Dienstag, 18. Februar 2020

Das Leiden der arabischen Völker - der Auslandskorrespondent Robert Fisk



Nach der „demokratieverträglichen Lösung“ (Stern vom 13.02.2020) der „unverzeihlichen Wahl“ (Bundeskanzlerin Merkel) eines FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen mit Hilfe der Stimmen der AfD-Abgeordneten und dem Rückzug von AKK als Fraktionsvorsitzende und möglicher Kanzlerkandidatin der CDU wirft nun ein neuer Bewerber seinen Hut in den Ring: der „CDU-Chefaußenpolitiker“ (Bild) Norbert Röttgen. Seine „Demokratieverträglichkeit“ stellte er gestern noch in einem Interview mit der Bildzeitung unter Beweis, die heute auf ihrer Titelseite Präsident Putin einmal wieder anklagt, wenn sie schreibt: „Putins Bombenkrieg in Syrien – Deutschland droht neue Flüchtlingskrise“. Dabei beruft sich die Bildzeitung im Innenteil ihrer heutigen Ausgabe (S 3) auf eine eher dubiose Quelle: Yasser N. (38) von der Rettungsorganisation „Weißhelme“[1].
Unter der Überschrift: „Erster CDU-Politiker fordert Sanktionen gegen Putin“ druckt die „Bild“ auf der gleichen Seite (S 3), in der auch der Herr Yasser Who? von der „Rettungsorganisation“ die russische Luftwaffe anklagt, für die „Katastrophe“ in Syrien verantwortlich zu sein, weil sie seit 2015 „unsere Städte bombardiert“, das Interview mit Herrn Röttgen (54), unserem potentiellen und sicher „demokratieverträglichen“ kommenden Bundeskanzler ab: „... die gezielte Bombardierung von Zivilisten durch die russische Luftwaffe ist ein abscheuliches Kriegsverbrechen. (...) Das, was jetzt nötig ist, ist maximaler politischer und wirtschaftlicher Druck auf Russland, die Bombardierung der Zivilbevölkerung einzustellen. Wenn die Verbrechen weitergehen, muss es Sanktionen gegen Russland geben.“
Bisher war ich der Meinung, dass die bombardierte Stadt Idlib die letzte Bastion der Kämpfer der Anti-Assad-Opposition von Terrororganisationen wie ISIS, Al-Nusra, oder Al-Quaida sei, die seit 2011 mit ausländischer Unterstützung daran arbeiten, das legitime, wenn auch nicht ganz demokratische Assad-Regime zu stürzen. Nun sind nicht mehr die „Terroristen“ Kriegsverbrecher, sondern die Verbündeten der syrischen Regierung, die von dieser selbst gegen die inneren Feinde zur Hilfe gerufen wurden: die russischen Soldaten.
Als 2011 eine Koalition von sieben Staaten (Frankreich, Großbritannien, Türkei, Norwegen, Dänemark und Italien) unter Führung der US-Regierung den wirtschaftlich intakten Staat Libyen bombardierten und damit einen „Fail State“ schufen, wird das bis heute von niemandem als Kriegsverbrechen bezeichnet. Oder doch: von einem, nämlich von dem „selbsternannten“ (TAZ) Friedensforscher Daniele Ganser, der kürzlich in der ostdeutschen Stadt Bautzen einen Friedenspreis erhielt.
Aber der Schweizer gilt heute laut Wikipedia als „Verschwörungstheoretiker“ und ist deshalb vermutlich nicht „demokratieverträglich“.

Am Dienstagabend (18.02.20) zeigte Arte in seiner Reihe „Thema“ zwei interessante Dokumentationen: Zuerst einen zweiteiligen Film über den mächtigen saudischen Prinzen Mohamed bin Salman (MbS) und seine Verwicklung in die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 von Martin Smith, der seit vielen Jahren regelmäßig in den (öl-) reichen Wüstenstaat reist und sich in der korrupten Herrscherfamilie umsieht: „Mord im Konsulat“[2].
Anschließend kam eine für mich noch interessantere Sendung von und über den britischen Journalisten Robert Fisk, der seit nunmehr über 40 Jahren den Nahen Osten bereist und alle Schauplätze aus eigener Anschauung kennt: „An vorderster Front – Die Wahrheiten des Robert Fisk“[3] von Jung Chan (2019).
Der Vater von Robert Fisk war dekorierter Offizier im Ersten Weltkrieg und nahm seinen zehnjährigen Sohn an die Kriegsschauplätze mit. Er erkannte aufgrund eigener Recherchen, dass über diesen Krieg viele Lügen im Umlauf waren. Sein Sohn Robert hat seitdem einen kritischen Blick auf „offizielle“ Wahrheiten, die von Leuten fabriziert werden, die das Geschehen aus der Ferne beobachten und ansonsten sicher in ihren Büros sitzen. Er erinnert mich in gewisser Weise an T.E. Lawrence.
Robert Fisk ist am 12. Juli 1946 geboren und lebte zur Zeit der Invasion Israels in den Libanon im Jahr 1982 in Beirut, wo er als einer der ersten von dem Massaker an den palästinensischen Flüchtlingen von Sabra und Shatila[4] berichtete, das unter den Augen der israelischen Besatzer geschah.
Er sprach bei einer Rede in der „First Congregational Church“ von Berkely am 22. September 2010 von „Lies, Misreporting, and Catastrophe in the Middle East“ und stellte fest: „I think it is the duty of a foreign correspondent to be neutral and unbiased on the side of those who suffer, whoever they may be” und erzählte weiter: “After the allied victory of 1918, at the end of my fathers war, the victors divided up the lands of their former enemies. In the space of just seventeen months, they created the borders of Northern Ireland, Yougoslawia and most of the Middle East. And I have spent my entire career – in Belfast and Sarajewo, in Beirut and Baghdad – watching the people within those borders burn.”[5]
In der Dokumentation erweist sich Robert Fisk, der Arabisch spricht, als profunder Kenner der Kultur und der Geschichte der arabischen Völker im Mittleren und Nahen Osten. Er erwähnt auch den Geheimvertrag von 1916, bei dem der britische Diplomat Sykes und der französische Diplomat Picot dafür sorgten, dass das besiegte Osmanische Reich, das mit dem feindlichen Deutschland verbündet war, nach dem Ersten Weltkrieg unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt wurde. Dieser Geheimvertrag war auch der Grund dafür, dass sich T.E. Lawrence schließlich desillusioniert zurückzog, als er merkte, dass die Briten mitnichten einen unabhängigen arabischen Staat wollten. Natürlich sah Lawrence auch, dass die Araber noch sehr in Stammesbegriffen dachten und nichts dabei empfanden, ihre besiegten Feinde auszuplündern. Mit diesen stolzen Beduinen, die mit ihren Herden als Nomaden durch die Wüste zogen, war kein Staat im modernen Sinne zu machen. Das schafften nur die Kolonialmächte, die schließlich den Zionisten durch den Vertrag von Balfour freie Hand ließen, in Palästina den Staat Israel zu errichten, der bis heute einerseits den Schein einer Demokratie in der Region erfüllt, andererseits einen dauernden Stachel, ja eine Art Pulverfass im Zentrum der arabischen Völker bildet, wie ich in meinen Deutschkursen mit syrischen Flüchtlingen erleben konnte, die sich weigerten, von einem Staat „Israel“ zu sprechen.
Das ganze heute bestehende Unglück, all die schrecklichen Bilder von den Zerstörungen in den einst berühmten syrischen Städten Aleppo oder Damaskus, gehen – so wird mir wieder einmal klar – im Grunde auf die Politik der Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg und den Vertrag von Versailles  zurück. Nicht Russland ist, wie die Bildzeitung gestern in ihrer üblichen Kurzsichtigkeit und Verkürzung schrieb, für die Flüchtlingsströme verantwortlich, sondern jene Länder, die sich in die Regierungen dieser Länder einmischten und sie –  wenn sie nicht spurten – mit Krieg überzogen.
Der Ursprung für die heutigen „Flüchtlingsströme“ liegt also im Jahre 1916 in jenem Geheimvertrag, den hier kaum jemand kennt, der jedoch bei den Flüchtlingen, wie ich selbst erleben konnte, wohlbekannt ist, dem „Sykes-Picot-Abkommen“. 32 Jahre nach diesem Abkommen wurde der Staat Israel gegründet.
Ist es ein Zufall, dass Arte in den ersten Monaten des Jahres 2020 sowohl das Filmepos „Exodus“ von Otto Preminger aus dem Jahr 1960, das die Gründung des Staates Israel schildert, als auch den Film „Lawrence von Arabien“, der das Scheitern der Gründung eines arabischen Staates veranschaulichte, zeigte?
Filme festigen unser Bild von der Geschichte nachhaltig. Was sie zeigen, erscheint als Wirklichkeit, Aber in Wirklichkeit sieht der Zuschauer nur die Sicht der Produzenten. Das ist sowohl bei „Exodus“ als auch bei „Lawrence of Arabia“ der Fall, die beide von jüdischen Produzenten finanziert wurden.
Die Ironie der Geschichte ist, dass auch der kompromisslos auf der Suche nach der Wahrheit und Wirklichkeit reisende Brite Robert Fisk durch das Sehen eines Films zur Wahl seines Berufes inspiriert wurde, wie er selbst in der Dokumentation von Yung Chan berichtet: Als Jugendlicher sah er Alfred Hitchcocks Film „Foreign Correspondent“ aus dem Jahr 1940[6], den der britische Filmregisseur, nachdem er 1939 zu Kriegsbeginn das United Kingdom verlassen hatte, für den Produzenten Walter Wanger (eigentlich: Feuchtwanger) in Hollywood drehte, und deshalb beschloss, Auslandskorrespondent zu werden.
Weil er sich auch im Westjordanland umschaute und kritisch über die israelische Siedlungspolitik berichtete, wurde er von gewissen Kreisen als Antisemit verleugnet. Dabei ist er – vielleicht zusammen mit Peter Scholl-Latour – einer der wenigen Auslandskorrespondenten, die sich – unabhängig von der offiziellen Politik – für die Wahrheit hinter den Kulissen interessieren.

Natürlich sind solche Leute nicht bequem. So wurde ihm seine Mitarbeit bei der „Times“ in London gekündigt. 
Heute arbeitet er für den „Independant“.

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