Samstag, 1. Dezember 2018

Janis Joplin - die Inkarnation des Schmerzes einer Generation




Arte bringt fast jeden Freitagabend ein Porträt über Popmusiker oder Musikrichtungen, die auch meine Jugend geprägt haben, so zum Beispiel gestern Abend ein Porträt von Janis Joplin mit dem Titel „Little Girl Blue“ von Amy J. Berg (USA 2015). Ich habe es mir heute Nachmittag in der Arte-Mediathek angeschaut, weil Lena gestern nach „Napola“ auf Youtube umgeschaltet und einen russischen Polizeifilm angeschaut hat.
Janis Joplin, die am 4. Oktober 1970 (Tag des Heiligen Franziskus) mit nur 27 Jahren gestorben ist, war die Inkarnation des Schmerzes unserer Jugend, die so viele Hoffnungen auf eine bessere Welt hatte und so bitter enttäuscht wurde. Sie war ein Genie der Empathie. Sie suchte Liebe und wollte so viel Liebe schenken. Sie nennt Liebe in einem ihrer Lieder („Trust me“) ein Samenkorn („my love is like a seed“)[1]. Sie versuchte immer authentisch zu sein, wurde aber, als man entdeckte, welches Talent in ihr steckte, zum Popstar aufgebaut und musste nun – gegen ihren eigenen Willen – eine Rolle spielen. Nur einmal gelang es ihr, auszureißen. Dabei fand sie ihre große Liebe, David Niehaus, der es schaffte, sie vom Heroin loszubekommen. Aber leider fühlte er sich zu schwach, um ihr länger zu helfen und sie war zu schwach, um eine einfache Hausfrau und Mutter zu werden. Einmal sagte sie in dem Film, dass sie sich genau das gewünscht hätte.
Wieder waren es jüdische Produzenten, die ihr Talent versilbern wollten: zuerst David Grossman von Columbia Records, später Paul A. Rothschild von Electrola.
Den Zwiespalt zwischen dem Star-Sein und ihrem eigenen Ich, das in der Popwelt wie in einem Gefängnis eingeschlossen war, konnte sie nicht aushalten. So begann sie wieder, Heroin zu spritzen und setzte sich am 4. Oktober 1970 den tödlichen Schuss.
Im Grunde bestätigt ihr Tod die Aussage Rudolf Steiners über die Siebenundzwanzigjährigkeit der Menschheit in unserer fünften nachatlantischen Kulturepoche: wenn der Mensch in diesem Alter nicht bewusst einen neuen, geistigen Impuls ergreift, dann bleibt er auf der Entwicklungsstufe stehen, die er mit 27 Jahren wie ein Geschenk der Götter erreicht hat. Janis Joplin hatte noch so viel Potential. Aber sie traf keinen, der ihr den Weg zum Geist zeigen konnte, obwohl sie zum Beispiel in dem Song „Work me Lord“, den sie im August 1969 auch beim Woodstock-Festival sang, geradezu um eine Gotteserfahrung flehte.
Das Album „Pearl“ (Perle) mit dem Song „Me and Bobby McGee“, ihr größter Erfolg, wurde drei Monate nach ihrem Tod veröffentlicht. Wir hörten es damals „rauf und runter“ und wussten, dass es etwas ganz Besonderes war. Meine Schwester ähnelte der Sängerin mit ihren langen roten Haaren in gewisser Weise und ich glaube, sie identifizierte sich auch mit ihr. Im Jahr 1970, als Janis starb, war sie gerade 14 Jahre alt geworden.
An der Rezeption des Hotels, in dem man Janis' leblosen Körper fand, lag ein Telegramm von David Niehaus, der aus Katmandu geschrieben hatte:
„Vermisse Dich sehr. Es ist nicht dasselbe, wenn man allein ist. Könnte Dich jederzeit in Katmandu treffen. Ende Oktober ist die beste Zeit. Ich liebe Dich, Mama; mehr als Du weißt!“

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