Dienstag, 26. September 2017

Das Ende der Illusionen?

Ich muss das Magazin, das ich beinahe dreißig Jahre abonniert hatte und schließlich aus Ärger abbestellt habe, weil ich seine zynisch-ironische Sprache nicht mehr ertragen konnte, das ich aber dennoch ab und zu kaufe, um mich zu vergewissern, wie es meiner alten „Geliebten“ geht, heute einmal loben. Die Ausgabe des „Spiegel“ vom 26. September 2017, die als Nummer 1 erscheint, bringt eine sehr interessante Analyse der Bundestagswahl. Ich möchte hier einen Ausschnitt widergeben, der mir besonders gut gefällt. Unter dem Titel „Merkels Saat“ schreibt das Autorenkollektiv:
„Noch stellt niemand Merkels Autorität offen infrage. Aber auf ihrer Amtszeit lastet eine Hypothek, die noch kein anderer CDU-Kanzler der Partei aufgebürdet hat: Der Aufstieg der Alternative für Deutschland ist ohne Merkel nicht denkbar, schon der Name der Partei beinhaltet eine Referenz an die Kanzlerin, die ihre Euro-Rettungspolitik als ‚alternativlos‘ bezeichnet hatte und in deren Folge sich die AfD dann im Februar 2013 gegründet hatte.
Als sich die Griechenlandkrise entspannte, war die AfD fast schon wieder verschwunden, aber dann kam im Herbst 2015 Merkels Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Die Flüchtlingskrise wurde zur zweiten Geburtsstunde der AfD, sie vitalisierte und radikalisierte die Partei gleichzeitig. Die Flüchtlinge waren, wie es Spitzenkandidat Alexander Gauland in aller zynischen Offenheit sagte, ein ‚Geschenk des Himmels‘ für die AfD.
Die Republik steht nun vor der wohl schwierigsten Regierungsbildung ihrer Geschichte. Da ist auf der einen Seite die CSU, die in Bayern dramatisch auf unter 40 Prozent abgestürzt ist. Sie wird scharf nach rechts ziehen, um die AfD-Konkurrenz bei der bevorstehenden  Landtagswahl im Herbst 2018 zu bekämpfen. ‚Wir hatten auf der rechten Seite eine offene Flanke‘, sagt CSU-Chef Horst Seehofer. Die gelte es nun zu schließen. Die Grünen wiederum wollen sich auf keinen Fall mit einer Union zusammentun, die von München aus geführt wird. Seehofers Obergrenze ist für sie Teufelszeug, und ihr überraschend starkes Ergebnis gibt ihnen den Mut zum Widerspruch. ‚Der schwierigste Partner wird die CSU und nicht die Grünen‘, sagt Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar.
Zu allem Überfluss fehlt Merkel auch noch eine Alternative, mit der sie drohen könnte, falls die Gespräche stocken.“
Hier beschreibt der Spiegel eine Situation, die – geistig gesehen – hoch interessant ist. Obwohl sich der Spiegel seit seiner Gründung – soweit ich es übersehe mit einer einzigen nennenswerten Ausnahme[1] – dem Dogma des Materialismus verschrieben hat, deutet er haarscharf auf das geistige „Gesetz des Karmas" hin, ohne es zu benennen. Die Autoren zeigen aber exakt auf, wie Karma wirkt.
Karma wirkte in früheren Zeiten von einem Leben zum anderen. Im 21. Jahrhundert haben sich Ursache und Wirkung jedoch radikal verkürzt. Von dem legendären Ausspruch von der „Alternativlosigkeit“ bis zur Gründung der AfD vergingen gerade einmal ein paar Wochen. Nun, etwa vier Jahre später, greift sogar die Discounter-Kette Aldi in einer wahlbegleitenden Kampagne den Ausdruck auf, indem sie ihn leicht abändert und sprachschöpferisch zu „aldinativlos“ umwandelt.
Immerhin deutet der Spiegel in seiner Analyse das geistige Wirken – denn darum handelt es sich – an, indem er Herrn Gauland zitiert: Ja, die Flüchtlingskrise war für die „Alternative für Deutschland“ ein „Himmelsgeschenk“, denn erst dadurch ist sie groß geworden.  
Die Geschichte kennt viele solcher „Himmelsgeschenke“ seit der Antike. Es sind die sogenannten „Danaer-Geschenke“, die immer dann eintreten, wenn die Völker oder ihre Führer eine Verfehlung begangen haben, die den karmischen Ausgleich fordert.[2]
Der Raub der schönen Helena durch den trojanischen Königssohn Paris löste einen Krieg aus, der zehn Jahre hin und her wogte, aber schließlich durch die List des Odysseus mit einer totalen Niederlage der Trojaner endete. Der Priester Laokoon hatte die Trojaner vergeblich gewarnt.
Viele wundern sich, dass vor allem die Menschen im Freistaat Sachsen mit überwältigender Mehrheit die AfD gewählt haben. Auch das ist der karmische Ausgleich dafür, dass Helmut Kohl und seine Regierung vor exakt 27 Jahren die DDR „annektiert“ und „abgewickelt“ hat. Es war in Wirklichkeit nichts anderes als ein Raub.
Damals hat die Politik wieder einmal in einem historischen Moment eine bedeutende Chance verpasst. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.
Aber so weit blicken unsere Politiker nicht. Es gibt unzählige Beispiele für solche materialistischen Kurzsichtigkeiten. Die Menschen an der Macht sind offenbar auf dem geistigen Auge blind.
Aber das Volk ist genauso blind, auch wenn es immerhin merkt, dass etwas „faul ist im Staate Dänemark“. 
Aber das bringt uns nicht weiter, auch wenn sich manche nun damit trösten, dass 87 „Prozent der Bevölkerung“[3] nicht die AfD gewählt hätten. Aber selbst das ist eine Illusion: In Wirklichkeit waren es 87 Prozent der Wahlberechtigten und nicht der Bevölkerung, also wesentlich weniger Menschen, als von an und für sich intelligenten Leuten behauptet wird.
Wo Karma wirkt, darf man sich nicht weiter in Illusionen wiegen, sondern sollte der Wahrheit – auch wenn sie noch so unangenehm ist – ins Auge schauen. Dabei hilft auch das „Verteufeln“ des Gegners nicht. Die AfD ist in einem geistigen Vakuum entstanden. Ihre wahre „Mission“ kann man nur verstehen, wenn man endlich die Glaubenssätze des Materialismus überwindet und tiefer schaut.



[1] Ich meine die Serie über die Anthroposophen von Peter Brügge im Jahre 1984, die auch als „Spiegel-Buch“ erschienen ist.
[2] Vergil bezeichnet das Trojanische Pferd, das die Griechen (Danaer) den Trojanern als Geschenk zurücklassen, in seiner „Aeneis“ als solches: „“ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke tragen“ (Buch II, 48 – 49)
[3] So Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in der Bundesrepublik am Montagmorgen im SWR2-Tagesgespräch

Montag, 25. September 2017

"Wer nicht denken will, fliegt raus!" - Zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017

Politiker müssen Machtmenschen sein. Wenn sie es nicht sind, dürfen sie nicht Politiker werden. 
So weit, so gut. 
Aber Politiker müssen auch Ideen haben.  Genau das aber vermisst „das Volk“ – vielleicht noch mehrheitlich unbewusst – bei einer Kanzlerin Merkel, die ohne Zweifel ein Machtmensch ist, wenn sie auch als „Kohls Mädchen“ angefangen hat und heute von vielen „Mutti“ genannt wird. Ihr „Basta“ hört man nicht wie bei ihrem Vorgänger, aber sie ist ein „Kontrollfreak“, wie der Fotograf Konrad R. Müller, der alle Kanzler fotografiert hat, feststellt (Spiegel 37 vom 9.9.2017). Nun fand ihr politischer Herausforderer, der SPD-Kanzler-Kandidat am Wahlabend eine Metapher, die zwar verletzend ist, aber meines Erachtens den Nagel auf den Kopf trifft: er nannte Frau Merkel einen „Ideenstaubsauger“.
Dieses Bild passt. Auf der einen Seite schnappt die Kanzlerin aus ihrer Umgebung Ideen auf, auf der anderen stößt sie heiße Luft aus. 
Die Ideen werden ihr vorwiegend von ihren amerikanischen Verbündeten eingeflüstert, wie jederman weiß, der sich wundert, dass sie sich nicht deutlicher gegen das Ausspionieren Deutschlands von englischen und amerikanischen Geheimdiensten gewehrt hat.
Wenn die deutsche Bundeskanzlerin meint, sie müsse sich im Interesse der von Amerika geführten Nato für Sanktionen gegen Russland entscheiden, obwohl das nicht nur der russischen, sondern auch der deutschen Wirtschaft schadet, dann kann ich das mit gesundem Menschenverstand nicht mehr nachvollziehen: Die gut Russisch sprechende ehemalige Ostdeutsche hätte, wenn sie ihre eigentliche Aufgabe ergriffen hätte, die perfekte politische Gesprächspartnerin für den gut Deutsch sprechenden russischen Staatschef Putin werden können.
Diese Chance hat sie tragischerweise verpasst!
Stattdessen stellt sie sich auf die Seite Amerikas, das nichts mehr fürchtet, als ein Zusammengehen deutschen Know-Hows mit dem riesigen Rohstoff-Reich Russland. 
Dazu musste erst einmal von jenen Kräften, die im Namen der verlogenen „Open Society“ des amerikanischen Spekulanten George Soros auf der ganzen Welt bunte Revolutionen fördern, die Ukraine destabilisiert werden. Als sich dann die Krim durch eine Volksabstimmung für unabhängig erklärte, war ein willkommener äußerer Grund für die von Amerika geforderten Sanktionen da. Als sich der Kosovo Jahre zuvor für unabhängig von Serbien erklärte, feierte man das als einen Sieg des Westens.
Aber das war nur der Endpunkt jenes unseligen Jugoslawienkrieges, für den die Nato 1998 sogar den ersten grünen Außenminister Joschka Fischer zum Verbündeten gewann. Dafür hat er von seinen Parteifreunden, die das als Verrat an den pazifistischen Idealen der Partei verstanden haben, die Rechnung in Form von Tomaten umgehend serviert bekommen. Auch Frau Merkel musste sich im eben zu Ende gegangenen Wahlkampf Tomaten gefallen lassen. 
Herr Steinmeier hat schon Recht, dass „Tomaten keine Argumente“ sind. Das meine ich auch.
Aber wenn unsere Staatslenker ihre Macht missbrauchen, dann antwortet die Volkswut auch einmal mit Pfiffen und Tomaten. Und Frau Merkel hat ihre Macht mehrmals – völlig undemokratisch – missbraucht: Ihre Beschlüsse hat sie am Parlament und am Gesetz vorbei völlig spontan gefasst: das war 2008 bei der Bankenrettung so, das war bei dem Umschwung in der Energiepolitik 2011 so, und das war schließlich bei der „Flüchtlingskrise“ im September 2015 so.
Der letzte spontane Fauxpas der Kanzlerin war ihr Interview, in der sie plötzlich von der konservativen CDU-Position abwich, und meinte, man könne ja mal über die „Ehe für alle“ nachdenken. Eine Woche später wurde daraus ein Bundestagsbeschluss – für mich der endgültige Beweis dafür, dass unsere Politiker nicht denken wollen. Der Begriff „Ehe“ ist, wie ich in einem früheren Blog aufgezeigt habe, eindeutig definiert und kann nicht auf „alle“ ausgedehnt werden.
Joseph Beuys sagte einmal in einer seiner Versammlungen etwas provokativ: „Wer nicht denken will, fliegt raus!“
Ich denke, das miserable Abschneiden der Großen Koalition bei der Bundestagswahl zeigt, dass Joseph Beuys recht hatte. Viele Genossen und Christdemokraten sind „rausgeflogen“.
Aber wer kommt nun „rein“?
Die Politiker der AfD greifen – völlig zu Recht – die allgemeine Volksunzufriedenheit auf. Die meisten Wähler haben diese Partei nicht aus Überzeugung gewählt, sondern aus Enttäuschung über die Politik der „Groko“.
Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass die AfD-Politiker besser denken können, als viele der bisherigen Abgeordneten des Bundestages. Aber sie stellen zumindest schon einmal zahlreiche liebgewonnene „Dogmen“ in Frage. Diese „Glaubensgrundsätze“ sind nur die Meinungen weniger, die aber bisher in den Medien vorherrschend waren.
Das dürfte sich nun ändern. Und das sehe ich als eine reale Chance für unsere Demokratie, nicht als Gefahr. Unsere durch viele Krisen gestärkte parlamentarische Demokratie braucht kein „Bollwerk“ (Martin Schulz) gegen andere Meinungen, solange diese sachlich vorgetragen werden. Da haben allerdings manche Politiker der AfD noch einen Lernprozess zu absolvieren, wie zum Beispiel der frühere CDU-Politiker, Alexander Gauland, der sich gerne mal im Ton vergreift.
Aber wie sieht es mit der künftigen Regierung aus. Wenn nicht noch etwas völlig Überraschendes passiert, dann wird die christliche „Union“ mit den freien Demokraten und den Grünen eine schwarz- gelb-grüne Jamaika-Regierungs-Koalition bilden.
Um die Denkfähigkeit dieser „Wahlgewinner“ zu prüfen, sollte man sich einmal ihre flotten Werbesprüche auf den Wahlplakaten anschauen. Ich greife nur zwei heraus: Die Grünen ließen texten: „Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts!“ Das ist so, wie es da steht, gedanklicher oder sprachlicher Quatsch. Richtig kann es heißen: „Umweltpolitik ist nicht alles, aber ohne Umweltpolitik ist alles nichts“.
Den Vogel schießt aber die FDP ab, die in ihrem Wahlkampf ausdrücklich  ein „neues Denken“ propagierte, wenn sie texten lässt: „First digital, Second bedenken“.
Das erinnert mich, abgesehen von dem Mischmasch aus Deutsch und Englisch und der bewussten sprachlichen Konnotation zu „America first“ von D.T., stark an den Schnellschuss von Bundeskanzler und Leo-Kirch-Freund Helmut Kohl, als er 1984 eigenmächtig die Privat-Fernseh-Sender in Deutschland einführte und dadurch den letzten Rest an Kultur, den zwei Weltkriege und die sogenannte „Westorientierung“ im deutschen Volk noch übrig gelassen hatten, nachhaltig zerstören ließ.
Ähnlich wird es mit der sogenannten Digitalisierung gehen, durch die man jetzt schon den Verlust von so wichtigen Kulturtechniken wie Kopfrechnen oder Kartenlesen verzeichnen kann und die uns in den nächsten elf Jahren schleichend in den totalen Überwachungsstaat führen wird.
Wenn die FDP auf ihren Wahlplakaten von dem „Ende der Geduld“ sprach, und die Tugend der Geduld einen „Schlachthof für Ideen“ nennt, dann ist das eine philosophische Bankrotterklärung. Herr Lindner hat vermutlich nie ein Philosophie- oder Theologie-Seminar besucht.
Was Herr Schulz und seine Partei unter „Gerechtigkeit“ verstehen, weiß ich bis heute nicht. Mit Sicherheit nicht das, was Plato und Aristoteles, die einst von den vier Kardinaltugenden sprachen, damit gemeint haben. Bis ins Mittelalter, ja bis ins 18. Jahrhundert waren diese Begriffe – genau wie der Begriff „Ehe“ – klar definiert und sie standen in vielen alten Bauwerken als Personifikationen den noch nicht alphabetisierten Abendländern als „Iustitia“, Patientia“, Temperantia“ und „Fortitudo“ vor Augen.

Wenn unsere Politiker, von den Grünen bis zur AfD, den Begriff „Fortitudo“ richtig verstanden haben, dann wissen sie auch, dass „Macht“ eine positive Tugend ist, die sich in ein Laster verkehrt, wenn sie missbraucht wird.

Sonntag, 24. September 2017

Stephen King und der Zyklus der 27 Jahre

Gestern habe ich in meinem Crailsheimer Kurs zusätzlich fünf (Schul-) Stunden unterrichtet, und zwar von 16.00 bis 20.00 Uhr.
Als ich zurück nach Schwäbisch Hall fuhr, sah ich vor mir im Westen die schmale, untergehende Mondsichel. Leider war der Himmel über ihr bewölkt. Aber in Gedanken sah ich das Sternbild der Jungfrau und ich dachte an das „große Zeichen“ aus der Offenbarung (12, 1). Auch heute Morgen war der Himmel bewölkt und es war unmöglich, das Sternbild des Löwen mit den drei Planeten zu sehen, die sich im Augenblick dort aufhalten. Das Sternbild hat neun Fixsterne. Rechnet man Mars, Venus und Merkur dazu, die gerade durch den Löwen wandern, dann kommt man auf zwölf Sterne. Wenn die Sonne aufgeht, dann geht sie heute im Zeichen der Jungfrau auf – anders als in der Astrologie, wo sie in der Waage aufgeht. Wir haben also „ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen“ (Off. 12, 1).
Jupiter, der Planet der Weisheit, befindet sich im Sternbild er Jungfrau.
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Um 10.00 Uhr war ich im Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Es wurden die sieben neuen Konfirmanden vorgestellt: drei Jungen und vier Mädchen. Ich war erstaunt über die große Ernsthaftigkeit der 14jährigen Jugendlichen. Sie haben mit klaren Stimmen und mit Verstand die Gebete vorgelesen, beim Abendmahl Brot und Wein ausgeteilt und danach die Fürbitten gelesen.
Ich musste bei diesen sieben unmittelbar an die „Clique“ aus Stephen Kings Roman „Es“ denken. Möge es den sieben ebenfalls gelingen, die Monster (bzw. Ängste in sich) zu besiegen.
Im Roman "Es" sind es sechs Jungen und ein Mädchen, die das Monster bekämpfen. Sie lernen sich im Jahre 1958 mit etwa 11 Jahren in einem kleinen amerikanischen Ort kennen und nennen sich „Club der Verlierer“, weil jeder einen Makel hat. Dennoch ergreifen sie später gute Berufe und wirken erfolgreich in der ganzen Welt. Nur der schwarzhäutige Mike (Michael)[1] bleibt in dem Heimatstädtchen zurück und leitet dort die Bibliothek. Er verwaltet gleichsam das in verschiedenen Dokumenten „gesammelte Wissen“ der bei den anderen bereits weitgehend verdrängten Ereignisse des Jahres 1958, als das Böse in Form von „Es“ zum ersten Mal sein Haupt erhob. „Es“ nimmt immer die Gestalt der Angst an, die eines der sieben Mitglieder des „Clubs der Verlierer“ gerade am meisten hat: die des Clowns, des Riesenvogels oder auch des Werwolfs. „Es“ scheint in der Kanalisation, also „unterirdisch“, zu leben und taucht alle 27 Jahre wieder auf. Als es im Jahre 1985 wieder so weit ist, ruft Mike seine Freunde von damals zusammen und gemeinsam besiegen sie in diesem Jahr tatsächlich das Böse und seine Brut.
Die Zahl von 27 Jahren ist interessant. Viele große Film- und Popstars starben in diesem Alter, angefangen mit dem Idol der 50er Jahre, James Dean. In den 60er und 70er Jahren waren es Jimmy Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison von den Doors. 
Stephen King war 27, als er 1974 seinen ersten Erfolg als Schriftsteller mit dem Roman „Carrie“ feiern konnte. Beinahe wäre auch er durch seinen Alkoholkonsum - ebenfalls mit 27 - gestorben. Interessant ist auch, dass wiederum 27 Jahre später, also im Jahre 2001 ein Ereignis eintraf, in dem viele den Einbruch des Bösen in die globalisierte Welt sehen: der Angriff auf die beiden WTC-Türme.
Rudolf Steiner hat einmal ausgeführt, dass das 27. Lebensjahr in unserem jetzigen Zeitalter in jedem Lebensgang eine Krise signalisiert. Wenn der Mensch in diesem Alter seine geistige Entwicklung nicht selbst in die Hand nimmt, dann bleibt er in gewisser Weise bei dem erreichten Status Quo stehen. Bis zum 27. Lebensjahr wird dem Menschen alles geschenkt durch höhere geistige Mächte. Zur Emanzipation des Menschen gehöre es nun, dass er sich selbst um seine geistige Fortentwicklung bemüht. Dieser Zeitpunkt wird in Zukunft immer früher erreicht werden. Rudolf Steiner nennt das das „Jüngerwerden“ der Menschheit.




[1] Auch in Romeros Zombiefilm „Night of the Living Dead“ aus dem Jahre 1968 ist der Held ein Afro-Amerikaner.

Samstag, 23. September 2017

"Es"

Der Mensch steht zwischen luziferischen und ahrimanischen Mächten und versucht, das Gleichgewicht zu halten. Heute treten wir, astrologisch gesehen, vom Sternbild der Jungfrau in das Sternbild der Waage ein. Die Waage des Erzengels Michael habe ich gestern auf meinem Gang in die Gelblinger Gasse am südlichen Ost-Chor der Michaelskirche wieder einmal bewundert. Diese beiden Waagschalen sind allerdings nicht im Gleichgewicht. Die rechte hat Hans Beuscher, der Michaels-Bildhauer, höher gesetzt als die linke. In dieser Schale sitzen die Seelen, die als „zu leicht befunden“ wurden.
Wir treten in die Zeit des „Seelenwägers“ ein.
Am 21. September haben zwei interessante Persönlichkeiten Geburtstag gefeiert, einer von beiden allerdings im Himmel. Steven King, der Horror-Autor, wurde 70. Leonard Cohen wäre 83 geworden.
Beide haben beziehungsweise hatten unbestritten eine große poetische Begabung. Beide sind durch bittere Erfahrungen mit Alkohol und Drogen gegangen. Beide litten immer wieder unter Depressionen. Und beide wurden im Grunde von Frauen „gerettet“.
In den USA läuft gerade mit unerwartet großem Erfolg die neueste Verfilmung des 1500-Seiten-Romans „Es“ in den Kinos, den Steven King im Jahre 1986 veröffentlichen ließ, im Jahr der Challenger-Katastrophe und von Tschernobyl. In Kürze läuft der Film, der von einem Milliarden Jahre alten verwandlungsfähigen Monster handelt, das Kinder mordet, um sich von ihnen zu ernähren, auch in deutschen Kinos an. Im „Club der sieben“, einer wehrhaften Clique von tapferen Freunden, begegnet „Es“ Kämpfern, die sich ihm entgegenstellen wie Michael dem Drachen.
Ich weiß nicht, welcher Geist Steven King inspiriert. Aber seitdem ich die Besprechung des deutschen Schriftstellers Thomas von Steinaecker in der "Süddeutschen Zeitung" vom vergangenen Donnerstag gelesen habe, ist mein Interesse geweckt. Er fordert: „Gebt ihm den Nobelpreis!“
Auch die Filmkritik von David Steinitz mit dem Titel „Der amerikanische Albclown“ fällt äußerst positiv aus. Der Filmkritiker berichtet:
„Dabei ist es fast ein Wunder, dass Stephen King die Vorlage überhaupt schreiben konnte. Schon in den frühen Siebzigerjahen, vor dem großen Erfolg, war er schwerer Alkoholiker. In seinem Buch ‚On Writing‘ aus dem Jahr 2000 hat er diese Zeit beschrieben: dass er schon trank, als er mit Ende zwanzig mit seiner Frau und zwei Kindern in einem Trailer im ländlichen Maine lebte. Tagsüber arbeitete er als Englischlehrer, nachts stand er in einer Reinigung an der Mangel, weil das Geld nicht reichte – dazwischen setzte er sich neben einem Berg zerdrückter Bierdosen zum Schreiben hin. So entstanden Kurzgeschichten in klassischer Pulp-Tradition, die in Herrenmagazinen erschienen, und schließlich, 1974, der Roman „Carrie“, sein Durchbruch. Plötzlich war er reich und konnte sich auf das Schreiben konzentrieren, aber die Verlagsschecks reichten nun nicht nur fürs Bier, sondern auch für Kokain. In den achtziger Jahren war die Kokain-Sucht so aus dem Ruder gelaufen, dass King sich Tampons in die Nase stecken musste, wenn er sich über seine Schreibmaschine beugte, weil er Nasenbluten bekam. Manche Bücher aus dieser Zeit, ‚Tommyknockers‘ zum Beispiel, lesen sich, als seien sie in Abwesenheit des Verfassers entstanden. King hat kürzlich dem ‚Rolling Stone‘ erzählt, er könne sich nicht erinnern, wann er einige Romane geschrieben habe. (…) In diesem Gemütszustand schrieb er zwischen 1981 und 1984 den Roman ‚Es‘.“
Solche Aussagen sind erstaunlich, denn sie zeigen deutlich, welchen „Einflüssen“ sensible Menschen, insbesondere Schriftsteller, ausgesetzt sein können. Rudolf Steiner spricht in diesem Zusammenhang von dem späten Nietzsche, der seit November 1889 dezidiert „antichristliche“ Werke verfasste. Damals, so Rudolf Steiner, sei Ahriman zum ersten Mal als Schriftsteller aufgetreten. Ich denke, das tut er bis heute.
Aber es wäre falsch, Ahriman und Luzifer zu „verteufeln“. Beide Kräfte sind gottgewollt und helfen dem Menschen, wenn er sie sich bewusst macht, zum Gleichgewicht zu finden.
Der einst sehr prominente evangelische Theologe und spätere Mitgründer der Christengemeinschaft Friedrich Rittelmeyer hat im Jahre 1903 in Nürnberg zum Entsetzen der rechtgläubigen protestantischen Kollegen vier Vorträge über Friedrich Nietzsche gehalten. Gleich zu Beginn gibt er zu bedenken:
„Wenn Sie nun diesem Mann einige Stunden des Nachdenkens mit mir widmen wollen, dann erwarten Sie, bitte, eines nicht von mir, dass ich nämlich, weil er ein Feind des Christentums war und mich meine Lebenserfahrung auf einen entgegengesetzten Standpunkt geführt hat, nun von vorneherein gegen ihn alle Register der Entrüstung ziehe oder gar die Trompeten des Weltgerichts erschallen lasse (…) Es ist ja freilich aus vielen Gründen nicht tief genug zu bedauern, dass Nietzsche seine Anklagen gegen das Christentum zuletzt in einem so maßlos heftigen Ton vorgetragen hat. Unwahrhaftig wäre es, das zu verschweigen; aber noch unwahrhaftiger wäre es, nun deshalb gar nicht auf ihn zu hören. Feinde sind einem Menschen geschenkt, damit er an ihnen wachse und erstarke. (…) Insbesondere eine Religion wie das Christentum kann sich nur, wenn sie tapfer angegriffen wird, in ihrer wahren Kraft und inneren Größe offenbaren; was aber an ihr schwach und vergänglich ist, das zu halten kann ja niemand im Ernst wünschen.“[1]




[1] Gerhard Wehr, Friedrich Rittelmeyer – Sein Leben  - Religiöse Erneuerung als Brückenschlag, Urachhaus, Stuttgart, 1998, S 61

Mittwoch, 20. September 2017

Gottesreich oder Hölle?

Deutschland wählt. Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich überhaupt wählen gehen werde. Im Grunde kann ich niemanden wählen. Die Kandidaten sind mir alle viel zu oberflächlich. Ich sehe weit und breit keinen Staatsmann. Dabei haben sie zum Teil recht klingende Namen: „Gabriel“, „Angela“ und „Steinmeier“. Von den anderen will ich gar nicht reden: Schulz, Özdemir, Lindner, Weidel und Wagenknecht. Letztere sagt zwar manchmal etwas, was ich gut finde. Aber wählen werde ich die Nachfolgepartei der SED nicht. Natürlich kommt auch die AfD nicht in Frage.
Amerika hat schon gewählt. Gestern sprach Trump – die Trompete – vor der Generalversammlung der UNO in New York. Der erste, der seine Rede, in der er einen militärischen Vernichtungsschlag gegen Nordkorea und die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran ankündigte, war der israelische Ministerpräsident.
Morgen beginnt das jüdische Neujahr. Die gläubigen Juden feiern dann zwei Tage lang Rosch Ha Schanah. Gestern war ein heftiges Erdbeben in der Nähe von Mexiko-City. Über der Karibik verstärkt sich stündlich der dritte Hurrikan dieses Sommers, der in ein paar Tagen, in der Nacht vom 22. auf den 23. September zu Ende geht. Der Orkan der höchsten Stufe 5 trägt den biblischen Namen „Maria“ und tobt im Augenblick über dem amerikanischen „inkorporierten Territorium“ Puerto Rico.
Mir kommt es manchmal so vor, als habe die Gottheit tatsächlich ins „Widerhorn“ geblasen. Der Schofar ist kein Musik-Instrument im üblichen Sinne, sondern tatsächlich das Horn eines Widders. Es erinnert an den Widder, den Abraham einst anstelle seines Sohnes Isaak opferte.
„Das Horn wird auf eine besondere Weise in drei Tonfolgen geblasen. Die erste verkündet das Königtum Gottes auf Erden, die zweite gedenkt des Vertrauens der Patriarchen Abraham und Isaak auf Gott und die dritte bezieht sich auf die Offenbarung Gottes am Berg Sinai. Nach Maimonides besteht der Zweck des Hornblasens darin, dass die Menschen über ihre Taten nachdenken und sich dem Guten zuwenden: „Wacht auf aus eurem Schlaf, ihr, die ihr eingeschlafen seid, und denkt über eure Taten nach, kehret um und gedenkt eures Schöpfers.“ (Karl-Heinz Golzio, Basiswissen Judentum, S 50)
Eigentlich steckt in der ersten Tonfolge bereits das ganze Verhängnis: es wird nie ein „Königreich Gottes auf Erden“ geben. Das wollten schon die Bolschewiken errichten. Aber es ging in unendlichen Blutströmen unter. Hätten die Juden Jesus geglaubt, dann wüssten sie: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“.
Immer wieder kommt es zu solchen Irrtümern unter intelligenten Leuten. Ich lese gerade bei Peter Selg über den Münchner Theosophischen Pfingstkongress im Jahre 1907. Damals war es die Leiterin der Theosophischen Weltgesellschaft, Annie Besant, die den christlichen, beziehungsweise den christlich-rosenkreuzerischen Schulungsweg, den Rudolf Steiner vertrat, ablehnte. Das führte zu der bekannten Spaltung zwischen der theosophischen und der anthroposophischen Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg (1912/13).
1907 hätte Annie Besant ihren Kurs noch ändern können. Aber sie wollte ihren Sinn nicht ändern, so wie die „auserwählten“ Juden bis heute ihren Sinn nicht ändern wollen, auch wenn Maimonides ihnen, fast in den gleichen Worten wie der Täufer, zuruft: „Kehret um!“
Nun gut, dann wird Karma walten. Und die Naturkatastrophen in Asien und Amerika, deren Zeugen wir heute sind, sind nur die Vorboten.

Wenn Amerika wirklich eine Atombombe auf Nord-Korea wirft, dann haben wir alles andere als das „anbrechende Königreich Gottes auf Erden“. Dann haben wir die Hölle auf Erden.

Mittwoch, 13. September 2017

Wahlkampf in den "neuen Bundesländern"

Gestern war also Herr M. M. aus Rumänien bei mir und wir haben von 19.00 – 21.15 Uhr zusammen Deutsch geübt. Dabei habe ich als Grundlage den Anfang der Titelgeschichte aus dem neuen „Spiegel“ (Nr. 37 vom 9.9.2017) gewählt, die sich mit dem derzeitigen Bundestagswahlkampf in den östlichen Bundesländern der Republik – also in der ehemaligen kommunistischen DDR – beschäftigt. In gewisser Weise ist dieser „Bericht“ vom Wahlkampf eine Illustration dessen, was ich gestern über das „sich befehdende Parteiwesen“ als Mittel Ahrimans aus dem Züricher Vortrag von Rudolf Steiner zitiert habe.
Unter dem Titel „Früchte des Zorns“ erläutert der Autor: „Selten wurde in der deutschen Politik so erbittert gestritten und gehasst wie derzeit auf den Marktplätzen und im Internet. Mit der AfD wird die Wut wohl in den Bundestag einziehen.“
Es ist interessant gewesen, meinem Schüler dabei den Unterschied zwischen „Zorn“ und „Wut“ zu erklären. In der deutschen Sprache spricht man vom alttestamentarischen „Zorn Gottes“, aber nicht von seiner „Wut“.
John Steinbeck meinte einen höheren Zorn, als er 1939 seinen Roman „Die Früchte des Zorns“  schrieb, der von einer Farmersfamilie handelt, die ihre Heimat im mittleren Westen verlassen musste, weil der Humus der umgebrochenen und zum Ackerland verwandelten Prärie in einer gigantischen Staubwolke („Dust Bowl“) davongetragen wurde. Das fand in den 30er Jahren tatsächlich statt und ist ein frühes Beispiel für den völlig falschen Umgang der weißen Farmer mit der Natur in der Neuen Welt. Solch ein „Fehlverhalten“ rächt sich, wie wir auch heute wieder an der Erwärmung der Ozeane durch den „Künstlichen Treibhauseffekt“ sehen können, der zu den bisher stärksten Hurrikanen geführt hat, die Nordamerika getroffen haben. Diese Ereignisse können religiöse Menschen mit dem „Zorn Gottes“ erklären.
Den Titel des Romans verdankte John Steinbeck seiner Frau, die in ihm eine Anspielung auf einen Vers aus der „Offenbarung des Johannes“ widergeben wollte: „Und der Engel schlug seine Sichel an die Erde und schnitt den Weinstock der Erde und warf ihn in die große Kelter des Zornes Gottes“ (Off. 14,19).
Obwohl die Bürger der ehemaligen DDR seit der Wiedervereinigung viel Geld aus dem Westen erhalten haben, um ihr „rückständiges“ Land in eine „blühende Landschaft“ zu verwandeln, fühlen sie sich von der Politik nicht wahrgenommen. Sie greifen den alten Slogan aus den Montagsdemonstrationen vor der „Wende“ auf und deklamieren auf ihren Versammlungen: „Wir sind das Volk“, und beklagen sich dabei, dass die Politik sie als Volk gar nicht ernst nimmt. Ihr Protest hat ausgerechnet in einer aus der ehemaligen DDR stammenden Kanzlerin ihr Ziel gefunden: „Merkel muss weg! Wir sind das Volk!“
Der Artikelschreiber zeigt sich, wie die meisten Medienvertreter, zunächst einmal parteiisch und versucht, die AfD und die Ossis, wie üblich, pauschal in die rechte Ecke zu stellen. Auch er nimmt die wahren Gründe für den Protest nicht wirklich wahr. Zum Schluss lenkt er jedoch ein wenig ein, als er den Politik-Professor Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin zitiert: „An der Polarisierung der Gesellschaft seien aber nicht nur die Spalter in der AfD schuld, (…) sondern auch ‚viele der Anständigen‘, die im Gefühl der moralischen Überlegenheit im Herbst 2015 jegliche, auch sich später als berechtigt herausstellende Äußerung zur Flüchtlingsfrage in die ‚rechte Ecke‘ gestellt hätten“ (S 20).
Durch die Flüchtlingskrise wurden in den Menschen in Ostdeutschland bis dahin unbewusste Ängste geweckt, die sich seit zwei Jahren in Bewegungen wie Pegida und in einer Partei wie der AfD Luft machen.
Die tiefere Ursache für diese „Hassgefühle“ aber will niemand untersuchen.
Sie hängen meiner Überzeugung nach damit zusammen, dass sich die westdeutsche Politik nach der Wiedervereinigung lediglich um die Wirtschaft gekümmert, aber die Kultur vernachlässigt hat. Ich meine die wahre, geistige Kultur, nicht das, was zum Beispiel an der Berliner Volksbühne durch einen Frank Castorf betrieben wurde. Das war Kulturzertrümmerung.
Die ehemalige DDR wurde vom Westen materiell aufgebaut, aber an die Stelle der „Idee des Kommunismus“ trat: nichts. Der Kommunismus war, so falsch er auch war, immerhin eine Idee, die den Menschen auch einen gewissen Halt gab. Nach dessen „Verteufelung“ entstand bei ihnen ein geistiges Vakuum, in das nun all die Hass-Gefühle, die natürlich auch von Demagogen angestachelt werden, hineinwirken können.
Bei ihrer Kritik an der „Überflutung" Deutschlands durch die Flüchtlinge geht es diesen Menschen im Grunde um Kultur. Sie haben Angst vor einer Überformung der abendländischen Kultur durch die aus ganz anderen Kulturen kommenden Menschen.
Ich habe bei meinen Besuchen in Naumburg, Jena, Weimar und Dresden immer wieder erleben dürfen, wie informiert und geradezu stolz die dortigen Bewohner auf ihre Kultur sind. Immerhin waren Thüringen und Sachsen im 18. Jahrhundert die Zentren deutscher Hochkultur.
Nicht der Materialismus ernährt die Menschen.
Er bringt nur „Früchte des Zorns“ hervor.
Was den Menschen wirklich ernährt, ist eine geistige Kultur, die den Namen verdient, so wie sie noch von Goethe, Schiller, Lessing und Herder vertreten wurde. Wer nur ein paar Zeilen dieser Dichter liest, wird merken, wie weit wir uns in unserem Denken und Fühlen von diesen inzwischen entfernt haben.
In ihrer Tradition stehen auch Rudolf Steiner und seine Geisteswissenschaft.

Beide werden heute von den meinungsbildenden Medien konsequent ignoriert.

Partei-Meinungen und die tieferen Schichten der menschlichen Seele

Mich bewegen so viele Fragen und Einsichten, dass ich wieder einmal alles andere liegen lasse und versuche, durch das Schreiben mehr Klarheit in den „Komplex“ zu bekommen.
Gestern Abend habe ich – nach dem Kurs in Crailsheim – die Dokumentation über Billy Wilder in der Arte-Mediathek angeschaut, die am Sonntagabend nach „El Dorado“ ausgestrahlt wurde. Am Sonntag war ich so müde, dass ich nicht einmal den Western-Klassiker zu Ende angeschaut habe. Das 90-minütige Porträt von Andre Schäfer und Jascha Hannover aus dem Jahre 2016 trägt den Titel „Du sollst nicht langweilen: Billy Wilder“.
Ich habe Billy Wilders Filme, angefangen mit „Ariane – Liebe am Nachmittag“ immer geliebt. Ich habe auch die meisten seiner Filme gesehen, beziehungsweise auf DVD. Einen, den ich noch nicht gesehen habe, ist „Stalag 17“, der von der Flucht von amerikanischen GIs aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg handelt. Genau dieser Film könnte aber etwas tiefer in die Seele dieses 1933 vor den Nazis geflohenen jüdischen Drehbuchautors („Ninotschka“) und Regisseurs blicken lassen.
Am Montagabend habe ich nach dem UFA-Film „Die Glückskinder“ (Deutschland 1936) – ebenfalls im Internet – die Sendung „Ken Jebsen Live“ angeschaut, in der vier ausgewiesene Experten, darunter Daniele Ganser und Matthias Bröckers,  zu den Hintergründen des 11. Septembers 2001 über zwei Stunden lang diskutierten. Dabei erfuhr ich wieder sehr viele Einzelheiten, die mir bis dahin nur halb oder gar nicht bekannt waren. 
Ich hatte ja alle meine Bücher zu diesem Komplex im August 2013 in den Altpapiercontainer geworfen, weil ich mich nicht mehr mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigten wollte. Ich spürte damals, dass die Beschäftigung damit auch eine Gefahr für mich bedeutete. Ich konnte all diesen Dingen, die dort aufgezeigt wurden, mit meinem „Kinderglauben“ noch nicht begegnen, ohne Angst zu bekommen. Sie erzeugten in mir eine Art Verfolgungswahn und trugen dazu bei, dass ich wieder einmal in der Psychiatrie landete.
Inzwischen ist es anders.
Indem ich nun die Informationen aus dieser Literatur „dosiere“, gleichzeitig meinen Beruf ausübe und außerdem eine eher rationale Frau an meiner Seite habe, die jede Art von Aberglauben ablehnt, kann ich ruhiger und gelassener mit diesen Dingen umgehen.
Da ich nun auch Rentner bin und keine beruflichen Nachteile mehr zu befürchten habe, kann ich darüber offen nachdenken und sogar offen schreiben und veröffentlichen, ohne um meinen Ruf besorgt sein zu müssen.
Ich halte nicht das Geringste von „Hetze“ und „Verhetzung“, ich formuliere auch trotz manchmal aufsteigen wollender Empörung und sogar Wut keine „Hasspredigten“, sondern versuche die Dinge rein phänomenologisch zu betrachten, also nach goetheanistischer Methode.
Dabei ist mir durchaus bewusst, dass ich mich dabei mit dem „heikelsten“ Thema beschäftige, mit dem sich ein Deutscher nur beschäftigen kann. Deswegen meide ich auch deutsche Literatur zu diesem Komplex, sondern bevorzuge jüdische (zum Beispiel Norman G. Finkelstein, „Die Holocaust-Industrie“, Gerard Menuchin, „Tell the Truth and Shame the Devil“, Israel Schahak, „Jüdische Geschichte, Jüdische Religion,  Ilan Pappe, „Die ethnische Säuberung Palästinas“ oder die Veröffentlichungen von Eva Hecht-Gallinski), britisch-amerikanische (zum Beispiel James Barr, „A Line in the Sand – Britain, France and the Struggle, that shaped the Middle East“, Alison Weir, „Against our better Judgement – The Hidden History of How the U.S. was Used to Create Israel“, John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt „Die Israel Lobby – Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird“, Robert A. Rockaway, „Meyer Lansky, Bugsy Siegel & Co – Lebensgeschichten jüdischer Gangster in den USA“, Benton L. Bradberry, „The Myth of German Villainy“ und Dennis McDougal, „The Last Mogul – Leon Wasserman, MCA and the Hidden History of Hollywood“) und seit neuestem auch russische (zum Beispiel Fjodor Dostojewski „Die Dämonen“, Wladimir Solowiev, „Kurze Erzählung vom Antichrist“, Andrej Beli „Sankt Petersburg“, Edward Radsinski, „Nikolaus II.“).
Leitfaden bei all meinen Überlegungen bleiben jedoch Rudolf Steiner und seine geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnisse, soweit sie mir bisher „zugeflogen“ sind. Ich studiere sie nicht systematisch oder krampfhaft, sondern halte es mit Rilke, der in einem seiner schönsten Gedichte sagt: „Und wie eine Braut, kommt jedem das Ding, das er will“.
Auch suche ich nicht absichtlich nach „schwarzen Schafen“, halte auch nichts von einer „jüdischen Weltverschwörung“, sondern versuche, das Phänomen von seiner spirituellen Seite her zu erfassen. Dabei steht ein Wort von Goethe aus „Faust I“ wie ein Motto über allem, was ich schreibe:
Der Dichter lässt Gottvater im „Prolog im Himmel“ sprechen:
„Ich habe deinesgleichen nie gehasst./ Von allen Geistern, die verneinen/Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last./ Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, / er liebt sich bald die unbedingte Ruh;/ Drum geb‘ ich gern ihm den Gesellen zu,/ Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“
Vor hundert Jahren „offenbarte“ Rudolf Steiner den Mitgliedern der anthroposophischen Gesellschaft eine spirituelle Tatsache, die er geistig erforscht hatte. Vom 29. September bis zum 28. Oktober 1917 hielt er in Dornach vierzehn Vorträge, die 1966 zum ersten Mal in der Gesamtausgabe unter dem Titel „Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt – Der Sturz der Geister der Finsternis“ veröffentlicht wurden. In diesen Vorträgen „berichtete“ er, dass in den Jahren 1842 bis 1879 in der unmittelbar über der Erdenwelt angrenzenden geistigen Welt, also „im Himmel“[1] ein geistiger Kampf stattgefunden habe. Es war ein Kampf zwischen dem Erzengel Michael und seinen Scharen und dem Widersachergeist Ahriman und seinen Scharen. Der Geisteskampf endete mit dem „Sturz der Geister der Finsternis“ auf „die Erde“ im November 1879.
Seitdem vermögen die „Dämonen“, wie der feinsinnige russische Dichter Fedor Dostojewski bereits 1873 beschrieb, in den menschlichen Seelen wirken, das heißt auf der Erde wirksam werden.
Um diese Tatsache nachzuweisen, könnte man viel Material beisteuern. An dieser Aufgabe arbeite ich. Dabei sind vor allem die Biographien von Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, ihre ursprüngliche Freundschaft und spätere Gegnerschaft zu beachten, aber auch die Biographien des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson oder des deutschen Kaisers Wilhelm II., sowie die Biographien von Karl Marx, Lenin und Trotzki[2].
Ungefähr zwei Jahre später, im Oktober, November und Dezember 1919  „enthüllt“ Rudolf Steiner eine weitere wichtige spirituelle Tatsache. In seinen Vorträgen aus dieser Zeit spricht er – auf die nicht allzu ferne Zukunft deutend – von einer bevorstehenden, einmaligen fleischlichen Inkarnation des geistigen Widersacher-Wesens Ahriman.
Seit der Veröffentlichung des Bestseller-Romans „Rosemarys Baby“ von Ira Levin am 12. März 1967, der ein Geschehen aus dem Jahre 1966 so realistisch schildert, dass nicht wenige es für Wirklichkeit nahmen, erscheint die Fiktion, dass sich „der Teufel“ in unserer Zeit inkarniert, bis heute geradezu inflationär in Romanen und Filmen, wobei die „Visionen“ immer gruseliger werden.
In seinen Vorträgen geht Rudolf Steiner auch auf die Strategien ein, deren sich Ahriman als Vorbereitung auf seine Inkarnation bedienen wird und bereits bedient.
Über eine dieser Strategien spricht er zum Beispiel in seinem Vortrag vom 27. Oktober 1919 in Zürich, der Stadt, in der noch zwei Jahre zuvor Wladimir Ilijitsch Uljanow, genannt Lenin, und einige seiner Freunde im Exil lebten. Nachdem er zuerst über die Verbreitung von „Illusionen“ als dem wichtigsten Mittel Ahrimans[3] gesprochen hat, spricht er nun über das „zweite Mittel“, das mich im Augenblick besonders „angeht“:
„Das andere Mittel, das zweite Mittel, das er hat, ist: alles das zu schüren, was die Menschen heute in Gruppen, in kleine Gruppen zerteilt, die sich gegenseitig befehden. Sie brauchen bloß in der Gegenwart auf das Parteiwesen, auf das sich befehdende Parteiwesen hinzusehen, und Sie werden finden – wenn Sie nur unbefangen sind, können Sie das anerkennen – dass diese sich befehdenden Parteien eigentlich aus der bloßen Menschennatur heraus wahrhaftig nicht zu erklären sind. Wenn die Menschen einmal ehrlich gerade diesen sogenannten Weltkrieg aus den menschlichen Disharmonien werden erklären wollen, dann werden sie eben einsehen, dass sie mit dem, was sie in der physischen Menschheit finden, ihn nicht erklären können. Gerade da zeigt es sich so deutlich, wie außersinnliche Mächte hereingewirkt haben, gerade ahrimanische Mächte.
Aber diese ahrimanischen Mächte sind ja überall wirksam, wo sich Disharmonien zwischen Menschengruppen bilden. Worauf beruht denn das Meiste, was hier in Betracht kommt? Gehen wir von einem ganz charakteristischen Beispiel aus. Das moderne Proletariat hat seinen Karl Marx gehabt. Lernen Sie genau erkennen, wie die Lehre von Karl Marx sich im modernen Proletariat ausgebreitet hat, und sehen Sie die schier ins Endlose gehende, ins Unermessliche gehende Literatur des Marxismus an. Die heute sonst übliche Art von wissenschaftlicher Betrachtung finden Sie darin in ausgesprochenem Maße angewendet, alles streng bewiesen, so streng bewiesen, dass auch schon manche Leute, von denen man es gar nicht angenommen hätte, auf den Marxismus hereingefallen sind.
Wie war denn eigentlich das Schicksal des Marxismus? Zunächst, nicht wahr, breitete sich der Marxismus im Proletariat aus. Von der Universitätswissenschaft wurde er streng abgewiesen. Heute sind schon eine Anzahl von Universitätswissenschaftlern da, die sich der Logik des Marxismus nicht mehr entziehen, die ihn anerkennen, die gar nicht mehr aus ihm herauskommen können, weil es sich in der Literatur allmählich herausgestellt hat, dass die Schlussfolgerungen sehr fein stimmen, dass man mit der gegenwärtigen wissenschaftlichen Gesinnung und Vorstellungsart diesen Marxismus ganz fein säuberlich beweisen kann. Die bürgerlichen Kreise haben nur keinen Karl Marx gehabt, der ihnen das Gegenteil bewiesen hätte, denn genau ebenso wie man beweisen kann den ideologischen Charakter von Recht, Sitte und so weiter, die Theorie vom Mehrwert und die materialistische Geschichtsforschung vom marxistischen Standpunkt aus, so kann man von allen diesen Dingen ganz genau ebenso exakt das Gegenteil beweisen. Es wäre durchaus möglich, dass ein bürgerlicher, ein Bourgeois-Marx genau das Gegenteil in derselben strengen Weise bewiesen hätte. Und da ist nicht einmal irgendein Humbug oder Schwindel dabei. Die Beweise würden restlos klappen. (…)
… man kann gegeneinander kämpfen mit denselben guten Standpunkten, weil der heutige Intellektualismus in einer oberen Schicht der Wirklichkeit ist und nicht in die Tiefen des Seins hinuntergeht. Und so ist es auch mit den Parteimeinungen. Wer das nicht durchschaut, sondern sich einfach aufnehmen lässt durch seine Erziehung, Vererbung, durch seine Staats- und anderen Lebensverhältnisse in einen gewissen Parteikreis, der glaubt, wie er meint, ehrlich an die Beweiskraft desjenigen, was in dieser Partei ist, in die er hineingerutscht ist, hineingeschlittert ist, wie man in der deutschen Sprache zuweilen auch sagt. Und dann, dann kämpft er gegen einen Anderen, der in eine andere Partei hineingeschlittert ist. Und der Eine hat ebenso gut recht wie der Andere.
Das ruft über die Menschheit hin ein Chaos und eine Verwirrung hervor, die nach und nach immer größer und größer werden können, wenn die Menschheit das nicht durchschaut. Und diese Verwirrung ist wiederum eine solche, die die ahrimanische Macht benützt, um den Triumph ihrer Inkarnation vorzubereiten (…)“[4]




[1] Rudolf Steiner sieht „den Himmel“ sehr differenziert. Aus seinen in sich absolut stimmigen und mit esoterischen Traditionen des Mittelalters (Dionysos Areopagita) übereinstimmenden Forschungen sind „die Himmel“, die man sich keinesfalls räumlich vorstellen sollte, belebt von unzähligen geistigen Wesen, die streng hierarchisch geordnet sind.
[2] Darüber möchte ich, ausgehend von den Mitteilungen Rudolf Steiners vor allem im neunten Vortrag seines Zyklus (vom 14. Oktober 1917), auf meinem Weblog „Johannes Stürmer Kommentare zum Zeitgeschehen“ schreiben.
[3] In diesem Zusammenhang sind all meine Beiträge zur „Traumfabrik“ Hollywood in meinem Weblog „Johannes Stürmer Filmkritik“ zu sehen.
[4] Aus „Die Vorträge über Ahrimans Inkarnation im Westen aus dem Jahre 1919“, herausgegeben von Thomas Meyer, Perseus-Verlag, Basel 2016, S 24 – 26.

Samstag, 9. September 2017

Flucht und Vertreibung - aus dem Tagebuch eines Bürgermeisters aus dem Jahre 1947

Ich habe mich gestern den ganzen Tag in den „Nachlass“ meiner Eltern vertieft und bin auf wahre „Schätze“ gestoßen.
Ich habe das Gefühl, dass ich erst jetzt, knapp zwanzig Jahre nach dem Tod meiner Mutter und exakt dreißig Jahre nach dem Tod meines Vaters reif dafür bin.
Ich vermute, es war in der Nacht unserer Heimreise von Sankt Petersburg, als wir auch an Breslau, Liegnitz und Görlitz vorbeikamen, als ich die Inspiration empfing, mich wieder einmal meinen Eltern und ihren Vorfahren zuzuwenden. Das Überqueren der Oder bei Breslau war mein größtes nächtliches Erlebnis bei dieser Heimreise: Wie Strahlen stiegen die beleuchteten dicken Stahlseile, an denen die neue Autobahn-Brücke hing, und die sich an zwei mächtigen Pfeilern in der Höhe bündelten, in den dunklen Himmel. Ich wusste nun, unter mir floss der Schicksalsfluss, der Breslau und Dyhernfurth, meine Mutter und meinen Vater einst verband. Auf der Oder lernte mein Vater, der Pfarrerssohn und spätere Marineoffizier, segeln. In der Hauptstadt Schlesiens ging meine Mutter, die Tochter aus einem gutbürgerlichen Haus in der zentralen Tauentziehnstraße[1], oft am Ufer der Oder spazieren.
Ich studierte die Papiere, die Ahnentafeln, die Briefe und die Fotos, die mir meine Eltern hinterlassen haben und die ich einst noch, mit der Hilfe Tante Dittes zum Teil beschriften konnte. Überhaupt war es Brigitte, die ältere Schwester meines Vaters, die das Familienerbe treu gepflegt hat. Christine, die jüngere Schwester, hat meine Eltern einst zusammengeführt.
Vieles wusste ich schon, aber es war wieder tief in meiner Seele versunken. Gestern beim Betrachten der nachgelassenen Papiere und Fotos kam manches wieder hoch. Besonders berührt haben mich zwei Briefe über die Besitzer des Gutes Rosenhain, das meine Mutter eigentlich erben sollte. Der eine war von Tante Inge, der andere von meiner Mutter. Es sind für mich unschätzbare Dokumente, die ich unbedingt abschreiben muss, um sie unseren Kindern zu hinterlassen. Sie wissen ja noch viel zu wenig über ihre Vorfahren. Deren Heimat kennt keines aus eigener Anschauung. Schlesien ist in der dritten Generation in der Tat „verloren“ für die Enkel der Heimatvertriebenen (Polen nicht!).
Bei der Durchsicht der Papiere stieß ich auch auf ein dünnes Heftchen mit dem Titel „Tagebuchaufzeichnungen und Briefauszüge aus einer Zeit tiefster Not und Bedrängnis 1945/46 von Bürgermeister Kriebel und Pastor Stürmer früher wohnhaft in Dyhernfurth/Oder“, das meine Tante Brigitte Stürmer im Jahre 1978, ein Jahr vor der Geburt Fs, des ersten Enkels meiner Eltern, herausgegeben hat. Es steht nichts darüber im Impressum, in welcher Auflage die abgetippten Tagebuch- und Briefauszüge veröffentlicht wurden, aber ich weiß, dass Tante Ditte sich jahrelang um den Dyhernfurther Rundbrief kümmerte, in dem sie alle Nachrichten aus der verlorenen Heimat sammelte und an die in ganz Deutschland verstreuten ehemaligen Einwohner verschickte. Für diese Tätigkeit hat sie einst vom Stuttgarter Bürgermeister das Verdienstkreuz der Bundesrepublik verliehen bekommen. Bei der kleinen Feier im Stuttgarter Rathaus waren I. und ich damals als einzige aus der Verwandtschaft zugegen.
Ich möchte nun als erstes eine Stelle aus den Aufzeichnungen des Dyhernfurther Bürgermeisters Kriebel abtippen, die ich gestern Abend auch Lena vorlas, weil sie in gewisser Weise unseren Erfahrungen an der weißrussisch-polnischen Grenze[2] entsprechen:
„Unsere oben geschilderten Erlebnisse sind, im Großen und Ganzen, die gleichen aller Anderen, die in das sogenannte „polnische Verwaltungsgebiet“ zurückgekehrt und dann daraus vertrieben wurden. Waren wir bis dahin Flüchtlinge oder Evakuierte, so sind wir jetzt, seit der Ausweisung aus Schlesien, widerrechtlich Vertriebene.
Die Behandlung durch die Russen war unvergleichlich besser als durch die Polen. Die vielen Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch die Russen waren natürlich sehr schlimm, ließen aber später nach. Über die Polen hörte man derartige Klagen nur selten. Sie hatten meist ihre Frauen bei sich. Was aber die sonstige Behandlung betrifft, so ist sie durch die Russen doch immerhin erträglich, durch die Polen aber unter aller Würde gewesen. Es wurde geplündert, geraubt und geprügelt, und zwar in Anwesenheit und unter Mitwirkung der Polizei, des Bürgermeisters und dessen Angestellten sowie der polnischen Parteifunktionäre. Wenn einer oder der andere von uns dabei scheinbar etwas besser wegkam, so nur aus dem Grunde, weil es bei ihm nichts mehr zu klauen gab. Es gab die tollsten Lumpen unter den polnischen Beamten. Ein Kerl lief anfangs immer in polnischer Korporalsuniform herum. Er war früher deutscher Soldat gewesen und hatte als solcher ein Bein verloren und hatte auch im Werk in Dyhernfurth gearbeitet. Nachdem seine Versuche, uns über alles Mögliche auszuhorchen, vergeblich waren, behandelte er uns schlecht. Außerdem war er dauernd besoffen. Das waren sie jedoch fast alle. Was sich zu Schnaps verarbeiten ließ, wurde auch dazu benutzt – Getreide, Rüben, Kartoffeln. Die Amerikaner schickten Saatgetreide, die Polen machten Schnaps daraus.
(…)
Ein weiteres Beispiel für den Unterschied im Benehmen der Russen und Polen war folgendes: Die Russen haben unser Kriegerdenkmal ausgebessert, als es beschädigt war. Die Polen ließen sämtliche Denkmäler durch die Deutschen selbst zerstören.
Motto: ‚Liebet eure Feinde‘
Leese, 4.11.47                                                                                                 Friedrich Kriebel



[1] In einem Haus in dieser zentralen Straße Breslaus wohnte auch Rudolf Steiner, als er zu Pfingsten 1924 auf dem Gut Koberwitz des Grafen Karl von Keyserlingk, das in unmittelbarer Nachbarschaft des Gutes meiner Urgroßeltern mütterlicherseits lag, die Vorträge zum „Landwirtschaftlichen Kurs“ hielt, die später zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft und zu „Demeter“ führten. https://anthrowiki.at/Biologisch-dynamische_Landwirtschaft

Freitag, 8. September 2017

Zu Erika Steinbachs Pforzheimer Rede

Den Text, den ich gestern und vorgestern geschrieben habe, habe ich auf meinem Weblog veröffentlicht[1] und tatsächlich positive Reaktionen bekommen. Was mich besonders gefreut hat, war ein kurzer Kommentar von Rolf D., der folgendes schrieb:
Der Traum vom Kommunismus. Und wer diesem nicht entspricht, der wird umgebracht. Das können auch gerne Millionen sein, spielt doch keine Rolle. Ach, die "Überzeugten", eine wahrlich unangenehme Sorte Mensch.
Aber auch mein leider noch nicht persönlich bekannter Facebook-Freund Wilfried M. kommentiert seit einiger Zeit meine Posts – immer sehr intelligent und tiefsinnig.
Anders geht es mir mit Constance H. Sie hängt an meine Posts oft Links an, die mir nicht so gut gefallen. Sie stammen offensichtlich aus dem Bereich der Reichsbürger, die dem Wahn verfallen sind, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine Firma sei. Ich halte das für abstrus und kann es nicht ernst nehmen.
Bisweilen postet sie jedoch auch Dinge, die mich weiter bringen oder mir neue Einsichten verschaffen. So hörte ich gestern Abend noch die Rede von Erika Steinbach auf einer Wahlkampf-Veranstaltung der AFD in Pforzheim am 6. September 2017[2], die Constance auf ihrer Facebook-Seite empfohlen hatte.
Die langjährige CDU-Politikerin (geboren am 25. Juli 1943 bei Danzig) und frühere Präsidentin des „Bundes der Vertriebenen“[3] (von 1998 – 2014) war bereits am 15. Januar 2017 aus der Partei ausgetreten und hat nach der Entscheidung des Bundestages zur „Ehe für alle“ als fraktionsloses Mitglied des Bundestages als eine der wenigen den Verstand behalten und sich klar gegen diesen Beschluss geäußert.
Sie verkörpert für mich in mancher Beziehung als eine der wenigen MDBs den gesunden Menschenverstand in der heute weitgehend wieder ideologisierten Politik. Leider folgen auch viele  AFD-Wähler solchen ideologischen Abstraktionen, anstatt von realen „Erfahrungen“ auszugehen.
Aber im Prinzip hat Erika Steinbach Recht: Angela Merkel hat seit nunmehr sieben Jahren die Beschlüsse des Deutschen Bundestages ignoriert und selbstherrlich regiert, ohne sich um Recht und Gesetz zu kümmern. Das begann 2010 mit den Euro-Rettungs-Paketen, die klar dem „Euro-Stabilitätspakt“ widersprachen (Steinbach Rede ab Minute 12.02). Das ging weiter mit dem Schnellschuss der Energie-Wende. Vorher war ein klarer, geregelter Ausstieg aus der Kernenergie vom Parlament beschlossen worden, der plötzlich nicht mehr galt. Wegen der überstürzten Energiewende müssen wir Bürger heute die teuersten Strom-Preise in Europa bezahlen. Und das gipfelte in Merkels spontanem Entschluss im September 2015, die Grenzen für Flüchtlinge aller Art zu öffnen und dadurch eine illegale Einwanderung nach Deutschland zu befördern, die die Behörden bis heute überfordert. Schließlich machte sie beim kürzlichen Fernsehduell mit Martin Schulz wieder so einen „Schnellschuss“: Sie wollte – ohne Abstimmung mit unseren europäischen Partnern – die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden.
Das ist keine rationale Politik. Das ist Politik aus dem Bauch. Es ist Populismus.
Aber er wird von den Medien, die Frau Merkel offenbar feiern, nicht als solcher erkannt. Die Frau Doktor erscheint als intelligenter als ihr Kollege Donald Trump, der seine Politik ebenso aus dem Bauch heraus begründet wie Frau Merkel und damit nur Unheil anrichtet.
Es bedarf schon einigen Rückgrats, um aus einer "Minderheitsposition" heraus dieser Form von Politik zu widerstehen. Und das hat Frau Steinbach in ihrer Rede immerhin gezeigt.




[3] Durch diese Tätigkeit steht mir als Kind von Heimatvertriebenen Erika Steinbach auch „persönlich“ nahe. Mein Großvater Dr. Waldemar Rumbaur hatte sich ebenfalls für die Heimatvertriebenen engagiert und war lange stellvertretender  Bundesvorsitzender der „Landsmannschaft Schlesien“. http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/rumbaur-waldemar-2  

Die Ermordung des letzten russischen Zaren

Am Nachmittag habe ich weiter bei Radsinski über das Schicksal der Zarenfamilie gelesen. Dabei wird ziemlich ausführlich die Geschichte des bolschewistischen Kommissars und Terroristen Wassili Jakowlews und seines Vorgesetzten Jakow Swerdlow erzählt, die die Überführung der Familie vom sibirischen Tobolsk nach Jekaterinburg im Ural organisierten und dabei sämtliche Tricks anwendeten, die bei Terroristen üblich sind. Die Strategie hatte Lenin in einem Brief an seine Kampftruppen bereits am 3. Oktober 1905 verkündet[1]:
„Gründet sofort Kampftruppen, überall und allerorts, sowohl bei den Studenten als auch besonders bei den Arbeitern… Sie sollen sich unverzüglich selber bewaffnen, so gut jeder kann, mit Revolvern, Messern, petroleumgetränkten Lappen, um Feuer anzulegen usw. … Die Abteilungen sollen jetzt gleich, unverzüglich ihre militärische Ausbildung mit praktischen Kampfhandlungen beginnen. Die einen werden einen Spitzel töten oder ein Polizeirevier in die Luft sprengen, andere werden eine Bank überfallen, um Geldmittel für den Aufstand zu konfiszieren … Jede Abteilung soll selbständig lernen, sei es durch Verprügelung von Polizisten.“ (S 280)
Solche revolutionären Phrasen wirkten noch bei meinen kommunistischen Kommilitonen nach, die während meines Studiums in den 70er Jahren immer noch von der Weltrevolution träumten[2]. Die RAF (Rote-Armee-Fraktion), die ziemlich genau vor 40 Jahren in Köln den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführte und dabei drei Stuttgarter Polizisten tötete, haben Lenins Direktive knapp 75 Jahre später noch einmal „umgesetzt“.
Swerdlow und Jakowlew waren, wie alle bolschewistischen Führer, atheistische Juden. Sie spielten in aller Regel ein doppeltes Spiel. So konstatiert Radsinski auf Seite  279 im Kapitel „Die geheime Mission“:
„Die nach Tobolsk entsandte ‚militärische Verstärkung‘ hatte tatsächlich die geheime Mission, den Zaren und seine Familie nach Moskau zu überführen. Aber der gewiefte Swerdlow[3] erklärte nicht, dass die „Ergänzung“ Jekaterinburg nun das gesetzliche Recht gab, die Zarenfamilie für sich zu fordern. Das doppelte Spiel Swerdlovs hatte begonnen. Dieses Spiel würde alle künftigen Historiker verwirren. Mit der Leitung war Wassili Jakowlew betraut.“

Jetzt habe ich beinahe das ganze Buch von Radsinski gelesen. Die grausamen Berichte von der Erschießung der Zarenfamilie und ihrer Nächsten, insgesamt elf Personen, sind wahrlich kaum auszuhalten. Dokumente über diese Morde wurden erst kurz vor Zusammenbruch der Sowjetherrschaft bekannt. Radsinki war der erste Historiker, der sie in Archiven auffand und begann, sie – zunächst 1989 in einer russischen Zeitschrift, dann in seinem 1992 erschienenen Buch – zu veröffentlichen.

Der Mörder des Zaren, Jakov Jurowski, der im Buch auch als „Der schwarze Mann“ bezeichnet wird, hat einen Bericht von der Hinrichtung verfasst. Radsinski versucht, seinen Hass zu verstehen:
„Wenn man später das Unmenschliche, das im Souterrain des Ipatjew-Hauses geschah, zu erklären versuchte, bezeichneten die einen Jurowski und seine Genossen als Mörder und Sadisten. Die anderen sahen in der Erschießung der Zarenfamilie die blutige Rache der Juden am rechtgläubigen Zaren (…). Damit ließ sich das Geschehen leichter erklären. Rache für die bestialischen Pogrome, für die tägliche Erniedrigung!
Wäre es so gewesen, dann wäre darin, so schrecklich es klingen mag, doch etwas gewesen, was der menschliche Verstand zu erfassen vermag. Aber es war alles anders.
In seinem letzten Brief aus dem Kremlkrankenhaus schrieb der todkranke Jurowski: ‚Unsere Familie litt weniger unter dem ständigen Hunger als unter dem religiösen Fanatismus des Vaters. An Feiertagen wie an Werktagen mussten wir Kinder beten, und es ist nicht verwunderlich, dass mein erster aktiver Protest gegen die religiösen, nationalistischen Traditionen gerichtet war. Ich hasste Gott und die Gebete, wie ich die Armut und meine Herren hasste.‘
Ja, er hasste die Religion seiner Väter und ihren Gott.
Jurowski und Golostschokin hatten ihr Judentum schon in der Jugend verworfen. Sie dienten einem ganz anderen Volk. Dieses Volk lebte ebenfalls auf der ganzen Welt. Es war das weltweite Proletariat. Das war das Volk Jurowskis, Nikulins, Golostschokins, Beloborodows und des Letten Bersin.
Und die Partei, der sie angehörten, versprach, auf der ganzen Erde die Herrschaft dieses Volkes zu befestigen. Dann musste das lang ersehnte Glück der Menschheit anbrechen.
Aber dazu musste ein grausamer Kampf geführt werden. ‚Hebamme der Geschichte‘, nannten sie Blut und Gewalt.
Die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts, Netschajew und Tkatschew, hatten überlegt: wie viele Menschen der alten Gesellschaft müssen wir vernichten, um eine glückliche Zukunft zu errichten? Sie waren zu dem Schluss gekommen: Wir müssen darüber nachdenken, wie viele wir ‚übriglassen‘. Es ging um die ‚Methode der Aussonderung der kommunistischen Menschheit aus dem Material der kapitalistischen Epoche‘ (Bucharin).
Sie machten sich an die Arbeit – sie sonderten aus dem menschlichen Material aus.
Trotzki: ‚Man muss für immer Schluss machen mit dem Popen- und Quäkergeschwätz über den heiligen Wert des menschlichen Lebens.‘ Und sie machten damit Schluss. Unbeugsamer Klassenhass beherrschte ihre Seelen. (…) 
Sie verwirklichten die große Mission, die ihnen ihr Lehrer Marx im Namen der Zukunft hinterlassen hatte: die Agonie der überlebten Klassen zu beschleunigen.“ (Edward Radsinski, Nikolaus II, 1992, S 331f)




[1] Später hat er diese Strategie zwar offiziell zurückgenommen, aber, so Radsinski, „Doch wie immer in der Geschichte der Bolschewiken stand hinter dem Offensichtlichen das Geheime. (…) Nachdem sie den Terrorismus aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung verboten hatten, unterstützten sie ihn heimlich.“ (S 280)
[2] Selbst jetzt im Bundestagswahlkampf tritt eine kommunistische Partei, die MLPD, an. Von ihren Plakaten schauen Marx und Lenin immer noch als die längst entthronten Götter herab. Ich kann es nicht fassen, dass es immer noch Leute gibt, die vom Kommunismus träumen.
[3] Kommissar der Bolschewisten im Ural-Gebiet

Mittwoch, 6. September 2017

Nach der Reise

(...) Genau der gleiche Altersunterschied von 14 Jahren bestand, wie ich gerade heute erfuhr, zwischen Lou Andrea-Salome und Rainer Maria Rilke. Der spätere Schriftsteller Boris Pasternak erinnert sich in seinem autobiografischen „Geleitbrief“ an die Begegnung mit den beiden in einem Schnellzug von Moskau nach Kiew. Damals war er zehn Jahre alt und in Begleitung seines Vaters, dem Maler Leonid Pasternak. Dreißig Jahre später beginnt er seine Autobiografie mit dem Bericht von dieser ersten Begegnung, die für den russischen Schriftsteller und Autor von „Doktor Schiwago“ offenbar sehr wichtig war:
„An einem heißen Sommermorgen des Jahres 1900 verließ ein Schnellzug den Kursker Bahnhof in Moskau. Unmittelbar vor der Abfahrt trat ein Mann im schwarzen Tiroler Umhang an das Fenster unseres Abteils. Mit ihm eine hochgewachsene Frau. Sie mochte wohl seine Mutter oder seine ältere Schwester sein.“
Der Mann im Tiroler Umhang war der damals knapp 25-jährige Rainer Maria Rilke und die Frau, die seine Mutter sein könnte, die 39-jährige Lou Andreas-Salome. Diese in Sankt Petersburg geborene ungewöhnliche Russin war damals also genauso alt wie Lenas Schwester Olga heute, mit der wir meine erste Russlandreise unternommen haben.
Rilke war zweimal in Russland: 1899 und 1900.
Eben habe ich mich in dem Katalog zur Ausstellung, die wir vor ein paar Monaten in Marbach angeschaut haben, wieder mit diesen beiden Reisen beschäftigt und mich dabei wieder an das wunderbare Gedicht erinnert, das ich meiner estnischen Facebook-Freundin Hela Erenpreis bei ihrem Besuch im vergangenen September vorgetragen habe: „Es neigt sich die Stunde und rührt mich an/mit klarem, metallenem Schlag.“
Rilke hat Russland mit seiner Dichterseele verklärt. Er hat dort tiefe religiöse Erfahrungen machen dürfen. Die habe ich auch gemacht, aber mehr noch habe ich die Schattenseiten erleben müssen, die Russland heute beinahe westlicher erscheinen lassen als den Westen: überall gibt es gefüllte Supermärkte, dicke westliche Autos, vorwiegend SUVs, und betriebsame sinnlose Hektik. Dieses Land hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Die Menschen wissen nicht mehr, wohin sie gehören. Der Kapitalismus ist dabei, die Menschen dieses Landes zu verderben, nachdem ihnen der Kommunismus den Glauben ausgetrieben hat. Ich erlebte den reinsten Materialismus allerorten. Ikonen und Kirchen sind nur noch Schmuckstücke, die meisten Gottesdienste nur noch schöne theatralische Rituale. Sankt Petersburg mit seinen Palästen lebt vom Glanz vergangener Tage.
Im Katalog zur Ausstellung, den ich heute Abend wieder vorgenommen hatte, heißt es auf Seite 106:
„Der junge Rilke hatte 1899 in der Moskauer Osternacht nicht nur das ‚Herz Russlands“ schlagen gehört und erkannt, dass dieses Land das einzige sei, ‚durch welches Gott noch mit der Erde zusammenhängt‘. Er hatte mit den ‚alten, nachgedunkelten Ikonen‘ auch das wichtigste Symbol der russischen Frömmigkeit kennengelernt, in das er den gefährdeten Gott der europäischen Tradition gerettet sah.“
Auf der gegenüber liegenden Seite 107 des Katalogs ist die schon einmal erwähnte Ikone aus Rilkes Besitz abgebildet, die die heilige Dreieinigkeit von Glaube (Vera), Liebe (Ljubov) und Hoffnung (Nadeschda) zeigt. Die drei christlichen Kardinaltugenden „Fides“, „Caritas“ und „Spes“, die zum Beispiel auch auf dem Baldachin der Kanzel in der Ellwanger Sankt-Vitus-Basilika als Allegorien stehen, erscheinen hier auf der Ikone als die drei Töchter der Heiligen Sophia.
Plötzlich erinnere ich mich, dass wir an jenem 20. August, der für mich mit Abstand der wichtigste Tag unserer Russlandreise war, eine Frau namens Nadeschda getroffen haben, die uns zuerst die Dreifaltigkeitskirche und später den Park von Oranienbaum gezeigt hat. Durch sie haben wir letztlich auch Vater Andrej kennengelernt.
Wenn Lenas Mutter durch ihren Namen „Tatjana“ und ihre unbändige Energie einen wesentlichen Teil der russischen Seele verkörpert, so zeigt Nadeschda durch ihren Namen die „Hoffnung“ an, dass es eines Tages im Sinne von Herder, der in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ zum ersten Mal vom Slawentum als dem Träger einer zukünftigen Kultur sprach und die „Slawen im Ganzen als friedliebend, jugendlich, leidbegabt und naturverbunden“ (Katalog S 14) bezeichnete, dazu kommen wird, dass diese Völker tatsächlich die Träger der zukünftigen Sechsten Kulturepoche des Geistselbst werden, die auf wahrer Brüderlichkeit – und nicht auf falschem Sozialismus –  aufgebaut ist.
Schwäbisch Hall, der 03. September 2017 (Sonntag, 4.55 Uhr)
Gestern habe ich mich mit einem deutschen Dichter beschäftigt, der um die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert in Russland seine Seele entdeckt hat und in dem berühmten Gedicht aus dem „Buch vom mönchischen Leben“ nach der ersten Reise (vom 25.04. – 18.06.1899) im Herbst 1899 meinte, dass „nichts (…) noch vollendet (war), eh ich es erschaut“ und behauptet: „meine Blicke sind reif, und wie eine Braut, kommt jedem das Ding, das er will.“
Bereits am Donnerstag las ich in dem Buch „Erinnerungen, Briefe, Dokumente 1877 – 1916“ von Generaloberst Helmuth von Moltke das Kapitel über seinen zweiten Besuch in Sankt Petersburg im Oktober 1895 noch einmal. Ich hatte die Erstausgabe des Bandes aus dem Jahr 1922 einmal in der Bibliothek der Anthroposophischen Gesellschaft von Heidenheim erhalten, in der mehrere Exemplare standen. Später (am 20.11.1999) habe ich für fast 100 Euro die zweibändige Neuausgabe aus dem Perseus-Verlag in Basel nach einem Vortragsabend mit Thomas Meyer gekauft und den ersten Band unmittelbar darauf ganz gelesen. Es ist ein einmaliges Zeitdokument eines bedeutenden Mannes und Freundes von Rudolf Steiner.
Moltke war am Michaelstag 1895 in Sankt Petersburg angekommen, um im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. Zar Nikolaus II. ein „Handschreiben“ und ein Bild des Malers Hermann Knackfuß (1848 – 1915) zu überreichen, das dieser im Auftrag des Kaisers und nach seinen Angaben gemalt hat.[1]
Es trägt den Titel „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter“
Helmuth von Moltke beschreibt es so:
„Das Bild zeigt eine Gruppe weiblicher Figuren, die im antiken Kostüm, in der Art der Walküren, auf einem Felsvorsprung stehen und über eine mit blühenden Städten, schiffbefahrenen Flüssen und beackerten Feldern bedeckte Ebene hinwegschauen. Sie stellen die europäischen Staaten vor. Im Vordergrunde Deutschland, eng an dasselbe geschmiegt Russland, zur Seite Frankreich, dahinter Österreich, Italien, England usw.

Vor ihnen steht, mit der Hand in die Ferne weisend, das Flammenschwert in der anderen, der Cherub des Krieges[2], über der Gruppe schwebt, von Strahlen umgeben das Kreuz. Hinter der blühenden Landschaft, die Handel und Gewerbe, europäische Kultur und Gesittung versinnbildlicht, sieht man den qualmend aufsteigenden Rauch einer brennenden Stadt. Der Schwaden zieht in dicken Wolken, die sich zur Form eines Drachens zusammenballen, drohend heran. Aus dem Qualm steigt das Bild Buddhas auf, das mit stieren, kalten Augen auf die Zerstörung blickt. – Der Sinn des Ganzen ist der in der Zukunft heraufdämmernde Existenzkampf der weißen und gelben Rasse. – Die Idee zu dem Bilde ist Sr. Majestät gekommen, wie bei Abschluss der Friedenspräliminarien zwischen China und Japan die Gefahr vorlag, dass die ungeheure Masse des chinesischen Reiches, auf dessen Entwicklung Japan einen entscheidenden Einfluss zu gewinnen suchte, durch dieses tätige, nach expansiver Entwicklung strebende Land organisiert und in Gärung gebracht werden könnte, und dass dann die Woge der gelben Rasse sich verderbenbringend über Europa ergießen würde.[3] Unter dem Bild stehen, von der Hand des Kaisers geschrieben, die Worte: ‚Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter‘.“
Moltke fährt dann fort:
„Ich verfehlte nicht, nachdem ich die Erläuterung gegeben, hinzuzufügen, dass diese Gefahr durch die Weisheit der Politik und des gemeinsamen Handelns Russlands, Deutschlands und Frankreichs vorläufig zurückgedämpft sei. – Der Kaiser (Zar Nikolaus II.) interessierte sich lebhaft für die Zeichnung, und ich musste ihm alle Details erklären. – Ich wies darauf hin, wie in den Silhouetten der Städte die Kuppel der orthodoxen Kirche neben dem Turm des protestantischen Münsters aufrage, und als der Kaiser auf eine Stadt deutend fragte, ob das Moskau sein solle, erwiderte ich, dass ich zwar nicht wüsste, ob Se. Majestät, mein allergnädigster Herr, gerade diese Stadt im Auge gehabt habe, dass aber Moskau sicherlich ebenso bedroht sein würde wie jede andere europäische Stadt.“
Nachdem Helmuth von Moltke dem Kaiser das Bild im Alexander-Palast von Zarskoje Selo überreicht und erläutert hatte, wurde er zur Kaiserin Alexandra Fjodorowna vorgelassen. Dieses Ereignis beschreibt der Generaloberst so:
„Ich ließ mich nun bei Ihrer Majestät anmelden. Nach kurzer Zeit wurde ich zur Kaiserin geführt, die mich ganz alleine empfing. Es war auch hier keine Dame zugegen, und die Anmeldung erfolgte ebenfalls durch einen Kammerdiener. Die Kaiserin sah vortrefflich aus. Sie hatte frische Farben, strahlende Madonnaaugen und sah in ihrem faltigen Trauerkleide[4] aus wie eine wahre Kaiserin. – Sie unterhielt sich sehr freundlich mit mir, ich musste erzählen von dem Kaiser aus Rominten[5], von der Kaiserin und den Kindern, und wie sie mir zum Abschied  die Hand reichte, führte ich sie mit der Empfindung an die Lippen, dass die Russen ihrem orthodoxen Gott wohl dankbar sein können, dass er einen solchen Lichtengel auf den Thron des Zarenreiches berufen hat.“
Am 3. Oktober 1895 war Oberst Moltke noch einmal in Zarskoje Selo bei Zar Nikolaus II. Es war die „Abschiedsaudienz“. Dabei ging der Zar auf die Kaiser Wilhelm offenbar beunruhigenden Gerüchte aus Paris ein und sagte, in den Worten Moltkes „etwa folgendes“:
Se. Majestät beunruhigen sich wegen der Anwesenheit meines Ministers Lobanoff[6] in Frankreich. Derselbe hatte von mir Urlaub ins Bad erbeten, und telegrafierte mir von dort, ob ich gestatte, dass er der Revue beiwohne, die ihn sehr interessiere. Ich antwortete, dass ich nichts dagegen einzuwenden habe. Ich hatte ihm bei seiner Abreise den Auftrag gegeben, in beruhigendem Sinne auf die Franzosen zu wirken. Nachdem ich nun gesehen und auch durch den Brief Sr. Majestät aufs neue darauf hingewiesen worden bin, dass im Gegenteil der französische Chauvinismus lebhaft erregt worden ist, habe ich Lobanoff aufs neue telegraphisch befohlen (und bei dem letzten Wort stießen Se. Majestät energisch mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte), sich nicht nur jeden demonstrativen Auftretens zu enthalten, sondern auch den französischen Chauvinismus abzukühlen, wo er ihm entgegentritt. Ich habe ihm ferner befohlen, auf seiner Rückreise eine Audienz bei Sr. Majestät dem Kaiser nachzusuchen, und stelle es Allerhöchstdemselben anheim, ob er ihn empfangen will. Wenn er ihn empfängt, wird er aus seinem Munde dasselbe hören, was ich Ihnen jetzt sage. Es war mir bisher nicht genügend bekannt, wie leicht die Franzosen Feuer fangen. Hätte ich dies gewusst und vorhersehen können, so hätte ich weder Lobanoff noch Dragomirow[7] die Erlaubnis erteilt, nach Frankreich zu gehen, und ich werde in Zukunft vorsichtiger mit meinen Herren sein.“
In Frankreich wurden während der Dritten Republik (1870 – 1945), die oft auch als „Freimaurer-Republik“ bezeichnet wird, weil ein Großteil der Minister Mitglieder im „Grand Orient de France“ waren, nach dem Sieg Deutschlands über Kaiser Napoleon III. im von Frankreich angezettelten „Deutsch Französischen Krieg“, bei dem Frankreich Elsass-Lothringen abgeben musste, systematisch Revanche-Gefühle geschürt, vor allem später unter dem Lothringer Finanz- und Kulturminister, dann Ministerpräsidenten und schließlich Staatspräsidenten Raymond Poincare (1860 – 1934), der die Deutschen hasste, seit er als Zehnjähriger mit ansehen musste, wie sie seine Heimatstadt Bar le Duc eroberten. Damals wurden schon die Pläne eines französisch-russischen Bündnisses geschmiedet und es ist allzu verständlich, dass Deutschland in Gestalt von Kaiser Wilhelm beunruhigt war.
Dann lässt sich Zar Nikolaus über die Presse aus, die schon damals vorwiegend in der Hand von jüdischen Redakteuren lag:
„Se. Majestät kamen dann auf die französische Presse zu sprechen, äußerten sich darüber, wieviel Unheil die Presse schon in der Welt angerichtet, und fuhren dann fort: ‚Ich vermute, dass Se. Majestät in der Stille seines Jagdaufenthalts, wo keiner seiner Minister bei ihm war, erregt worden ist, durch die Lektüre der Zeitungsausschnitte, und ich kann dies vollkommen begreifen. Wenn man nur in dieser Form die Nachrichten aus Frankreich liest, so kann ich mir denken, dass die Nachrichten von dort alarmierend wirken müssen. Ich selber habe mir die Zeitungsausschnitte verbeten, die man mir zuerst auch vorlegen wollte. Ich fürchte durch sie nur Kenntnis zu erhalten von einer bestimmten Richtung, die zu bestimmen in der Hand desjenigen liegt, der Ausschnitte auswählt und anfertigt. Ich lese stattdessen eine deutsche (…), eine französische (…), eine englische und eine russische Zeitung, - letztere nicht gern, denn sie taugen alle nichts, und indem ich so die verschiedenen Stimmen höre, suche ich mir mein Urteil selber zu bilden. Ich lege aber nicht zu viel Wert auf die Zeitungen, denn ich weiß, wie sie gemacht werden. Da sitzt irgendein Jude, der sein Geschäft damit macht, wenn er die Leidenschaften der Völker gegeneinander aufhetzt, und das Volk, meist ohne eigenes politisches Urteil, hält sich an die Phrase. Deswegen werde ich auch die russische Presse nie freigeben, solange ich lebe. Die russische Presse soll nur schreiben, was ich will (und damit stießen Se. Majestät wieder mit dem Zeigefinger auf den Tisch), und im ganzen Land darf nur mein Wille herrschen.‘
Se. Majestät führten sodann aus, wie der Russisch-türkische Krieg nur den Hetzereien der Presse zu verdanken sei, und wie diese auch jetzt die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sowie Frankreich verderbe und die Empfindungen verbittere, und sagten dann: ‚Zwischen Deutschland und Russland ist seit hundertfünfzig Jahren kein Krieg gewesen. Deutschland hat sich mit ungefähr allen seinen Nachbarn geschlagen, nur mit uns nicht, und es ist auch ein Unding, an einen Krieg zwischen Deutschland und Russland zu denken, da diese beiden Länder gar keine miteinander kollidierenden Interessen haben.‘
Russland war nach der „Aufteilung“ Polens am Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg unmittelbarer Nachbar des Deutschen Reiches.
Moltke fährt fort:
„Sodann erzählte Se. Majestät, dass ihm aus den deutsch-russischen Grenzdistrikten laufend Berichte zugingen, aus denen Er zu Seiner Freude ersehe, wie das Verhältnis zwischen den beiderseits  an der Grenze stehenden  Truppen ein ausgezeichnet gutes sei. Die Offiziere machten sich gegenseitig Besuche, lüden sich ein und hielten gute Kameradschaft. Alles Nachrichten, worüber Er Sich aufrichtig freue. Hier wenigstens sei nichts von der Animosität zu bemerken, die sich in der Presse breit mache.
Ich bemerkte nun: ‚Wollen Ew. Majestät mir allergnädigst erlauben, noch einmal darauf zurückzukommen, dass wir nach den Gesinnungen, die Ew. Majestät äußern, gewiss keinen Grund haben, Besorgnisse von seiten Russlands zu hegen. Das was wir aber befürchten müssen, ist das leicht erregbare Temperament der französischen Nation, das natürlich durch die Anwesenheit der russischen Generäle und Staatsmänner noch mehr erhitzt wird.‘ Der Kaiser erwiderte: ‚Ich weiß es, aber sagen Sie dem Kaiser, dass ich die Ruhe aufrecht erhalten werde. (…) Es liegt mir außerordentlich viel daran, dass wir (Deutschland und Russland) die guten Beziehungen zueinander aufrecht halten. Wir sind gegen Sie noch weit zurück, haben unendlich viel zu tun im Innern. Wir produzieren hauptsächlich Getreide, Sie industrielle Waren, die wir austauschen müssen. Ein Krieg zwischen uns würde beiden Völkern unendliches Leid bringen.“
Diese Worte, wiedergegeben von einem sensiblen, doch exakten Militär, der anders als der Dichter Rilke nicht so schnell ins Schwärmen gerät, wurden von Zar Nikolaus II. 19 Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges gesprochen, dessen verhängnisvollen Folgen bis heute auf Deutschland lasten.


Schwäbisch Hall, der 04. September 2017 (6.00 Uhr)
Gestern habe ich den ganzen Tag nichts anderes getan, als mich in das Leben des Zaren Nikolaus II. zu vertiefen.  Ich las die ersten 200 Seiten der Biografie von Edward Radsinski, „Nikolaus II. – Der letzte Zar und seine Zeit“[8], ein Taschenbuch, das ich bereits vor 20 Jahren (am 4. April 1997) in Pforzheim gekauft hatte und das bis jetzt ungelesen in meinem Bücherschrank gestanden und mindestens fünf Umzüge erlebt hat.
Ich bin nicht einmal in die Kirche gegangen, obwohl ich mich nach über vier Wochen wieder nach einem Gottesdienst oder der Menschenweihehandlung gesehnt hatte. Auch den Fernseher habe ich nicht eingeschaltet, nicht einmal zur Tagesschau und auch nicht für das Fernsehduell zwischen Kanzlerin Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Schulz.[9].
Ich war vollkommen vertieft in jene Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges und konnte dem Zar und seiner Frau, der Deutschen Alix von Hessen-Darmstadt, durch die abgedruckten Briefe und Tagebuchauszüge tief in die Seelen schauen.
Durch das Geschenk von Vater Andrej, das Bild von der Zarenfamilie, das nun in meinem Schlafzimmer steht, fühle ich mich beinahe schicksalhaft mit diesen Menschen, die auf so tragische Weise enden mussten, verbunden.
Selten war ich so motiviert, mich mit einer Biografie eines Monarchen zu beschäftigen wie nach unserer Reise, bei der ich die meisten Orte der Handlung persönlich kennenlernen durfte. So steht alles noch viel plastischer und klarer vor meinem inneren Auge, so als könnte ich den Zar, seine arme Frau und seine Kinder persönlich auf ihren Gängen durch die Orte und die Zeit begleiten. Ein großes Rätsel bleibt dabei der sibirische Bauer Grigori Rasputin, der in dem Buch von Radsinski öfters als „der Heilige Teufel“ oder auch als „der böse Genius des russischen Volkes“ bezeichnet wird.
Die gesamte weitverzweigte Romanov-Familie stellte sich gegen diesen „Heiligen Starez“ und schließlich sogar gegen die feindliche „deutsche Spionin“ auf dem Zarenthron. Nur Zarin Alexandra Fjodorowna hielt zu ihm und schrieb ihrem Mann zum Beispiel am 16. Juni 1915 ins Hauptquartier der Russischen Armee folgende Worte über den „Freund“:
„Mir ist schwer und traurig ums Herz. Ich muss immer daran denken, was unser Freund sagt. Oft schenken wir seinen Worten nicht die nötige Aufmerksamkeit. Er war so gegen Deine Abreise ins Hauptquartier, weil sie Dich dort zwingen können, Dinge zu tun, die besser unterbleiben sollten. Wenn er Dir von irgendeiner Sache abrät und Du nicht auf ihn hörst, stellst Du im Nachhinein jedes Mal fest, dass Du unrecht hattest. Er (Nikolascha) missbilligt Grigoris Besuche in unserem Haus, darum hält er Dich im Hauptquartier fest, möglichst weit weg von ihm. Wenn sie nur wüssten, diese blinden Menschen, wie sie Dir mit ihrem Hass auf Grigori schaden, statt Dir zu helfen. Erinnere Dich, in einem Buch, das wir lasen, stand geschrieben, das Land, das von einem Gottesmann gelenkt werde, könne nicht zugrunde gehen. Oh, lass Dich mehr von ihm lenken.“ (Radsinski, S 158)




[2] Erzengel Michael, der Schutzpatron Deutschlands, wie Sankt Georg sowohl der Schutzpatron Russlands als auch Groß-Britanniens ist.
[3] In gewisser Beziehung hatte der Kaiser die Zukunft richtig vorausgesehen. Sowohl in Rom 2015 als auch jetzt wieder in Sankt Petersburg sah ich Scharen von Asiaten – vielleicht Chinesen, vielleicht Südkoreaner – sich busseweise über die Haupt-Sehenswürdigkeiten „ergießen“. Sie waren überall und fotografierten ohne Verstand alles, was ihnen vor die teure Kamera (meist der Marke Nikon) kam. Die Museumswärterin, mit der sich Lena in der Eremitage lange unterhielt, war entsetzt, wie respektlos „die Chinesen“ alles berührten oder fotografierten. Einmal riss ein Chinese Lena einen Schmucklöffel aus der Hand, den sie an einem Souvenirstand beim „Ehernen Reiter“ auf dem Senatsplatz westlich der Admiralität gerade anschaute und praktisch schon gekauft hatte. Im Katharinen-Palast in Zarskoje Selo drängte sich ein älterer Chinese mit seiner Frau an der wartenden Schlange vorbei und stellte sich ganz vorne an.
[4] Ein Jahr zuvor war der Vater von Zar Nikolaus II., Alexander III. gestorben.
[5] Das erst 1890 im schwedischen Stil eingerichtete Jagdschlösschen in der Rominter Heide bei Königsberg war Kaiser Wilhelms gern besuchter Landsitz, von dem der leidenschaftliche Jäger zu seinen Touren aufbrach.
[6] Alexej Lobanov Rostovsky (1824 – 1896), ein Nachkomme von Rurik, war von 18. März 1895 bis zu seinem Tod am 30. August 1896 Außenminister Russlands unter Zar Nikolaus II. https://en.wikipedia.org/wiki/Aleksey_Lobanov-Rostovsky
[7] Michail Iwanowitsch Dragomirow (1830 – 1905) war ein General der russischen Armee. https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Iwanowitsch_Dragomirow
[8] Die Originalausgabe erschien 1992, bereits im gleichen Jahr die deutsche Übersetzung von Renate Landa
[9] Lena hat es angeschaut.