Dienstag, 26. September 2017

Das Ende der Illusionen?

Ich muss das Magazin, das ich beinahe dreißig Jahre abonniert hatte und schließlich aus Ärger abbestellt habe, weil ich seine zynisch-ironische Sprache nicht mehr ertragen konnte, das ich aber dennoch ab und zu kaufe, um mich zu vergewissern, wie es meiner alten „Geliebten“ geht, heute einmal loben. Die Ausgabe des „Spiegel“ vom 26. September 2017, die als Nummer 1 erscheint, bringt eine sehr interessante Analyse der Bundestagswahl. Ich möchte hier einen Ausschnitt widergeben, der mir besonders gut gefällt. Unter dem Titel „Merkels Saat“ schreibt das Autorenkollektiv:
„Noch stellt niemand Merkels Autorität offen infrage. Aber auf ihrer Amtszeit lastet eine Hypothek, die noch kein anderer CDU-Kanzler der Partei aufgebürdet hat: Der Aufstieg der Alternative für Deutschland ist ohne Merkel nicht denkbar, schon der Name der Partei beinhaltet eine Referenz an die Kanzlerin, die ihre Euro-Rettungspolitik als ‚alternativlos‘ bezeichnet hatte und in deren Folge sich die AfD dann im Februar 2013 gegründet hatte.
Als sich die Griechenlandkrise entspannte, war die AfD fast schon wieder verschwunden, aber dann kam im Herbst 2015 Merkels Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Die Flüchtlingskrise wurde zur zweiten Geburtsstunde der AfD, sie vitalisierte und radikalisierte die Partei gleichzeitig. Die Flüchtlinge waren, wie es Spitzenkandidat Alexander Gauland in aller zynischen Offenheit sagte, ein ‚Geschenk des Himmels‘ für die AfD.
Die Republik steht nun vor der wohl schwierigsten Regierungsbildung ihrer Geschichte. Da ist auf der einen Seite die CSU, die in Bayern dramatisch auf unter 40 Prozent abgestürzt ist. Sie wird scharf nach rechts ziehen, um die AfD-Konkurrenz bei der bevorstehenden  Landtagswahl im Herbst 2018 zu bekämpfen. ‚Wir hatten auf der rechten Seite eine offene Flanke‘, sagt CSU-Chef Horst Seehofer. Die gelte es nun zu schließen. Die Grünen wiederum wollen sich auf keinen Fall mit einer Union zusammentun, die von München aus geführt wird. Seehofers Obergrenze ist für sie Teufelszeug, und ihr überraschend starkes Ergebnis gibt ihnen den Mut zum Widerspruch. ‚Der schwierigste Partner wird die CSU und nicht die Grünen‘, sagt Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar.
Zu allem Überfluss fehlt Merkel auch noch eine Alternative, mit der sie drohen könnte, falls die Gespräche stocken.“
Hier beschreibt der Spiegel eine Situation, die – geistig gesehen – hoch interessant ist. Obwohl sich der Spiegel seit seiner Gründung – soweit ich es übersehe mit einer einzigen nennenswerten Ausnahme[1] – dem Dogma des Materialismus verschrieben hat, deutet er haarscharf auf das geistige „Gesetz des Karmas" hin, ohne es zu benennen. Die Autoren zeigen aber exakt auf, wie Karma wirkt.
Karma wirkte in früheren Zeiten von einem Leben zum anderen. Im 21. Jahrhundert haben sich Ursache und Wirkung jedoch radikal verkürzt. Von dem legendären Ausspruch von der „Alternativlosigkeit“ bis zur Gründung der AfD vergingen gerade einmal ein paar Wochen. Nun, etwa vier Jahre später, greift sogar die Discounter-Kette Aldi in einer wahlbegleitenden Kampagne den Ausdruck auf, indem sie ihn leicht abändert und sprachschöpferisch zu „aldinativlos“ umwandelt.
Immerhin deutet der Spiegel in seiner Analyse das geistige Wirken – denn darum handelt es sich – an, indem er Herrn Gauland zitiert: Ja, die Flüchtlingskrise war für die „Alternative für Deutschland“ ein „Himmelsgeschenk“, denn erst dadurch ist sie groß geworden.  
Die Geschichte kennt viele solcher „Himmelsgeschenke“ seit der Antike. Es sind die sogenannten „Danaer-Geschenke“, die immer dann eintreten, wenn die Völker oder ihre Führer eine Verfehlung begangen haben, die den karmischen Ausgleich fordert.[2]
Der Raub der schönen Helena durch den trojanischen Königssohn Paris löste einen Krieg aus, der zehn Jahre hin und her wogte, aber schließlich durch die List des Odysseus mit einer totalen Niederlage der Trojaner endete. Der Priester Laokoon hatte die Trojaner vergeblich gewarnt.
Viele wundern sich, dass vor allem die Menschen im Freistaat Sachsen mit überwältigender Mehrheit die AfD gewählt haben. Auch das ist der karmische Ausgleich dafür, dass Helmut Kohl und seine Regierung vor exakt 27 Jahren die DDR „annektiert“ und „abgewickelt“ hat. Es war in Wirklichkeit nichts anderes als ein Raub.
Damals hat die Politik wieder einmal in einem historischen Moment eine bedeutende Chance verpasst. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.
Aber so weit blicken unsere Politiker nicht. Es gibt unzählige Beispiele für solche materialistischen Kurzsichtigkeiten. Die Menschen an der Macht sind offenbar auf dem geistigen Auge blind.
Aber das Volk ist genauso blind, auch wenn es immerhin merkt, dass etwas „faul ist im Staate Dänemark“. 
Aber das bringt uns nicht weiter, auch wenn sich manche nun damit trösten, dass 87 „Prozent der Bevölkerung“[3] nicht die AfD gewählt hätten. Aber selbst das ist eine Illusion: In Wirklichkeit waren es 87 Prozent der Wahlberechtigten und nicht der Bevölkerung, also wesentlich weniger Menschen, als von an und für sich intelligenten Leuten behauptet wird.
Wo Karma wirkt, darf man sich nicht weiter in Illusionen wiegen, sondern sollte der Wahrheit – auch wenn sie noch so unangenehm ist – ins Auge schauen. Dabei hilft auch das „Verteufeln“ des Gegners nicht. Die AfD ist in einem geistigen Vakuum entstanden. Ihre wahre „Mission“ kann man nur verstehen, wenn man endlich die Glaubenssätze des Materialismus überwindet und tiefer schaut.



[1] Ich meine die Serie über die Anthroposophen von Peter Brügge im Jahre 1984, die auch als „Spiegel-Buch“ erschienen ist.
[2] Vergil bezeichnet das Trojanische Pferd, das die Griechen (Danaer) den Trojanern als Geschenk zurücklassen, in seiner „Aeneis“ als solches: „“ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke tragen“ (Buch II, 48 – 49)
[3] So Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in der Bundesrepublik am Montagmorgen im SWR2-Tagesgespräch

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