Sonntag, 9. April 2017

Maria Magdalena

Ich war wieder in der Kirche. Heute hat Pfarrerin Brehmer über Markus 14, 3 -9 („Salbung in Bethanien“) gepredigt. In dem Bibeltext wird von einer Frau erzählt, die ins Haus von Simon, dem Aussätzigen tritt, und Jesus, der dort mit „etlichen“ „zu Tische“ saß, mit einem „unverfälschten und köstlichen Nardenöl“ salbt. Als das die Umsitzenden sehen, murren sie und meinen, man hätte das teure Öl für 300 Silbergroschen verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus sagt: „(…)Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.“ (Mark.14, 8 + 9).
Diese Szene spielt zwei Tage vor dem Passah-Fest, also erst am Kar-Mittwoch. Bei Lukas 7, 36 - 50 wird eine ähnliche Szene geschildert, wo eine Frau, „die war eine Sünderin“, an Jesus, der dieses Mal mit seinen Jüngern bei Simon, dem Pharisäer, zu Tische sitzt, herantritt, seine Füße mit Tränen benetzt, sie dann mit den Haaren ihres Hauptes trocknet und küsst und sie schließlich mit Salbe salbt. Das war kurz nach der Auferweckung des Jünglings von Nain in der Stadt Kapernaum und noch vor der Speisung der Fünftausend, also lange vor Christi Passion. Im darauffolgenden 8. Kapitel nennt Lukas eine der Nachfolgerinnen Jesu, „von welcher waren sieben Geister ausgefahren“, mit Namen: „Maria, die da Magdalena heißt.“ (Luk. 8, 2)
Bei Johannes im 11. Kapitel steht die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus. Dieser „Mysterienverrat“ (Rudolf Steiner, „Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums“, 1901) war der wahre Grund für Jesu Verurteilung und Kreuzigung (Joh. 11, 53). Bei Johannes 11,1 heißt es, dass Lazarus der Bruder von Martha und Maria sei und es wird ausdrücklich gesagt, dass Maria jene Frau gewesen sei, „die den Herrn gesalbt hat mit Salbe und seine Füße getrocknet hat mit ihrem Haar“ (Joh. 11,2).
Auch dieses Geschehen spielte in Bethanien, wenige Kilometer außerhalb Jerusalems. In diesem Vorort muss es also mindestens drei Familien gegeben haben, bei denen Jesus eingekehrt ist: Die Familie von Simon des Pharisäers (Lukas 7), die Familie von Simon dem Aussätzigen (Markus 14) und die Familie der drei Geschwister Lazarus, Martha und Maria Magdalena (Johannes 11).
Lange vor der Geschichte der Salbung Christi durch die rätselhafte, unbekannte Frau erzählt Markus im 11. Kapitel die Ereignisse des Palmsonntags mit dem Einzug Christi in Jerusalem auf dem Eselsfüllen. Vor und nach dem Einzug in Jerusalem weilten Jesus und seine Jünger in Bethanien, wie in allen Evangelien übereinstimmend berichtet wird.
Der Palmsonntag ist der Beginn der Kar-Woche. Sie wird auch die stille Woche genannt. Jeder Tag ist, wie Emil Bock in seinen Schilderungen dieser Woche in „Die drei Jahre“ ausführt, von einer anderen Stimmung geprägt, die jeweils mit der entsprechenden Planetenqualität zusammenhängt. Die Palmzweige, die die Menschen in Jerusalem auf den Weg werfen, symbolisieren die Sonnenkraft des Sonntags, das „unverfälschte, köstliche Öl“, durch das der „Heiland“ gesalbt wird, den Gott der Heilkunst, Merkur, der dem Mittwoch seinen Namen geliehen hat.
Die unbekannte Frau aus Markus 14, welche die Tradition seit der „Legenda Aurea“ (13. Jahrhundert) ebenfalls mit Maria Magdalena identifiziert, wusste, so meint Pfarrerin Brehmer, dass Jesus von Nazareth der „Messias“ ist. Das hebräische Wort bedeutet genau wie das griechische Pendant „Christos“: der „Gesalbte“. Bei Markus wird am Kar-Mittwoch aber kein König gesalbt. Der wäre auch nicht auf einem Eselsfüllen in Jerusalem eingeritten, sondern auf einem Schimmel. Auf diesen "echten" König warten die Juden bis heute.
Die Unbekannte hat Jesus von Nazareth, wie dieser selbst sagt, im Voraus zum Begräbnis gesalbt. Pfarrerin Brehmer führt aus, dass am Kar-Freitagabend keine Zeit mehr zur üblichen Totenwaschung und Salbung gewesen sei, weil die Juden die Sabbat-Ruhe einhalten mussten. Das sollte dann nach dem Sabbat am Sonntag, dem ersten Tag der Woche nachgeholt werden. Deswegen waren die Frauen, darunter auch Maria Magdalena, schon vor Sonnenaufgang unterwegs zum Grab, um den Leichnam ihres Herrn und Meisters im Nachhinein zu waschen und zu salben. Aber der Leichnam war verschwunden.
Das angekündigte Mysterium der Auferstehung hatte sich während des Sabbats ereignet.
Der Sabbat galt bei den Juden als siebter Tag der Woche, an dem Gott nach den sechs „Schöpfungstagen“ der Genesis „ruhte“. Deswegen sollen die gläubigen Juden an diesem Tag ebenfalls ruhen, was sie bis heute in der Regel tun. Jesus Christus „ruhte“ an diesem Tag, der vom Sonnenuntergang des Freitagabends bis zum Sonnenaufgang am Sonntagmorgen dauerte, äußerlich gesehen, im Grab.
In Wirklichkeit vollbrachte er aber jenes Mysterium, an das die Christen glauben, die Juden aber nicht. Hier scheiden sich die Geister seit 2000 Jahren, was unendliches Leid über Juden und Christen gebracht hat. Die Russen, die unter dem Bolschewismus einer christenfeindlichen Clique ihrer heiligen, christlichen Tradition beraubt werden sollten, mussten für ihren Glauben einen hohen Blutzoll bringen. Dennoch nennen sie bis heute den Sonntag „Waschkresenje“, was so viel wie „Auferstehungstag“ bedeutet.
Als Wochenlied wurde heute das Lied „Du großer Schmerzensmann“ von Adam Thebesius aus seinem Todesjahr 1652 gesungen. Es ist das einzige Lied dieses schlesischen Pfarrers, das ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen wurde (Nr. 87). Thebesius wurde am 6. Dezember 1596 in Seifersdorf bei Liegnitz geboren, also in der Nähe der Stadt, bei der heute vor 776 Jahren (am 9. April 1241) die Mongolen des Dschingis Khan in einer Schlacht den Herzog Heinrich II. von Schlesien töteten und ganz Europa mit einer Invasion bedrohten, plötzlich aber wieder abzogen.
Interessant ist, dass dieses Lied an keiner Stelle die Juden, die zuerst „Hosianna“ gerufen und ein paar Tage später „Kreuzige“ geschrien hatten, für den Tod Jesu verantwortlich macht, wie es von dieser Seite gern behauptet wird. Thebesius spricht durchweg nur – in guter christlicher Tradition – von „unserer Sünd‘ und Missetat“.[1]
Die Unbekannte vom Kar-Mittwoch, die den "Christus" als solchen ("Gesalbten") kennzeichnete, indem sie ihn mit einem Öl salbte, das zehnmal mehr wert war, als die 30 Silberlinge, die Judas für seinen Verrat erhielt, ist – wie gesagt – niemand anderes als die „Apostolin Apostolorum“ Maria Magdalena, die am Ostersonntag dem Auferstandenen als erster Mensch im Garten Gethsemane begegnet ist und ihn zuerst für den Gärtner hielt. Als sie dann jedoch seine Wundmale erblickte, wusste sie, dass es sich um ihren Herrn, der gekreuzigt worden war, handelt. Anders als der Apostel Thomas musste sie diese nicht berühren um zu glauben.
Die Oster-Szene des „Noli me tangere“ wurde seit dem 13. Jahrhundert oft in der christlichen bildenden Kunst dargestellt, ja sie ist eigentlich das Auferstehungsbild schlechthin, viel intimer als jene gewaltige Auferstehungsszenerie, die kein Mensch wirklich äußerlich sehen konnte, nicht einmal die schlafenden Wächter. Mathias Grünewald hat diese in seiner berühmten Darstellung auf dem Isenheimer Altar rein aus der Imagination heraus geschaffen.


Es war an einem Ostersonntag, an dem Maria Magdalena der Legende nach in der südfranzösischen Stadt Aix-en-Provence gestorben ist. Sechs Engel sollen die Frau, die als fromme Eremitin im Sainte-Baume-Gebirge ihre letzten Jahre verbrachte und der dabei ein dichtes Haarkleid gewachsen war, in den Himmel getragen haben.

Diese Szene sowie die Szene von der Begegnung mit dem Gärtner wurden in der Mitte des 13. Jahrhunderts an zwei Wänden der Magdalenen-Kapelle im ersten Geschoss des romanischen Turms der Schwäbisch Haller Michaelskirche dargestellt. Es sind also zwei Osterbilder.

Diese Kapelle ist einer meiner drei bisherigen Lieblingsplätze der Stadt, in der ich nun schon seit vier Monaten bei meiner russischen Freundin lebe, die am Tag der Heiligen (22. Juli) geboren wurde und deswegen ihren Namen bekam.


[1] „Ach das hat unsre Sünd / und Missetat verschuldet, / was du an unsrer Statt, / was du für uns erduldet. / Ach unsre Sünde bringt / dich an das Kreuz hinan;/o unbeflecktes Lamm,/ was hast du sonst getan?“

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