Hans-Joachim
Kunath hat erst vor kurzem seinen 66. Geburtstag gefeiert, nämlich am 15.
Januar 2019. Fünf Tage später war er tot.
Die
Bestattungsfeier in Weckelweiler mit all den Betreuten und mit seinen drei
Töchtern, ihren Männern und mit seiner letzten Lebensgefährtin, Frau Harsch,
war sehr berührend. Ich habe zum ersten Mal eine Totenfeier der
Christengemeinschaft erlebt.
Frau
Kristalli war als Priesterin in Weiß mit schwarzer Stola, genauso die beiden
Ministranten an ihrer Seite, Frank-Peter H. und seine Frau Elke. Der einfache Fichtenholz-Sarg
stand aufgebahrt vor den Stufen zum Altar in der Mitte der Kapelle, dort, wo in
klassischen Kirchenräumen die Vierung ist. Am Altar brannten keine Kerzen. Die
Priesterin und die Ministranten standen so vor dem Sarg, dass ihr Blick zum
Sarg und zum Altar gerichtet war. Frau Kristalli hatte einen Weihwasserwedel
aus Silber in der Hand und hielt es wie ein Zepter. Damit bespritzte sie den
Sarg neunmal, dreimal von Westen, dreimal von Norden und dreimal von Süden.
Nach
der Zeremonie ging sie zur Kanzel und hielt den „Nachruf“. Ich habe nie einen
einfühlsameren, poetischeren Nachruf auf einen Verstorbenen gehört. Sie sprach
ungewöhnlich lang und frei und man spürte, dass sie sich mit der Biographie
von Hans-Joachim Kunath innerlich verbunden hat.
Ich
erfuhr viele wesentliche Details aus dem Leben des Mannes, den ich erst vor
etwa einem halben Jahr auf der Baustelle unserer neuen Kirche kennengelernt
hatte. Herr Kunath ist in einem Ort in der Nähe von Heidenheim geboren, der den
schönen Namen „Himmelstür“ trägt. Die Kindheit und Jugend war wohl schwierig.
Sein Berufswunsch war Schreiner. Mit 15 Jahren begann er eine Lehre, wurde
Geselle und entschloss sich, die Meisterausbildung zu machen, die er mit 27
Jahren abschloss. Damals heiratete der schöne, stattliche Mann seine Frau, mit
der er drei Töchter hatte. Mit 35 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit
und eröffnete seine eigene Schreinerwerkstatt. Die Ehe geriet in eine Krise,
hielt jedoch nach der Geburt der dritten Tochter noch mehrere Jahre. Mit 54 ging sie endgültig in die Brüche und Herr Kunath verlor auch wenig später seinen Betrieb. Er
lernte Frau Harsch und durch sie die Anthroposophie und Weckelweiler kennen, wo
er bald eine neue Arbeitsstelle fand. Fast alle Betreuten und Betreuer kannten
ihn, weil er für die Türen und Schließanlagen der Häuser der Gemeinschaft
zuständig war. Er litt jedoch schon seit längerem an einer Lungenfibrose. Nach
der Kur, die er in Berchtesgaden machen durfte, kam er frisch und gesund
zurück, bekam dann jedoch eine Lungenentzündung und starb am 20. Januar gegen
8.00 Uhr.
Herr
Vogel, der Pianist von Weckelweiler, den Lena und ich im Sommer im Heidehofcafe
in Stuttgart getroffen hatten, spielte auch an dieser Feier Klavier und
dirigierte den Chor aus Betreuern und Betreuten. Herr Kunath hatte sich die Ode
„An die Freude“ als Gesang gewünscht.
Zum
Schluss verabschiedete sich jeder von dem Verstorbenen, indem er eine Blume auf
dem Sarg niederlegte und ein Teelicht entzündete und auf die Stufen zum Altar
stellte.
Das
ganze Geschehen dauerte von 13.30 bis 14.30 Uhr.
Ich
habe bis 9.00 Uhr geschlafen.
Lena
hat mich per Telefon geweckt und dann haben wir zusammen gefrühstückt. Dabei
ergriff mich solch eine Trauer, dass ich am liebsten weinen wollte. Das habe
ich dann auch ein bisschen getan.
Ich
zeigte Lena das kleine Foto von Herrn Kunath, das ich gestern im Vorraum der
Kapelle, wo das Kondolenzbuch auslag, mitgenommen hatte. Obwohl ich diesen Mann
erst seit einem halben Jahr kenne, hat mich sein Tod doch sehr berührt! Auch
während des Gottesdienstes sind mir mehrmals die Tränen gekommen.
Ich
sagte zu Lena, dass ich Herrn Kunath als Handwerker bewundert habe und sprach
von seiner „gezügelten Energie“. Bei mir fließt die Energie oft unkontrolliert aus,
beziehungsweise wird, wenn ich nicht aufpasse, „zerstörerisch“, wenn mir zum
Beispiel ein Glas zu Boden fällt oder ich mich beim Gemüseschneiden selber verletze.
Ich habe dann zu viel „überschüssige“ Energie. Diesen Rest an Energie konnte
Hans-Joachim Kunath so wunderbar bei sich behalten und in sinnvolles Arbeiten
verwandeln. Er strahlte dadurch immer Sicherheit aus.
Wenn
ich jemanden nennen sollte, der nahezu „perfekt“
war, dann wäre er es. Er hat sein Leben mit einer wunderbaren Tat vollendet: er
hat der Gemeinde von Schwäbisch Hall eine wunderschöne Kirche bereitet. Ohne
seine Anleitung hätten die Gemeindeglieder, die als Laien geholfen haben, nicht
so viel geschafft, wie wir in den wenigen Wochen vor und nach den Sommerferien
geschafft haben.
Ich bin
so dankbar, dass ich drei- oder viermal mithelfen durfte und den „Meister“
dadurch kennenlernen durfte. Erst im gemeinsamen Arbeiten verbindet man sich
tief mit dem Mitmenschen. Ein Gespräch ist wunderbar. Aber noch wunderbarer ist
gemeinsames Tun.
Geschämt
habe ich mich heimlich, als ich merkte, dass ich außer der ersten die weiteren
Strophen von Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ nicht auswendig wusste. Als
Deutschlehrer! Ich schäme mich noch immer. Dabei habe ich das Gedicht schon mit
meinen Schülern rezitiert.
Freude, schöner
Götterfunken,
Tochter aus
Elysium,
Wir betreten
feuertrunken,
Himmlische, dein
Heiligtum.
Deine Zauber binden
wieder,
Was die Mode streng
geteilt,
Alle Menschen
werden Brüder,
Wo dein sanfter
Flügel weilt.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
Muss ein lieber Vater wohnen.
Wem der große Wurf
gelungen,
Eines Freundes
Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib
errungen,
Mische seinen Jubel
ein!
Ja, wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem
Erdenrund!
Und wer’s nie
gekonnt, der stehle
Weinend sich aus
diesem Bund.
Was den großen Ring bewohnet,
Huldige der Sympathie!
Zu den Sternen leitet sei,
Wo der Unbekannte thronet.
Freude trinken alle
Wesen
An den Brüsten der
Natur;
Alle Guten, alle
Bösen
Folgen ihrer
Rosenspur.
Küsse gab sie uns
und Reben,
einen Freund,
geprüft im Tod;
Wollust ward dem
Wurm gegeben,
Und der Cherub
steht vor Gott.
Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest Du den Schöpfer, Welt?
Such ihn überm Sternenzelt,
Über Sternen muss er wohnen.
Freude heißt die
starke Feder
In der ewigen
Natur.
Freude, Freude
treibt die Räder
In der großen
Weltenuhr.
Blumen lockt sie
aus den Keimen,
Sonnen aus dem
Firmament,
Sphären rollt sie
in den Räumen,
Die des Sehers Rohr
nicht kennt.
Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächtgen Plan,
Wandelt, Brüder, eure Bahn,
Freudig wie ein Held zum Siegen.
Aus der Wahrheit
Feuerspiegel
Lächelt sie den
Forscher an;
Zu der Tugend
steilem Hügel
Leitet sie des
Dulders Bahn.
Auf des Glaubens
Sonnenberge
Sieht man ihre
Fahnen wehn,
Durch den Riss
gesprengter Särge
Sie im Chor der
Engel stehn.
Duldet mutig, Millionen!
Duldet für die bessre Welt!
Droben überm Sternenzelt
Wird ein großer Gott belohnen -
-
Festen Mut in
schweren Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld
weint,
Ewigkeit
geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen
Freund und Feind,
Männerstolz vor
Königsthronen –
Brüder, gält es Gut
und Blut:
Dem Verdienste
seine Kronen,
Untergang der
Lügenbrut!
Schließt den heilgen Zirkel
dichter,
Schwört bei diesem goldnen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein,
Schwört es bei dem
Sternenrichter!
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