Heute Mittag habe ich den dritten
Vortrag aus dem Band „Der Tod als Lebenswandlung“ (GA 182) gelesen. Rudolf
Steiner hielt ihn am 29. April 1918 in Heidenheim.
In dem Vortrag geht es um die Verlebendigung
der drei Seelenregungen des Menschen durch die Aufnahme der
Geisteswissenschaft. Nur dadurch könne der Mensch seinen im Materialismus
verderbenden Geist wieder erlösen. Rudolf Steiner spricht in dem Vortrag
dreimal das Wort „ver-„ beziehungsweise „entzaubern“ aus. Es gäbe keine
geistlosen Menschen, aber die Menschen, die im Materialismus „stecken“ bleiben,
weil sie Angst haben vor einer inneren Umwandlung durch die Aufnahme
geisteswissenschaftlicher Gedanken, würden im Denken unbeweglich, im Fühlen
stumpf und im Wollen ungeschickt werden. Gefordert aber seien in der Zukunft
Menschen, die Im Denken flexibel und vielseitig, im Fühlen weitherzig und im
Wollen so geschickt sind, dass sie zur Not auch einen Hosenknopf annähen
können.
Rudolf Steiner sagt:
„Unsere intellektuelle Bildung ist
der Weg zur geistigen Beschränktheit.“
Mein Schwiegervater, ein Bauer
aus Südfrankreich, der die Politik kritisch verfolgte, sagte immer: „Manche
Menschen sind so intelligent, dass sie schon wieder dumm sind.“ Als Lehrer
kenne ich diese intellektuelle Beschränktheit gut, wenn es nur darum geht, den
Schülern das Wissen für die nächste Klassenarbeit einzutrichtern. Ich habe
immer versucht, den Schülern etwas für ihr Leben mitzugeben. Ob es mir gelungen
ist, weiß ich nicht; aber ich hoffe es.
Dann führt Rudolf Steiner aus,
dass im Fühlen der Weltenrhythmus lebt. Er rechnet vor, dass der Mensch etwa
18mal in der Minute ein und ausatmet. Das ist am Tag etwa 25920mal. Diese Zahl entspricht dem „Platonischen
Weltenjahr“, in dem die Sonne mit ihrem Frühlingspunkt einmal durch alle 12
Tierkreisbilder wandelt. Wenn man diese Zahl durch 365 teilt, kommt man auf ca.
70 Jahre, also ein Menschenleben. Von diesem Zusammenhang des Menschen als
Mikrokosmos mit dem Makrokosmos hat der moderne Mensch kein Gefühl mehr.
Rudolf Steiner sagt:
„Nicht fünfzig Jahre werden
vergehen, und die Menschen werden keine Fabriken mehr bauen, keinen Acker mehr
bebauen können nach den Anforderungen, die kommen werden für die Menschheit,
wenn sie nicht dieses Gefühl haben. Diese Katastrophe, in der wir gegenwärtig
stehen, ist nur der Ausdruck der Sackgasse, in welche die Menschen
hineingekommen sind. (…) Die Menschheit wird verurteilt sein, immer mehr und
mehr die Disharmonie im sozialen Zusammenleben zu entwickeln, und mehr und mehr
Kriegsstoff über die Welt auszusäen, wenn sie sich nicht hineinfinden wird in
den Zusammenklang mit dem Kosmos in dem Fühlen, um dieses hineinzutragen in
alles, was man tut, auch in das Alleralltäglichste.“
Wenn man zu dem Jahr 1918 fünfzig
Jahre dazurechnet, dann kommt man auf das Jahr 1968. Damals hatten die jungen
Menschen das Gefühl, dass sie mit den alten Mustern nicht weiterkommen. Die
Studenten rebellierten gegen den „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“
und die Hippies probierten neue Lebensformen aus, meistens verbunden mit
biologischer Landwirtschaft. „Bewusstseinserweiterung“ war das Ziel eines
großen Teiles der Jugend. Dass die Studenten wegen nicht vorhandener
Alternativen der Ideologie des Marxismus folgten und dass die Hippies ihre
Bewusstseinserweiterung mit Hilfe von Drogen erlangen wollten, sind die
Irrwege, die in die heutige neue Sackgasse geführt haben.
Auch unsere Politiker sind heute
am Ende[1] und die Großmächte stellen
immer mehr „Kriegsstoff“ her, der sich irgendwann über der Welt entladen wird.
1918 schon zeigte Rudolf Steiner
den Menschen die Alternative auf, für die sie sich entscheiden konnten:
„Das ist dasjenige, worüber sich
die Menschheit in der nächsten Zukunft zu entscheiden hat: ob sie den Geist in
der Materie wird wuchern lassen wollen – dadurch wird der Geist zur
Missbildung, dadurch kommt er in die diabolischen, in teuflischen, in
ahrimanischen Wahn hinein –, oder ob die Menschheit den Geist wird verwandeln
wollen in Gedanken, in Gefühle, in Willensimpulse: dann wird der Geist unter
den Menschen leben und das erreichen, was er erreichen will. Denn der Geist will
das ja: durch die Menschen in das Leben der Erde einziehen. (…)
Geisteswissenschaft will nicht eine Theorie sein wie andere Theorien, sondern
sie will gerade dem Menschen die Möglichkeit geben, den Geist, der in der
Menschennatur verzaubert ist, zu erlösen, zu befreien, das in der Welt zu
wirken, was gewirkt werden will von den geistigen Welten aus. Das ist
allerdings auch der Grund, warum viele Menschen Geisteswissenschaft heute noch
sehr energisch zurückweisen. Andere Wissenschaft nehmen die Leute gerne an,
denn diese andere Wissenschaft schmeichelt dem Stolz, der Eitelkeit des
Menschen, aber sie macht nicht den Anspruch an die Menschen“ (…), dass er sich „umwandelt“.
Das genau wollten viele 68er: sie
wollten bei sich anfangen, sich selbst verwandeln, Selbsterfahrungen machen,
bessere Menschen werden.
Viele haben dabei zu spirituellen
Techniken gegriffen, die aus dem Osten kamen, wie Yoga oder Transzendentale
Meditation. Nur wenige haben den abendländischen Weg der Geistesschulung
gewählt.
Die „cleversten“ 68er aber haben
sich auf den Marsch durch die Institutionen gemacht und sind heute jene
Spießbürger, gegen die sie sich vor 50 Jahren aufgelehnt haben; schlimmer noch,
sie sind Verfechter einer neoliberalen Politik, die das Wirtschaftswachstum als
einzige Alternative für den Erhalt ihres Wohlbefindens vergöttern.
[1]
Eben erfahre ich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem erneuten Desaster
für ihre Partei bei der Landtagswahl in Hessen nicht mehr für den Vorstand der
CDU kandidieren möchte, ja schon über das Ende ihrer Kanzlerschaft nachdenkt.
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