Im Vortrag vom 27. September
1911, durch den es Rudolf Steiner „zum ersten Male (…) möglich ist (,) genauer
über Christian Rosenkreutz zu sprechen“ berichtet der Geistesforscher von zwei
wesentlichen Inkarnationen dieser Individualität. Die erste war im 13.
Jahrhundert, als ein Kollegium von zwölf Eingeweihten, die das okkulte Wissen
der atlantischen Zeit (die sieben Rishis), der vier nachatlantischen
Kulturepochen und das modernste Wissen der Scholastik, aus dem die fünfte
Kulturepoche erwuchs, repräsentierten, zusammenkamen, um das „sehr schwächliche
Kind (…) an einem Orte in Europa, von dem noch nicht gesprochen werden darf“ zu
erziehen und schließlich in einer Art „Einweihung“ mit all ihrem Wissen zu
„begaben“.
Einen Abglanz dieser
„hochgeistigen Loge“, des „Kollegiums von zwölf Männern“ sehe ich in den zwölf Stifterfiguren im
Westchor des Naumburger Domes, die um das Jahr 1250 vom Naumburger Meister
geschaffen wurden, wie ich 2011 ausführlich beschrieben habe.
Die nächste Inkarnation fand „ungefähr
in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts“ statt, also im Jahr 1350. Rudolf
Steiner führt aus:
„In dieser Inkarnation lebte
diese Individualität mehr als hundert Jahre. Er wurde auf ähnliche Weise im
Kreise der Schüler und Nachfolger der Zwölf erzogen, aber nicht so weltfremd wie in seiner vorhergehenden
Inkarnation.“
Das Wort „weltfremd“ hat erst
neulich durch das eindrucksvolle Lied „Testament“ von Andrea Lesch einen ganz
eigenen Klang in meinem Bewusstsein erhalten.
„Als er achtundzwanzig Jahre alt
war, bekam er ein merkwürdiges Ideal. Er musste reisen und aus Europa
fortziehen. Zuerst ging er nach Damaskus, und dort wiederholte sich noch einmal
für ihn das Ereignis, das Paulus dort erlebt hatte. Dieses Erlebnis ist als die
Frucht eines Keimes der vorigen Inkarnation zu bezeichnen.“
Nach den Zeiten, die Rudolf
Steiner angibt und die für mich maßgeblich sind, ist Christian Rosenkreutz im
Jahre 1378 28 Jahre alt geworden, wenn man von seiner Geburt im Jahre 1350 ausgeht.
Im Jahre 1378 ist Karl IV. gestorben, der letzte Eingeweihte auf dem
Kaiserthron, wie Rudolf Steiner an anderer Stelle feststellt.
Nun ist durch Zufall am Samstag,
den 8. Dezember ein Buch in meine Hände geraten, das ausgerechnet diesem Kaiser
und seinem Sakralbau, der Burg Karlstein etwa 30 Kilometer westlich von Prag,
gewidmet ist: der im Jahre 1971 im Verlag Urachhaus erschienene Bildband
„Karlstein“ von Michael Eschborn, den ich seit Sonntag lese und studiere.
In der Burg gibt es drei
Kapellen, die so aufeinander bezogen sind, dass man sie geradezu als
„Einweihungsweg“ sehen kann: die auch räumlich unterste ist die
Nikolauskapelle, die nächsthöhere die Marienkapelle und die höchste im dritten
Stock des Bergfrieds die Heilig-Kreuz-Kapelle.
Die Nikolauskapelle entspricht
dem „Astralplan“, an den wir mit unseren intellektuellen Vorstellungen und
Erinnerungen anknüpfen.
Nikolaus von Myra ist der Patron
der Seefahrer, die sich auf hoher See orientieren müssen, und wird in
kunsthistorischen Darstellungen meist als Bischof, der ein Buch mit drei
goldenen Kugeln in der Hand hält, gezeigt. Das Buch bringt der Heilige Nikolaus
am 6. Dezember auch mit, wenn er zusammen mit Knecht Ruprecht von Haus zu Haus
zieht und den Kindern, die „fromm“ waren, Geschenke bringt. Zuerst schaut er
aber in seinem großen goldenen Buch nach, in dem alle Taten der Kinder
verzeichnet sind. Dieses Buch ist ein Symbol für das Weltengedächtnis.
Kaiser Karl IV., der ein Sammler
von Reliquien war, besaß auch einen Finger des Heiligen Nikolaus.
Die zweite Kapelle ist der Mutter
Gottes geweiht, auch wenn sie in der Literatur bisweilen der Heiligen Katharina
(mit dem Radl) zugeschrieben wird.
Maria ist in ihrer ganzen
Schönheit eine Vertreterin des niederen Devachans. In dieser „Himmelswelt“
träumen wir. Wir erreichen sie durch unsere Gefühle und unser ästhetisches
Empfinden, wie Rudolf Steiner im Basler Vortrag vom 1. Oktober 1911 ausführt.
Über ein reich geschmücktes
Treppenhaus gelangt der Besucher schließlich in die höchste der drei Kapellen,
in die Kreuzkapelle.
Michael Eschborn nennt sie eine
Gralskapelle.
Wir befinden uns jetzt in der
Region des höheren Devachans, das wir nur im Schlaf mit unserem Willen
erreichen, dann nämlich, wenn unser physischer Leib von den dort wirkenden
Götterkräften regeneriert wird. Hier empfangen die Menschen ihre moralischen
Impulse.
Ich möchte in diesem Zusammenhang
wieder aus Rudolf Steiners wichtigem Basler Vortrag über die „Ätherisation des
Blutes“ zitieren.
„So wie in der Gegend des
menschlichen Herzens ein fortwährendes Verwandeln des Blutes in Äthersubstanz
stattfindet, so findet ein ähnlicher Vorgang im Makrokosmos statt. Wir
verstehen dieses, wenn wir unser Auge hinwenden auf das Mysterium von Golgatha
und auf jenen Augenblick, in dem das Blut des Christus Jesus geflossen ist aus
den Wunden.“
Ich möchte präzisieren: Am Kreuze
floss das Blut aus fünf Wunden. Vier dieser fünf Wunden waren geschlagen worden
durch die Nägel, mit denen man den Christus ans Kreuz geheftet hatte. Einen
dieser Nägel besaß Kaiser Karl IV..
Die fünfte und letzte Wunde ist
geschlagen worden durch die Lanze des Longinus. Der blinde römische Kriegsknecht
(Joh.19, 34) stach dem bereits gestorbenen Gottessohn direkt ins Herz. Der Blutstrahl,
der ihn dabei traf, machte ihn sehend, wie die Legende erzählt. Die sogenannte
„Heilige Lanze“, die eine Art Replik der Lanze des Longinus war, wurde Teil der
Reichsinsignien, die ebenfalls eine Zeitlang auf Burg Karlstein „gehütet“ und
verehrt wurden.
Vergessen darf man nicht eine
sechste Wunde, die bereits dem kleinen Jesus kurz nach der Geburt bereitet
wurde. Bei der Beschneidung wurde ihm die Vorhaut abgeschnitten, so dass das
jüdische Kind zum ersten Mal blutete. Diese Heilige Blutsreliquie wurde in der
Kathedrale von Antwerpen aufbewahrt. Von dieser reichen Stadt in Flandern
stammten die Meister, die die Wandelaltäre der Haller Kirchen geschaffen haben.
Auf dem um das Jahr 1460 geschaffenen Hauptaltar der Michaelskirche sieht man
Longinus, wie er die Seite des Christus durchsticht.[1]
Rudolf Steiner fährt fort:
„Dieses Blut darf nicht nur als
chemische Substanz betrachtet werden, sondern es ist durch alles das, was
geschildert worden ist als die Natur des Jesus von Nazareth, etwas ganz
Besonderes. Und indem es ausfloss und hineinströmte in die Erde, ist unserer
Erde eine Substanz gegeben worden, die, indem sie sich mit der Erde verband, ein
Ereignis war, das ein bedeutendstes ist für die Folgezeiten der Erde, und das
auch nur einmal auftreten konnte.“ Was geschah mit diesem Blute in den
folgenden Zeiten? Nichts anderes, als was sonst im Herzen des Menschen
geschieht. Dieses Blut machte im Verlaufe der Erdenevolution einen
Ätherisierungsprozess durch. Und wie unser Blut als Äther vom Herzen nach oben
strömt, so lebt im Erdenäther seit dem Mysterium von Golgatha das ätherisierte
Blut des Christus.“
Solche Mitteilungen entziehen
sich zunächst unserem verstandesmäßigen Begreifen. Sie können nur durch
meditatives Nacherleben mit dem Herzen erfasst werden. Und dabei kann uns, wie
wir später sehen werden, das „Gebet des Herrn“, das Vaterunser, und
insbesondere die vierte Bitte („unser tägliches Brot gib uns heute“), helfen.
Zur Zeit Kaiser Karls IV. waren
Reliquien nicht irgendwelche materiellen Gegenstände, sondern Objekte tiefster
Anbetung. Nur dafür hat der fromme Kaiser seine schwer zugängliche Burg Karlstein
errichten lassen, in die er sich ab etwa 1350 zur Meditation zurückzog und sich
bis zu seinem Tod 1378 oft aufhielt.
Es gibt in der Schrift „Die
geheimen Figuren der Rosenkreuzer“, die 1785 in Hamburg-Altona veröffentlicht
wurde, eine Abbildung mit dem Titel „Mons Philosophorum“ (Berg der
Philosophen), die auch als das Grab Christian Rosenkreutz angesehen wird. Die
Jahreszahl 1604, die in der rechten unteren Ecke eingezeichnet ist, weist auf
jenes bereits erwähnte Ereignis auf dem geistigen Mars hin, wo in jenem Jahr,
wie Rudolf Steiner mitteilt, der Buddha in einer ähnlichen Tat wie der Christus
auf Golgatha ein Opfer für die Menschheit gebracht hat.[2] Ganz im
Vordergrund erkennt man einen Hasen, der von links nach rechts springt. Der
Hase war ein altes Rosenkreuzer-Symbol. Rudolf Steiner stellt auch einen Bezug
zwischen dem Hasen und dem Buddha her, wenn er im Vortrag vom 19. September
1911 in Locarno ausführt:
„Es war im achten Jahrhundert, da
lebte Johann von Damaskus, der da ein Buch geschrieben hat in Romanform. Über
was? Er erzählt, es habe einmal gelebt ein bedeutender Lehrer, welcher der
Lehrer wurde des Josaphat, der den Josaphat unterrichtete in dem, was die
Geheimlehre ist, was die großen christlichen Wahrheiten sind. Und wenn man
alledem nachgeht, so findet man in der ganzen Erzählung darauf bezügliche
Wahrheiten. Man findet auch Erzählungen aus der buddhistischen Literatur. Wir
verfolgen dieselbe Sache und kommen auf eine Legende: jene Legende, die da
erzählt, dass der Buddha weitergelebt hat, allerdings nicht in irdischer
Menschenform, sondern in tierischer, in der Form eines Hasen. Und als einmal
ein Brahmane ging und einen Hasen fand – der die Maske des Buddha war –, da
klagte der Brahmane ihm das Elend der Menschen draußen, und da hat der Buddha
in einem Feuer, das er selbst bereitete, sich selber gebraten, um der
Menschheit zu helfen.“
Diese Abbildung findet sich
merkwürdigerweise in dem Wikipedia-Eintrag über Christian Rosenkreutz.[3] Diese
Individualität, die mit einer materialistischen Geschichtswissenschaft nicht zu
fassen ist, wird in dem Eintrag als eine legendäre Figur bezeichnet.
Auch in Schwäbisch Hall, das im
15. Jahrhundert, also noch zur Lebenszeit von Christian Rosenkreutz, wie
bereits erwähnt, eine enge Beziehung zu der Stadt Antwerpen und ihre
Heilig-Blut-Reliquie hatte, gibt es eine ähnliche Konstellation wie auf der
etwa ein Jahrhundert vor beziehungsweise nachher entstandenen böhmischen Burg
Karlstein: Im 15. Jahrhundert wurde die gotische Marienkirche in der Limpurger
Vorstadt, die heute Sankt Urban heißt, von Schenk Friedrich V. und seiner
Gemahlin Susanna von Thierstein (bei Basel) mit einem kostbaren Marienaltar ausgestattet.[4] Bereits
im 13. Jahrhundert entstand auf dem Hohen Comberg bei Schwäbisch Hall eine
Klosteranlage, die drei sakrale Gebäude umschließt: Die Nikolauskirche, die
Sechseckkapelle und die Michaelskapelle.
Wie ich in meiner Führung durch
die Klosteranlage beschrieben habe, wird die Sechseckkapelle auch als „Heiliges
Grab“ gesehen, während in der Nikolauskirche der Golgatha-Hügel mit den drei
Kreuzen erlebt wurde, so dass am Karfreitag eine Prozession von der
Nikolauskirche zur Sechseckkapelle und zurück stattfand, um den Gekreuzigten
ins Grab zu legen.[5]
Noch heute wird in der
Nikolauskirche der großartige romanische Radleuchter nur zweimal im Jahr
erleuchtet: zu den Hochfesten am Heiligabend und in der Nacht von Karsamstag auf
den Ostermorgen.
Ich bezeichnete die Komburg als
eine Art Gralsburg, so wie Michael Eschborn die Burg Karlstein in einen
Zusammenhang mit den Gralserzählungen bringt. Diese kreisen im Grunde um das
Mysterium der „Ätherisation des Blutes“, über das ich in meinem nächsten
Beitrag im Zusammenhang mit dem Vaterunser noch näher eingehen will.
[1] Siehe
dazu die beiden Berichte von meinen Kirchenführungen in der Urbanskirche http://jwsreise.blogspot.com/2017/12/wo-ist-bethlehem-eine-fuhrung-durch-die.html und auf der Comburg: http://jwsreise.blogspot.com/2018/03/wo-ist-jerusalem-eine-fuhrung-zur.html
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