Dienstag, 26. November 2019

Kunst oder "Ramsch"? - Erlebnisse nach einem medialen "Overkill"


Wassily Kandinsky, Das jüngste Gericht, 1911, Privatbesitz

Auch gestern haben Lena und ich wieder viel Zeit vor dem Fernseher verbracht, eine Art „medialer Overkill“.
Zuerst schauten wir den Film über die Russlanddeutschen („Russlanddeutsche – zwischen Tradition, Freiheit und Frust“)[1] an, der am Sonntagabend im ZDF ausgestrahlt worden war. Dann zeigte ich Lena den australischen Film „Embrace“ von Taryn Brumfitt (2016) aus der Arte-Mediathek[2], den ich am Sonntagabend nach dem Film „Carol“ noch angeschaut hatte, und schließlich sah ich mir allein noch das Porträt der jüdischen Galeristin und Mäzenin Peggy Guggenheim an, das ebenfalls in der Nacht auf Montag auf Arte ausgestrahlt worden war.[3]
Nachdem ich gestern Nacht kurz vor 22.00 Uhr von meinem Kurs in Crailsheim zurück gekommen war, sah ich noch ca. eine Stunde des britischen Films „Mission“ von Roland Joffe aus dem Jahre 1986 mit den beiden noch recht jungen Schauspielern Jeremy Irons und Robert de Niro.
In dem Film über die Russlanddeutschen lerne ich den Youtuber Sergey Filbert kennen, der mit Leuten wie Owe Schattauer und Ken Jebsen befreundet ist, die stark für die russisch-deutsche Freundschaft („Druschba“) und gegen die NATO eintreten, also im Prinzip die gleiche Haltung vertreten, die auch ich einnehme, wenn auch vielleicht nicht ganz so aggressiv wie der Rapper Owe Schattauer oder der Friedensaktivist Ken Jebsen. Aber vielleicht muss man so plakativ argumentieren, wie diese Männer, die den Weltfrieden durch einen drohenden Krieg zwischen der NATO unter amerikanischer Führung und Russland stark gefährdet sehen.
Sergey Filbert ist – so erfahre ich in dem Film – 2002 mit 19 Jahren als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Er lebt wohl im sächsischen Dresden und wehrt sich gegen die „Hetze“ gegen Russland. Einen Augenblick kommt gleich zu Beginn des Films auch das vergoldete  Reiterstandbild Friedrich Augusts (des Starken) in Dresden ins Bild, dessen aufsteigende Geste mich sofort an die Statue Peters des Großen in Sankt Petersburg erinnert hat. Das ist insofern aktuell, als ausgerechnet am gestrigen „schwarzen“ Montag die „Kronjuwelen“ dieses Herrschers aus dem „Grünen Gewölbe“ seiner Residenz in Dresden gestohlen worden sind, die einen unschätzbaren Wert haben.
Der Herzog von Sachsen und König von Polen ist eine schillernde Figur im Zirkel der absolutistischen Herrscher des 18. Jahrhunderts, zu denen er neben Ludwig XIV. von Frankreich, Katharina II. von Russland, Friedrich II, von Preußen und Maria Theresia von Österreich gehörte. Nicht zu vergessen ist allerdings auch Herzog Karl-Eugen von Württemberg, der rund um seine Hauptresidenz, die bereits sein Vater von Stuttgart nach Ludwigsburg verlegt hatte, eine Reihe von „Liebesnestern“ angelegt hatte, die er dann in gut französischer Manier „Favorite“, „Monrepos“ oder „Solitude“ nannte.
Sergey Filbert ist von Beruf Servicetechniker für Kaffee-Automaten, hat eine ukrainische Frau und zwei Kinder, verbringt jedoch den größten Teil seiner Freizeit damit, kleine Videos aus dem deutschen Fernsehen ins Russische zu übersetzen und auf seinen tausendfach angeklickten Youtube-Kanal[4] „Golos Germanii“ (Stimme Deutschlands) zu stellen. Ken Jebsen präzisiert: „Sie sind die russische Synchronstimme von KenFM“. [5]
Interessant ist, dass der Film über die Russlanddeutschen in einer Szene russlanddeutsche Friedensdemonstranten in Dresden zeigt, die mit dem Lied der schwarzen Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome“ durch die Stadt laufen. Das Lied hörten wir ebenfalls am Sonntag, als wir die Folge „Verlorene Filmschätze“ auf Arte anschauten, die den großen Friedenszug der amerikanischen Bürgerrechtler am 28. August (Goethes Geburtstag) 1963 in der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. zeigte.[6] Auch die junge Joan Baez, die ich dreimal in einem Live-Konzert erleben durfte, sahen und hörten wir dieses Lied singen, das sie bis heute in ihren Konzerten vorträgt und damit an die große Zeit erinnert, als ich noch ein Kind von 11 Jahren war und gerade (an Ostern 1963) die Winnetou-Filme entdeckt hatte. Vier Jahre später, im März 1967 bekam ich dann von meiner verehrten Deutschlehrerin Frau Kleinschmidt das Buch „Der gewaltlose Aufstand“ zur Konfirmation geschenkt, das von dieser Friedensdemonstration und von Martin Luther King berichtet.
Der nächste Film, den wir uns anschauten, hat uns noch einmal bewusst gemacht, wie sehr Frauen, die sich oft mit anderen Frauen vergleichen, von dem in den Modemagazinen gezeigten Foto-Models geprägt oder zumindest beeinflusst werden. Keine Frau hat diesen perfekten Körper, den diese „Vorbilder“ haben. Und viele leiden darunter, auch Lena. Wieder taucht die Frage auf: „Was ist das überhaupt, „weibliche Schönheit“?
Als ich neulich über meine drei Schülerinnen schrieb, die zwei Rumäninnen Claudia und Nadina und die Kosovarin Ramize, und sie als „ausgesprochen hübsch“ bezeichnete, protestierten zwei Facebookfreundinnen (Anna-Katharina und Karen) mit Recht.  Ich sah ein, dass es Blödsinn ist, Frauen als „ausgesprochen hübsch“ zu beurteilen, denn damit werte ich indirekt alle anderen Frauen ab, die vielleicht „nur“ „sympathisch“ sind, wie ich damals über die Türkin Aysche schrieb.
Der Film „Embrace –Du bist schön“ von der jungen australischen Bloggerin Taryn Brumfitt öffnete mir die Augen und nach dem Film hatte ich einen ganz neuen Blick auf die Vielfalt weiblicher Schönheit. Ich glaube, der Film hat vielen Frauen geholfen, sich so zu akzeptieren, wie sie sind, und bei manchen dazu geführt, dass sie ihre „Diät-Ratgeber“ in den Müll geworfen haben.
Als wir gerade die deutsche Schauspielerin Nora Tschirner[7], die in dem Film „Embrace“ ebenfalls einen Auftritt hatte, sahen, rief meine Tochter Raphaela[8] an und fragte mich nach unserem früheren Wohnhaus in Aufhausen bei Heidenheim, wo sie sich gerade „mit einem Kollegen“ (auf Tournee?) befand. Lena meinte, die deutsche Schauspielerin, die ich aus Till Schweigers Komödie „Kleinohrhasen“ kenne, gleiche bis in ihre Gestik und ihren Kleidungsstil hinein Raphaela. Ich musste Lena, die einen klaren Blick für solche Ähnlichkeiten hat, Recht geben.
Raphaela ist Gott sei Dank schon lange über den gesellschaftlich geförderten „Schönheitswahn“ hinaus gewachsen und geht selbstbewusst ihren eigenen Weg, auch wenn sie sich bisweilen auch nicht „schön“ findet. Aber das ist ganz normal: Stimmungen schwanken.
Das 90-minütige Porträt über Peggy Guggenheim (1898 – 1979) von Lisa Immordino Vreeland (USA 2015)[9] ergänzt das, was ich aus ihren Memoiren „Ich habe alles gelebt“ (Out of this Century – Confessions of an Art Addict, USA 1946, 1960 und 1979) bereits kenne. Diese Frau, die zuerst in London, dann in New York und schließlich in Venedig Galerien eröffnete und mit ihren Sammlungen zeitgenössischer Kunst des 20. Jahrhunderts, darunter Kandinsky, Klee, Picasso, Brancusi, Giacometti, Ernst, Dali, Pollock und viele andere bestückte, war nicht im eigentlichen Sinne schön; trotzdem hatte sie Affären mit zahlreichen Männern und galt im Gegensatz zu ihrem Onkel Salomon Guggenheim, der die New Yorker Galerie, das berühmte „Guggenheim-Museum“, bauen ließ, als Familienskandal. Peggy Guggenheims größte weibliche Gegenspielerin war die Beraterin ihres Onkels, die Baronin Hilla Rebay (1890 – 1967)[10], die der Anthroposophie nahe stand. Ich sehe in den beiden Frauen Vertreterinnen zweier Kunstströmungen der Neuzeit, die beide ganz unterschiedliche Kunstauffassungen hatten. Was Peggy schön fand, fand Hilla hässlich.
Peggy Guggenheim schrieb in ihren Memoiren:
„Einmal während der Ausstellung[11] kam ein Kunstlehrer von einer Schule in Nordengland zu mir in die Galerie und bat mich, etwa zehn Bilder von Kandinsky mitnehmen zu dürfen, um sie seinen Schülern zu zeigen. Mir gefiel die Idee, und ich schrieb an Kandinsky, der auch seine Erlaubnis gab. In seiner geschäftsmäßigen Art bestand er allerdings darauf, dass seine Arbeiten für diese Exkursion versichert wurden. Nach Ende der Ausstellung erschien der Lehrer, verzurrte zehn Kandinskys auf dem Dach seines Wagens und fuhr damit los. So unbekümmert ist sicher nie wieder mit Kandinskys Bildern umgegangen worden. Als er die Gemälde zurückbrachte, berichtete er von dem großen Eindruck, den sie in seiner Schule hervorgerufen hatten.
Wie ich es Kandinsky versprochen hatte, schrieb ich an meinen Onkel und erkundigte mich, ob er das bewusste Bild immer noch kaufen wolle. Onkel Salomon schickte mir einen freundlichen Antwortbrief, in dem er mir ankündigte, die Kuratorin seines Museums, Baroness Rebay, werde meine Anfrage persönlich bearbeiten, und nicht lange danach erhielt ich folgenden Brief, der hier wiedergegeben wird, weil er ein unglaubliches Dokument seiner Art ist:
‚Liebe Mrs. Guggenheim ‚jeune‘,
ich bin damit beauftragt, ihre Bitte um Ankauf eines Kandinskys zu beantworten.
Zunächst muss ich Ihnen sagen, dass wir grundsätzlich keine Bilder über den Kunsthandel erwerben, solange bedeutende Künstler ihre Werke selbst zum Kauf anbieten; zweitens aber müssen Sie wissen, dass Ihre Galerie die letzte wäre, wo unsere Stiftung Bilder einkaufen würde, falls wir einmal tatsächlich ein historisch wichtiges Werk über den Kunsthandel beziehen müssten.
Der Name Guggenheim ist in der Kunstwelt zu einem Symbol für ideale Kunstförderung geworden. Es zeugt von ungewöhnlicher Geschmacklosigkeit, wenn jetzt dieser Name kommerziell ausgeschlachtet werden soll, als ob das größte philanthropische Werk nur dazu gedient hätte, einem kleinen Laden auf die Beine zu helfen. Übrigens werden Sie bald merken, dass es gar nicht so viel ungegenständliche Kunst gibt, um sie als ausschließlichen Schwerpunkt für einen Kunsthandel betrachten zu können. In diesem Bereich kann es keinen Handel mit echter Kunst geben, wenn man Mittelmäßigkeit und Ramsch vermeiden will. Sollten Sie sich aber ernstlich für ungegenständliche Kunst interessieren, hätten Sie durchaus die Mittel, solche Werke anzukaufen und eine eigene Sammlung aufzubauen. Auf diese Weise würden Sie in nützlichen Kontakt mit Künstlern kommen, und Sie könnten Ihrem Land eine schöne Kunstsammlung hinterlassen, sofern Sie die richtige Wahl treffen. Andernfalls werden Sie bald in eine Sackgasse geraten und müssen auch mit wirtschaftlichem Misserfolg rechnen.
Der Name Guggenheim steht für große Kunst dank der Voraussicht eines bedeutenden Mannes, der seit Jahren wirklich gute Kunst sammelt und fördert, und dank meiner eigenen Arbeit und Erfahrung. Es bedarf schon eines hohen Maßes an Unverfrorenheit, diesen Namen, unsere Arbeit und unseren Ruf für billige Profitmacherei herabzuwürdigen.
Hochachtungsvoll,
HR
P.S.: Wir werden unsere jüngste Veröffentlichung vorerst nicht nach England ausliefern.‘“[12]

Es geht in dem Streit der beiden „Rivalinnen“ um die Frage, was „wirklich gute Kunst“ ist, und was nicht. Durch ihre Geringschätzung der Sammlung von Peggy Guggenheim stellt sich Hilla von Rebay in die Nähe der Nazi-Anschauung, die moderne Kunst als „entartete Kunst“ ablehnte, und zeigt im Stil jene Arroganz, die ich leider bei vielen Anthroposophen immer wieder erlebt habe. Interessant ist dabei, dass sich der Streit ausgerechnet an einem Werk des russischen Künstlers Wassily Kandinsky (1866 – 1944) entzündete, der sich in seinem Buch „Das Geistige in der Kunst“ (1911) auch auf Rudolf Steiner berief.
Am Abend sah ich dann den Film „Mission“, der zusammen mit meinem Lieblingsfilm „Opfer“ von Andrej Tarkowski 1986 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes stand. Im Gegensatz zu „Opfer“ habe ich „Mission“ noch nie gesehen und sah ihn gestern zum ersten Mal, ziemlich genau 33 Jahre nach seiner Kinopremiere. Er ist noch bis zum 01.12. auf Arte abrufbar.[13]
Während Andrej Tarkowski in „Opfer“ einen Einzelgänger zeigt, der durch ein Gelübde die Welt vor einer Atomkriegskatastrophe retten möchte, schildert der Film von Roland Joffe die Gründung einer Jesuiten-Mission im Regenwald des Amazonas im 18. Jahrhundert, um die Indios vor der Versklavung zu bewahren. Robert de Niro spielt in dem Film einen ehemaligen Sklavenhändler, der sich nach dem Tod seines Bruders bei einem Streit zur Buße bereit erklärt und selbst in den Orden eintritt.
Der großartige Schauspieler Robert de Niro taucht auch zweimal in dem Film über Peggy Guggenheim auf, denn seine beiden Eltern waren Künstler und einige ihrer Werke hängen bis heute im Guggenheim-Museum in Venedig, das eines der meistbesuchten Museen der Welt ist.
Das wusste ich nicht.
So habe ich an diesem Tag durch mein Interesse an Medien, das heißt sowohl an Dokumentar- als auch an Spielfilmen, viel Neues erfahren und gelernt.
Ein bisschen hatte mich gestern ein Kommentar irritiert, den mein lieber Freund Dieter unter einen Post schrieb, den ich auf Facebook veröffentlicht hatte, indem er in gewisser Weise meine Kinoleidenschaft „abwertete“. Er schrieb, dass er das musikalische Märchen „Peter und der Wolf“ „natürlich“ kenne und fährt dann fort, indem er mich zitiert:

„ABER: ‚Immer wieder bin ich erstaunt, wie ahnungslos manche Menschen sind. So denke ich, dass kaum jemand weiß, wer Walter Ruttman ist, oder was die Autojagden durch San Francisco aus dem Film ‚Bullit…‘ – Da gehöre ich auch zu den Ahnungslosen. War und bin kein Kinogänger. Ich hatte in dem Alter genug andere Sachen zu tun, Kino vermisste ich nie.“

Das klingt ein wenig so, als seien „die anderen Sachen“ wichtiger oder wesentlicher gewesen, als meine Liebe zum Kino. Ich kenne ja seine Einstellung zum Kino schon lange. Ob er meine kennt, bezweifle ich.
Ich muss mich dafür auch nicht rechtfertigen, aber ich denke, dass die Wahrnehmung der wichtigen Werke der Filmkunst zu einer wachen Zeitgenossenschaft dazugehört. Ich habe Filme nie der Unterhaltung wegen angeschaut, sondern durch sie einen Zugang zur Welt und zur Zeit gesucht. Ich weiß, dass Dieter Weltreisen unternommen hat, Städte wie New York, Chicago, San Francisco und auch einige Städte Brasiliens aus eigener Anschauung kennt. Damit kann ich nicht aufwarten. Ich bin nie aus Europa hinausgekommen, auch wenn ich inzwischen Freunde in der ganzen Welt habe.
Auch habe ich – im Gegensatz zu Dieter – nie in einem Film mitgespielt. Dieter hat mir vor Jahren einmal erzählt, dass er – wohl im Jahre 1959, also mit sieben Jahren – als Statist in einem Film mit Lieselotte Pulver spielen durfte, dessen Außenaufnahmen in Rothenburg ob der Tauber gedreht wurden. Es kann sich eigentlich nur um die Verfilmung der Novelle „Gustav Adolfs Page“ von Conrad Ferdinand Meyer handeln, die im Jahre 1960 in die Kinos kam. Den Film habe ich erst vorletztes Wochenende mit Lena angeschaut und wir haben versucht, Dieter im Gewimmel zu identifizieren.
Vielleicht war er ja der blondgelockte Sohn (oder vielmehr die Tochter) des Bürgermeisters Leublfing, den Curd Jürgens in der Rolle des Gustav Adolf hochgehoben und geküsst hat.



[4] „Ein „Klick-Multimillionär im Internet“
[5] Das Interview Ken Jebsens mit Sergey Filbert, dem „modernen Helden“ (Jebsen) vom 22. Juni 2017 (Tag des Angriffs Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion) kann man auf Youtube anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=zhC6RZABpOs
[6] Arte zeigte am Sonntag in seiner Filmreihe „Verlorene Filmschätze“ Aufnahmen von der großen Friedensdemonstration am 28. August (Goethes Geburtstag) 1963 in Washington, bei der Reverend Dr. Martin Luther King seine berühmte Rede „I have a Dream“ hielt: https://www.arte.tv/de/videos/055937-001-A/verschollene-filmschaetze/
[9] In dem Film werden Tonaufnahmen mit der Stimme von Peggy Guggenheim zum ersten Mal veröffentlicht, die vor etlichen Jahren in einem Keller gefunden worden waren.
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Hilla_von_Rebay Sie wurde 1949 nach dem Tod Salomon Guggenheims als Kuratorin des Museums „entlassen“.
[11] In ihrer 1938 eröffneten Londoner Galerie „Guggenheim Jeune“
[12] Peggy Guggenheim, Ich habe alles gelebt, Bastei-Lübbe-Taschebuch, Bergisch Gladbach 1988, S 152f

Sonntag, 24. November 2019

Von "Anführern", "Hofschranzen" und "Idioten"



Gestern (23.11.2019) Abend sah ich auf 3SAT einen Beitrag des 52-jährigen Journalisten und Verlegers Jakob Augstein zur Debattenkultur: „Die empörte Republik – Jakob Augstein unterwegs durch Debatten-Deutschland“ von Tim Klimes (Deutschland 2019).[1] Er sagt, früher war es noch einfacher, den Debatten zu folgen, weil nur wenige daran teilnahmen. Heute, im digitalen Zeitalter, kann sich jeder mit seiner Meinung „einklinken“ und dabei geht das Niveau oft verloren, weil empörte Bürger ihrem Unmut, ja bisweilen ihrer Wut Ausdruck verleihen. Dennoch meint Jakob Augstein, der sich bei seiner Recherche in verschiedenen Städten Europas filmen lässt, dass „Wahrheit in der Debatte entsteht“. Dieser Satz wäre zu überprüfen, entspricht aber vielleicht dem Satz, den ich gestern bei Thorsten Schulte fand, und der auf Karl Jaspers zurückgeht: „Frieden braucht Freiheit und Freiheit braucht Wahrheit.“
Seit zehn Jahren (2009) ist bekannt, dass der „rechtliche“ Sohn des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein in Wirklichkeit der leibliche Sohn von Martin Walser ist. Das ist der Grund, warum mich dieser am 28. Juli 1967 geborene Mann interessiert, denn ich schätze den Schriftsteller Martin Walser sehr.
Jakob Augstein bezeichnet sich zunächst selbst als „Journalist“, weiß aber gar nicht mehr so genau, was das ist, und verbessert sich: „Ich bin ein Kommentator“. Aber auch das gefällt ihm noch nicht so gut, so dass er schließlich zu der Definition gelangt: „Ich bin ein Teilnehmer der Debatte“.
Das gefällt mir, und ich kann sagen, dass ich im Mini-Format mit meinem Blog „Kommentare zum Zeitgeschehen“ eigentlich dasselbe versuche: an der Debatte teilnehmen.
Diese drei „Ich-bin-Worte“ finde ich interessant und erlebe sie als Suchbewegung.
Augstein sucht bei seiner Reise durch die Republik zunächst Menschen auf, die sich an den heutigen Debatten beteiligen, die aber noch wissen, wie Debatten in der vordigitalen Zeit aussahen, als die Teilnehmerzahl noch wesentlich kleiner war. Den ersten Menschen, den er besucht, ist Stefan Aust, der langjährige Chefredakteur des „Spiegel“ und jetzige Herausgeber der „Welt“. Er ist einer der „wichtigsten Meinungsmacher in Deutschland“ (Augstein) und einer der wenigen übrig gebliebenen Presse-Mogule der Bundesrepublik, die einst die öffentliche Debatte bestimmt haben.
Augstein nennt Stefan Aust, den 2014 überraschend verstorbenen Frank Schirrmacher (FAZ), Matthias Döpfner[2] und Kai Dieckmann (beide „Bild“) die wichtigsten „Debatten-Anführer“ der „vordigitalen Zeit“. In dem Wort „Anführer“ steckt für mein Ohr etwas von einem „Bandenanführer“ drinnen. Aber es trifft genau, was ich auch denke. Deutschland hatte in der Diktatur des Dritten Reiches einen „Führer“ und anschließend in der Demokratie eine Gruppe von „Anführern“, welche die Meinung des Volkes bestimmten oder zumindest zu lenken versuchten.
Mit Stefan Aust hat Jakob Augstein, wie er sagt, über das seit 2015 bestehende „Oberthema“ debattiert, über das Thema „Migration“, eine Debatte, die das Land „in einer Art und Weise gespalten hat, wie wir das vielleicht seit der Ostpolitik von Willy Brand nicht mehr hatten“ (Augstein).
Wenn ich Stefan Aust in seinem noblen Büro mit weitem Blick über die Stadt im „Springer-Hochhaus“, in seinem dick gepolsterten Ledersessel beinahe versinkend, sehe, dann weiß ich, dass dieser Mann „arriviert“ ist und zum Establishment gehört, also zu jener Elite, die in unserem Land Einfluss hat. Vielleicht war er einst ein „Bandenanführer“, der als Spiegel-Redakteur und Kenner der RAF in den Jahren nach 1968 auch einmal gegen die Springer-Presse demonstriert hat; heute erscheint er als vollkommen saturiert und „gut gepolstert“ und bezeichnet die Tageszeitung „ Die Welt“, die einst eindeutig konservativ war, als ein für alle Positionen offenes Blatt.
Welch ein Wandel hat sich da sowohl mit der Tageszeitung, als auch mit dem Redakteur vollzogen! Meine äußerst konservative Tante hat mir Anfang der 70-er Jahre ein Abonnement der „Welt“ geschenkt, damit ich auch einmal ihre Position kennenlerne, damals, als auch ich mit 18 Jahren eher links stand und die Ostpolitik Willy Brands gut hieß. Natürlich ging das meiner heimatvertriebenen Familie völlig gegen den Strich, die in Schlesien, Ostpreußen und Pommern immer noch das wahre „Ostdeutschland“ und nicht die verlorenen „Ostgebiete“ sahen.
Stefan Aust spricht im Gespräch aus, was schon lange auch mein Gefühl ist: „Die weit überwiegende Mehrheit der Medien ist im Prinzip einer Meinung und unterstützt im Prinzip eine Politik, welche zum Beispiel in der Migrationsfrage, aber auch in der Energiefrage von Angela Merkel und ihrer Koalition sowie den Grünen“ vertreten wird.
Genau das ist ja der Vorwurf jener „Empörten“[3], die sich nicht mehr gehört fühlen, weil sie grundsätzlich anderer Meinung sind, und die dann als „Rechtspopulisten“ abgekanzelt werden, also als Teilnehmer der Debatte gar nicht mehr in Frage kommen: „Mit denen spricht man nicht.“
Der arroganteste Satz, den Stefan Aust in dem Interview mit Jakob Augstein ausspricht, ist meiner Meinung nach folgender. „Es ist zweifellos der Fall, dass die Debatten früher eleganter geführt wurden als heute. Das ist ja auch der Nachteil der Demokratie: Jeder Idiot darf wählen und jeder Idiot darf im Zweifel auch gewählt werden. Warum sollte dann nicht auch jeder Idiot im Internet seine Meinung veröffentlichen dürfen.“
Da kommt mir sofort die Frage: meint Aust, dass es außer den wirklichen Journalisten nur noch Idioten in unserem Land gibt?
Augstein wendet den Ausspruch Austs dann noch einmal und spricht von „idiotischen Meinungen“. Was er darunter versteht, kann man nur ahnen, wenn man den Vorspann oder weitere Einspielungen des Films beachtet: Es sind die Meinungen von AfD-Politikern oder Pegida-Anhängern, also von ausgemachten „Idioten“, die wiederum von ausgemachten „Idioten“ gewählt oder beklatscht werden. Augstein und Aust teilen, wenn ich den Gedanken bis zu Ende führe, die Welt also nicht mehr, wie andere, in „die Guten“ und „die Bösen“ ein, sondern in echte „Journalisten“ und „Idioten“.
Der nächste Journalist, den Jakob Augstein besucht, ist Jan Fleischhauer, eine der „größten Hassfiguren im deutschen Journalismus“. Er habe „es wirklich geschafft, sich zu inszenieren und sich zu stilisieren als leicht süffisanter rechter Stinkstiefel“, charakterisiert Augstein seinen Freund und ehemaligen Kollegen beim „Spiegel“ („schwarzes Feigenblatt“).
Was für eine Sprache!
Wenn Aust Menschen, die ihre Meinung im Internet veröffentlichen, pauschal als Idioten verunglimpft, so macht Augstein nun weiter, und nennt seinen Freund Fleischhauer, vermutlich linke Journalisten zitierend, einen „rechten Stinkstiefel“. Das ist „Gossensprache“, nicht die „elegante“ Sprache von seriösen Journalisten.
Fleischhauer sei, so Augstein, ein Vollprofi darin, den „Trigger“ auszulösen, den es braucht, um bei „Leuten“ eine Reaktion auszulösen. Man kann, so erfährt man, Fleischhauer als Referent über das Thema „die Funktion der Medien und des Internets als Skandalisierungsbeschleuniger“ buchen. Der Journalist solle versuchen, den „Empörungsstrom“ zu treffen und dürfe natürlich wie Karl Kraus oder Kurt Tucholsky provozieren.
Fleischhauer kritisiert das „Sektiererische“ der Linken, die sofort aufschreit, wenn jemand mit den „falschen Leuten“ auf dem Podium sitzt, oder sich mit diesen trifft.
Einer dieser Journalisten, der sich mit den „falschen Leuten“ umgibt, ist der ehemalige Spiegel-Redakteur Matthias Matussek, der seine Wandlung in dem Buch „White Rabbit oder der Abschied vom gesunden Menschenverstand“ 2018 im „rechten“ Verlag „Tichys Einblicke“ veröffentlicht hat. Sein Stinkstiefelpotential ist offenbar so groß, dass ihn Augstein in seinem Film gänzlich aus der Debatte ausschließt und nicht selbst zu Wort kommen lässt. Nur in einem Fernsehausschnitt[4] des „Satirikers“ Jan Böhmermann wird dieser ehemals hochgelobte „Publizist und Alpha-Journalist“ erwähnt, weil Jan Fleischhauer auf dessen 65. Geburtstagsparty „gesichtet“ worden war.
Das erinnert mich an eine weitere konsequente Ausgrenzung eines anderen „rechten Stinkstiefels“.
Das Politmagazin Spiegel hielt es nicht für notwendig, einen Nachruf auf Günther Zehm abzudrucken, der viele Jahre die Kolumne „Pankraz“ in der „Welt“ geschrieben hat, aber 1995 zur „Jungen Freiheit“ übergewechselt ist. Der Autor, der in Leipzig bei Ernst Bloch und später in Frankfurt bei Theodor W. Adorno studiert bzw. assistiert hat, ist 1956, als er den Aufstand in Ungarn positiv bewertete, in der DDR als „Konterrevolutionär“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er konnte im Jahre 1961 aus der DDR fliehen und in Westdeutschland eine neue Existenz aufbauen. Der Honorarprofessor und „Konkretdenker“[5] begründete in der Tageszeitung „Die Welt“ im Juni 1975 seine Kolumne „Pankraz“, die nach einer Figur aus Gottfried Kellers Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“ benannt ist. 12 Jahre lang, von 1977 bis 1989 war Günther Zehm stellvertretender Chefredakteur der „Welt“.
Seine Kolumne erschien immer montags in der erklärten Absicht, „Tendenzen aufzustöbern und anschaulich zu machen, die vorerst noch unsichtbar umgehen“ (Zehm).
Nach dem Tod von Axel Springer (am 22. September 1985) und insbesondere im Jahr des Mauerfalls (1989) kam es zunehmend zu Auseinandersetzungen mit dem damaligen Welt-Chefredakteur Manfred Schell über den Kurs der Zeitung und Zehm wurde zum Ausscheiden gedrängt.
Von 1990 bis zum 10. Juni 1994 veröffentlichte er seine Kolumne im „Rheinischen Merkur“. An jenem Tag erschien „Pankraz“ zum ersten Mal nicht in der Zeitung.
Der Chefredakteur Thomas Kielinger hatte sie kurzerhand aus dem Blatt genommen und wahrheitswidrig behauptet, Zehm sei verreist. In Wirklichkeit hatte Kielinger eine Bemerkung Zehms anlässlich der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie missfallen, als Zehm zu bedenken gab: „Auch die Helden des D-Days nebst Onkel Joe, dem Moskauer Verbündeten, (…) haben Millionen von Kriegsgefangenen zu Tode gehungert, zehntausende von Frauen vergewaltigt, haben schließlich die halbe Welt in ein einziges, über vierzig Jahre betriebenes Dauer-KZ verwandelt.“ Diese Feststellung dürfte so ziemlich der Wahrheit entsprechen, war aber in jenen Jahren alles andere als „politisch korrekt“.
Auch Günther Zehm muss man nennen, wenn man von den wichtigen Meinungsanführern der Bundesrepublik spricht. Der Spiegel hielt das nach seinem Tod am Allerheiligentag 2019 nicht für nötig. Dieses Schweigen spricht für mich Bände: Unliebsame Journalisten werden ausgegrenzt und bei Gelegenheit gemobbt, wie Matthias Matussek von Jan Böhmermann.[6]
Augstein spricht jene Geburtstagsparty bei seinem Freund Fleischhauer an und erfährt, dass Fleischhauer – wenn er davon gewusst hätte – durchaus bereit gewesen wäre, mit einem Mitglied der „Identitären Bewegung“, das auf der Party war, zu reden, um zu verstehen, was in ihm vorgeht. Böhmermann, der mit seinem Fernsehbeitrag eine Art Hetzjagd auf Jan Fleischhauer initiieren wollte, bekommt auch sein Fett ab. Fleischhauer nennt ihn die „Hofschranze des ZDF“.
Augstein kommentiert: Fleischhauer war der letzte „Rechte“ bei „Spiegel-Online“. Nachdem er zu Burda gegangen ist, gebe es jetzt nur noch „Linke“ in der Spiegel-Kolumne. Das sei eine „Monokultur“.



[2] Den Verleger der Bildzeitung bezeichnet Augstein als den „letzten Mohikaner“, als einen Verleger, der das noch kann, was die anderen schon lange nicht mehr können: die Meinung beeinflussen.
[3] Der Ausdruck geht auf Stephane Hessel zurück, der in einem kleinen Bändchen („Empört Euch!“) zur „Empörung“ aufrief, das sich dann in den Jahren 2010/11 in Windeseile verbreitete und von Spanien bis nach Nordafrika eine Art „Frühling“ bewirkte. Als es aber dann in Syrien ebenfalls zu Demonstrationen wie in Tunesien und Ägypten kam, fürchtete Israel (und seine westlichen Verbündeten) einen Flächenbrand, der auch den jüdischen Staat bedrohen könnte, der seit jeher zwischen Ägypten und (As-) Syrien lag und einmal von der einen, einmal von der anderen Großmacht bedroht wurde. So verwandelten sich die Bürgerdemonstrationen zuerst zu einem Bürgerkrieg und schließlich in einen richtigen Stellvertreterkrieg, in dem israelfreundliche (USA) und israelfeindliche (Iran) Kräfte gegeneinander kämpften.
[4] Neo Magazin Royal vom 18.03.2019
[5] „Günther Zehm war immer auch ein Konkretdenker. Die concretio, die Verdichtung, das konkrete Sprechen in den Spuren seines frühen akademischen Lehrers Ernst Bloch sowie der Philosophen Georg Simmel und Jose Ortega y Gasset war ihm ungemein wichtig. Er trachtete nicht danach, für die Elfenbeintürme der Intellektuellen zu schreiben. Seine Texte sollten an den Lebensstrom angebunden sein und daraus Erkenntnis schaffen.“ Thorsten Thaler, Junge Freiheit Nr. 46 vom 8. November 2019, S 15
[6] „Auf der Party war das Who-is-Who der Prüf- und Verdachtsfälle des Verfassungsschutzes“ sagt der Mann mit einem Augenzwinkern, als hätte er ganz vergessen, wie viele Linke in den 70-er Jahren ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wurden.

Samstag, 23. November 2019

Russisch-Deutsche Freundschaft



Ich habe gestern medial zwei interessante Persönlichkeiten „kennen gelernt“, die mich – jeder auf seine Weise – so beeindruckt haben, dass ich heute Morgen aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte. Ich muss über sie schreiben.
Zuerst hörte ich auf dem Weg nach und von Uttenhofen, wo ich Lena um 11.30 Uhr von der Arbeit abholen musste, Ausschnitte aus der SWR1-Sendung „Leute“.[1] An diesem 22. November war ein besonderer Mensch zu Gast: Diether Dehm. Ich hatte noch nie etwas von diesem Mann gehört, sein Name war mir vollkommen unbekannt. Aber wie er in der Sendung auf die Fragen des Moderators Wolfgang Heim antwortete, hat mich beeindruckt.
Diether Dehm ist Komponist, ehemaliger Liedermacher[2], ehemaliger Musikmanager[3], aktueller Buchautor[4] und Politiker. Der 69-Jährige war früher Mitglied in der SPD und sitzt seit 14 Jahren für „Die Linke“ im Bundestag. Er hat dem Ex-RAF-Mitglied Christian Klar, der wegen seiner terroristischen Vergangenheit 26 Jahre im Gefängnis war, nach der Entlassung Arbeit als Webmaster verschafft, was von gewissen Leuten kritisiert wurde, hat seine Kontakte zu Yavier Naidoo, der von manchen in die Nähe der „Reichsbürger“ gestellt wird, nicht abgebrochen und kritisiert offen die Siedlungspolitik Israels.
Dieser Querdenker ist deswegen im Springer-Blatt „Die Welt“ als „Antisemit“ diffamiert worden.[5] Nachdem er vor etwa 30 Jahren die „Deutsche Bank“ ein „Krebsgeschwür der Demokratie und Volkswirtschaft“ und eine „Verbrecherorganisation“ genannt hatte, kam über die Bildzeitung prompt die Retourkutsche und Diether Dehm, der als solcher in einem Roman einer TAZ-Autorin „aufgetreten“ war, wurde auf der Titelseite des Springer-Blattes als „Mörder“ bezeichnet.
Die Bildzeitung nannte Diether Dehm einmal einen „Roten Millionär“. Diether Dehm wurde von Wolf Biermann fälschlicherweise als „Stasimitarbeiter“ bezeichnet, wurde jedoch nach Biermanns Ausbürgerung von Rudolf Bahro in einer Ehrenerklärung von diesem Vorwurf „freigesprochen“. Ich freue mich, dass ich nach all den Sendungen, die ich über „Dreißig Jahre Mauerfall“ gesehen habe, zum ersten Mal wieder den Namen Rudolf Bahro (1935 – 1997) höre, dessen Buch „Die Alternative“ (1977) auch Hinweise auf den „Dritten Weg“ und die „Dreigliederung“ Rudolf Steiners enthält.[6]
Diether Dehm nennt den bürgerlich demokratischen Rechtsstaat „den besten, der in der Weltgeschichte entstanden ist.“ Da gilt, sagt er im Hinblick auf Christian Klar: wer seine Strafe verbüßt hat, „hat eine Resozialisierungschance, hat eine Chance auf einen vollwertigen Beruf“[7]
Als Diether Dehm dann gegen die NATO, als dessen Vertreter er Außenminister Maas kritisiert („niederträchtig“), weil er versucht, die russische Gaspipeline „Nordstream II“ zu verhindern, argumentiert, wird er mir (und Lena, die auf dem Rückweg neben mir sitzt) besonders sympathisch. Er sagt, dass er nicht nur für einen Frieden mit Russland, sondern für Freundschaft mit Russland ist, und damit stimmt er mit Leuten wie Erhard Eppler, Ken Jebsen, Willy Wimmer, Daniele Ganser und natürlich auch mit Lena und mir vollkommen überein.
Die andere wichtige Persönlichkeit, die ich gestern zum ersten Mal sah und insofern kennenlernte, war Thorsten Schulte. Mein Facebook-Freund, der Schriftsteller und Filmemacher Reto Andrea Savoldelli hat gestern einen Mitschnitt einer „Sendung“ des Alternativsenders „Eingeschenkt TV“ vom 8. November auf seine Seite in Facebook gestellt, deren erste 40 Minuten ich mir gestern Nachmittag mit wachsendem Interesse angeschaut habe.[8] Zu Wort kommt der 46-jährige ehemalige Banker Thorsten Schulte, der sein neuestes Buch „Fremdbestimmt – 120 Jahre Lügen und Täuschungen bis heute“ vorstellt, das in die gleiche Kerbe schlägt wie Willy Wimmers „Und immer wieder Versailles“.
Obwohl der smarte Mann manchmal ein wenig fanatisch auf mich wirkt, so kann ich doch seinen Mut bewundern, wenn er sich eindeutig gegen die derzeitige, von den Finanzmärkten bestimmte Politik engagiert und vehement für „Aufklärung“ im Sinne von Kant eintritt, der sagt: „Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Auch den Philosophen Karl Jaspers zitiert er: „Frieden ist nur durch Freiheit, Freiheit nur durch Wahrheit möglich.“ Deshalb nennt er den Verlag, den er selbst gegründet hat, weil alle anderen Verlage sein neues Buch wegen seiner Brisanz abgelehnt haben, den „Frieden-Freiheit-Wahrheit-Verlag“.
Beeindruckt hat mich, dass der junge Banker schon 1999 von einer „Zeitenwende“ gesprochen hat, die notwendig sei. In dem Augenblick, als er das Wort sagte, leuchtete in meinem Inneren etwas auf, was ich nur schwer erklären kann. Es war mir, als sei dieser am 18. März 1973 geborene junge Mann ein ehemaliger Schüler Rudolf Steiners, der – vielleicht ohne es zu wissen – die wesentlichen Fragen stellt und da weiter macht, wo der Geistesforscher 1916/17 mit seinen „Zeitgeschichtlichen Betrachtungen“ geendet hatte.
Überhaupt nicht erstaunt bin ich, als ich dann erfahre, dass Thorsten Schulte schon einmal mit Willy Wimmer auf einem Podium saß und beide vor der Gefahr einer möglichen totalitären Weltregierung warnten, wenn man weiter daran arbeiten würde, die Nationalstaaten abzuschaffen.
Man muss kein Nationalist sein, wenn man so spricht.
Willy Wimmer erklärt in seinem Buch „Und immer wieder Versailles“ an mehreren Stellen, dass er die Idee von Europa gut finde, aber er betont dabei auch immer, dass er die ursprünglich von Adenauer und De Gaulle propagierte Idee eines „Europas der Vaterländer“ damit meint und nicht eine von Brüssel regierte „Europäische Union“, deren Kommissare demokratisch gar nicht legitimiert sind, über die einzelnen Mitgliedsstaaten zu bestimmen.


[2] Zum Beispiel den „Hit“ von Klaus Lage „Tausendmal berührt“
[3] Unter anderem von Wolf Biermann
[4] „Meine schönsten Skandale“
[5] Die Welt schrieb im Jahre 2018: „Der ehemalige Stasispitzel Diether Dehm, der mit Antisemiten und Reichsbürgern verkehrt, ist das wahre Gesicht der Linkspartei, so wie Björn Höcke für die AfD“. Eine schlimmere Diffamierung dieses Mannes kann man sich kaum vorstellen. Damit wäre ein weniger kämpferischer Typ eigentlich öffentlich erledigt.
[6] Es kann sein, dass mir hier eine Verwechslung unterläuft. Vielleicht meine ich Rolf Henrichs Buch „Der vormundschaftliche Staat“, das 1989 erschien, und in dem der Autor offenbar auch Ideen von Rudolf Bahro aufgreift. Jedenfalls würde es sich lohnen, sich mit diesen beiden DDR-Autoren einmal eingehender auseinanderzusetzen.
[7] Genau diese Stelle hörte ich gestern während der Fahrt im Autoradio (Minute 00:21:10)

Dienstag, 19. November 2019

Der Hochmut - Wurzel des "Bösen"


Die Demut präsentiert Spes (Hoffnung) den abgeschlagenen Kopf der Superbia
Psychomachia, British Library MS Cotton Cleopatra C. VIII, Canterbury, Christ Church (erste Hälfte 11. Jh., unbekannter Herkunft)

Immer wieder begegnet mir in diesen Novembertagen eine Stadt: Worms am Rhein.
Zuerst erfuhr ich, dass sich der ungarische Soldat Martin vor dem späteren Kaiser Julian in dieser Stadt zum Christentum bekannt hat.[1] Ich erinnerte in meinem Blogbeitrag daran, dass in Worms auch jener Reichstag Karls V. stattfand, bei dem Martin Luther als Ketzer verurteilt werden sollte. Dort sprach er die berühmten Worte: „Hier stehe ich: ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“
Dann erfuhr ich, dass Friedrich II. im Wormser Dom seinen Sohn Heinrich, der seine Anweisungen nicht befolgt hatte, gedemütigt und gefangen gesetzt hat. Der Sohn war immerhin deutscher König.
Und gestern erinnerte mich Ernst Uehli an die Burgunder, die in Worms am Rhein einst die Hauptstadt ihres untergegangenen Reiches hatten.
Ich musste mich durch die ersten Kapitel des Buches „Die drei großen Staufer“ des Schweizer Anthroposophen und Historikers geradezu durchkämpfen. Sein Stil ist etwas langatmig und belehrend.
Andererseits zeigt er aber recht gut auf, was er unter „Nibelungenströmung“ versteht, die sich mit der Zeit in zwei Strömungen aufgeteilt hat, die des fränkischen Königtums und die des etwas verwilderten Vasallentums. Ersteres hat sich später mit dem römischen Impuls verbunden, als Papst Leo III. den fränkischen König Karl am Weihnachtsabend des Jahres 800 zum römischen Kaiser krönte – vermutlich gegen dessen Willen – , und so den blutsmäßigen Willensimpuls aus der alten Atlantis[2] mit dem römischen Machtimpuls verknüpft hat. Aus den Vasallen wurden später die Territorialfürsten, aber auch die Ministerialen und Ritter, die immer wieder versuchten, ihre Ansprüche vor Kaiser und König durchzusetzen.
Im Papsttum erstand dem „römischen Kaiser“ ein immer mächtiger werdender Widerpart. Eine entscheidende Rolle im Machtzuwachs des Papstes im sogenannten Investiturstreit spielte der Cluniazensermönch Hildebrand, der dann zum Papst (Gregor VII.) gewählt wurde. Er war es, der das Priester-Zölibat einführte, um damit die Bischöfe und Äbte aus der Vererbungslinie herauszunehmen und so über ihre Investitur leichter bestimmen zu können.
Leider vergisst Ernst Uehli ganz, zu erwähnen, was ich aus einem Vortrag Rudolf Steiners vom Mai 1912 in Norrköping ("Theosophische Moral") weiß: die nordischen Menschen, die von einer verborgenen Priesterschaft angeführt wurden, waren jene Atlantier, die durch magische Praktiken zum Untergang des Kontinents durch Wetterkatastrophen entscheidend beigetragen hatten. Sie mussten nun eine Zeit der Läuterung durchmachen und entwickelten sich im Laufe der Jahrtausende schließlich zu der nordischen Rasse, die durch ihren Starkmut und ihre (Nibelungen-) Treue ausgezeichnet war und schließlich mit dem „furor teutonicus“ das degenerierende römische Imperium zu Fall gebracht hat.
„In die nördlichen Gebiete Europas wurden nun aus dem untergehenden atlantischen Kontinent gerade jene Bevölkerungsteile geführt, welche an Leib und Seele verdorben waren. Die untersten der sieben atlantischen Kasten, diejenigen, welche nicht nach dem Osten (Tibet, Indien) gelangen durften, wurden in Kolonien im Norden Europas und Asiens angesiedelt. Es sind die Stämme, welche später von den Griechen als die wilden Skythen bezeichnet werden und die sich, weit verzweigt, bis nach Ostasien erstreckten. Antike Geographen bezeichneten Skandinavien als „Skythia Minor‘. Das Wort Skythen bezeichnet ‚Schützen‘, und noch im römischen Heere waren die Legionen der Schützen meist skythischer Herkunft. Die Schotten, die Tschuden (Bewohner Finnlands) und die Skandinavier tragen (nach Arnold Wadler) gleichfalls ihren Namen. In Skandinavien sollte nun die Stätte sein, wo in der reinen Ätherregion des Nordens die degenerierten atlantischen Geschlechter geläutert und wieder emporgehoben werden sollten. Denn gerade hier bestand eine gewisse Ähnlichkeit mit den Bedingungen der alten Atlantis: freie Lebenskräfte. Sie konnten nun in ganz besonderer Weise zur Entwicklung eines neuen Geschlechts benutzt werden. Skandinavien ist alter atlantischer Boden. Jordanes, der Geschichtsschreiber der Goten aus dem 5. Jahrhundert, hatte noch ein Wissen davon, dass alle späteren germanischen Stämme von Skandinavien ausgegangen sind. Die Goten zum Beispiel wurden schon ca. 1400 vor Christus, verjüngt und gesundet, nach dem heutigen Russland ausgesendet, wie er beschreibt. Ein Stamm nach dem anderen wurde so, nachdem die Umwandlung vollzogen war, als Kolonie ausgesandt. So sollen die Burgunder von Bornholm gekommen sein (…) Hier also, unter dem ‚hyperboräischen‘ Himmel, sollte die Lebenskraft gereinigt, das Böse in Gutes manichäisch umgeandelt werden. In jahrtausendelanger Abgeschiedenheit machten sie gleichsam von neuem Kindheitsstufen der Menschheitsentwicklung durch. Alle Weisheit wurde vor ihnen verborgen gehalten – sie sollten nicht versucht sein, sie wiederum, wie im atlantischen Dasein, zu missbrauchen. Nur die Ich-Kraft sollten sie entwickeln, nur sie auf das Irdische richten. Ihre erhabenen Führer blieben ihnen unbekannt, diese wirkten von verborgenen Stätten aus. Trotzdem wurde jede der kleinen Gemeinschaften aufs sorgfältigste gelenkt. Die priesterlichen Führer offenbarten sich jedoch nur den Leitern der Stämme.“ (Hans Mändl, Vom Geist des Nordens, Mellinger-Verlag, Stuttgart 1991, S 22f)
Leider haben die leitenden Köpfe des Dritten Reiches das Germanentum für ihre Zwecke missbraucht und aus dem „nordischen Menschen“ die überlegene Rasse gemacht, die sie „Arier“ nannten. Ich sehe darin natürlich eine Art Reaktion auf das Postulat des Judentums, das „auserwählte Volk“ zu sein. So kam es zum tragischen „Streit der Rassen“, zum Holocaust und schließlich zum Untergang der germanischen Kultur.
Wer heute noch von Germanen, Edda, Thor und Odin erzählt, setzt sich dem Verdacht aus, ein Anhänger der Nazi-Ideologie zu sein.
In diesem Zusammenhang sah ich gestern einen interessanten und berührenden Beitrag auf Arte, der den traurigen Fall einer Mutter berichtet, die bereits als Kind durch den Großvater, der ein überzeugter Nazi war, konditioniert worden war und schließlich einen Neonazi heiratete und mit ihm eine Tochter und einen behinderten Sohn bekam. In dem Film „Kleine Germanen – Eine Kindheit in der rechten Szene“ von Mohammad  Farokmanesch und Frank Geiger (Deutschland 2018)[3] wird indirekt aufgezeigt, wie ausgerechnet der behinderte Hermann dazu beiträgt, dass sich die Mutter Elsa schließlich aus der ideologischen Gefangenschaft der Neonazi-Gruppe lösen kann, die ihr Leben bestimmt. Tragisch ist dabei, dass Hermanns ältere Schwester Merrit, die den Druck des Vaters nicht mehr aushält, Selbstmord begeht.
In dem Film kommen unter anderem auch der rechte Publizist Götz Kubitschek (Antaios-Verlag, Schnellroda) und seine Partnerin, der Anführer der Identitären Bewegung und eine ehemalige NPD-Funktionärin zu Wort. Insgesamt erscheint mir der Bericht die Verhältnisse recht objektiv darzustellen.
Er macht auch verständlich, warum sich manche Menschen aus Ermangelung eines spirituellen Geschichtsbewusstseins zu solchen Ideologien hingezogen fühlen, die sie angeblich zum Teil einer Elite machen.
Aber dieses Streben, etwas „Besseres“ sein zu wollen, ist ja nicht nur bei den Neonazis verbreitet, sondern auch bei orthodoxen Israelis, die in den Arabern bis heute „Menschen zweiter Klasse“ sehen.
Wer sich selbst als von Gott „auserwählt“ betrachtet, begeht jene Sünde der „Superbia“ (Hochmut), die im Mittelalter die Wurzel alles Bösen war. Aber, wie geht man mit dem Bösen um?
Ich schrieb heute Morgen an meinen Freund Claude, der eben diese Frage stellte, folgende Zeilen:

„ja, ich glaube, wir haben uns über dieses Problem schon einmal ausgetauscht. Ich bin da ganz Deiner Meinung. Wir können sogar noch weiter gehen: jemand hat einmal gesagt: das Böse ist das Gute am falschen Platz. Also müssen wir dem Bösen (Negativem) helfen, wieder an den richtigen Platz zu finden. Leute wie Macron, Attali oder die Zionisten "brennen" für etwas, sie legen viel Energie darein, dass das "auserwählte Volk" einen eigenen Staat bekommt und ihn verteidigt. Es geht aber nicht um ein "Reich auf dieser Welt". Auserwählen kann man sich nicht selbst, sondern man wird es von Gott. Und dann hängt man es nicht an die große Glocke. Das wäre Hochmut (Superbia). Auch die Deutschen sind einmal diesem Hochmut verfallen, als sie glaubten, die "arische Rasse" stehe über allen anderen Menschen. Alles, was mit Rassen zusammenhängt, war einmal zeitgemäß. Jetzt aber geht es nicht mehr um Rassen, sondern um das Individuum. Und dabei ist es wichtig, dass man sich niemals über seinen "geringsten Bruder" erhebt (Matthäus 25,41).“



[2]  Das Wort „Nibelungen“ ist abgeleitet von jenem mythischen „Nifelheim“ (Nebelheim) aus der Edda; damit war der untergegangene Kontinent Atlantis gemeint, der laut Rudolf Steiner über lange Zeiten in Nebel gehüllt war, bis sich dieser kondensierte und in der sogenannten „Sintflut“ als Regen die Erde überschwemmte.
[3] https://www.arte.tv/de/videos/066288-000-A/kleine-germanen/ verfügbar bis zum 25. 11. 2019 in der Arte-Mediathek

Samstag, 16. November 2019

Hintermänner


Rasputin PA.jpg

Der Höhepunkt des Bielefelder Parteitages der Grünen war die Wahl des Duos Habeck/Baerbock zur neuen Doppelspitze der Partei. Robert Habeck, den manche schon als zukünftigen Bundeskanzler sehen, bekam etwas über 90% der Stimmen der Delegierten, Annalena Baerbock (38) sogar das Traumergebnis von 97,1%.[1]
Die Partei hat deutlich signalisiert, dass sie wieder „Regierungsverantwortung“ übernehmen möchte. Dabei kritisiert sie das vor wenigen Tagen von der Koalition verabschiedete „Klimapaket“ als vollkommen unzureichend. Falls die Partei bei den nächsten Bundestagswahlen tatsächlich als zweitstärkste Partei nach der CDU/CSU eine Koalition mit den „Schwarzen“ eingehen könnte, dann läge das ganz im Trend der Bewegung „Fridays for Future“ und vermutlich auch auf der Linie von Greta Thunberg. Gegen diese Bewegung und insbesondere gegen die junge Schwedin hetzen die Rechten, wie man zum Beispiel am Titelbild der neuesten Ausgabe des Magazins „Compact“ ablesen kann, das der gestern erwähnte Jürgen Elsässer zu verantworten hat.
Robert Habeck, der am 2. September 1969 in Lübeck geboren wurde, ist seit 1996 mit der Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Andrea Paluch verheiratet, mit der zusammen er Kinderbücher und Romane schreibt, die stark von skandinavischer und englischer Literatur beeinflusst sind, wie ich auf Wikipedia lese.[2] Der sympathische junge Mann, der an der Universität Freiburg Philosophie und Germanistik studiert hat und an der Universität Hamburg zum Doktor der Philosophie promoviert worden ist, müsste also einen Sinn für das, was in unserer Zeit notwendig ist, haben.
Auch Annalena Baerbock finde ich sehr sympathisch. Sie hätte ich vor knapp einem Jahr in Kirchberg erleben können, wo sie auf einer Veranstaltung von Rudolf Bühler einen Vortrag hielt. Die am 15. Dezember 1980 geborene Frau, die bereits zwei Töchter hat, ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, hat an der Universität Hamburg Politikwissenschaft und öffentliches Recht und an der London School of Economics Völkerrecht studiert, dürfte also auch auf diesem Gebiet eine gewisse Kompetenz haben.
Das Paar strahlte gestern nach der Wahl vor Freude. Diesen Optimismus und dieses Strahlen möge ihm Gott für die „Nach-Merkel-Zeit“ erhalten.
Das Dumme in unserer Zeit, die so dringend den Optimismus für eine friedliche und „nachhaltige“ Zukunft benötigt, ist auf der anderen Seite das Gift, das ständig von gewissen Zirkeln gegen ihre Kritiker verspritzt wird. Diese Netzwerke werden vielleicht in Zukunft eher mit rechtsgerichteten Parteien gemeinsame Sache machen, die gegen die Elektromobilität einstehen und die bisherige Wachstumspolitik der Wirtschaft eher befürworten.
Das beste Beispiel für solche Leute ist der US-Präsident Donald Trump, der als Milliardär Politik als Geschäft sieht und sich bei seinen Entscheidungen nicht um die Natur und das Klima bekümmert. So will er vor allem amerikanisches Erdgas verkaufen, das durch die umweltschädliche Methode des großflächigen „Fracking“ gewonnen wird und torpediert – vermutlich im Auftrag der amerikanischen Ölindustrie – die russische Erdgaspipeline „Nordstream 2“, die kurz vor der Fertigstellung steht. Diese Einmischungspolitik US-amerikanischer Geostrategen in die Politik souveräner Staaten steht auch hinter der Forderung dieser Kreise, dass Deutschland seinen Beitrag zu den Verteidigungsausgaben (der NATO-gelenkten Bundeswehr) auf 2% des Bruttosozialprodukts erhöhen solle, was diese nun willfährig im Haushalt für das Jahr 2020 anstrebt.
Ich weiß nicht, inwieweit der amerikanische Präsident Donald Trump, der mehr aus dem Instinkt als aus dem Intellekt heraus zu handeln scheint, die amerikanische Politik selbstständig gestaltet. Ich vermute vielmehr gewisse Interessen hinter ihm, die ihm das Handeln „einflüstern“.
Da wäre zum Beispiel der wenig bekannte Multimilliardär Robert Mercer, der im Hintergrund die Fäden zieht, wie in der Sendung „Fake America great again“[3], die ich bereits zum zweiten Mal auf Arte gesehen habe, wegen seiner Verbindungen zu Cambridge Analytica, Breitbart News und anderen Firmen aufgezeigt wird.
Robert Mercer ist am 11. Juli 1946 geboren, hat Computertechnologie studiert, bei IBM als Entwickler gearbeitet und gilt als einer der Erfinder von elektronischen Sprachprogrammen wie „Google-Translater“. Er setzt sich auf diesem Gebiet mit seiner Hedgefonds-Firma „Renaissance Technologies“ für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ein. Er hat nachweislich den englischen Führer der UKIP (UK Independence Party) Nigel Farage in seiner Kampagne zum Austritt Großbritanniens aus der EU („Brexit“) unterstützt und wohl auch die Wahl Donald Trumps in seinem Sinne beeinflusst.
Man darf also in der Politik nicht auf die Leute schauen, die im Vordergrund agieren, sondern vielmehr auf jene „Hintermänner“, die sich wie Robert Mercer meistens bedeckt halten und von denen nur Weniges an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist dadurch möglich, dass es immer wieder Menschen wie Edward Snowden, Julian Assange oder auch Christopher Wylie[4] gibt, die solche Hintergründe für eine kritische Öffentlichkeit sichtbar machen. Leider interessieren sich nur wenige dafür, beziehungsweise haben nur wenige wegen ihrer Tagesarbeit die Zeit, sich gründlich zu informieren. So können solche Whistleblower von den Regierungen weiter verfolgt und bedroht werden, wie der „Spiegel“ in seiner neuesten Titelgeschichte (Ausgabe 47 vom 16.11.2019) ausführt.
Ein anderer Film wurde gestern Abend auf Arte wiederholt, den ich bereits einmal gesehen hatte: „Rasputin – Mord am Zarenhof“ von Eva Gerbering (Deutschland 2016)[5].
Der Film verspricht im Fall des Gottesmannes aus Sibirien (geboren am 10. Januar 1869), der bedeutenden Einfluss auf die Zarin Alexandra Fedorowna Romanowa, eine gebürtige Prinzessin aus dem Hause Hessen-Darmstadt, erlangte, weil er es mit seinen geistigen Kräften schaffte, die Bluterkrankheit des einzigen Sohnes und Zarewitch zu heilen, neue Forschungsergebnisse vorzubringen: Der russische Historiker Boris Kolonizki und Olga Utotschkina, die derzeitige Leiterin des Jussopow-Palais in Sankt Petersburg, zeigen auf, dass nach dem Mord an Rasputin am 16. Dezember 1916 mehrere englische Diplomaten Sankt Petersburg fluchtartig verließen. Einer davon war Oswald Rayner, der später die englische Ausgabe der Memoiren von Felix Jussopow[6] lektoriert und übersetzt hat.[7] Der Geheimagent und enge Freund von Jussopows wohnte im Sankt Petersburger Hotel „Astoria“ und verließ Sankt Petersburg überraschend nach dem 16. September 1916.
Felix Jussopow[8], der mit einer Nichte von Zar Nikolaus II. verheiratet, aber eigentlich homosexuell war, galt am Anfang des Jahrhunderts als einer der reichsten Männer der Welt. Er veröffentlichte später im Pariser Exil seine Memoiren[9], in denen er auch seine Version von der Geschichte vom Mord an Rasputin erzählte, die aber nach der Aussage von Olga Utotschkina voller Unwahrheiten ist, weshalb auch die Tochter Rasputins dagegen geklagt hatte (siehe Anmerkung 9).
In dem Film „Rasputin – Mord am Zarenhof“ wird auch darauf hingewiesen, dass Großbritannien kein Interesse daran hatte, dass Russland mit dem Deutschen Reich einen Separatfrieden schließt, wie es Rasputin dem Zaren und seiner Frau empfohlen hatte. Das hätte noch vor dem Kriegseintritt Amerikas am 7. April 1917 den Krieg zugunsten der Mittelmächte erheblich beeinflussen können, denn dann wären die Truppen von der Ostfront an die Westfront verlegt worden und das Deutsche Reich hätte mit Sicherheit über die Entente-Mächte gesiegt. Der Mord an Rasputin am 16. Dezember 1916 war offenbar kriegsentscheidend und ganz im Sinne der alliierten Feinde Deutschlands, die von Großbritannien angeführt wurden.
Dieser Meinung ist auch Willy Wimmer in seinem Buch „Und immer wieder Versailles“, das diese Zusammenhänge aufzeigt. Er führt aus:
„Die Siegerhistorie sucht zu verschleiern, dass dieser Weltkrieg Österreich-Ungarn und dem kaiserlichen Deutschland aufgezwungen wurde. Ein Schweizer Historiker hat dazu einmal sinngemäß formuliert, dass die Geschichte auf Dauer nicht gefälscht werden könne. Ich finde, die europäische Zusammenarbeit darf nicht von dieser Siegerhistorie dominiert werden, so dass daraus Gift für die Zukunft entsteht. Dieses Gift wird heute außerhalb Deutschlands in übelster Weise formuliert, und wir Deutsche werden darauf eine adäquate, europabezogene, nachbarschaftliche Antwort finden müssen, denn die Zusammenarbeit in Europa ist inzwischen ein Wert an sich geworden. Schmerzlich vermissen viele Menschen in Deutschland eine Politik der guten Nachbarschaft gegenüber Russland und den Menschen in diesem großen Nachbarland. Das Ganze hat etwas mit den Ereignissen in Versailles zu tun. Sieht man es sich allerdings ganz nüchtern an, ohne Diskussionen über das Konferenzgeschehen an sich, dann findet man in den Abläufen unmittelbar zuvor Antworten auf heutige politische Fragen. Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, was ich im Sommer 1988 von der Führungsspitze der CIA in Washington gehört habe – die Aufstellung der sowjetischen Streitkräfte in Mitteleuropa sei eine Konsequenz aus Napoleon und Hitler. Eigentlich ist noch eine dritte Komponente hinzuzufügen, die nicht im allgemeinen Bewusstsein präsent ist: die Bemühungen von britischer, amerikanischer und auch französischer Seite, um Russland unter allen Umständen im Krieg gegen Deutschland zu halten, damit die russischen Soldaten die amerikanischen, britischen und französischen Kriegsziele gegen Deutschland erledigen und um das Werk von Versailles zu vollenden. Ich spreche die angelsächsische Invasion nach der Revolution in Russland an, vor allem die militärischen Bewegungen unter dem Kommando des britischen Generals und späteren Feldmarschalls Ironside.[10] Beschäftige ich mich mit Versailles und den Konsequenzen für die heutige Zeit, dann muss ich drei Invasoren beachten: Napoleon, Ironside und Hitler. Diese internationale angelsächsische Okkupation weiter Teile Russlands hat eine Vorgeschichte, und zwar eine sehr spektakuläre, die auch heute noch Romanautoren interessiert: die Ermordung des Priesters Rasputin, dem eine besondere Nähe zu der aus Deutschland stammenden Zarin am Petershof nachgesagt wurde. Er hat sich nachweislich für einen Frieden mit Deutschland eingesetzt und wurde dann, wie bereits erwähnt, von einem britischen Geheimagenten erschossen, um nur ja alles zu unternehmen, damit Russland sich nicht auf einen Sonderfrieden mit dem kaiserlichen Deutschland und Österreich-Ungarn einlässt. Das muss man in diesem Kontext sehen, weil es auch sehr deutlich macht, wie die Interessenlage der Alliierten im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland und gegen Russland gerichtet war, was sich dann auch auf den Zweiten Weltkrieg auswirkte.“ (S 196f)



[3] Den Film von Thomas Hutchon (Frankreich 2018) kann man auf der Arte-Mediathek noch bis zum 9. Februar 2010 abrufen https://www.arte.tv/de/videos/082806-000-A/fake-america-great-again/
[5] Bis zum 15.12.2019 in der Arte-Mediathek verfügbar: https://www.arte.tv/de/videos/060142-000-A/rasputin-mord-am-zarenhof/ Insbesondere die Passagen nach Minute 43:30
[6] “Rasputin, his malignant Influence and his Assassination”, London o.J.
[7] Der Mann war ein Mitglied des MI6 und lebte während des Ersten Weltkrieges in Sankt Petersburg. Siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/Oswald_Rayner
[9] „La Fin de Raspoutine“, Plon 1927 (Deutsch : „Rasputins Ende, Erinnerungen, Pantheon, Berlin 1928) Die Tochter Rasputins, Maria, die ebenfalls im Pariser Exil lebte, klagte gegen die dort gemachten Aussagen. Siehe die französische Wikipediaseite zu Felix Jussopow: https://fr.wikipedia.org/wiki/F%C3%A9lix_Ioussoupov