Gestern las ich gleich zwei
Vorträge aus den „Zeitgeschichtlichen Betrachtungen“, die Vorträge vom 21. und 22.
Januar 1917. Beide sind so berührend und erhellend! Es ist manchmal
unglaublich, welche Einblicke Rudolf Steiner sowohl für das Leben nach dem Tod
als auch für die irdische Geschichte und Geographie gibt. Bis in die Details
der Lautverschiebung kannte er sich aus und bringt sie in einen überzeugenden
Zusammenhang!
Wenn ich diese Vorträge vor
dreißig Jahren gelesen hätte, dann hätte ich einen wesentlich besseren
Unterricht machen können. Aber offenbar war ich erst gestern reif dafür. Im
Grunde hat mich auch dazu ein Verstorbener geführt, dem ich im Leben mehrmals
begegnet bin: Christoph Lindenberg, mein Geschichtslehrer während der „Ausbildung“
zum Waldorflehrer[1].
In der Einleitung zum Jahr 1917 stieß ich in seiner „Rudolf-Steiner-Chronik“,
die ich vor ein paar Tagen aufschlug und las, auf den entscheidenden Hinweis,
wie ich bereits weiter oben berichtet habe. Und so las ich einfach im dritten
Band der „Zeitgeschichtlichen Betrachtungen“ weiter, wenn auch nicht, wie
üblich, systematisch von vorne, das heißt von Band eins an.
Im Vortrag vom 21. Januar 1917
schildert Rudolf Steiner die Stufen, die der Verstorbene nach dem Tod
durchmacht, und kommt schließlich dazu, aufzuzeigen, dass sein Bewusstsein nach
einer Weile, wenn er den Ätherleib abgelegt hat, viel umfassender wird. Dann
vereinen sich nämlich mit seinem eigenen Engel, dem „Schutzengel“, weitere Geisteswesen
aus der Angeloi-Hierarchie, die den Verstorbenen gleichsam leiten. Aber mit
diesen verbinden sich schließlich auch Geistwesen aus der Hierarchie der
Archangeloi, die erst dafür sorgen, dass das zuvor eher traumhafte Bewusstsein
des Verstorbenen hell wird.
Rudolf Steiner erzählt dann, wie
die hochgradigen „Eingeweihten“ westlicher „Bruderschaften“, die (bis heute) aus
gewissen Gruppeninteressen die Menschheit noch tiefer in den Materialismus drücken
wollen, durch „zeremonielle Magie“ versuchen, die Verstorbenen ausgerechnet von
diesen Archangeloi zu trennen, und sie stattdessen in eine Verbindung zu den auf
der Stufe der Erzengel zurückgebliebenen Archai, also ahrimanischen Geistwesen,
zu bringen.
In einem weiteren Schritt zeigt
Rudolf Steiner auf, dass die Verstorbenen genauso wenig, wie sie nach dem Tod die
mineralische Welt wahrnehmen können, auch abstrakte Gedanken wahrnehmen
können. Nur wenn der auf der Erde Lebende ihnen lebendige, bewegliche Begriffe,
die mit Empfindungen verbunden sind, sendet, kann er sie wahrnehmen und sich
mit ihm in Verbindung setzen, was er so gerne tun möchte, weil er ja mit seinem
höheren Bewusstsein klarer sieht und den Lebenden helfen möchte.
Und dann führt Rudolf Steiner
etwas aus, was ich so gerne früher gewusst hätte, bevor ich meinen Schülern Geographie
und Deutsch beibrachte: Er sagt, und das kann ich vollauf bestätigen, dass nur
die Deutschen in der Mitte Europas bis in die Sprache hinein sich ihre Beweglichkeit
bewahrt hätten und weist in diesem Zusammenhang auf die Lautverschiebung hin,
bei der die harten germanischen „Explosiv-Laute“ (Verschlusslaute) p, t und k
zu den weichen deutschen Reibelauten (Affrikaten) f, s und ch wurden.
Ich finde dazu folgende
Beispiele: altsächsisch „slapan“ wird zu „schlafen“, altsächsisch „Strata“ zu „Straße“
und altsächsisch „riki“ zu „Reich“. Die englische Sprache macht diese
Lautverschiebung, so zeigt Rudolf Steiner weiter auf, nicht mit, sondern
beharrt bei der alten germanischen Form: Das „p“ bleibt „p“ in „to sleep“ (= schlafen),
das „t“ bleibt „t“ in „street“ (= Straße) und das „k“ bleibt „k“ in dem Verb „to
seek“ (= suchen).
Im Angelsächsischen, das
unmittelbar aus dem altsächsischen hervorgeht, hat sich also die Sprache nicht
weiterentwickelt. Besonders weit ist dagegen die Entwicklung in Süddeutschland
gegangen, denn die Norddeutschen haben manche Lautverschiebungen bis heute
nicht mitgemacht: So sprechen die Hamburger immer noch von der „Waterkant“ statt
von der Wasserkante und die Berliner sagen „ikke“ statt „ich“. Am weitesten
ging die Lautverschiebung in der Schweiz, wo aus dem „Kind“ das „Chind“ wird.
Schon allein durch diese
Formbarkeit der deutschen Sprache können sich die Verstorbenen besser mit den
Lebenden verbinden, wenn sie wollen. Denn nur bewegliche Begriffe, und nicht
starre Definitionen können von den Toten wahrgenommen werden.
Und nun kommt Rudolf Steiner zu
einer Charakterisierung Deutschlands, die überhaupt nichts Nationalistisches an
sich hat, sondern den wissenschaftlich nachvollziehbaren Tatsachen entspricht. Er
führt aus, dass die Nachbarländer nie den von den Deutschen für ihr eigenes
Land geprägten Namen „Deutschland“ benützen, sondern in der Regel Deutschland
mit Namen für Völker bezeichnen, die längst untergegangen sind. Die Engländer
und die Italiener sprechen von „Germany“ oder von „Germania“, also geben damit den
Deutschen uralte Namen. Die Germanen gibt es seit mindestens tausend Jahren
genauso wenig wie die Teutonen oder die Alamannen. Dennoch nennen die Franzosen
die Deutschen bis heute „les allemands“ und meinen, dass alle Deutschen „alemannisch“
sprechen würden. Selbst die slawischen Völker kennen das Wort „Deutsch“ nicht,
sondern nennen die Deutschen die „Nemetzki“.
Kein anderes Land würde sich das
gefallen lassen. Für „Frankreich“ und für die „Angelsachsen“ stimmen die Namen,
weil sie eben – sprachlich gesehen – auf ihrer germanischen Stufe stehen
geblieben sind: die Franzosen stammen zum Teil von den germanischen Franken,
die Engländer von den germanischen Angeln und Sachsen ab. Interessant ist, dass die
drei Völker, die Rudolf Steiner im Vortrag vom 15. Januar charakterisiert hat,
aus dem „Urbrei“ in der Mitte Europas nach Süden, Westen und Nordwesten gezogen
sind: die Priesterkaste der Germanen nach Italien, die Kriegerkaste der Germanen nach
Frankreich und die Handwerker- und Händlerkaste der Germanen nach England. In diesen
drei europäischen Völkern hat sich das Germanische in gewisser Weise bewahrt.[2]
In Mitteleuropa selbst haben sich
die Germanen zu den „Deutschen“ weiterentwickelt. Und so erklang in den
Verträgen von Verdun (749), als das Frankenreich Karls des Großen unter seinen drei
Enkeln aufgeteilt wurde, zum ersten Mal die Urform des Wortes „deutsch“ in dem
germanischen Ausdruck „tiudisc“. Was bedeutet aber „Deutsch“? Das Wort heißt,
übersetzt, nichts anderes, als „zum Volk gehörig“ und deutet dabei auf ein
Übernationales, auf ein allgemein Menschliches hin.
Diese Zusammenhänge sind heute
auch jenen, die bei ihren Demonstrationen im nationalistischen Sinne „Wir sind
das Volk“ rufen, in der Regel wohl eher nicht bewusst.
[1]
Ich hatte eigentlich nur zwei wirkliche Geschichtslehrer, die mein Interesse an
Geschichte befriedigen konnten. An den Geschichtsunterricht im Gymnasium
erinnere ich mich nur mit Grausen. Während des Studiums (Germanistik,
Geographie und Kunstgeschichte) habe ich auch Geschichtsvorlesungen bei August
Nitschke (geboren 1926) und Wolfgang Stürner (geboren 1940) besucht (und
mitgeschrieben). Aber ein vertieftes Geschichtsverständnis habe ich erst durch die beiden
Waldorfgeschichtslehrer und Autoren Christoph Lindenberg (1930 - 1999) und Johannes Tautz (1914 - 2008) bekommen.
Beide hatten gegensätzliche Herangehensweisen an die Geschichte. Der im Stil
eines Professors dozierende Christoph Lindenberg erschien mir durch sein
enormes Wissen, seinen gewaltigen Kopf mit der hohen Stirn und seinem
apodiktischen Redestil immer als unnahbar. Johannes Tautz hatte für mich durch
seinen ganzen Habitus etwas Aristokratisches, war aber menschlich viel
zugänglicher als sein Kollege. Auch wissenschaftlich lagen sie weit
auseinander, was ihre beiden Veröffentlichungen zum Nationalsozialismus zeigen.
Johannes Tautz „dämonisierte“ Adolf Hitler in seinem 1976, auf 1966 gehaltenen
Vorträgen basierendem Büchlein „Der Eingriff des Widersachers – Fragen zum
okkulten Aspekt des Nationalsozialismus“. Christoph Lindenberg fand einen anderen
Zugang zum Nationalsozialismus und hat in seiner 1978 erschienenen Untersuchung
„Die Technik des Bösen –Zur Vorgeschichte und Geschichte des
Nationalsozialismus“ versucht, die Zeit von 1933 – 1945 als ein dreifaches
Vakuum-Phänomen zu erklären.
Beide Historiker aber haben mich zum ersten Mal auf
die Bedeutung des Jahres 1917 als Wendejahr hingewiesen.
[2]
Allerdings gibt es auch ein paar andere Länder, in denen die Nachbarn nicht den
Eigennamen des betreffenden Landes benützen. Ich habe in meinem Crailsheimer Deutschkurs
einen Albaner, der in Mazedonien aufgewachsen ist. Er sagt, dass er Albanisch
zwar als Muttersprache spricht, aber kein Albaner sei. Die Albaner nennen sich
selbst „Skipetaren“, ein Ausdruck, der auf einen Volksstamm zurückgeht, den
heute nur noch diejenigen kennen, die einmal Karl May gelesen haben.
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