Montag, 7. Oktober 2019

Der Schachzug des Robert Zoellick (Die spirituellen Hintergründe des Mauerfalls, Teil 2)



Zoellick, Robert (official portrait 2008).jpg

Gestern (06.10.2019) sah ich unmittelbar im Anschluss an die Ausstrahlung von Florian Henckel von Donersmarcks Meisterwerk „Das Leben der anderen“ (Deutschland 2006) auf Arte eine Dokumentation, die mir die Augen weit öffnete und den größten Teil meiner bösen Ahnungen bestätigte, wie Michael Gorbatschows humanitärer Impuls von 1989 von den westlichen Siegermächten – allen voran Großbritannien und Amerika – pervertiert wurde:
„Der schwierige Weg zur Deutschen Einheit - Das Ringen um die Zwei-Plus- Vier Verhandlungen“ von Ulrich Stein und Gerhard Spörl (Deutschland 1919)


Leider spielte der deutsche Kanzler darin eine eher traurige Rolle. Das aller erbärmlichste war jedoch, wie die Westdeutschen die ostdeutschen Verhandlungspartner behandelten: als Menschen zweiter Klasse. Wenn ich das heute sehe, dann wundert mich nicht mehr, wenn sich viele Ostdeutsche in Ermangelung der richtigen Alternative heute rechten Ideologien zuwenden.

Die Sendung über den „schwierigen Weg zur Wiedervereinigung“, diese „Geschichtsstunde“ kann ich eigentlich nur weiterempfehlen und ich habe es auch auf Facebook getan.
„Die weltpolitischen Entscheidungen von damals haben Auswirkungen bis heute!“, so heißt es richtig zu Beginn der Dokumentation. Sie haben Deutschland die Einheit geschenkt, aber nicht der Welt. Mit welchem Preis die deutsche Einheit erkauft worden ist, das schlüsselt der Film detailliert auf.

Die Sowjetunion, vertreten durch den damaligen Außenminister Schewardnadse, forderte im März 1990 die militärische und politische Neutralität Deutschlands, wie es bereits Stalin in seiner Note vom März 1952 als Gegenleistung für eine vorgeschlagene deutsche Wiedervereinigung gefordert hatte.
Bertrand Dufourcq, der französische Delegationsleiter, sagt in der Dokumentation, also 30 Jahre später: „Frankreich hätte die Neutralität Deutschlands niemals akzeptiert. Das war von Anfang an völlig ausgeschlossen!“
Das entsprach genau der „Marschroute“ der USA unter Außenminister James Baker und seinem Berater Robert Zoellick, dem deutschstämmigen Mitglied des „Council of Foreign Relations“. Dieser spätere Goldman Sachs Berater[1] schien mir in Wirklichkeit die Strippen in der US-Delegation zu ziehen. Natürlich war die damals noch existierende DDR von einer Nato-Mitgliedschaft Deutschlands nie begeistert. Sie sah die Sowjetunion nicht als Feind, sondern als „größeren Bruder“.
Thilo Steinbach, der Delegierte der DDR unter dem Außenminister Markus Meckel, sagt: „Die DDR wollte nicht dazu beitragen, dass Gorbatschow innenpolitisch zusätzlich destabilisiert wird.“ In seinen handschriftlichen Notizen zum Entwurf des 2+4-Vertrages steht: „Die Schlüsselfrage ist das Kräftegleichgewicht“. Man muss ergänzen: zwischen Ost und West. Er bestärkt seine Ansicht, wenn er sagt: „Die Russen waren für uns per se nicht der Feind!“ Ihm ist bewusst, dass die friedliche Entwicklung im Osten nach dem Mauerfall nur durch ein „positives Begleiten durch Moskau möglich war“.
Am 14. Mai 1990 schickte Bundeskanzler Helmuth Kohl seinen Sicherheitsberater Horst Teltschick mit zwei deutschen Bankern in geheimer Mission nach Moskau, um den Kreml, der im Sommer 1990 zahlungsunfähig gewesen wäre, mit einem Fünfmilliardenkredit zu stützen; man könnte auch sagen: zu kaufen.
Michael Gorbatschow kommt am 30. Mai 1990 nach Washington. Präsident Bush Senior bietet ihm ein Handelsabkommen an, aber dafür soll er politische Zugeständnisse machen. Zoellick schlug Präsident Bush vor, Präsident Gorbatschow nicht zu sagen, dass Deutschland Teil der Nato sein solle, sondern ihm zu sagen, dass Deutschland selber entscheiden solle, welchem Bündnis es angehören wolle.
Das war die Falle. Hier sehe ich den historischen Moment, der alles weitere bestimmte.
Natürlich hätte Westdeutschland nie selber entscheiden können, dass es neutral bleiben wolle, und die zerfallende DDR erst recht nicht. Selbstverständlich musste auch ein wiedervereinigtes Deutschland die „Marschroute“ einhalten, die Washington vorgab, also die Mitgliedschaft in der Nato.
James Baker erinnert sich in der Dokumentation an die Diskussion im Konferenzraum des Weißen Hauses an jenem Tag Ende Mai 1990: „Wir stellten Gorbatschow die Frage: Glauben Sie, dass jedes Land wählen darf, welchem Sicherheitsbündnis es sich anschließen will, und Gorbatschow antwortete: Ja, natürlich.“
Es gibt ein Protokoll des Gesprächs zwischen Präsident Bush und Michael Gorbatschow. Es hält den entscheidenden Dialog fest:
George Bush: „I am glad you and I seem to agree that nations can choose their own alliances”[2]
Gorbatschow: “So we will put it this way: The U.S. and the USSR are in favour of Germany deciding herself in which alliances they would like to participate after a Two-plus-Four settlement”
Bush: “The United States is unequivocally advocating Germany’s membership in NATO. However, should Germany prefer to make a different choice, we will respect it.”
Gorbatschow: “I agree.”
Robert Zoellick, der George Bush und Michael Gorbatschow bat, diese Zustimmung noch einmal zu wiederholen, stellt im Nachhinein fest: „Das war einer der ungewöhnlichsten diplomatischen Momente, die ich erlebt hatte. Man konnte Gorbatschows Delegation, Schewardnadse und seine Generäle, bei diesem Schachzug förmlich zusammensinken sehen.“
Lothar de Maiziere, der damalige Ministerpräsident der DDR, der von Helmuth Kohl nie wirklich ernst genommen wurde – er sagt, er sei von den Franzosen und den Amerikanern freundlicher behandelt worden als vom deutschen Bundeskanzler – meint zu dem Treffen vom 30./31 Mai 1990: „Das war der entscheidende Durchbruch.“
Ich hatte neulich behauptet[3], dass ich einen inneren Zusammenhang zwischen der Situation von 1989 (dem Mauerfall) und 1429 (Eroberung der Stadt Orleans) sehe. Der 30. Mai 1431 war der Todestag der Jungfrau von Orleans. Ist es nur ein Zufall, dass an einem 30. Mai auch die Würfel für das Ende der Sowjetunion gefallen sind?
Bei diesem Gespräch im Weißen Haus wurde im Grunde Gorbatschows Ende besiegelt. Lothar de Maiziere weiß: Gorbatschow habe „es damals noch nicht gewagt, es zu Hause zu sagen, angesichts des Widerstands, den er dort erwartete.“
Das Wort Robert Zoellicks vom „Schachzug“ verrät die ganze Hinterlist der amerikanischen Delegation, ähnlich wie es beim Prozess der Jeanne d’Arc Versuche gab, das Mädchen hinters Licht zu führen, damit es widerrief.
Gorbatschow hat – auch veranlasst durch die damalige ökonomische Situation der Sowjetunion und durch den Köder des Handelsabkommens – in einer Frage nachgegeben, in der es im Grunde um Sieg oder Niederlage, nicht mehr um ein „Kräftegleichgewicht“ ging. Der Westen hatte mit diesem „Schachzug“ den Osten „matt“ gesetzt. Die beiden Deutschlands spielten in diesem Schachspiel nur die Rolle von Bauern.
Die „Schlüsselfrage“ (Thilo Steinbach) war einseitig – zugunsten des Westens – entschieden worden.
Wladislaw Petrovitch Terechov, der Botschafter der Sowjetunion in Deutschland, der das falsche Spiel heute klar durchschaut, sagt in einem Interview: „Gorbatschow saß im Grunde zwischen zwei Stühlen: er musste den Amerikanern und den westlichen Verbündeten eine Antwort geben und gleichzeitig musste er zu Hause sein Gesicht wahren. Deswegen gab er diese verschwommenen Antworten, die so oder so ausgelegt werden konnten“
Zu den Zwei-plus-vier Verhandlungen trafen sich die Delegationen dreimal. Das zweite Treffen kam am 22. Juni 1990, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im Jahre 1941, in Ostberlin (Schönhausen) zustande. An diesem Tag bauten die Vertreter der vier Siegermächte den sogenannten „Checkpoint Charlie“, der Ost- von Westberlin trennt, ab, „um diese Stadt zusammenzuführen, um dieses Volk zu vereinen und um diesen Kontinent zu heilen (and to heal this Kontinent)“, wie Außenminister Baker in seiner Rede am Ende im Pathos eines von sich selbst überzeugten Amerikaners sagte.
Es ist wieder ein symbolischer Akt an einem symbolischen Tag.
Markus Meckel, der damalige DDR-Außenminister und Gastgeber, sagt heute. „Wir waren in diesen Verhandlungen völlig isoliert.“ Die ostdeutschen Verhandlungsführer bekamen keine Informationen vom Auswärtigen Amt und fühlten sich völlig zur Seite geschoben. Im Gegensatz zum Pathos des Wilson-Bakerschen „Selbstbestimmungsrechts“ sah so die Realität aus: Der noch existierende Staat DDR hatte nichts zu sagen. „Wir liefen einfach nur noch so mit…“
Von wegen: Deutschland solle selbst entscheiden, welche „alliance“ es eingehen wolle.
Dem französischen Delegationsleiter Dufourcq ist das aufgefallen. Er sagt in einem Interview: „Wenn ich ehrlich bin, hat mich oft erstaunt, wie sich einige Mitglieder der westdeutschen Delegation, wenn auch nicht alle, gegenüber ihren ostdeutschen Kollegen verhielten. Sie betrachteten sie tatsächlich als die Besiegten, die Verlierer, die nur das Recht auf Schweigen hatten, die nichts zu sagen hatten, weil sie keinerlei Macht mehr innehatten.“
Hans-Jürgen Misselwitz, der Delegationsleiter der DDR, weiß zu diesem Zeitpunkt noch nichts vom „Durchbruch“ in Washington drei Wochen zuvor. Erst am Tag der Verhandlungen erfuhr er von Robert Zoellick von dem Gespräch zwischen Gorbatschow und Bush Ende Mai 1990



[2] Damit bezieht sich Bush natürlich indirekt auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ von US-Präsident Woodrow Wilson, das schon bei den „Friedensverhandlungen“ von Versailles 70 Jahre zuvor allen Völkern zugestanden worden war, nur Preußen und Österreich-Ungarn nicht.

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