dabei noch gut?
Aber wenn man sieht, wie tief der Geschmack des Publikums inzwischen gesunken ist, dann braucht einen nichts mehr zu wundern.

Ich beginne so langsam, Ekel zu empfinden, wenn ich fernsehe oder Filme anschaue, seitdem ich weiß, wer dahinter steckt. Am Montagabend zeigte Arte einen Film mit Alain Delon und anderen großen Stars des französischen Kinos: „Der Fall Serano“ (Mort d’un Pourri, zu Deutsch: "Tod eines Verrotteten") aus dem Jahre 1977 von  Georges Lautner. Ich habe nur die erste Viertelstunde angeschaut und dann abgeschaltet. 
Ich kann diesen falschen Schönling Alain Delon nicht mehr sehen. Er ekelt mich geradezu an. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht bin ich ihm böse, weil er „unsere“ schöne Sissi „verführt“ hat. Jedenfalls mag ich seine Ausstrahlung nicht. Für mich ist und bleibt er „der eiskalte Engel“ des französischen Films.



[1] „The sibling society“ (1996)

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