Dienstag, 14. Februar 2017

"Die Büchse der Pandora"

Gestern Abend (14.02.2017) kam eine interessante Sendung auf SWR2. Im „Forum“ diskutierten zwei Historiker und ein FAZ-Redakteur über Lawrence von Arabien und fragten, ob er ein „Held“ oder ein „Verräter“ war: Peter Thoreau von der Universität Saarbrücken („Geschichte des Vorderen Orients“), Jörn Leonhard von der Universität Freiburg (Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte) und Reiner Hermann (Islamwissenschaftler).
Auch wenn die Historiker meinem Gefühl nach entweder zu sehr im Speziellen, oder aber im Gegenteil, zu sehr im Allgemeinen blieben, erfuhr ich doch ein paar wichtige Einzelheiten. Ich hörte zum ersten Mal den Namen des Journalisten Lowell Thomas, der den britischen Helden in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Reportagen, Fotos und Filme bekannt machte. Auf seiner Heroisierung beruht der Mythos des Lawrence von Arabien, den der berühmte Film von David Lean 1962 aufgriff. Es war der erste Film außerhalb der Karl-May-Film-Reihe, den ich – damals auf Anregung meines Vaters – im Ellwanger Kino sah, vermutlich 1964. Ich war natürlich mit 12 Jahren noch viel zu jung, um den Film zu verstehen, aber die Bilder und viele Szenen prägten sich mir tief ein. Ich habe den Film später mindestens noch zwei Mal in restaurierten Fassungen im Kino auf der großen Leinwand gesehen und war jedes Mal begeistert von den Wüstenszenen, von der Darstellung Peter O Tooles und von der großartigen Musik Maurice Jarres.
Bei dem Forums-Gespräch wurde deutlich, wie sehr die damaligen Ereignisse in der arabischen Welt bis heute fortwirken. Es wurde vor allem auf die Aufteilung der Arabischen Halbinsel durch Sykes und Picot hingewiesen, aber auch auf das Versprechen der Briten an die Zionisten in der Balfour-Deklaration, die ihre Hoffnung nährte, eines Tages nach Palästina zurückkehren zu können.
Wir Europäer haben die Ereignisse des Ersten Weltkrieges längst vergessen. Die Araber nicht.
Lawrence von Arabien hat dazu beigetragen, dass das Osmanische Reich unterging und die Arabische Halbinsel unter Frankreich und Großbritannien aufgeteilt wurde. Ich habe mir erst kürzlich die historische Untersuchung von James Barr, „A Line in the Sand“ kommen lassen, die das Sykes-Picot-Geheimabkommen zum Gegenstand hat, das hier kaum jemand kennt, das aber meinen muslimischen Flüchtlingen ganz gegenwärtig ist. Offenbar hat auch die islamistische Terrororganisation ISIS, die ein neues „Kalifat“ errichten will, vor einiger Zeit eine Botschaft in die Welt gesandt, in der sie droht, dass sie die Grenzen von Sykes und Picot zwischen Syrien und dem Irak nicht länger akzeptieren würde.
Das Osmanische Reich umfasste damals die gesamte Arabische Halbinsel. Der Sultan von Konstantinopel herrschte über Aleppo, Damaskus, Jerusalem und sogar über Mekka. Die arabischen Stämme hörten allerdings vorwiegend auf den Scharif von Mekka. Mit diesen probte Lawrence, der die Franzosen, die Türken und die Deutschen „hasste“, den Aufstand gegen die damaligen Herrscher, die während des Ersten Weltkrieges die wichtigsten Verbündeten des Deutschen Reiches waren.
Die Diskussion hatte vor allem die Ereignisse im Blick, die in den Jahren 1916 und 1917 die Wende im Ersten Weltkrieg und die Niederlage des Deutschen Reiches einleiteten, jene verhängnisvollen „Entscheidungen“, die dann direkt zum Zweiten Weltkrieg führten.
Man kann den Zweiten Weltkrieg überhaupt nicht verstehen, wenn man nicht über jene Ereignisse und Entscheidungen nachdenkt. Aber das geschieht heute in vollkommen ahistorischer Weise immer wieder.
Gestern habe ich mir das neueste Heft „Zeit-Geschichte“ gekauft, das sich anlässlich des 75. Jahrestages der „Wannsee-Konferenz“ mit dem „Weg in den Holocaust“ beschäftigt. Allein in dem ersten Aufsatz von Mark Rosemann wimmelt es von „Konjunktiven“, „Vermutungen“ und einseitigen Geschichtsdarstellungen, die das Bild, das wir kennen, weiter zementieren und jede Frage nach den wirklichen Zusammenhängen aus der sicheren Deckung der Mainstream-Meinung ausklammert. Immerhin wird der Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel zitiert, der 1992 in der „Zeit“ feststellte, dass „das Merkwürdigste an jener vielgenannten Zusammenkunft (…) ist, dass man nicht weiß, warum sie stattgefunden hat.“
Aber angeblich ging es um die Planung des „ersten Genozids“, der „von einer Regierung ins Werk gesetzt“ wurde, „die mit einem demokratischen Mandat ausgestattet war“. Das ist natürlich eine vollkommene Verdrehung der Tatsachen. Zwar stimmt es, dass Hitler 1932 in demokratischen Wahlen zum Reichskanzler gewählt wurde, aber von einem „demokratischen Staat“ kann spätestens nach der kompletten Aufhebung der Weimarer Verfassung mit ihrem Grundrechtskatalog („Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“) unmittelbar nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 nicht mehr gesprochen werden. Zum Zeitpunkt der Wannsee-Konferenz, die am 20. Januar 1942 stattgefunden hat, konnte man schon lange nicht mehr von einem „demokratischen Mandat“ sprechen. Deutschland befand sich seit dem 1. September 1939 in dem „Krieg, der viele Väter hatte“ (Gerd Schultze-Rhöndorf).
Diese einseitige Geschichtsbetrachtung klammert bewusst die Vorgeschichte aus, und das ist die Geschichte des Ersten Weltkrieges. Dass diese Geschichte der Grund für das Verhängnis war, in dem sich Deutschland später wiederfand, darauf deuten schon die Titel von Geschichtsbüchern hin, die sich mit dem Ersten Weltkrieg und seiner Vorgeschichte auseinandersetzen: „Die Schalen des Zorns“ (Robert K. Massie, 1998), „Die Schlafwandler“ (Christopher Clark, 2012), „Höllensturz“ (Jan Kershaw, 2015) oder jetzt auch noch das Buch eines der drei Mitglieder der Forum-Diskussionsrunde, Jörn Leonhards „Die Büchse der Pandora“ (2015).
Die „Schalen des Zorns“ beziehen sich auf die Apokalypse des Johannes und „die Büchse der Pandora“ auf einen antiken Mythos. Pandora war die Frau des Epimetheus, des Bruders von Prometheus. Sie hat zur Hochzeit von Zeus jene Büchse geschenkt bekommen, in der alle Übel versammelt sind, und das Gebot, sie nicht zu öffnen. Das erinnert an Gottes Gebot in der Genesis, nicht vom „Baum der Erkenntnis“ zu essen und daran, dass Eva es dennoch tat. Pandora ist die griechische Eva, die natürlich sofort nach der Hochzeit die Büchse öffnete und so Krankheit, Hass, Neid und alle anderen Übel in die Menschheit entließ.
Nur die „Hoffnung“ verblieb in der „Büchse“.

Auch wenn Friedrich Nietzsche behauptet, dass die Hoffnung das Schlimmste aller Übel sei, so glaube ich doch lieber an die Verheißung des Paulus, der im Korintherbrief (1. Kor. 13) sagt, dass die Hoffnung wie der Glaube und die Liebe ewig bestehen würden.

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