Als ich vorhin nachschaute, wie viele
Leser ich inzwischen auf meinem Blog „Kommentare zum Zeitgeschehen“ habe,
konnte ich feststellen, dass mein Eintrag vom 4. Oktober 2019 über „Die
spirituellen Hintergründe des Mauerfalls“[1]
inzwischen die meisten Klicks hat, nämlich exakt 100. Das freut mich natürlich,
auch wenn ich mich keinen Illusionen darüber hingebe, dass meine Gedanken dazu
von irgendwelchen Leuten gelesen werden, die am politischen Geschehen
unmittelbar beteiligt sind.
Einer dieser Menschen ist Willy
Wimmer, dessen neuestes Buch „Und immer wieder Versailles – Ein Jahrhundert im
Brennglas“ (Verlag Zeitgeist, Höhr-Grenzhausen Mai 2019) ich eben mit
zunehmendem Interesse lese. Die Tatsache, dass er viele Politiker aus eigener
Anschauung, ja aus Gesprächen in seiner Funktion als ehemaliger Staatssekretär
im Verteidigungsministerium kennt und dadurch authentisch berichten kann, gibt
mir Vertrauen in seine fachliche Kompetenz. Außerdem ist er ein Mensch, der in
großen Zusammenhängen denkt, was ich bei den meisten Politikern leider
vermisse, und was daher meinem Eindruck nach eher eine Ausnahme ist. Ein anderer
Ausnahmepolitiker war der kürzlich verstorbene Haller Ehrenbürger Erhard
Eppler, dem ich schon mehrere Kommentare auf meinem Blog gewidmet habe.
Willy Wimmer, Jahrgang 1943, schreibt
zu den Hintergründen der deutschen Wiedervereinigung, die vor 30 Jahren mit dem
Mauerfall möglich wurde:
„Ende September 1989 kam ich mit dem
Sicherheitsberater von Generalsekretär Gorbatschow, mit Marschall Achromejew,
im Kreml zusammen. Er sprach von der deutschen Wiedervereinigung und fragte
mich, ob ich denn nicht wisse, was beim Besuch von Gorbatschow im Juni 1989
zwischen ihm und Helmut Kohl besprochen worden war. Natürlich hatte mich der
Bundeskanzler in diese Dinge nicht eingeweiht. Aber für mich und meine
Begleitung war damals klar, zurück in Bonn können wir sagen: Wir bekommen die
Einheit. Damals lehnte sich in Westdeutschland, abgesehen von Helmut Kohl und
vielleicht noch Willy Brandt und Egon Bahr, niemand aus dem Fenster, was den
Gedanken an die Wiedervereinigung anging, jedenfalls nicht öffentlich. In
Moskau aber, Ende September, Anfang Oktober 1989 sprachen alle in der deutschen
Botschaft von der Wiedervereinigung. Ich habe mich, abgesehen von der nächsten
Kabinettssitzung, nicht getraut, in Bonn darüber zu berichten, weil ich dachte,
das glaubt mir doch keiner. Folgende Überlegungen stellte ich damals an, wie es
denn mit Deutschland weitergehen sollte. Für mich war das wie ein immanenter,
schnell ablaufender Film, und in Anbetracht meiner Verantwortung als Mitglied
des Kabinetts wollte ich dazu einen Beitrag leisten in Übereinstimmung mit
meinem politischen und historischen Verständnis von Europa. Genau deshalb hatte
ich dem Bundeskanzler vorgeschlagen, Deutschland solle in der NATO bleiben, wir
stationieren nur deutsche Truppen[2]
auf dem Territorium der noch bestehenden DDR, und unter keinen Umständen
unternehmen wir etwas östlich der Oder[3].
Weil das Gebiet zwischen der sowjetischen Westgrenze und der Oder in meinem
Verständnis das sensibelste in Europa war, und das seit dem Ersten Weltkrieg.
Daher konnte man da nur mit kluger Politik des Ausgleichs, der Verständigung
und ökonomischer Unterstützung[4] tätig
werden, ohne die Geister der Vergangenheit hervorzurufen. In meinem Buch ‚Die
Akte Moskau‘ habe ich darüber geschrieben und die entsprechenden Dokumente
abgedruckt. Es ist ja alles nachzulesen. Das war die Entwicklung damals. Heute
aber erleben wir einen eklatanten Verstoß gegen das, was in den Verträgen zur
deutschen Wiedervereinigung, im 2plus4-Vertrag drinsteht, es verstößt gegen die
eigene deutsche Verfassung und offenbart unsere anscheinend nicht zu
unterdrückende Neigung, uns weltweit an völkerrechtswidrigen Kriegen im Auftrag
der Vereinigten Staaten[5] zu
beteiligen. Und dann erwartet man vom einzelnen Bürger Rechtsverständnis? Und
Einhaltung geltender Gesetze? Wenn doch staatlicherseits – von der Verfassung
bis zum Soldatengesetz – alles missachtet wird, was in diesem Feld festgelegt
worden ist, und zwar, bis wir wieder am Boden liegen. Das macht die Tragik
unseres Landes aus.“ (S 129f)
[2]
Hervorhebung von mir
[3]
Hervorhebung von mir. Der deutsche Schicksalsfluss Oder ist mir dadurch
vertraut, dass sowohl mein Vater als auch meine Mutter ihre Kindheit und Jugend
unmittelbar an diesem Fluss verbracht haben, mein Vater in dem Städtchen
Dyherrnfurt (heute Polnisch: Brzeg Dolny) und meine Mutter in Breslau (Polnisch:
Wroclaw). Mein Großvater Dr. Waldemar Rumbaur, der lange Zeit stellvertretender
Bundesvorsitzender der „Landsmannschaft Schlesien“ war und in dieser Funktion viele
Beiträge in unterschiedlichen Zeitungen veröffentlicht hat, die sich mit der „Oder-Neiße-Grenze“
und dem Potsdamer Abkommen der vier Siegermächte beschäftigen, war einer jener
Menschen, die zu den berühmten Politikern jener Zeit (Bundeskanzler Adenauer,
Willy Brandt und vielen anderen) persönlichen Kontakt hatte.
[4] Wie
feinsinnig Willy Wimmer die Worte wählt, kann einem beim (zweiten) Lesen
deutlich werden: Die Trias der Begriffe deutet auf die drei Ideale der
Französischen Revolution hin, die Rudolf Steiner aufgreift und in seinen
„Kernpunkten zur sozialen Frage“ (1917) an ihren wirklichkeitsgemäßen Platz
rückt. Im Wort „politischer Ausgleich“ leuchtet das Ideal der „Gleichheit“ im
„Politischen Leben“, im Begriff der "Verständigung" das Ideal der Freiheit im
Geistesleben, ohne die keine wahre Verständigung möglich ist, und im Begriff
„ökonomische Unterstützung“ das Ideal der Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben
auf.
[5] Willy
Wimmer weist in dem Buch nach, dass es seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
das Ziel gewisser angelsächsischer Zirkel war, Deutschland als Konkurrenten auf
den Weltmärkten auszuschalten, ja gegebenenfalls ganz zu vernichten. Dafür
wurden von ihnen zwei Weltkriege mit Millionen von Toten in die Wege geleitet und
das „Monstrum“ Hitler an die Macht gehievt. Das Buch gibt einen neuen Blick auf
die Geschichte frei, der mir schon durch die „Zeitgeschichtlichen Betrachtungen“
Rudolf Steiners nicht ganz unbekannt war, aber bei den meisten Menschen wohl immer
noch nicht üblich ist, auch wenn sie unseren Politikern und Historikern kaum noch
vertrauen, wie ich immer wieder in Gesprächen mit ganz einfachen Menschen – also
nicht etwa mit Intellektuellen oder Akademikern – feststellen kann.
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