Michelangelo: Vertreibung aus dem Paradies, Sixtinische Kapelle, Rom
Nun habe ich in den vergangenen Tagen die sechs Berliner Vorträge Rudolf Steiners
zum Fünften Evangelium (GA 148) wieder gelesen. Vieles war mir noch vertraut, und doch
ist es immer wieder gut, die Einzelheiten zu erinnern.
Im letzten Vortrag vom 10. Februar 1914, den ich gestern las,
spricht Rudolf Steiner von den drei „Vorstufen des Mysteriums von Golgatha“ in
der geistigen Welt. In irdische Sprache übersetzt hat sich die
Christus-Wesenheit bereits dreimal mit der noch unverkörperten Seele des
nathanischen Jesus, den Rudolf Steiner an anderer Stelle auch „die
Schwesterseele Adams“ nennt, verbunden: zum ersten Mal während der lemurischen
Zeit, als es darum ging, den luziferischen Einfluss auf die zwölf Sinne des
werdenden Menschenwesens auszugleichen. Damals hätten die Menschen ohne diesen
Ausgleich Sinne entwickelt, die ihnen einerseits zu große Lust, andererseits zu
großen Schmerz bereitet hätten, wenn sie sich in der Welt umgeschaut hätten.
Es war, das ergänze ich, die Zeit der überdimensionierten
Reptilien, die man einerseits als Saurier bezeichnet, die andererseits in der
Imagination als Drachen erscheinen.[1]
Der zweite Angriff auf die Evolution des werdenden Menschen fand
zu Beginn der atlantischen Zeit statt, als Luzifer und Ahriman vereint die
sogenannten „sieben Lebensorgane“ korrumpieren wollten, so dass die Menschen
zwischen Gier und Ekel hin und her schwanken mussten. Damals verband sich das
Christuswesen zum zweiten Mal mit dem nathanischen Jesus – abermals in der
geistigen Welt – und milderte so den Einfluss der Widersachermächte.
Der dritte Angriff war ein Angriff Ahrimans auf die drei
Seelenglieder Denken, Fühlen und Wollen. Er ereignete sich am Ende der
atlantischen Zeit. Wieder brachte Christus das Opfer und verband sich zum Wohle
der Menschheit mit der Seele des nathanischen Jesus. Ohne dieses Opfer würde
der Mensch zwischen Hypochondrie und Wahnsinn hin und hergerissen sein. Durch das
Opfer wurden die drei Seelenfähigkeiten harmonisiert.
Rudolf Steiner erklärt nun in dem Berliner Vortrag, dass in der
griechischen Mythologie ein Abglanz dieses dritten Opfers zu finden sei:
„Die Griechen stellten dar den Christus, durchseelend den späteren
nathanischen Jesusknaben, als ihren Apollo. (...) sie hatten jenen kastalischen
Quell am Parnassos, an dem sich eröffnete aus der Erde heraus ein Schlund, aus
dem Dämpfe aufstiegen. Diese Dämpfe umgaben schlangenartig den Berg, so dass
man in diesen schlangenartig den Berg umgebenden Dämpfen selber ein Bild hatte
der wild stürmenden menschlichen Leidenschaften, die Denken, Fühlen und Wollen
in Unordnung bringen. Über dem Erdschlund, an der Stelle, wo diese
schlangenartigen Dämpfe herauskamen, in denen der Python lebte, errichtete man
jene Orakelstelle, welche der Pythia geweiht war. Die Pythia saß auf ihrem
Dreifuß über diesem Erdschlund und wurde durch die heraufsteigenden Dämpfe in
einen visionären Zustand gebracht, und was sie in diesem Zustande sprach, das
fasste man auf als den Ausspruch des Apollo selber. Und die, welche Ratschlüsse
haben wollten, schickten zur Pythia und ließen sich von Apollo durch den Mund
der Pythia Rat erteilen.
Die Anschauung lag also bei den Griechen zugrunde, dass Apollo
zurückführt auf eine wirkliche Wesenheit. Jetzt kennen wir diese Wesenheit. Es
ist der von dem Christus durchseelte spätere nathanische Jesusknabe, Apollo bei
den Griechen genannt. Er nimmt dem, was aus der Erde in der Seele der Pythia
aufsteigt, seine luziferisch-ahrimanische Wirkung. Und weil in den Dämpfen das
Opfer Apollos aufsteigt, so sind sie nicht mehr verwirrend, sondern weise
ordnend Denken, Fühlen und Wollen für die Griechen.“ (S 196f)
Solche Mitteilungen finde ich atemberaubend schön. Hier erklingt
echte Mysteriensprache, damals nur für einen kleinen Kreis von Menschen hörbar,
die sich in der Berliner Loge der Theosophischen Gesellschaft versammelt
hatten.
Jacques Offenbach und seine Librettisten hatten offenbar von dem
Mysterienhintergrund der Sage keine Ahnung, als sie die Gesellschaftssatire
„Orpheus in der Unterwelt“ entwarfen und komponierten.
Schon früh in der Barockzeit hatte die Sage des göttlichen Sängers
die Komponisten angezogen; so war es Claudio Monteverdi, der seine „Favola in
Musica“ am 24. Februar 1607 anlässlich des Geburtstages von Herzog Francesco
IV. von Gonzaga in Mantua aufführen ließ. Das Musikstück gilt heute als erste
Oper.
Auch das Datum ist interessant: es war im Jahre 1607, ein Jahr,
das Rudolf Steiner explizit im fünften Berliner Vortrag zum Fünften Evangelium
erwähnt, wo er ausführlich aus dem Werk „Harmonices Mundi“ von Johannes Kepler zitiert,
das in diesem Jahr erschienen ist.
In dem vierten der Berliner Vorträge hat Rudolf Steiner von dem
Gespräch zwischen Jesus von Nazareth und seiner Mutter erzählt, das unmittelbar
vor der Jordantaufe stattfand. Damals geschah mit den beiden Persönlichkeiten
etwas Außergewöhnliches, was nur durch den entwickelten Hellseher aus der
„Akasha-Chronik“ erfahren werden kann. Weil Rudolf Steiner das konnte, haben
wir heute diese einzigartigen Mitteilungen aus dem „Fünften Evangelium“, die
für meinen Geschmack alles „übertreffen“, was Judith von Halle, Therese Neumann
oder Anna Katharina Emmerich vom irdischen Leben des Jesus von Nazareth berichtet
haben.
Das Außergewöhnliche war jener geradezu einmalige Austausch der
Wesensglieder. Die salomonische Maria, die nun die „Stief- und Ziehmutter“ des
Jesus war, ist nun von der Seele der nathanischen Mutter, die bereits vor 18
Jahren, als ihr Sohn 12 Jahre alt war, verstorben ist, durchdrungen worden.
„Für den Jesus von Nazareth selbst aber ergab sich, dass mit seinen Worten
gleichsam das Ich des Zarathustra fortgegangen war. Was sich jetzt auf den Weg
machte zur Johannestaufe im Jordan, das war im Grunde genommen der nathanische
Jesus, der die drei Hüllen in der Weise gestaltet hatte, wie es öfter
besprochen worden ist, ohne das Ich des Zarathustra, aber mit den Wirkungen des
Zarathustra-Ichs, so dass tatsächlich alles, was das Zarathustra-Ich in diese
dreifache Hülle hineingießen konnte, in dieser dreifachen Hülle auch war.“
(Vierter Vortrag vom 6. Januar 1914, S 155f).
Nun erzählt Rudolf Steiner im fünften Vortrag vom 13. Januar 1914
von Johannes dem Täufer, der dazu prädestiniert war, dass nun das
göttlich-geistige Christuswesen in der Taufe den Leib des Jesus von Nazareth
ergreifen konnte. „Dies ist mein geliebter Sohn, den ich an diesem Tage
empfangen habe.“ So erklingt die Stimme aus den Himmeln, als Johannes den Jesus
in die Wasser des Jordans untertaucht. Die christliche Kirche feiert diesen –
leider kaum noch verstandenen Akt – als Epiphanias. Das bedeutet: Erscheinung
und meint die Erscheinung des Gottes in einem Menschen.
Johannes der Täufer, so erläutert Rudolf Steiner weiter, hatte
noch ganz in der hebräischen Vererbungslinie gestanden, die auf Abraham
zurückgeht.
Der hebräische Gott Jahwe ist einer der sieben Elohim, der sich
insbesondere um die Schaffung des menschlichen Hauptes „kümmerte“. Rudolf
Steiner führt weiter aus:
„Gleich zu Beginn der Genesis wird uns dargestellt, dass Jahwe den
Menschen aus der Substanz der Erde macht. Adam heißt: der aus der Erde
Gemachte, der Erdene. Und während die um das althebräische Volk herumlebenden
Religionssysteme (...) überall darauf ausgehen, in demjenigen, was nicht
eigentlich der Erde entstammt, sondern was von außen in die Erde hereinkommt,
die Elemente zu sehen, in denen sie ihre Götter verehren, sieht das
althebräische Altertum in demjenigen, was durch die Erde auf der Erde vor sich
geht, die Elemente, in denen der Gott Jahve (...) verehrt werden soll. Zum
Sternenhimmel, nach den Gestirnen und ihrem Gange schauen einzelne der
umliegenden Völker auf. Sie haben das, was man eine Astralreligion nennt. Und
andere Völker wieder beobachten Blitz und Donner und wie sich darin die
Elemente äußern, und fragen sich dann: wie kündigen sich durch die Sprache von
Blitz und Donner, von Wolkenbildungen und dergleichen die göttlich-geistigen
Wesen an?
Man beachtet (...) heute viel zu wenig, dass es dem althebräischen
Altertum eigen ist, sich ganz und gar mit der Erde, mit dem, was vom Inneren
der Erde kommt, als zusammenhängend zu betrachten.“ (Fünfter Vortrag vom 13.
Januar 1914, S 174f)
Jahve ist, so sagt Rudolf Steiner in diesem Vortrag, vor allem
eine „Erdengottheit“, auch wenn er sie an anderer Stelle mit dem Mond in
Verbindung bringt. Dann meint er jedoch den Mond als dasjenige Gestirn, das bei
der Schaffung des Spiegelorgans des menschlichen Gehirns maßgeblich beteiligt
war.
„Die exponierteste Religion unter den damaligen Völkern hatten die
alten Juden. Und wie die Menschen heute nicht glauben können, dass man
sozusagen nicht nach oben, sondern nach dem Erdmittelpunkt hinschauen kann,
wenn man von dem Gotte redet, an den man sich zunächst als einen höchsten
wendet, so empfanden dieses Streben nach oben auch die Juden; und sie empfanden
dieses Streben nach oben insbesondere, wenn sie bei allen umliegenden
Völkerschaften sahen: die beten an, was außerhalb der Erde seinen Ursprung hat.
Es war aber gerade der große Unterschied der jüdischen Geheimlehre
gegenüber den außer dieser Geheimlehre Stehenden, dass sie den Menschen
klarmachte: Aus der Erde gehen die Kräfte hervor, selbst bis zum Monde herauf,
an die wir uns zu halten haben, und es ist eine Versuchung, sich an andere
Kräfte zu halten; denn die anderen Kräfte sind konzentriert in dem, was das
Schlangensymbolum ausdrückt.“ (S 176f)
Dieses Schlangensymbolum gilt natürlich auch für die Versuchung im
Paradies. In der Schlange sehen die hellsichtigen Priester Luzifer am Werke.
Vor diesem Verführer warnte Johannes der Täufer, als er den Juden den Ausdruck
„Ihr Otterngezücht“ entgegen schleuderte. Nicht Kinder Abrahams, sondern Kinder
der Schlange seien sie.
Rudolf Steiner geht auch auf die Gegend am Jordan ein, wo dann die
Taufe stattfand:
„In den Gegenden, in denen der Täufer Johannes seine Worte sprach,
waren alte Lehren vorhanden, welche man etwa in der folgenden Weise
charakterisieren kann: Ja, im Beginne der Menschheitsentwickelung haben einmal
aus dem Jahve-Ursprung heraus der Mensch und die höheren Tiere den Luftatem
bekommen; aber durch die Tat des Luzifer ist der Luftatem schlecht geworden.
Nur diejenigen Tiere sind gut geblieben, sind sozusagen im Stadium der
ursprünglichen Entwicklung geblieben, die nicht den Luftatem haben: die Fische.
– Da mochten denn manche hingekommen sein nach dem Jordan – wie es in manchen
Gegenden die Juden heute noch tun – und zu einer gewissen Zeit des Jahres sich
an das Gewässer hingestellt und ihre Kleider geschüttelt haben, weil sie
glaubten, dadurch ihre Sünden den unschuldigen Fischen hinzuwerfen, die sie
dann weiter zu tragen hätten.“ (S 179)
Seit der Jordantaufe leben in der menschlichen Seele “Inhalte, die
von außerirdischen Regionen kommen, die nicht bloß vererbt sind. Alles, was man
vorher hat wissen können: es ist bloß vererbt, es ist mit den physischen
Verhältnissen von Generation zu Generation übergegangen. Und der Letzte, der es
noch dazu gebracht hatte, höhere Fähigkeiten zu erwerben auf Grundlage dessen,
was man vererben kann, das ist Johannes der Täufer. ‚Einer der größten von
denjenigen, die vom Weibe geboren sind‘, so sagt der Christus Jesus von ihm.“
(S 184)
Nun zitiert Rudolf Steiner eine lange Passage aus dem 1607
erschienenen Buche „Harmonices Mundi“ von Johannes Kepler aus dem siebten
Kapitel des vierten Buches. Er nennt diese Passage einen „durchchristeten
Aufblick nach oben“. In Keplers Worten, die ich hier nicht zitieren kann, „klingt
schon herauf, was neuerdings das Aufschauen zu den Sternen wiederum werden
soll: es ist das neue Lesen in der Sternenschrift, wie wir es in unserer
geisteswissenschaftlichen Weltanschauung versuchen.“ (Rudolf Steiner, S 188).
Was Rudolf Steiner zuerst vom 1. Oktober bis zum 6. Oktober 1913 in
fünf Vorträgen in Oslo (damals Kristiania genannt) als „Das fünfte Evangelium“ verkündete,
ist aus der „Sternenschrift“ heruntergeholte Weisheit.
Marie Steiner hat die fünf Osloer Vorträge kurz vor ihrem Tod in
Druck gegeben, so dass sie im Jahre 1948 unter dem Titel „Aus der
Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium“ in Dornach erscheinen konnten. Diese
Vorträge sind gewiss nur von einem kleinen Kreis von Menschen gelesen worden. Erst
1963 wurden dann die übrigen Vorträge zum Fünften Evangelium zusammen mit den
Osloer Mitteilungen in der Gesamtausgabe veröffentlicht. Damit waren 50 Jahre seit
1913 vergangen, in denen ein größerer Teil der Menschheit reif geworden war,
diese Geheimnisse zu erfahren, die das Verständnis des Christentums und des
sogenannten „Mysteriums von Golgatha“ ungeheuer vertiefen können.
[1]
Ich denke, hier handelt es sich um den in der Genesis beschriebenen
„Sündenfall“, als die Schlange Luzifer die beiden ersten Menschen überredete,
vom Baum der Erkenntnis zu essen.
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