Montag, 29. Oktober 2018

Auswege aus der Sackgasse - Gedanken zu einem Vortrag von Rudolf Steiner vom 29. April 1929


Heute Mittag habe ich den dritten Vortrag aus dem Band „Der Tod als Lebenswandlung“ (GA 182) gelesen. Rudolf Steiner hielt ihn am 29. April 1918 in Heidenheim.
In dem Vortrag geht es um die Verlebendigung der drei Seelenregungen des Menschen durch die Aufnahme der Geisteswissenschaft. Nur dadurch könne der Mensch seinen im Materialismus verderbenden Geist wieder erlösen. Rudolf Steiner spricht in dem Vortrag dreimal das Wort „ver-„ beziehungsweise „entzaubern“ aus. Es gäbe keine geistlosen Menschen, aber die Menschen, die im Materialismus „stecken“ bleiben, weil sie Angst haben vor einer inneren Umwandlung durch die Aufnahme geisteswissenschaftlicher Gedanken, würden im Denken unbeweglich, im Fühlen stumpf und im Wollen ungeschickt werden. Gefordert aber seien in der Zukunft Menschen, die Im Denken flexibel und vielseitig, im Fühlen weitherzig und im Wollen so geschickt sind, dass sie zur Not auch einen Hosenknopf annähen können.
Rudolf Steiner sagt:
„Unsere intellektuelle Bildung ist der Weg zur geistigen Beschränktheit.“
Mein Schwiegervater, ein Bauer aus Südfrankreich, der die Politik kritisch verfolgte, sagte immer: „Manche Menschen sind so intelligent, dass sie schon wieder dumm sind.“ Als Lehrer kenne ich diese intellektuelle Beschränktheit gut, wenn es nur darum geht, den Schülern das Wissen für die nächste Klassenarbeit einzutrichtern. Ich habe immer versucht, den Schülern etwas für ihr Leben mitzugeben. Ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht; aber ich hoffe es.
Dann führt Rudolf Steiner aus, dass im Fühlen der Weltenrhythmus lebt. Er rechnet vor, dass der Mensch etwa 18mal in der Minute ein und ausatmet. Das ist am Tag etwa 25920mal.  Diese Zahl entspricht dem „Platonischen Weltenjahr“, in dem die Sonne mit ihrem Frühlingspunkt einmal durch alle 12 Tierkreisbilder wandelt. Wenn man diese Zahl durch 365 teilt, kommt man auf ca. 70 Jahre, also ein Menschenleben. Von diesem Zusammenhang des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos hat der moderne Mensch kein Gefühl mehr.
Rudolf Steiner sagt:
„Nicht fünfzig Jahre werden vergehen, und die Menschen werden keine Fabriken mehr bauen, keinen Acker mehr bebauen können nach den Anforderungen, die kommen werden für die Menschheit, wenn sie nicht dieses Gefühl haben. Diese Katastrophe, in der wir gegenwärtig stehen, ist nur der Ausdruck der Sackgasse, in welche die Menschen hineingekommen sind. (…) Die Menschheit wird verurteilt sein, immer mehr und mehr die Disharmonie im sozialen Zusammenleben zu entwickeln, und mehr und mehr Kriegsstoff über die Welt auszusäen, wenn sie sich nicht hineinfinden wird in den Zusammenklang mit dem Kosmos in dem Fühlen, um dieses hineinzutragen in alles, was man tut, auch in das Alleralltäglichste.“
Wenn man zu dem Jahr 1918 fünfzig Jahre dazurechnet, dann kommt man auf das Jahr 1968. Damals hatten die jungen Menschen das Gefühl, dass sie mit den alten Mustern nicht weiterkommen. Die Studenten rebellierten gegen den „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“ und die Hippies probierten neue Lebensformen aus, meistens verbunden mit biologischer Landwirtschaft. „Bewusstseinserweiterung“ war das Ziel eines großen Teiles der Jugend. Dass die Studenten wegen nicht vorhandener Alternativen der Ideologie des Marxismus folgten und dass die Hippies ihre Bewusstseinserweiterung mit Hilfe von Drogen erlangen wollten, sind die Irrwege, die in die heutige neue Sackgasse geführt haben.
Auch unsere Politiker sind heute am Ende[1] und die Großmächte stellen immer mehr „Kriegsstoff“ her, der sich irgendwann über der Welt entladen wird.
1918 schon zeigte Rudolf Steiner den Menschen die Alternative auf, für die sie sich entscheiden konnten:
„Das ist dasjenige, worüber sich die Menschheit in der nächsten Zukunft zu entscheiden hat: ob sie den Geist in der Materie wird wuchern lassen wollen – dadurch wird der Geist zur Missbildung, dadurch kommt er in die diabolischen, in teuflischen, in ahrimanischen Wahn hinein –, oder ob die Menschheit den Geist wird verwandeln wollen in Gedanken, in Gefühle, in Willensimpulse: dann wird der Geist unter den Menschen leben und das erreichen, was er erreichen will. Denn der Geist will das ja: durch die Menschen in das Leben der Erde einziehen. (…) Geisteswissenschaft will nicht eine Theorie sein wie andere Theorien, sondern sie will gerade dem Menschen die Möglichkeit geben, den Geist, der in der Menschennatur verzaubert ist, zu erlösen, zu befreien, das in der Welt zu wirken, was gewirkt werden will von den geistigen Welten aus. Das ist allerdings auch der Grund, warum viele Menschen Geisteswissenschaft heute noch sehr energisch zurückweisen. Andere Wissenschaft nehmen die Leute gerne an, denn diese andere Wissenschaft schmeichelt dem Stolz, der Eitelkeit des Menschen, aber sie macht nicht den Anspruch an die Menschen“ (…), dass er sich „umwandelt“.
Das genau wollten viele 68er: sie wollten bei sich anfangen, sich selbst verwandeln, Selbsterfahrungen machen, bessere Menschen werden.
Viele haben dabei zu spirituellen Techniken gegriffen, die aus dem Osten kamen, wie Yoga oder Transzendentale Meditation. Nur wenige haben den abendländischen Weg der Geistesschulung gewählt.
Die „cleversten“ 68er aber haben sich auf den Marsch durch die Institutionen gemacht und sind heute jene Spießbürger, gegen die sie sich vor 50 Jahren aufgelehnt haben; schlimmer noch, sie sind Verfechter einer neoliberalen Politik, die das Wirtschaftswachstum als einzige Alternative für den Erhalt ihres Wohlbefindens vergöttern.


[1] Eben erfahre ich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem erneuten Desaster für ihre Partei bei der Landtagswahl in Hessen nicht mehr für den Vorstand der CDU kandidieren möchte, ja schon über das Ende ihrer Kanzlerschaft nachdenkt.

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