Obwohl ich es mir lange überlegt habe, entschloss ich mich
doch heute Nachmittag, meinen Text unter dem Titel „Mysterienluft“ auf
meinem Weblog zu veröffentlichen[1],
um ein Zeichen zu setzen und eine Art Gegenbild zu den weltlichen Ereignissen
zu geben, denen wir seit vergangenem Donnerstag ausgesetzt sind.
Wer tut es denn sonst!?
Mich drängt es aber nun, auch über jenen Film-Essay zu
schreiben, den ich mir in den vergangenen zwei Tagen in der Arte-Mediathek
angeschaut habe. Als die Dokumentation „Ludwig der Heilige im Lichte der Sainte-Chapelle“ am Sonntagnachmittag gesendet wurde, hatte ich sie verpasst. Der Film
von Martin Fraudreau stammt aus dem Jahre 2014. In diesem Jahr waren es genau
800 Jahre her, dass König Ludwig IX. von Frankreich von seiner Mutter Blanca
von Kastillien, der Frau König Ludwigs VIII., in Roissy geboren wurde.[2]
Er wurde 1226 mit zwölf Jahren nach dem unerwartet frühen
Tod seines Vaters in der noch unvollendeten gotischen Kathedrale von Reims mit
dem heiligen Salböl zum König gekrönt. Zunächst führte seine Mutter die
Regierungsgeschäfte, bis er volljährig war. Im Jahre 1237 kaufte Ludwig IX. vom
Kaiser in Konstantinopel, Baudouin II. von Courtenay, der in Geldnöten war, für
den ungeheuren Preis von 135000 Pfund[3]
eine der wertvollsten Reliquien der Christenheit, die Dornenkrone.
Im Jahre 1239 gelangte die Dornenkrone nach Frankreich, wo
sie zuerst vom Bischof von Sens empfangen wurde. Zusammen mit dem Bischof und
seinem Bruder Robert von Artois bringt Ludwig IX. die heilige Reliquie in einer
Prozession von Sens nach Paris in den königlichen Palast auf der Ile de la Cite.
Diese Übertragung ist in einem Fenster der Sainte-Chapelle dargestellt, dem
architektonischen „Schrein“, den der König seit etwa 1241 inmitten seiner
Residenz zur Aufnahme der Reliquie errichten lässt. Die Darstellung erinnert an
den Transport der Bundeslade, die die aus Ägypten geflohenen Hebräer für die
Gesetzestafeln, die sie durch Moses am Sinai erhalten hatten, gebaut haben. Wie
diese wird sie mit Hilfe von zwei Tragbalken von vier Trägern getragen.[4]
Der Pakt, den Jahve mit dem Volk Israel geschlossen hat, dessen Symbol die
Bundeslade ist, soll in der Zeit Ludwigs durch die Krone Christi erneuert
werden. Nun sind seine französischen Untertanen das auserwählte Volk.
Überhaupt sieht sich Ludwig IX. in der Tradition der
israelitischen Könige und will als christlicher König die Tradition erneuern. In
den 24 Buntglasfenstern entfalten sich die Geschichten der Bibel, angefangen
mit der Schöpfungsgeschichte und endend mit Ludwig IX. als Ziel der
Heilsgeschichte.
An einem Fenster der Nordseite der Heiligen Kapelle sind
alle Könige Israels dargestellt. An den Säulen aber stehen die zwölf Apostel
als edelsteingeschmückte, farbige Skulpturen mit edlen Gesichtern, ähnlich wie
die zwölf Stifterfiguren im Dom von Naumburg, der etwa gleichzeitig entstand.
Im Chor der Sainte-Chapelle, in dem auf einem Altar und in
einem kostbaren Schrein, der seit der Französischen Revolution verschollen ist,
die Dornenkrone aufbewahrt wurde, war zentral die Passion Christi dargestellt,
flankiert von Darstellungen Johannes des Täufers (rechts) und Johannes des
Evangelisten (links).
Die Kunsthistoriker vermuten, dass das Programm der
Glasfenster von Ludwig IX. selbst entworfen wurde. Auch seine Mutter Blanca von
Kastilien, deren Wappen überall zu finden ist, könnte mitgeholfen haben. Sicher
haben auch die Dominikaner von Paris den König beraten, vermutlich auch
Albertus Magnus, der damals an der Pariser Universität lehrte.
Blanca hatte schon vor der Errichtung der Kapelle kostbare
Handschriften herstellen lassen, die reich mit vergoldeten Miniaturen illustriert
waren und die biblischen Geschichten als „bible moralise“ erzählten. Dort
kommen nicht nur zwölf Stämme Israels, sondern zwanzig vor. Ludwig erklärt
sich, so sagt ein Kommentator im Film, „zum neuen David, zum neuen Salomon, zum
neuen Moses, zum neuen Aron und zum neuen Josua“. Ludwig IX. sieht sich
zugleich als König und als Priester.
Nach Ludwigs Tod am 25. August 1270 in Karthago wurde sein Leichnam – wie damals
üblich – zerteilt. Das
Herz und das Haupt ließ sein Enkel Philipp der Schöne nach der Heiligsprechung seines
Großvaters 1297 von Saint Denis in die Sainte-Chapelle bringen, den Schädel direkt
unter die Dornenkrone und das Herz unter den Schädel. Im Jahre 1843 fand man das Herz bei Ausgrabungen im Zusammenhang
mit der Restaurierung der Kapelle im Boden der Apsis.
Saint Louis und Jeanne d’Arc sind bis heute die beiden
Nationalheiligen des katholischen Frankreichs und als solche auf dem West-Giebel
von Sacre-Coeur dargestellt.
Eine spirituelle Dimension dieser ganzen Geschichte gibt
es auch. Die Heilige Kapelle wurde im Jahre 1248 fertiggestellt, etwa
gleichzeitig mit dem Naumburger Dom. Vieles deutet darauf hin, dass es dieselben
Steinmetzen und derselbe Baumeister war, die an beiden Kirchen gearbeitet
haben. Um diese Zeit fand laut Rudolf Steiner an einem unbekannten Ort die
Einweihung eines Jünglings statt, der später als Christian Rosenkreuz
wiedergeboren wurde. In diesem Jüngling wirken in geheimnisvoller Weise die
beiden Johannes zusammen, der Täufer und der Evangelist, der in Wirklichkeit
Lazarus, der Bruder der Maria Magdalena war. Ich habe über diese Zusammenhänge
früher ausführlich geschrieben, kann aber den Text, den ich auch einmal auf
meinem Weblog veröffentlicht hatte, nicht mehr finden.
Bei einem Besuch auf der Burg Neuenburg über der Unstrut,
die Andrea bei einer Radtour im Jahre 2010 „entdeckt“ hatte, kamen wir im
Zusammenhang mit der Ausstellung über den „Naumburger Meister“ 2011 auch in die dortige Palastkapelle. Sie ist wie
die Sainte-Chapelle zweigeschossig und atmet den Geist der Heiligen Elisabeth,
die für Deutschland eine ähnliche Bedeutung hat wie der Heilige Ludwig für Frankreich. Sie
wurde erbaut von den Thüringer Landgrafen, die einst den Sängerstreit auf der
Wartburg durchführten, auf dem Wolfram von Eschenbach gegen den Zauberer
Klingsor antreten musste. Die Wartburg stand im Westen, die Neuenburg im Osten
des Territoriums der Landgrafen.
Für mich steht seit jenem Besuch mehr oder weniger klar
fest, dass sowohl die Sainte-Chapelle, als auch der Dom von Naumburg Reflexe
jener Einweihung des Dreizehnten durch zwölf Meister, wie sie Rudolf Steiner in
seinen Vortrag vom 27. September 1911 (GA 130) im Schweizer Neufchatel (zu
Deutsch: „Neuenburg“) schildert, sind. Aber nicht in Paris und auch nicht in
Naumburg fand diese statt, sondern in der Oberkapelle der Burg Neuenburg, oberhalb
von Freyburg an der Unstrut.
[2]
1214, im Jahr seiner Geburt, besiegte sein Großvater, Philipp-Auguste, in der
Schlacht von Bouvines die Engländer unter Heinrich III. Plantagenet, die
Anspruch auf den französischen Thron hatten. Die Engländer wurden unterstützt
vom deutschen Kaiser Otto IV. aus der Dynastie der Welfen.
[3]
Die Summe entspricht der Hälfte der jährlichen Einnahmen der französischen
Krone
[4]
Louis Charpentier behauptet in seinem Buch „Les Mysteres de la Cathedrale de
Chartres“, 1966, dass diese Bundeslade von dem Templerorden unter den Ruinen
des Salomonischen Tempels in Jerusalem gefunden und nach Frankreich gebracht
worden sei, wie es auf einer Skulptur am Nordportal der Kathedrale von
Chartres dargestellt ist. In dieser Lade sollen die Bauhütten-Geheimnisse zur Errichtung
der gotischen Kathedralen verborgen gewesen sein, die „tables de la loi“.
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