Mittwoch, 12. Dezember 2018

"Die Ätherisation des Blutes" - zum Basler Vortrag (1. Oktober 1911) von Rudolf Steiner


Im Vortrag vom 27. September 1911, durch den es Rudolf Steiner „zum ersten Male (…) möglich ist (,) genauer über Christian Rosenkreutz zu sprechen“ berichtet der Geistesforscher von zwei wesentlichen Inkarnationen dieser Individualität. Die erste war im 13. Jahrhundert, als ein Kollegium von zwölf Eingeweihten, die das okkulte Wissen der atlantischen Zeit (die sieben Rishis), der vier nachatlantischen Kulturepochen und das modernste Wissen der Scholastik, aus dem die fünfte Kulturepoche erwuchs, repräsentierten, zusammenkamen, um das „sehr schwächliche Kind (…) an einem Orte in Europa, von dem noch nicht gesprochen werden darf“ zu erziehen und schließlich in einer Art „Einweihung“ mit all ihrem Wissen zu „begaben“.
Einen Abglanz dieser „hochgeistigen Loge“, des „Kollegiums von zwölf Männern“  sehe ich in den zwölf Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Domes, die um das Jahr 1250 vom Naumburger Meister geschaffen wurden, wie ich 2011 ausführlich beschrieben habe.
Die nächste Inkarnation fand „ungefähr in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts“ statt, also im Jahr 1350. Rudolf Steiner führt aus:
„In dieser Inkarnation lebte diese Individualität mehr als hundert Jahre. Er wurde auf ähnliche Weise im Kreise der Schüler und Nachfolger der Zwölf erzogen, aber nicht so weltfremd wie in seiner vorhergehenden Inkarnation.“
Das Wort „weltfremd“ hat erst neulich durch das eindrucksvolle Lied „Testament“ von Andrea Lesch einen ganz eigenen Klang in meinem Bewusstsein erhalten.
„Als er achtundzwanzig Jahre alt war, bekam er ein merkwürdiges Ideal. Er musste reisen und aus Europa fortziehen. Zuerst ging er nach Damaskus, und dort wiederholte sich noch einmal für ihn das Ereignis, das Paulus dort erlebt hatte. Dieses Erlebnis ist als die Frucht eines Keimes der vorigen Inkarnation zu bezeichnen.“
Nach den Zeiten, die Rudolf Steiner angibt und die für mich maßgeblich sind, ist Christian Rosenkreutz im Jahre 1378 28 Jahre alt geworden, wenn man von seiner Geburt im Jahre 1350 ausgeht. Im Jahre 1378 ist Karl IV. gestorben, der letzte Eingeweihte auf dem Kaiserthron, wie Rudolf Steiner an anderer Stelle feststellt.
Nun ist durch Zufall am Samstag, den 8. Dezember ein Buch in meine Hände geraten, das ausgerechnet diesem Kaiser und seinem Sakralbau, der Burg Karlstein etwa 30 Kilometer westlich von Prag, gewidmet ist: der im Jahre 1971 im Verlag Urachhaus erschienene Bildband „Karlstein“ von Michael Eschborn, den ich seit Sonntag lese und studiere.
In der Burg gibt es drei Kapellen, die so aufeinander bezogen sind, dass man sie geradezu als „Einweihungsweg“ sehen kann: die auch räumlich unterste ist die Nikolauskapelle, die nächsthöhere die Marienkapelle und die höchste im dritten Stock des Bergfrieds die Heilig-Kreuz-Kapelle.
Die Nikolauskapelle entspricht dem „Astralplan“, an den wir mit unseren intellektuellen Vorstellungen und Erinnerungen anknüpfen.
Nikolaus von Myra ist der Patron der Seefahrer, die sich auf hoher See orientieren müssen, und wird in kunsthistorischen Darstellungen meist als Bischof, der ein Buch mit drei goldenen Kugeln in der Hand hält, gezeigt. Das Buch bringt der Heilige Nikolaus am 6. Dezember auch mit, wenn er zusammen mit Knecht Ruprecht von Haus zu Haus zieht und den Kindern, die „fromm“ waren, Geschenke bringt. Zuerst schaut er aber in seinem großen goldenen Buch nach, in dem alle Taten der Kinder verzeichnet sind. Dieses Buch ist ein Symbol für das Weltengedächtnis.
Kaiser Karl IV., der ein Sammler von Reliquien war, besaß auch einen Finger des Heiligen Nikolaus.
Die zweite Kapelle ist der Mutter Gottes geweiht, auch wenn sie in der Literatur bisweilen der Heiligen Katharina (mit dem Radl) zugeschrieben wird.
Maria ist in ihrer ganzen Schönheit eine Vertreterin des niederen Devachans. In dieser „Himmelswelt“ träumen wir. Wir erreichen sie durch unsere Gefühle und unser ästhetisches Empfinden, wie Rudolf Steiner im Basler Vortrag vom 1. Oktober 1911 ausführt.
Über ein reich geschmücktes Treppenhaus gelangt der Besucher schließlich in die höchste der drei Kapellen, in die Kreuzkapelle.
Michael Eschborn nennt sie eine Gralskapelle.
Wir befinden uns jetzt in der Region des höheren Devachans, das wir nur im Schlaf mit unserem Willen erreichen, dann nämlich, wenn unser physischer Leib von den dort wirkenden Götterkräften regeneriert wird. Hier empfangen die Menschen ihre moralischen Impulse.
Ich möchte in diesem Zusammenhang wieder aus Rudolf Steiners wichtigem Basler Vortrag über die „Ätherisation des Blutes“ zitieren.
„So wie in der Gegend des menschlichen Herzens ein fortwährendes Verwandeln des Blutes in Äthersubstanz stattfindet, so findet ein ähnlicher Vorgang im Makrokosmos statt. Wir verstehen dieses, wenn wir unser Auge hinwenden auf das Mysterium von Golgatha und auf jenen Augenblick, in dem das Blut des Christus Jesus geflossen ist aus den Wunden.“
Ich möchte präzisieren: Am Kreuze floss das Blut aus fünf Wunden. Vier dieser fünf Wunden waren geschlagen worden durch die Nägel, mit denen man den Christus ans Kreuz geheftet hatte. Einen dieser Nägel besaß Kaiser Karl IV..
Die fünfte und letzte Wunde ist geschlagen worden durch die Lanze des Longinus. Der blinde römische Kriegsknecht (Joh.19, 34) stach dem bereits gestorbenen Gottessohn direkt ins Herz. Der Blutstrahl, der ihn dabei traf, machte ihn sehend, wie die Legende erzählt. Die sogenannte „Heilige Lanze“, die eine Art Replik der Lanze des Longinus war, wurde Teil der Reichsinsignien, die ebenfalls eine Zeitlang auf Burg Karlstein „gehütet“ und verehrt wurden.
Vergessen darf man nicht eine sechste Wunde, die bereits dem kleinen Jesus kurz nach der Geburt bereitet wurde. Bei der Beschneidung wurde ihm die Vorhaut abgeschnitten, so dass das jüdische Kind zum ersten Mal blutete. Diese Heilige Blutsreliquie wurde in der Kathedrale von Antwerpen aufbewahrt. Von dieser reichen Stadt in Flandern stammten die Meister, die die Wandelaltäre der Haller Kirchen geschaffen haben. Auf dem um das Jahr 1460 geschaffenen Hauptaltar der Michaelskirche sieht man Longinus, wie er die Seite des Christus durchsticht.[1]
Rudolf Steiner fährt fort:
„Dieses Blut darf nicht nur als chemische Substanz betrachtet werden, sondern es ist durch alles das, was geschildert worden ist als die Natur des Jesus von Nazareth, etwas ganz Besonderes. Und indem es ausfloss und hineinströmte in die Erde, ist unserer Erde eine Substanz gegeben worden, die, indem sie sich mit der Erde verband, ein Ereignis war, das ein bedeutendstes ist für die Folgezeiten der Erde, und das auch nur einmal auftreten konnte.“ Was geschah mit diesem Blute in den folgenden Zeiten? Nichts anderes, als was sonst im Herzen des Menschen geschieht. Dieses Blut machte im Verlaufe der Erdenevolution einen Ätherisierungsprozess durch. Und wie unser Blut als Äther vom Herzen nach oben strömt, so lebt im Erdenäther seit dem Mysterium von Golgatha das ätherisierte Blut des Christus.“
Solche Mitteilungen entziehen sich zunächst unserem verstandesmäßigen Begreifen. Sie können nur durch meditatives Nacherleben mit dem Herzen erfasst werden. Und dabei kann uns, wie wir später sehen werden, das „Gebet des Herrn“, das Vaterunser, und insbesondere die vierte Bitte („unser tägliches Brot gib uns heute“), helfen.
Zur Zeit Kaiser Karls IV. waren Reliquien nicht irgendwelche materiellen Gegenstände, sondern Objekte tiefster Anbetung. Nur dafür hat der fromme Kaiser seine schwer zugängliche Burg Karlstein errichten lassen, in die er sich ab etwa 1350 zur Meditation zurückzog und sich bis zu seinem Tod 1378 oft aufhielt.
Es gibt in der Schrift „Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer“, die 1785 in Hamburg-Altona veröffentlicht wurde, eine Abbildung mit dem Titel „Mons Philosophorum“ (Berg der Philosophen), die auch als das Grab Christian Rosenkreutz angesehen wird. Die Jahreszahl 1604, die in der rechten unteren Ecke eingezeichnet ist, weist auf jenes bereits erwähnte Ereignis auf dem geistigen Mars hin, wo in jenem Jahr, wie Rudolf Steiner mitteilt, der Buddha in einer ähnlichen Tat wie der Christus auf Golgatha ein Opfer für die Menschheit gebracht hat.[2] Ganz im Vordergrund erkennt man einen Hasen, der von links nach rechts springt. Der Hase war ein altes Rosenkreuzer-Symbol. Rudolf Steiner stellt auch einen Bezug zwischen dem Hasen und dem Buddha her, wenn er im Vortrag vom 19. September 1911 in Locarno ausführt:
„Es war im achten Jahrhundert, da lebte Johann von Damaskus, der da ein Buch geschrieben hat in Romanform. Über was? Er erzählt, es habe einmal gelebt ein bedeutender Lehrer, welcher der Lehrer wurde des Josaphat, der den Josaphat unterrichtete in dem, was die Geheimlehre ist, was die großen christlichen Wahrheiten sind. Und wenn man alledem nachgeht, so findet man in der ganzen Erzählung darauf bezügliche Wahrheiten. Man findet auch Erzählungen aus der buddhistischen Literatur. Wir verfolgen dieselbe Sache und kommen auf eine Legende: jene Legende, die da erzählt, dass der Buddha weitergelebt hat, allerdings nicht in irdischer Menschenform, sondern in tierischer, in der Form eines Hasen. Und als einmal ein Brahmane ging und einen Hasen fand – der die Maske des Buddha war –, da klagte der Brahmane ihm das Elend der Menschen draußen, und da hat der Buddha in einem Feuer, das er selbst bereitete, sich selber gebraten, um der Menschheit zu helfen.“

Diese Abbildung findet sich merkwürdigerweise in dem Wikipedia-Eintrag über Christian Rosenkreutz.[3] Diese Individualität, die mit einer materialistischen Geschichtswissenschaft nicht zu fassen ist, wird in dem Eintrag als eine legendäre Figur bezeichnet.
Auch in Schwäbisch Hall, das im 15. Jahrhundert, also noch zur Lebenszeit von Christian Rosenkreutz, wie bereits erwähnt, eine enge Beziehung zu der Stadt Antwerpen und ihre Heilig-Blut-Reliquie hatte, gibt es eine ähnliche Konstellation wie auf der etwa ein Jahrhundert vor beziehungsweise nachher entstandenen böhmischen Burg Karlstein: Im 15. Jahrhundert wurde die gotische Marienkirche in der Limpurger Vorstadt, die heute Sankt Urban heißt, von Schenk Friedrich V. und seiner Gemahlin Susanna von Thierstein (bei Basel) mit einem kostbaren Marienaltar ausgestattet.[4] Bereits im 13. Jahrhundert entstand auf dem Hohen Comberg bei Schwäbisch Hall eine Klosteranlage, die drei sakrale Gebäude umschließt: Die Nikolauskirche, die Sechseckkapelle und die Michaelskapelle.
Wie ich in meiner Führung durch die Klosteranlage beschrieben habe, wird die Sechseckkapelle auch als „Heiliges Grab“ gesehen, während in der Nikolauskirche der Golgatha-Hügel mit den drei Kreuzen erlebt wurde, so dass am Karfreitag eine Prozession von der Nikolauskirche zur Sechseckkapelle und zurück stattfand, um den Gekreuzigten ins Grab zu legen.[5]
Noch heute wird in der Nikolauskirche der großartige romanische Radleuchter nur zweimal im Jahr erleuchtet: zu den Hochfesten am Heiligabend und in der Nacht von Karsamstag auf den Ostermorgen.
Ich bezeichnete die Komburg als eine Art Gralsburg, so wie Michael Eschborn die Burg Karlstein in einen Zusammenhang mit den Gralserzählungen bringt. Diese kreisen im Grunde um das Mysterium der „Ätherisation des Blutes“, über das ich in meinem nächsten Beitrag im Zusammenhang mit dem Vaterunser noch näher eingehen will.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen