Marie Steiner-von Sivers 1903
Durch die merkwürdige Koinzidenz des Engagements Raphaelas in den
vergangenen zehn Tagen einerseits für ihre Mutter, andererseits für die
Operette „Orpheus in der Unterwelt“ habe ich mich in den vergangenen Tagen
weniger um Facebook und Co. gekümmert, sondern mich mit dem Orpheus-Mythos
beschäftigt. Dazu habe ich auch in dem Buch „Die großen Eingeweihten“ von
Eduard (!) Schure das Kapitel über Orpheus wieder gelesen, das ich nach der
Zeitangabe am Rande meiner gebundenen Ausgabe bereits im August 1979, also noch
vor der Geburt unseres ältesten Sohnes, gelesen und teilweise (rot) unterstrichen hatte. Die
Ausgabe aus dem Otto Wilhelm Barth-Verlag war 1965 erschienen und ich habe sie
am 11. Januar 1974 bei Konrad Wittwer in Stuttgart gekauft. Drei Vorworte von
Rudolf Steiner zu den jeweils neuen deutschen Auflagen leiten die Ausgabe ein.
Die Übersetzung des Klassikers der esoterischen Literatur ins Deutsche stammt
von Marie Steiner-von Sivers. Meine Ex-Frau besaß die französische
Taschenbuchausgabe.
Weil es so schön geschrieben und übersetzt ist, möchte ich hier
den Anfang des Kapitels zitieren:
„In den Heiligtümern des Apollo, welche die orphische Tradition
besaßen, wurde zur Zeit der Frühlingswende ein geheimnisvolles Fest gefeiert. Es
war der Augenblick, da die Narzissen neben dem Brunnen von Kastalien wieder
blühten. Die Dreifüße, die Lyren des Tempels erzitterten durch sich selbst, und
man empfand, dass der unsichtbare Gott aus dem Land der Hyperboräer zurückkehre
auf einem von Schwänen gezogenen Wagen.“
Mit dem unbekannten Gott ist natürlich Apollo gemeint, von dem
Rudolf Steiner im „Fünften Evangelium“ sagt, dass er in Wirklichkeit der
Sonnengeist Christus ist. Das geheimnisvolle Land der Hyperboräer, aus dem auch
Herkules in einer seiner zwölf Aufgaben „goldene Äpfel“ holen sollte, ist wohl
ein geistiges Reich, ähnlich dem Lande Schamballa der Inder. Dort ist es
gewesen, wo sich Christus-Apollo dreimal mit der Schwesterseele des Adam
verbunden hat.
„Dann sang die Hohepriesterin, als Muse gekleidet, mit Lorbeer
bekränzt, das geweihte Stirnband auf dem Haupt, allein vor den Eingeweihten,
die Geburt des Orpheus, des Sohnes des Apollo und einer Priesterin des Gottes. [1]
Sie rief die Seele des Orpheus an, des Vaters der Mysten, des melodischen
Erlösers der Menschen[2];
Orpheus des Herrschers, des unsterblichen und dreimal gekrönten, in der Hölle,
auf Erden und im Himmel, der dahinwandelt, einen Stern auf der Stirn, zwischen den
Gestirnen und den Göttern.“ (S 188)
[1]
Orpheus gilt als Sohn Apollos und einer seiner neun Musen: Kalliope, die Muse
der Musik
[2]
Als „Erlöser“ wird in der Tradition immer nur Christus bezeichnet. Ich finde
die Vorstellung von der Erlösung durch Musik und Poesie besonders reizvoll und
denke dabei an Novalis, den großen deutschen Poeten, der den Göttern wahrlich
nahe war und das Leben der Menschen in den „Geheimniszustand der Poesie“ setzen
wollte.
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