Schwäbisch
Hall, der 08. November 2019 (Freitag, 5.39 Uhr)
Vorgestern fand ich das Buch
„Seelenvermächtnis“ von Udo Wieczorek[1] in
meinem Briefkasten. Ich hatte es gleich nach dem Vortrag von Wolfgang Gädeke
beim Gmeiner-Verlag[2]
bestellt. Es brauchte eine Woche, bis es im Konradweg ankam. Gestern habe ich
begonnen, es zu lesen und bin nun bei Seite 126 in dem Kapitel „Die Träume sind
keine Fantasie“. Die Ausgabe, die ich dabei in Händen hielt, war bereits die 6.
Auflage und ist im Jahre 2018 erschienen, also hundert Jahre nach dem Ende des
Ersten Weltkrieges.
Durch die spannende Erzählung des
Autors, der seinen Träumen nachgeht und herausfindet, dass er bereits einmal
gelebt hat, werden meine Gedanken zurückgeführt in den Ersten Weltkrieg, also
in die Zeit, in der so viele Menschen sterben mussten, wie ich erst am vergangenen
Dienstag wieder in der Arte-Dokumentation über die Schlacht um Verdun „erleben“
konnte. Diese vollkommen sinnlose Schlacht in einem monatelangen, zermürbenden
Stellungskrieg zwischen französischen und deutschen Soldaten fand 1916 statt.
Die Schlacht, die Udo Wieczorek schildert, fand bereits ein Jahr zuvor, im Jahr
1915 in Südtirol statt. Dabei kämpften italienische und österreichische
Soldaten in den Dolomiten miteinander.
Innerhalb weniger Tage muss ich also
zwei Schlachten innerlich miterleben, die noch zu Lebzeiten meiner Großeltern
stattfanden. Was hat das zu bedeuten?
In der Dokumentation über Verdun
werden unter anderem auch Briefe des Malers Franz Marc zitiert, der ja als
junger Mann am 4. März 1916 vor Verdun fiel. Ausdrücklich wird dabei darauf
hingewiesen, dass der „Erfinder“ der „Blauen Pferde“ ein Freund von Wassilij
Kandinsky war. Auf der Spur dieser beiden bahnbrechenden Künstler war ich im
Sommer 2015, also in dem Jahr, als das Buch von Udo Wieczorek unter dem Titel
„Nachthall“ genau 100 Jahre nach den geschilderten Ereignissen zum ersten Mal
im Gmeiner-Verlag veröffentlicht wurde und als ich zum ersten (und letzten) Mal
auf dem Seminar zur Biografie-Arbeit mit Matthias Hesse im „Blauen Land“
weilte. Damals hatte ich Lena kurz zuvor kennen gelernt, nun aber eine innige
Seelenverwandtschaft mit einer anderen Frau erlebt, die etwas älter war als ich:
mit Annette S.. Wir haben zusammen das „Russische Haus“ in Murnau besucht
und waren auch im Franz-Marc-Museum in Kochel.
Das ist aber nicht die einzige
Übereinstimmung, die mir beim Lesen des Buches aufgefallen ist: Sowohl den
Schauplatz der Schlacht um Verdun, als auch den Schauplatz der Schlacht in
Südtirol kannte ich aus eigener Anschauung. Auf unserer Fahrt nach Santiago de
Compostella machten wir im Sommer 1975 auch in Verdun halt und schauten uns die
vollkommen zerstörte Landschaft und das Ossuarium von Douaumont an, in dem die
Knochen der Gefallenen aufbewahrt wurden. Damals standen ein südafrikanischer
Jude, eine katholische Französin und ein protestantischer Deutscher sprach- und
wortlos vor dem monumentalen Denkmal, umgeben von unzähligen weißen Kreuzen.
Wenige Jahre später entstand das berühmte Foto, mit dem auch die Dokumentation
über die Schlacht einsetzt: Staatspräsident Francois Mitterand gibt am 22.
September 1984 seinem Gast Helmut Kohl spontan die Hand[3]. Dieser
Augenblick der Versöhnung zwischen den beiden Völkern war eine Geste, die sich
ähnlich wie der spontane Kniefall Willy Brandts in Warschau, tief in mein
Gedächtnis eingeschrieben hat.
Aber auch auf dem Schauplatz der
Schlacht um Südtirol war ich, und zwar im Sommer 2011 mit meiner damaligen 8.
Klasse während des 10-tägigen Schullandheim-Aufenthaltes im Arntal. Ich kann
mich noch gut an den Gang über die Hochfläche des „Monte Piano“ erinnern, von
dem aus wir einen fantastischen Blick auf die „Drei Zinnen“ hatten. Zwischen
den beiden „Besuchen“ lagen also 36 Jahre und doch gehören sie mit ihren
eindrucksvollen Kulissen zu zwei Schlüssel-Erlebnissen meines Lebens, auch wenn
sie danach wieder im Unterbewusstsein versunken sind, überlagert von anderen
schmerzlichen Erlebnissen wie zum Beispiel die Trennung von Andrea im Jahr
2013. Im Prolog des Buches „Seelenvermächtnis“ wird das Jahr 2013 als das „Jahr
der Wahrheit“ bezeichnet. Auch für mich war es das.
Dieser Ausdruck berührt mich, denn in
diesem Jahr hatte ich auch das Gefühl, dass es tatsächlich Wahrheit war, was
ich spätestens seit 1992 als Reinkarnationserlebnis mit mir herumtrug: „Ich bin
der wiedergeborene N.N.“.
In den spannenden Schilderungen von
Udo Wieczorek geht es um nichts anderes: Er rekonstruiert anhand von Träumen
und Deja-Vu-Erlebnissen bis in die Details ein früheres Leben. Das war bei mir
ganz anders. Aber etwas, was Udo Wieczorek schildert, ist mir auch aus jener
Zeit vertraut, insbesondere aus den Zeiten, als ich langsam „psychotisch“
wurde: alles, was ich erlebte, schien eindeutig von einer höheren Macht gelenkt
zu werden.
Dieser „Automatismus“ war mir, als er
im Oktober 1992 im Park von Schönbrunn zum ersten Mal bei mir auftrat und drei
Tage anhielt, unheimlich. Ich habe ihn dann noch zwei weitere Male erlebt: in
der Michaelizeit des Jahres 1997 und in der Michaelizeit des Jahres 2005. Ich
war wie „fremdgesteuert“. Deswegen verstehe ich die Erlebnisse, die Udo
Wieczorek am 22. Und 23. Juli 1994 in den Dolomiten hat, wohin ihn seine
Ehefrau Daniela bei seiner ersten Reise begleitet, so gut.
Ohne Karte lässt sich der Ulmer, der
in diesem Leben noch nie in Südtirol gewesen war, von einer Art „innerer
Stimme“ führen und findet doch genau, was er sucht. Besonders eindrucksvoll ist
in diesem Zusammenhang die Schilderung vom 22. Juli 1994:[4] Im
Kapitel „Gipfelzauber“ lese ich Sätze wie diese:
„Obwohl das Wetter traumhaft ist,
stößt mich diese felsige Flanke mit ihren eingelagerten Schuttkarren mit einem
Mal ab wie ein gegenpoliger Magnet. Weshalb aber habe ich diese Tour dann
vorgeschlagen? Warum war sie mir gestern noch so wichtig gewesen? Habe ich
Angst vor einer neuerlichen Begegnung mit der Vergangenheit? Ich horche in mich
hinein, will dem unbestimmbaren Gefühl folgen. Aber ich verliere die Spur,
tappe im Dunkeln an diesem strahlenden Morgen.
Die (Rotwand-) Bahn hat uns ins Grün
einer atemberaubenden Bergkulisse ausgespuckt. Ich denke an das immerwährende
Erlebnis, wenn ich in meinen Träumen plötzlich hier bin, auf dieser Hochebene,
die hinter den stolzen Lärchen liegt. Ebenso ausgeworfen; nur in eine andere
Zeit. Dann warte ich auf die übliche Rückblende…“ (S 105)
„In den direkt am Grat verlaufenden
Wegpassagen gehe ich unterbewusst schneller. Und als Daniela an einem dieser
herrlichen Aussichtspunkte anhält, um ein Foto zu machen, stellen sich mir
unweigerlich die Nackenhaare auf. Mir ist klar, dass ich instinktiv einem
tiefsitzenden Verhaltensmuster folge. Einem Habitus, der einst
überlebenswichtig war; den ich nicht ausschalten kann. Nicht hier an diesem
Berg. Ich würde Daniela am liebsten hinter die schützenden Felsen ziehen,
obwohl ich weiß, wie idiotisch das wäre. Meine innere Stimme ist laut geworden.
Ich kann sie nicht überhören. Sie sagt: Lauf
endlich weiter! Ich höre Projektile pfeifen; höre sie dumpf in den mageren
Boden schlagen. Ich sehe hinauf zum Gipfel, nehme die enorme Distanz wahr und
flehe mich bis zum nächsten Postenstand. Stück für Stück hinauf. Meter für
Meter am Leben bleiben und dem Herrn dafür danken. Wie ein ewiger Kreuzweg, der
kein Ende nehmen will. Für Kaiser, Gott und…“ (S 106f)
„Der Krieg ist selbst nach 80 Jahren
noch allgegenwärtig. Zumindest für denjenigen, der die Spuren der Geschichte
lesen kann. Für mich ist es keine Frage des Wollens. Ich kann mich seiner
knöchernen Präsenz nicht entziehen, weil ich ihn fühle; weil er in mir steckt.
Tief vergraben unter einem Berg von Erinnerungen, die nie meine eigenen hätten
sein dürfen.“ (S 107)
„Je weiter wir dem Gipfel entgegen
steigen, desto unbehaglicher wird mir zumute. Das Gefühl, welches in mir
wächst, will mich zerreißen. Wie automatisch vergleiche ich es mit jenen
Eindrücken vor ein paar Tagen in dieser Schlucht im Innerfeldtal. Aber es ist
anders, intensiver – mächtiger. Habe ich Angst?
Ja. Diesmal habe ich Angst. Vor was
auch immer. Und dennoch gehe ich weiter, flüchte hinauf, in die falsche
Richtung, wie mir mein Unterbewusstsein souffliert; mitten durch den Hagel
dieser unscharfen Bilder, die aus den Tagen stammen, in denen die Berge
bluteten.“ (S 108)
„Ich sehe auf das modrige Holz der
Unterstände, erkenne zwischen den Balken und Brettern Keramikscherben,
Dachpappe, Blechreste und ein Brillengestell. Es ist glaslos, leer. (…) Ich
schließe die Augen, will nicht mehr sehen, was sich hinter den Fragmenten
verbirgt. Aber das Bild bleibt, schonungslos. Ebenso wie dieses gedankliche
Paradoxon, nicht zu wissen, was es hier für mich zu tun gibt, und gleichzeitig
sicher zu sein, dass ich hier genau richtig bin.“ (S 108)
„Es ist mein anfangs leerer Blick ins
Tal, auf die Häuser des Ortsteils Moos, der mir eine eigenartige Sicherheit
verschafft. Die Aussicht ist nahezu identisch mit jener vom Gipfel im Traum. Es
war zweifellos die Rotwand, auf die ich einst mit Josele geklettert war. Und
eben in einem der letzten Häuser, der Ortschaft, die ich damals schon so stark
wahrgenommen hatte, liegt unser Quartier und der alte Stadel mit der
geschnitzten Rose. Ohne irgendeine Absicht wandere ich auf meinen alten Spuren.
Wer aber führt mich?“ (S 109)
Ich mag die Sprache dieser
Schilderungen. Sie ist so konkret und so präzis. Und doch gibt die ganze
Schilderung gleichzeitig den Blick frei auf eine darunter liegende geistige
Ebene. Wenn Udo Wieczorek sagt „Ich schließe die Augen“, nachdem er eine
glaslose Brille auf dem Feld entdeckt hat, dann muss ich sofort an das
griechische Wort für diese Augenbewegung denken: myein. Von diesem Wort stammen
die Wörter „Myste“, „Mystik“ und „Mysterium“.
Die geistige, oder sagen wir:
mystische Ebene kommt in den verschiedensten Formulierungen zum Ausdruck: Schon
die Überschrift spricht von einem „Zauber“. „Ich horche in mich hinein“, „ich
will dem unbestimmten Gefühl folgen“ sind nicht die einzigen Sätze, die auf
diese Ebene hinweisen. Es gibt noch viele weitere, die ich hier nicht
wiederholen möchte.
Bemerkenswert sind auch die
Assoziationen „ewige(r) Kreuzweg“, und
„blutende Berge“. Mein inneres Ohr hört da natürlich sofort das heraus,
was hinter dem ganzen Geschehen des ersten Weltkrieges steht: der Gang der Soldaten,
die damals wie Franz Marc ihr Leben für einen sinnlosen Kampf der Völker opferten,
entspricht menschheitlich dem Opfer-Gang Christi nach Golgatha. Die geschnitzte
Rose im Stadel dagegen nimmt das Motiv der „Auferstehung“ vorweg. Diese Rose
war das Erkennungszeichen. Im vorangegangenen Kapitel „Ein unscheinbares
Ornament“ (18. Juli 1994, 19.30 Uhr) hatte Udo Wieczorek berichtet. Er spielt
im Ortsteil Moos:
„Ich halte mit einem Mal an, sehe, wie
Daniela weitergeht. Dann fällt plötzlich wieder dieser Vorhang in mir. Daniela
ist wie ausradiert aus dem schwarz-weißen Bild.
Ich sehe ein altes Geländer, eine
unbefestigte Straße, Giebel und Fassaden, die nicht mehr existieren. Und das
Mädchen mit den Zöpfen. Diesmal sind ihre Haare nach hinten geflochten. Ich
sehe sie zum ersten Mal aus der Distanz, wie sie vor einer verwitterten
Holzwand eines Stadels lehnt. Sie trägt einen langen Rock und eine Bluse, die
an den Ärmeln eng gefasst ist. Um den spitzenbesetzten Kragen hängt eine Kette
mit einem ovalen Anhänger. Ihr Lächeln ist nicht das eines Mädchens. Es ist das
einer jungen Frau – und es ist warm und einnehmend. Dann wird es wieder farbig
in meiner Welt. Der Rückblick ist vorüber, wirft mich wieder in das Jetzt
zurück.
Ich starre auf den Stadel. Er ist das
einzige Element, das es sowohl im Davor als auch im Jetzt gibt. Verwittert,
gezeichnet, aber existent. Mein Geist hat sich festgefressen – wieder einmal.
Auf einer ganz bestimmten Stelle. Es ist dasselbe Schnitzwerk, das auch in den
Träumen vorkam.
Daniela steht zehn Meter entfernt von
mir, hebt fragend die Arme.
Ich will nicht rufen, zeige nur
verhalten auf die alte Bretterwand und das kleine Ornament auf ihr. Daniela
kommt zurück, nimmt mich fest an der Hand, als wolle sie mich im Diesseits
halten. Spricht sie mit mir?
‚Eine eingeschnitzte Rose. Sie ist …
wunderschön.‘ Ihre Stimme zittert unmerklich, als sie fragt:
‚Wer hat sie wohl dort …‘
‚Ich!‘ bricht es rau aus mir hervor.
‚Für sie.‘“ (S 100)
Und an dieser Stelle kommen mir nun
meine eigenen „Erlebnisse“ aus dem Jahre 1986 wieder ins Gedächtnis. Ich hatte
gerade den Film „Opfer“ von Andrej Tarkowski gesehen. Da fand ich auf einem
Komposthaufen ein vertrocknetes Rosenstöckchen. Ich nahm es mit und begann, es
jeden Tag um die gleiche Zeit zu gießen, so wie es Alexander (Erland Josephson)
im Film mit dem Baum am Strand machte. Ich war überzeugt, dass ich das tote
Holz damit eines Tages wieder zum Leben erwecken konnte. Aber es gelang nicht.
Immerhin war ich danach durchdrungen
von dem Gefühl, Christian Rosenkreuz oder der Graf von Saint Germain wirkten
durch mich hindurch und veranlassten mich, durch Paris zu gehen, ja sogar trotz
meines Schwindelgefühls bis hinauf ins höchste Stockwerk des Eifelturms zu
fahren, um die Stadt und ihre Achsen zu „segnen“.
Soll ich diese „verrückten“ Dinge
überhaupt ernst nehmen? Haben sie mich nicht, wie ein Kollege später sagte, ins
„mystische Delirium“ geleitet?
Die nüchternen Schilderungen der
Erlebnisse, die ich gestern im Buch von Udo Wieczorek las, erinnern mich an
meine eigenen damaligen Erlebnisse und vieles steigt wieder in mir hoch.
Dass ich nun offenbar einen neuen
Zugang zu karmischen Erlebnissen habe, von denen Rudolf Steiner vorausgesagt
hat, dass sie ab dem 20. Jahrhundert vermehrt auftreten würden, verdanke ich
auch Daniele, die mich am 31. August in gewisser Weise „ernüchtert“ hat. Das
Buch von Udo Wieczorek, das ich nun (8.55 Uhr)[5]
weiterlesen werde, hilft mir dabei.
15.11
Uhr:
Nun habe ich den Teil des Buches, den
Udo Wieczorek verfasst hat, ausgelesen und bin nun beim Teil, den der
Journalist und Krimi-Autor Manfred Bomm geschrieben hat, also ab Seite 255.
Leider kann ich jetzt nicht
weiterlesen, da ich mich jetzt auf meinen Unterricht mit den russischen Frauen
vorbereiten muss, der um 17.00 Uhr beginnt.
Ich möchte nur noch den Gedanken
erwähnen, der in mir während oder besser unmittelbar am Ende der Lektüre
auftauchte. Es ist eigentlich weniger ein Gedanke, als vielmehr eine Frage. Sie
lautet so: „Könnte es sein, dass sich die Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg
nun wieder inkarniert haben und sich – wie Udo Wieczorek – an ihre früheren
Leben erinnern?“
Mit dieser Vermutung endet der Ulmer
in der Tat seine eigene Niederschrift, wenn er schreibt:
„Vielleicht gibt es mehr Menschen da
draußen, denen Ähnliches widerfahren ist, als mich meine Vernunft glauben
macht. Wenn es sie gibt, dann sind diese Zeilen ihnen gewidmet. In diesem Buch
soll der Trost liegen, nicht allein zu sein. In ihm sollen die Zuversicht und
der Mut liegen, dem zu folgen, was tief in unserer Seele wohnt.“ (S253)
Als ich gerade nach Lena schaute, mit
der ich jetzt Tee trinken und den Unterricht vorbereiten möchte, sah ich auf
der Treppe ein Päckchen liegen. Wie erstaunt war ich, als ich den Absender las:
Hans-Jürgen Schleicher. Er hat mir zwei Veröffentlichungen aus seiner Feder
geschickt: „Einträge Erkenntnisse, gemischt“ und „Undine. Eine Novelle“
Schwäbisch
Hall, der 09. November 2019 (Samstag, 6.09 Uhr)
Es kommt selten vor, dass ich ein Buch
von 370 Seiten innerhalb von zwei Tagen aus-, also wirklich bis zur letzten
Seite lese. Bei dem Buch „Seelenvermächtnis“ von Udo Wieczorek und Manfred Bomm
war es so. Ich habe es gestern noch zu Ende gelesen.
Das Buch ist wirklich eine Art
Vermächtnis.
Auch wenn der Autor offenbar nichts
von Anthroposophie weiß, so bestätigt er doch – wie bereits erwähnt – die
Voraussagen Rudolf Steiners aus dem Jahre 1910, dass es ab dem Jahr 1933 immer
mehr Menschen geben wird, in denen ein natürliches Hellsehen erwacht und die
zurückschauen können in ein früheres Erdenleben, insbesondere dann, wenn sie
Schuld auf sich geladen haben.
In dem Buch „Seelenvermächtnis“ wird
nur einmal das Wort „Karma“ (von Udo Wieczorek) und einmal das Wort
„Reinkarnation“ (von Manfred Bomm) erwähnt. Beide Begriffe fallen erst relativ
spät. Es kommt den Autoren offenbar nicht auf Wörter an; was sie beschreiben,
ist jedoch genau das: die Tatsache von Reinkarnation und Karma anhand eines
mitteleuropäischen Schicksals. Alles erscheint vollkommen stimmig. Auch deshalb
liest sich das Buch wie ein Krimi und ich konnte es nicht mehr aus der Hand
legen.
Die Geschichte des jungen Soldaten
Vinzente Rossi aus San Nicolo di Centa bei Trient, der am 17. August 1915 am
Monte Piano seinen schweren Verwundungen erlegen ist, wird nach und nach
rekonstruiert. Es ist das Besondere dabei, dass der Autor Udo Wieczorek immer
wieder bestimmte Träume hatte, die sich auf Orte und Menschen bezogen, die er
in diesem Leben nie gesehen hatte.
Ab 1994 begann er dann, mit seiner
damaligen Freundin und späteren Frau Daniela, in Südtirol auf Spurensuche zu
gehen. Dabei halfen ihm sogenannte „Rückblenden“: Er wusste immer – auch ohne
Karte und Wegweiser – genau, wohin er zu gehen hatte, um an die Stellen zu gelangen,
wo Vincente einst gekämpft hatte. Das Erstaunlichste dabei ist, dass Udo
Wieczorek am 13. August 1997 im Mauerwerk eines halbverfallenen Unterstandes beim
Seikofel an der Rotwand einen Brief von Vinzente findet, den dieser am 13.
August 1915 geschrieben hatte, und am 14. August einen weiteren, den sein
Freund „Josele“ im Wurzelwerk einer dreistämmigen Tanne versteckt hatte. Diese zwei
erstaunlichen Dokumente warteten offenbar in ihren Verstecken so lange, bis sie
Udo und Daniela beinahe auf den Tag genau 82 Jahre später fanden. Sie sind für
den Autor und seine Leser schließlich der endgültige Beweis dafür, dass in Udo
Wieczorek die Seele von Vinzente Rossi wiederverkörpert war.
Erstaunlich ist, mit welcher
„schlafwandlerischen“ Sicherheit das „Schicksal“ Udo und Daniela an die Orte
führte, an denen der Autor in seinem früheren Leben aufgewachsen , verwundet und
gestorben war.
In dem Buch wird nicht spekuliert.
Alles ist stimmig und geistig folgerichtig, auch wenn es der rationale Verstand
nicht erklären kann.
Udo Wieczorek gibt wenig von seinem
Privatleben preis. Er hat offenbar nicht das geringste Geltungsbedürfnis. Er
schildert nur sachlich seine inneren und äußeren Erlebnisse und wie er sie
zunächst zu einem Roman verarbeitete, den er im Selbstverlag veröffentlicht
hat, und dann 2015 mit Hilfe des erfahrenen Krimiautors Manfred Bomm, der
seinen Kommissar Häberle inzwischen (2019) schon zum zwanzigsten Mal im Raum
Ulm – Stuttgart auf „Verbrecherjagd“ geschickt hat, in einem kleinen Verlag in
erweiterter Fassung noch einmal herausgebracht hat.
Ich empfinde es als angenehm, dass der
Autor keinen Neurologen oder Psychologen zur Beratung herangezogen hat, obwohl
er immer wieder schweißgebadet aus seinen Träumen erwachte und auch ansonsten
bisweilen mitten am Tag bei seinen intensiven „Schauungen“ das Bewusstsein
verlor.
Udo Wieczorek hat am 2. November 1993 auch
ein Nahtodeserlebnis gehabt, das er in dem Buch (S 59ff) schildert. Er ist am 25.
Oktober 1993 nach einem Waldlauf mit einem Blinddarmdurchbruch in die Klinik
Seefeld am Ammersee[6]
eingeliefert worden und musste dort nach der zweiten Operation reanimiert
werden.
Udo hat aber nicht nur seinen Tod in
diesem Leben erlebt, sondern auch seinen Tod im vorherigen Leben als „Vinz“.
Jedes Mal hatte er dabei die klassischen Erlebnisse, die mir durch George
Ritchie („Rückkehr von morgen“) vertraut sind: deutliche Bilder von Erlebnissen
außerhalb des Leibes, das Gleiten in einen tunnelähnlichen Lichtraum, das
Schauen der Gesichter verstorbener Angehöriger und schließlich das Erleben
jenes Gesichtes, das die Seele mit seinem milden Lächeln empfängt und ihr den
Frieden bereitet, den sie gesucht hat.
Darum geht es Udo Wieczorek vor allem:
der Seele seines Freundes „Josele“, den er als junger Soldat im Krieg „versehentlich“
getötet hat, weil er ihn für einen Feind hielt, und seiner eigenen endlich den
Frieden zu schenken, den die beiden Seelen durch die Schuld, die sie im
vergangenen Leben auf sich geladen hatten, nicht finden konnten. Das ist auch das
Motiv für die Veröffentlichung der Geschichte, nicht irgendeine
„Sensationslust“, und das macht das Buch auch ehrlich und authentisch, obwohl
es schier Unglaubliches erzählt. Da ist zum Beispiel die Geschichte von dem
alten Mann zu erwähnen, der zweimal wie eine Art Schicksalsführer in das Leben
von Udo und Daniela tritt. Dieser „alte Mann“, der wie aus dem Nichts gekommen
war und wieder im Nichts verschwand, war der Anlass, dass Wolfgang Gädeke in
seinem Vortrag vom 29. Oktober das Buch überhaupt erwähnte, woraufhin mein
Interesse erwacht war.
Etwas hat mich an diesem Abend also
angesprochen, das ich noch nicht erklären kann.
Bei der Lektüre fielen mir einige
Ereignisse auf, die einen inneren Bezug zu meinem eigenen Schicksal haben,
obwohl ich nie solche intensiven Träume wie Udo Wieczorek hatte und auch nicht
über das „Zweite Gesicht“ verfüge. Meine geistigen Erlebnisse sind viel ruhiger
und unspektakulärer. Obwohl ich es vorhatte, so könnte ich sie bisher auch
nicht in einem Buch verarbeiten, das auf Interesse stoßen würde. Sie sind zu
intim mit meinem Leben und den Menschen, die mir nahe stehen, verbunden.
Udo Wieczorek spekuliert nicht,
sondern beschreibt lediglich, was er erlebt.
Als Leser aber erwarte ich
unterbewusst, dass ich auch etwas über die anderen Menschen erfahre, die wie Daniela
Wieczorek und Manfred Bomm mit ihm karmisch verbunden sind. Beide sind ab 1995
(Daniela) beziehungsweise ab 2013 (Manfred) in seine Geschichte verwoben, indem
sie gemeinsam an die Orte des Geschehens in Südtirol reisen und Nachforschungen
anstellen.
Es drängt sich mir beim Lesen
unmittelbar die Ahnung auf, dass Manfred identisch sein könnte mit „Josele“ und
Daniela mit Marie, dem Mädchen mit den Zöpfen, in das sowohl Josele als auch
Vinzente einst verliebt waren. Dieses Mädchen, dem Vinzente, der Tischler von
Beruf war, eine Rose in die Holzwand eines Stadels in der Ortschaft Moos bei
Sexten im Pustatal geschnitzt hatte, die von Udo und Daniela 82 Jahre später
wiedergefunden wird, trägt in einem Traum Udos
den Namen Marie oder Magdalena. Er nennt sie an einer Stelle einfach
„Lena“ (S 274f).
Auch ein Lokalhistoriker mit Namen
Rudolf Holzer kommt in dem Buch am Ende vor, der, neben dem
Franziskanermönch Siegfried Volgger,
entscheidend dazu beiträgt, dass die beiden „Forscher“ im Jahr 2013 die
Personen aus Udos Träumen als tatsächliche Menschen, die am Beginn des 20.
Jahrhunderts gelebt hatten und gestorben waren, identifizieren können.
Wenn ich mich richtig erinnere, habe
ich Rudolf Holzer bei unserem Aufenthalt in Südtirol selbst erleben dürfen, als
er uns einen Vortrag über die Geschichte der Gegend hielt. Ich muss es durch
meinen Aufzeichnungen aus jenem Jahr noch verifizieren; aber ich bin fast
sicher.
9.18
Uhr:
Der Brief, den mir Hans-Jürgen in
Begleitung der Büchersendung geschrieben hat, ist auf den 7. November datiert,
also auf den Tag, an dem ich begonnen habe, das Buch „Seelenvermächtnis“ zu lesen.
Warum erwähne ich das?
Sowohl Udo Wieczorek, der als
Finanzbeamter arbeitet und nebenher schreibt, als auch Hans-Jürgen, unser
Trauzeuge, stammen aus der Stadt Ulm. Hans-Jürgen war dort Waldorfschüler und
hat, wie ich weiß, wichtige Impulse von seinem Kunstgeschichtslehrer Gottfried
Richter bekommen, von dem ich zwei Bücher („Ideen zur Kunstgeschichte“ und
„Romanisches Burgund“) besitze. Ob die Familie Schleicher, die mit der Ulmer
Firma „Oscorna“ verbunden ist, und die Familie von Udo Wieczorek sich kennen, weiß
ich nicht. Aber zumindest das Aufwachsen in der Donaustadt ist ein gemeinsames
Schicksal.
Wie erstaunt war ich, als ich gestern
das erste Kapitel – eine Art Prolog – von Hans-Jürgens Novelle „Udine“ las. Es
beginnt so:
„In letzter Zeit hatte er angefangen
sich mit seinen Träumen zu beschäftigen. Im Grunde nichts Ungewöhnliches: Viele
seiner Bekannten, und hierbei vor allem Frauen, erzählten von ihren Ausflügen in
diese irrationale Bilderzone. Oft mit einem merkwürdigen Unterton: Als ob sie ein
Mysterium verraten würden.
Der Anlass dafür war ein mehrmals wiederkehrender
Traum, der ihn nicht wieder losließ. Genauer: die Bruchstücke ein- und desselben
Traumes.“
[2] In diesem
Verlag veröffentlicht auch meine Bekannte Wildis Streng ihre genialen Hohenlohe-Krimis.
[4] An
diesem Tag wurde Lena 26 Jahre alt. Es war ihr erster Geburtstag in
Deutschland. Sie wohnte mit Jakob E. und ihren Schwiegereltern in Rechenberg; sie haben aber den Geburtstag
nicht groß gefeiert. Lena war mit ihrem ersten Sohn schwanger.
[5] Ich
hatte meinen Tagebucheintrag um 6.50 unterbrochen, um mit Lena zu frühstücken
und sie dann nach Rosengarten-Uttenhofen zur Arbeit zu bringen.
Hieß die Gegend in den Dolomiten, die Gegenstand der im Buch geschilderten
Ereignisse ist, nicht auch „Rosengarten“?
[6] Also
dort, wo ich mit Lena zweimal bei Charlotte und Jaki zu Besuch war.
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