Gestern (06.10.2019) sah ich unmittelbar
im Anschluss an die Ausstrahlung von Florian Henckel von Donersmarcks Meisterwerk „Das
Leben der anderen“ (Deutschland 2006) auf Arte eine Dokumentation, die mir die
Augen weit öffnete und den größten Teil meiner bösen Ahnungen bestätigte, wie
Michael Gorbatschows humanitärer Impuls von 1989 von den westlichen
Siegermächten – allen voran Großbritannien und Amerika – pervertiert wurde:
„Der schwierige Weg zur Deutschen
Einheit - Das Ringen um die Zwei-Plus- Vier Verhandlungen“ von Ulrich Stein und
Gerhard Spörl (Deutschland 1919)
Leider spielte der deutsche
Kanzler darin eine eher traurige Rolle. Das aller erbärmlichste war jedoch, wie
die Westdeutschen die ostdeutschen Verhandlungspartner behandelten: als
Menschen zweiter Klasse. Wenn ich das heute sehe, dann wundert mich nicht mehr,
wenn sich viele Ostdeutsche in Ermangelung der richtigen Alternative heute
rechten Ideologien zuwenden.
Die Sendung über den
„schwierigen Weg zur Wiedervereinigung“, diese „Geschichtsstunde“ kann ich
eigentlich nur weiterempfehlen und ich habe es auch auf Facebook getan.
„Die weltpolitischen
Entscheidungen von damals haben Auswirkungen bis heute!“, so heißt es richtig
zu Beginn der Dokumentation. Sie haben Deutschland die Einheit geschenkt, aber
nicht der Welt. Mit welchem Preis die deutsche Einheit erkauft worden ist, das
schlüsselt der Film detailliert auf.
Die Sowjetunion, vertreten durch
den damaligen Außenminister Schewardnadse, forderte im März 1990 die
militärische und politische Neutralität Deutschlands, wie es bereits Stalin in
seiner Note vom März 1952 als Gegenleistung für eine vorgeschlagene deutsche
Wiedervereinigung gefordert hatte.
Bertrand Dufourcq, der
französische Delegationsleiter, sagt in der Dokumentation, also 30 Jahre
später: „Frankreich hätte die Neutralität Deutschlands niemals akzeptiert. Das
war von Anfang an völlig ausgeschlossen!“
Das entsprach genau der
„Marschroute“ der USA unter Außenminister James Baker und seinem Berater Robert
Zoellick, dem deutschstämmigen Mitglied des „Council of Foreign Relations“.
Dieser spätere Goldman Sachs Berater[1] schien mir in Wirklichkeit
die Strippen in der US-Delegation zu ziehen. Natürlich war die damals noch
existierende DDR von einer Nato-Mitgliedschaft Deutschlands nie begeistert. Sie
sah die Sowjetunion nicht als Feind, sondern als „größeren Bruder“.
Thilo Steinbach, der Delegierte
der DDR unter dem Außenminister Markus Meckel, sagt: „Die DDR wollte nicht dazu
beitragen, dass Gorbatschow innenpolitisch zusätzlich destabilisiert wird.“ In
seinen handschriftlichen Notizen zum Entwurf des 2+4-Vertrages steht: „Die
Schlüsselfrage ist das Kräftegleichgewicht“. Man muss ergänzen: zwischen Ost
und West. Er bestärkt seine Ansicht, wenn er sagt: „Die Russen waren für uns
per se nicht der Feind!“ Ihm ist bewusst, dass die friedliche Entwicklung im
Osten nach dem Mauerfall nur durch ein „positives Begleiten durch Moskau
möglich war“.
Am 14. Mai 1990 schickte
Bundeskanzler Helmuth Kohl seinen Sicherheitsberater Horst Teltschick mit zwei
deutschen Bankern in geheimer Mission nach Moskau, um den Kreml, der im Sommer 1990
zahlungsunfähig gewesen wäre, mit einem Fünfmilliardenkredit zu stützen; man
könnte auch sagen: zu kaufen.
Michael Gorbatschow kommt am 30.
Mai 1990 nach Washington. Präsident Bush Senior bietet ihm ein Handelsabkommen
an, aber dafür soll er politische Zugeständnisse machen. Zoellick schlug
Präsident Bush vor, Präsident Gorbatschow nicht zu sagen, dass Deutschland Teil
der Nato sein solle, sondern ihm zu sagen, dass Deutschland selber entscheiden
solle, welchem Bündnis es angehören wolle.
Das war die Falle. Hier sehe ich
den historischen Moment, der alles weitere bestimmte.
Natürlich hätte Westdeutschland
nie selber entscheiden können, dass es neutral bleiben wolle, und die
zerfallende DDR erst recht nicht. Selbstverständlich musste auch ein
wiedervereinigtes Deutschland die „Marschroute“ einhalten, die Washington
vorgab, also die Mitgliedschaft in der Nato.
James Baker erinnert sich in der
Dokumentation an die Diskussion im Konferenzraum des Weißen Hauses an jenem Tag
Ende Mai 1990: „Wir stellten Gorbatschow die Frage: Glauben Sie, dass jedes
Land wählen darf, welchem Sicherheitsbündnis es sich anschließen will, und Gorbatschow
antwortete: Ja, natürlich.“
Es gibt ein Protokoll des Gesprächs
zwischen Präsident Bush und Michael Gorbatschow. Es hält den entscheidenden Dialog fest:
George Bush: „I am glad you and I seem to agree
that nations can choose their own alliances”[2]
Gorbatschow: “So we will put it this way: The
U.S. and the USSR are in favour of Germany deciding herself in which alliances
they would like to participate after a Two-plus-Four settlement”
Bush: “The United States is unequivocally
advocating Germany’s membership in NATO. However, should Germany prefer to make
a different choice, we will respect it.”
Gorbatschow: “I agree.”
Robert Zoellick, der George Bush und
Michael Gorbatschow bat, diese Zustimmung noch einmal zu wiederholen, stellt im
Nachhinein fest: „Das war einer der ungewöhnlichsten diplomatischen Momente,
die ich erlebt hatte. Man konnte Gorbatschows Delegation, Schewardnadse und
seine Generäle, bei diesem Schachzug förmlich
zusammensinken sehen.“
Lothar de Maiziere, der damalige Ministerpräsident
der DDR, der von Helmuth Kohl nie wirklich ernst genommen wurde – er sagt, er
sei von den Franzosen und den Amerikanern freundlicher behandelt worden als vom
deutschen Bundeskanzler – meint zu dem Treffen vom 30./31 Mai 1990: „Das war
der entscheidende Durchbruch.“
Ich hatte neulich behauptet[3], dass ich einen inneren
Zusammenhang zwischen der Situation von 1989 (dem Mauerfall) und 1429 (Eroberung
der Stadt Orleans) sehe. Der 30. Mai 1431 war der Todestag der Jungfrau von
Orleans. Ist es nur ein Zufall, dass an einem 30. Mai auch die Würfel für das
Ende der Sowjetunion gefallen sind?
Bei diesem Gespräch im Weißen
Haus wurde im Grunde Gorbatschows Ende besiegelt. Lothar de Maiziere weiß: Gorbatschow
habe „es damals noch nicht gewagt, es zu Hause zu sagen, angesichts des Widerstands,
den er dort erwartete.“
Das Wort Robert Zoellicks vom „Schachzug“
verrät die ganze Hinterlist der amerikanischen Delegation, ähnlich wie es beim
Prozess der Jeanne d’Arc Versuche gab, das Mädchen hinters Licht zu führen,
damit es widerrief.
Gorbatschow hat – auch veranlasst
durch die damalige ökonomische Situation der Sowjetunion und durch den Köder
des Handelsabkommens – in einer Frage nachgegeben, in der es im Grunde um Sieg
oder Niederlage, nicht mehr um ein „Kräftegleichgewicht“ ging. Der Westen hatte
mit diesem „Schachzug“ den Osten „matt“ gesetzt. Die beiden Deutschlands
spielten in diesem Schachspiel nur die Rolle von Bauern.
Die „Schlüsselfrage“ (Thilo
Steinbach) war einseitig – zugunsten des Westens – entschieden worden.
Wladislaw Petrovitch Terechov, der
Botschafter der Sowjetunion in Deutschland, der das falsche Spiel heute klar
durchschaut, sagt in einem Interview: „Gorbatschow saß im Grunde zwischen zwei
Stühlen: er musste den Amerikanern und den westlichen Verbündeten eine Antwort
geben und gleichzeitig musste er zu Hause sein Gesicht wahren. Deswegen gab er diese
verschwommenen Antworten, die so oder so ausgelegt werden konnten“
Zu den Zwei-plus-vier
Verhandlungen trafen sich die Delegationen dreimal. Das zweite Treffen kam am
22. Juni 1990, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im
Jahre 1941, in Ostberlin (Schönhausen) zustande. An diesem Tag bauten die Vertreter
der vier Siegermächte den sogenannten „Checkpoint Charlie“, der Ost- von
Westberlin trennt, ab, „um diese Stadt zusammenzuführen, um dieses Volk zu
vereinen und um diesen Kontinent zu heilen (and to heal this Kontinent)“, wie
Außenminister Baker in seiner Rede am Ende im Pathos eines von sich selbst
überzeugten Amerikaners sagte.
Es ist wieder ein symbolischer
Akt an einem symbolischen Tag.
Markus Meckel, der damalige
DDR-Außenminister und Gastgeber, sagt heute. „Wir waren in diesen Verhandlungen
völlig isoliert.“ Die ostdeutschen Verhandlungsführer bekamen keine
Informationen vom Auswärtigen Amt und fühlten sich völlig zur Seite geschoben.
Im Gegensatz zum Pathos des Wilson-Bakerschen „Selbstbestimmungsrechts“ sah so
die Realität aus: Der noch existierende Staat DDR hatte nichts zu sagen. „Wir
liefen einfach nur noch so mit…“
Von wegen: Deutschland solle
selbst entscheiden, welche „alliance“ es eingehen wolle.
Dem französischen
Delegationsleiter Dufourcq ist das aufgefallen. Er sagt in einem Interview: „Wenn
ich ehrlich bin, hat mich oft erstaunt, wie sich einige Mitglieder der westdeutschen
Delegation, wenn auch nicht alle, gegenüber ihren ostdeutschen Kollegen
verhielten. Sie betrachteten sie tatsächlich als die Besiegten, die Verlierer,
die nur das Recht auf Schweigen hatten, die nichts zu sagen hatten, weil sie
keinerlei Macht mehr innehatten.“
Hans-Jürgen
Misselwitz, der Delegationsleiter der DDR, weiß zu diesem Zeitpunkt noch nichts
vom „Durchbruch“ in Washington drei Wochen zuvor. Erst am Tag der Verhandlungen
erfuhr er von Robert Zoellick von dem Gespräch zwischen Gorbatschow und Bush
Ende Mai 1990
[2]
Damit bezieht sich Bush natürlich indirekt auf das „Selbstbestimmungsrecht der
Völker“ von US-Präsident Woodrow Wilson, das schon bei den „Friedensverhandlungen“
von Versailles 70 Jahre zuvor allen Völkern zugestanden worden war, nur Preußen
und Österreich-Ungarn nicht.
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