Freitag, 12. April 2019

Symptomatisches über gesellschaftliche Trends und ihre geistigen Urbilder


Einige Meldungen der letzten Tage haben mich zum Nachdenken angeregt. Ich glaube, wir sind Zeugen eines großen Umbruchs, einer Weichenstellung, die über Sein oder Nichtsein einer zukünftigen, geistgetragenen Gesellschaft entscheidet.
Das Besondere unserer Zeit ist, dass ein großer Teil der Menschheit über ein Wissen verfügen kann, über das früher nur wenige verfügen konnten. Durch Internet, Smartphone und Co. können wir uns heute in Sekundenschnelle alle Informationen besorgen, die wir brauchen. Die Geisteswissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der „Bewusstseinsseele“. Ich denke, ein ansehnlicher Teil der Menschheit, allen voran die sogenannten „Intellektuellen“, ist heute auf dem Gipfel der Bewusstseinsseele angekommen.
Seit Ende der 60-er Jahre wird, zuerst unter den kalifornischen Hippies, der Ruf nach „Bewusstseinserweiterung“ laut. Jim Morrison von der Band „The Doors“ (nach Aldous Huxleys Roman „The Doors of Perception”[1]) fordert lautstark einen „Break-through“ (“Break on through to the other side”, 1967), also einen Durchbruch zur “anderen Seite”. Die Band „The Grateful Dead“ verteilte bei ihren Konzerten kostenlos LSD und machte selbst, von offiziellen amerikanischen Institutionen (CIA) damals erlaubte „Acid-Tests“. Die Beatles besangen in ihrer Hymne „Lucy in the Sky with Diomonds“ (1967) diese von dem Basler Chemiker Albert Hofmann (1906 – 2008)[2] entwickelte Droge.
Vertreter dieser sogenannten 68-er Generation gehören heute zu den einflussreichen, linksliberalen Intellektuellen, die den öffentlichen Diskurs weitgehend bestimmen. Manche, wie zum Beispiel der Salon-Philosoph Peter Sloterdijk, sehen die Entwicklung inzwischen aber eher kritisch.[3]
In jener Zeit begann aber auch eine ganz andere Entwicklung: Vor nun genau 50 Jahren kam der erste Asterix-Band heraus, ein Comic, der wegen seiner vielen politischen Anspielungen vor allem von Erwachsenen geliebt wurde. Jedenfalls machte er die Comic-Literatur unter Intellektuellen salonfähig. Als ich in dieser Zeit aufwuchs und zahlreiche Comic-Hefte „verschlang“, waren die „primitiven Bildergeschichten“ bei den meisten damaligen Erwachsenen, und vor allem auch bei der Kirche, noch verpönt.
Nun ist die Ankündigung der Veröffentlichung eines neuen Asterix-Heftes am 24. Oktober 2019 den meisten Medien eine Meldung wert. Obwohl Rene Goscinny, einer der beiden intelligenten Schöpfer der Figuren schon seit 1997 tot ist, wurde am Mittwoch, dem 10. April 2019, in einer extra anberaumten Pressekonferenz in Paris Band 38 der Comicserie mit dem Titel „Die Tochter des Vercingetorix“ angekündigt. Spiegel –Online berichtet von der Pariser Pressekonferenz unter dem bezeichnenden Titel: „Im Oktober trifft Asterix eine Pubertierende“.[4]
Überstrahlt wurde diese Meldung jedoch von einer anderen: Gleichzeitig wurde in sechs verschiedenen Metropolen der Welt von Mitarbeitern eines Forscherteams verkündet, dass es mit Hilfe von acht zusammengeschlossenen riesigen Radioteleskopen, dem „Event Horizon Teleskope“ (EHT) gelungen sei, eine „Aufnahme“ von einem 55 Millionen Lichtjahre entfernten „Schwarzen Loch“ zu machen.[5]
Auf der Titelseite  unserer Tageszeitung war am Donnerstag (11.04.) ein Mitglied des Forscherteams, Sheperd Doeleman[6], abgebildet, der die „Aufnahme“ in Washington präsentierte. Darüber las ich die Überschrift: „Forschern gelingt der Blick ins Nichts“.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Da steht ein spärlich behaarter junger Astrophysiker mit geöffnetem Mund vor dem „Foto“ eines roten Kreises, das er stolz als einen Beweis für die Richtigkeit einer Theorie präsentiert, die Albert Einstein zum ersten Mal 1905 publizierte (Rudolf Steiner nannte die „Relativitätstheorie“ „Blech“). Dass der Mann auch noch Sheperd, also Hirte, mit Vornamen heißt, ist für mich irgendwie bezeichnend: „Hirten“ wurden früher im Anschluss an Jesus, den „guten Hirten“, die Priester der katholischen Kirche genannt, weil Christus nach der Auferstehung dreimal zu Petrus gesagt hatte: „Weide meine Lämmer!“ (Joh. 21, 15 – 17).
Heute sind die Astrophysiker die neuen Hohe-Priester der wissenschaftsgläubigen Gemeinde. Sie verkünden allerdings keinen Gott, sondern allzu oft nur das „Nichts“. Es muss also niemanden verwundern, dass bei Menschen, deren Bewusstseinsseele noch starke Anteile der älteren „Gemüts- und Verstandesseele“ hat, durch solche Aussagen eine Stimmung erzeugt wird, die man seit Friedrich Nietzsche als „Nihilismus“ bezeichnen könnte.
Eine dritte Meldung machte an diesem Donnerstag die Runde. Der über 91-jährige ehemalige Papst Benedikt XIV. hat sich anlässlich der Zusammenkunft der Bischöfe Ende Februar im Vatikan wegen der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle Gedanken über die Ursachen dieser verheerenden Entwicklung in seiner Kirche gemacht und hat sie am Donnerstag, den 12. April veröffentlicht[7]. Er kommt zu dem Schluss, dass für die Auflösung der Moral innerhalb der Kirche der gesellschaftliche Wandel in den 60-er Jahren eine wichtige Rolle gespielt habe. Er begründet das im Einzelnen aus eigenem Erleben.
Ich möchte hier keine Urteile aussprechen, sondern nur beschreiben, was im Augenblick passiert.
 Alle drei Ereignisse sehe ich als Symptome einer Entwicklung, die eben vor ca. 50 Jahren – damals, in der Weihnachtszeit 1968,  kreiste die erste bemannte amerikanische Apollo-Kapsel um den Mond – begonnen hat.
Der Zeitraum von sieben mal sieben Jahren plus eins wird in der jüdischen Religion als „Jubeljahr“ bezeichnet. In solch einem Jubeljahr hat nun Israel selbst an jenem Donnerstag, den 11.04., einen Satelliten zum Mond geschickt, der auf den schönen biblischen Namen „bereshit“ getauft wurde. Dieses Wort steht ganz am Anfang der Thora beziehungsweise des Alten Testaments und bedeutet: „Am Anfang“ (schuf Gott Himmel und Erde). Leider war die Mission nicht von Erfolg gekrönt: der Satellit zerschellte auf dem Erdtrabanten, dem (nach Rudolf Steiner) ursprünglichen „Sitz“ Jahwes.[8]
In seinen 1904/05 veröffentlichten Aufsätzen „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ hat Rudolf Steiner zum ersten Mal den Schulungsweg beschrieben, der dem Menschen dazu verhilft, den „Durchbruch“ zur Erleuchtung – ohne Drogen – zu erreichen.
Es ist ein langer Weg, und er führt über mehrere Stufen. Die erste nennt Rudolf Steiner „Imagination“. Damit meint er die auf dem Schulungsweg zu entwickelnde Fähigkeit, hinter den äußeren Eindrücken innere Bilder zu sehen. 1968 stand an einer Pariser Hauswand die Aufforderung „L’imagination au Pouvoir“. Gleichzeitig aber erschien mit dem ersten Asterix-Band („Asterix, der Gallier“) eine Art Karikatur der zu entwickelnden Fähigkeit. Die beliebten Bildergeschichten sind eigentlich ein Rückschritt in die falsche Richtung, der sich seitdem durch den ständig wachsenden Bilderkonsum bis ins Unermessliche gesteigert hat. Ich bezeichne diese Entwicklung als „Infantilisierung“ der Gesellschaft.
Die zweite auf dem Schulungsweg zu entwickelnde Fähigkeit nennt Rudolf Steiner die „Inspiration“. Es geht dabei darum, auf das im Inneren leise erklingende göttliche Wort zu hören. Die Götter sind nicht mehr draußen – irgendwo im Weltraum – zu suchen, sondern im Menscheninnern. Bereits der erste Kosmonaut, der Russe Juri Gagarin[9], hatte 1961 festgestellt, dass es im Weltall keinen Gott gibt.
Wenn die Astrophysiker aus den Radiowellen (tonähnliche Geräusche), die sie mit ihren gigantischen Teleskopen aus den Tiefen des Weltraums empfangen, Bilder zaubern, dann ist das für mich wiederum nichts anderes als eine materialistische Karikatur der geistigen Fähigkeit der Inspiration.
Die dritte geistige Errungenschaft, die Rudolf Steiner nennt, ist die Intuition. Darunter versteht er die Vereinigung mit dem göttlichen Geist, eine Art Kommunion. Wer diese Stufe erreicht, lebt ganz aus dem Gottesbewusstsein heraus und ist im irdischen Sinne frei von allen Wünschen und Begierden, ähnlich wie es der große Gautama Buddha in seinem achtgliedrigen Pfad beschrieben hat.
Als eine Karikatur dieses Wunsches nach „Vereinigung“ kann man die zahlreichen Missbrauchsfälle ansehen, wo Menschen sich mit Kindern sexuell vereinigen wollen, die für sie noch etwas von der himmlischen Unschuld bewahrt haben. Dass sich auch katholische Priester daran beteiligt haben, wiegt besonders schwer. Ich nenne diese Fehlentwicklung „die Pornographisierung“ der Gesellschaft.
Insofern muss ich dem Herrn Ratzinger recht geben: Ende der 60-er Jahre kamen mit den ersten Aufklärungsfilmen („Helga“, Oswald-Kolle) auch die ersten (Soft-) Porno Filme wie „Schulmädchen-Report“ (Folge 1 bis 11) oder „Hausfrauenreport“ in die Kinos, die gewissen Menschen, die noch stark in der „Empfindungsseele“ gefangen sind, anregten, sich selbst (mit Gewalt) die sexuelle Befriedigung zu holen, die sie nicht freiwillig bekamen.
So stehen den drei positiven Bewusstseinsschritten der Imagination, Inspiration und Intuition drei negative gesellschaftliche Tendenzen entgegen: die „Infantilisierung“, der materialistische „Nihilismus“ und die „Pornographisierung“.




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