Ich habe gerade meinen Tagebucheintrag
vom 14. Oktober 1968 abgetippt und noch einmal nachempfunden, wie ich mich als
16-jähriger gefühlt habe, der bereits ans Heiraten zu denken wagte. Damals
hatte ich einen Artikel aus einem Reader’s Digest Heft (Jahrgang 18, Januar
1965) in mein Tagebuch geklebt, in dem der Schriftsteller Anthony West einem
Neunzehnjährigem erklärt, wann ein junger Mann reif zur Ehe ist.
Am Ende dieses Artikels fand ich folgende
Anekdote, die mir wie eine Illustration zu meinen gestrigen Überlegungen
zum Kapitalismus vorkommt[1]:
„Professor Raphael Cohen von der
Universität Chicago forderte einmal seine Studenten auf, sie sollten sich
vorstellen, übermenschliche Wesen seien auf die Erde gekommen und hätten sich
erboten, die Menschheit einen Zauber zu lehren, der ihr Leben unvergleichlich
viel angenehmer und farbiger machen würde. ‚Als Gegenleistung‘, fuhr der
Professor fort, ‚verlangten sie lediglich fünfzigtausend Menschenleben im Jahr.
Mit wie viel Empörung hätten alle diesen Handel zurückgewiesen! Dann kam das
Automobil.‘“ (Reader’s Digest, Jahrgang 18, Januar 1965)
Es ist manchmal unglaublich, welche
unverhofften „Schätze“ das Schicksal aus dem Meer der aufgeschriebenen Gedanken
und Ereignisse ans Land einer individuellen Existenz spült!
Was ist nicht alles in der kleinen
Anekdote von Professor Raphael Cohen, vermutlich einem Kollegen von Milton
Friedman an der Universität von Chicago, aus einem über 50 Jahre alten Reader’s
Digest-Heft an Bezügen zu meinen eigenen Gedanken enthalten!
Das Erstaunliche
ist, dass dieser jüdische Gelehrte, der dem Namen nach aus einer
Rabbiner-Familie stammen dürfte, von geistigen Wesen spricht, die eine Art Pakt
mit dem Menschen schließen. Hier klingt das Mephisto-Motiv an. Aber noch
deutlicher ist der Bezug auf die „Geister der Finsternis“, von denen Rudolf
Steiner 1917 sprach.
Nun hat mir I. gestern den Band
202 aus der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe im Bonifatiuskindergarten „abgelegt“,
um den ich sie am vergangenen Donnerstag gebeten hatte, weil in diesen
Vorträgen jenes Zitat zu finden ist, mit dem ich am 29. September meinen
Vortrag vor 14 Menschen beendet hatte: „Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit
und dem Physischen des Menschen – die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen
Sophia“.[2]
Noch vor dem Deutsch-Kurs las ich den
dritten Vortrag vom 28. November 1920. Dort geht es um die „ahrimanische
Verseuchung“. Rudolf Steiner spricht zuerst von den drei alten Idealen
Schönheit, Stärke und Weisheit, die einst unbewusst in der Menschheit gelebt hätten
und heute noch in den Freimauerer-Logen gepflegt würden. Die Schönheit, so
erklärt er, bezieht sich auf den Anblick des Kosmos[3], die
Stärke erhält der Mensch, indem er auf dem Boden des Planeten Erde steht. Die
Verbindung zwischen Kosmos und Erde ergebe die Weisheit.
Diese äußeren Erlebnisse verlagerten
sich in der Gegenwart ins Menscheninnere und tauchen dort, wenn sich der Mensch
geistig schult, als Imagination (verwandelte Schönheit), Intuition (verwandelte
Stärke) und Inspiration (verwandelte Weisheit) wieder auf. Nun führt Rudolf
Steiner aus, wie sich während der Menschheit zweimal geistige Wesenheiten in
diese Erlebnisse einmischten: am Ende des zweiten vorchristlichen
Jahrtausend hätten luziferische Wesen das Erlebnis der Schönheit durchsetzt und
in Bahnen gelenkt, die manche Menschen hochmütig werden ließen. Seit der Mitte
des 19. Jahrhunderts nun würden ahrimanische Wesen von der Erde aus wirken und
die menschlichen Intuitionen durchziehen, die aus der Stärke heraus kommen.
Ich möchte hier aus dem Ende des
Vortrages wörtlich zitieren, in dem es explizit um das Maschinenwesen, das
Rudolf Steiner in Pferdestärken misst, geht:
„Jetzt lässt der Mensch einströmen in
die Materie seinen Geist, in Mechanismen. Der wird da drinnen so, dass zum
Beispiel in Deutschland jeder Mensch noch ein Pferd neben sich aus dem
menschlichen Verstande heraus geschaffen hat, das nun neben ihm arbeitet, das
kein Pferd war, sondern das Maschinenkraft war. Das ist abgesondert vom
Menschen, wie einstmals diese Elementarwesen abgesondert waren vom Menschen,
nur in anderem Sinne. Die waren so abgesondert, dass der Mensch seine
luziferische Kraft darauf wenden musste. Jetzt wendet er seine ahrimanische
Kraft darauf. Jetzt verahrimanisiert er es, mechanisiert es. Wir leben im
Zeitalter der ahrimanischen Verseuchung. Die Menschen merken gar nicht, dass
sie eigentlich zurücktreten aus der Welt, und dass sie ihren Verstand der Welt
einverleiben und neben sich eine Welt, die selbständig wird, schaffen. Und das
große, ich möchte sagen, teuflische Experiment ist ausgeführt worden seit dem
Jahre 1914; dass die eine ahrimanische Wesenheit gegen die andere ahrimanische
Wesenheit im Grunde den Ausschlag gegeben hat. Wir haben es mit einem
ahrimanischen Kampfe fast über die ganze Erde hin zu tun gehabt. Den
ahrimanischen Charakter hat er angenommen dadurch, dass der Mensch eben in dem
Mechanismus, der ihn umgibt, eine neue ahrimanische Welt geschaffen hat. Und es
ist eine neue ahrimanische Welt. Wenn Sie auf die Zahlen sehen: Von 6,7
Millionen (im Jahre 1870) auf 79 Millionen Pferdekraftjahre (im Jahre 1912) in
wenigen Jahrzehnten ist die außermenschliche mechanische Kraft (in Deutschland)
gestiegen – das Verhältnis ist in den übrigen Ländern dasselbe – wie rasch ist
der Ahriman gewachsen in den letzten Jahrzehnten!
Darf da nicht die Frage entstehen, ob
der Mensch ganz verlieren soll, was in seinen Willen gestellt ist, was in seine
Initiativkraft gestellt ist? Die Frage kann gestellt werden, ob denn der Mensch
immer mehr der Illusion entgegengeführt werden soll, er mache die Dinge,
während in Wahrheit die ahrimanischen Kräfte, die man nach Pferdekraftjahren
berechnen kann, gegeneinander arbeiten? Denjenigen, der die Welt überschaut,
interessiert nur vom moralischen Standpunkte aus etwa Foch und Ludendorff und Haig.[4] Vom
Standpunkte der vollen Realität interessieren ihn diejenigen Kräfte, die aus
der Kohle[5] kommen
und die an den Fronten aufeinanderprallen, die aus den mechanischen Werkstätten
an die Fronten geführt werden, je nach den Erfindungskräften der vorherigen
Jahre, und die zu einem einfachen Rechenexempel machen, was geschehen muss.
Somit ist das Ahrimanischwerden der
Welt ein einfaches Rechenexempel, um zu wissen, was geschehen muss. Und wie
steht der Mensch daneben? Er kann ja als der Dumme daneben stehen, dem zuletzt
seine Maschinen entgegenlaufen, wenn er noch etwas kompliziertere Kombinationen
von Kräften findet.“[6]
Hier deutet Rudolf Steiner im Jahre
1920 etwas an, was erst jetzt, knapp 100 Jahre später „volle Realität“ geworden
ist, nicht nur in den weltweiten Kriegen, sondern im friedlichen Alltag: wenn
man durch die Stadt geht und die Menschen bewusst anschaut, die im Gehen mit
ihrem Smartphone kommunizieren, dann kann man schon den Eindruck haben, dass
die Maschinen den Menschen „entgegenlaufen“.
[3] Das über
ganz Mitteleuropa seit Wochen lagernde Hoch – gestern sah ich im Wetterbericht
nach dem Heute-Journal die entsprechenden Sattelitenbilder – führt dazu, dass
die kühlen Nächte in diesen Oktobertagen sternenklar sind und jeder, der seinen
Blick nach oben richtet, die Schönheit der Sternenwelt wahrnehmen kann.
[4] Der
französische Heerführer Ferdinand Foch (1851 – 1929) und der deutsche
General Erich Ludendorff (1865 – 1937),
beide unmittelbare Zeitgenossen Rudolf Steiners, werden in dem im letzten Jahr
erschienen Buch „Kometenjahre – 1918, Die Welt im Aufbruch“ des Berliner Historikers Daniel Schönpflug
aus dem S. Fischer Verlag, das ich zurzeit lese, anschaulich geschildert, nicht
jedoch der hier angeführte britische General Douglas Haig (1861 – 1928).
[5] Rudolf
Steiner spricht hier den fossilen Brennstoff „Kohle“ an. Mit der Kohle wird in
den Hüttenwerken das Eisenerz geschmolzen und zu Stahl verarbeitet. Man könnte
jedoch im Anschluss an Raphael Cohen auch vom Erdöl sprechen, das als Diesel
oder Benzin für den Antrieb der Maschinen, also der Automobile, notwendig ist.
[6] Rudolf
Steiner, Die
Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen – die Suche
nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia, Sechzehn Vorträge, GA 202, Dornach
1988, S 51f.
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