Dienstag, 11. April 2017

Einweihung


Obwohl ich es mir lange überlegt habe, entschloss ich mich doch heute Nachmittag, meinen Text unter dem Titel „Mysterienluft“ auf meinem Weblog zu veröffentlichen[1], um ein Zeichen zu setzen und eine Art Gegenbild zu den weltlichen Ereignissen zu geben, denen wir seit vergangenem Donnerstag ausgesetzt sind.
Wer tut es denn sonst!?
Mich drängt es aber nun, auch über jenen Film-Essay zu schreiben, den ich mir in den vergangenen zwei Tagen in der Arte-Mediathek angeschaut habe. Als die Dokumentation „Ludwig der Heilige im Lichte der Sainte-Chapelle“ am Sonntagnachmittag gesendet wurde, hatte ich sie verpasst. Der Film von Martin Fraudreau stammt aus dem Jahre 2014. In diesem Jahr waren es genau 800 Jahre her, dass König Ludwig IX. von Frankreich von seiner Mutter Blanca von Kastillien, der Frau König Ludwigs VIII., in Roissy geboren wurde.[2]
Er wurde 1226 mit zwölf Jahren nach dem unerwartet frühen Tod seines Vaters in der noch unvollendeten gotischen Kathedrale von Reims mit dem heiligen Salböl zum König gekrönt. Zunächst führte seine Mutter die Regierungsgeschäfte, bis er volljährig war. Im Jahre 1237 kaufte Ludwig IX. vom Kaiser in Konstantinopel, Baudouin II. von Courtenay, der in Geldnöten war, für den ungeheuren Preis von 135000 Pfund[3] eine der wertvollsten Reliquien der Christenheit, die Dornenkrone.
Im Jahre 1239 gelangte die Dornenkrone nach Frankreich, wo sie zuerst vom Bischof von Sens empfangen wurde. Zusammen mit dem Bischof und seinem Bruder Robert von Artois bringt Ludwig IX. die heilige Reliquie in einer Prozession von Sens nach Paris in den königlichen Palast auf der Ile de la Cite. Diese Übertragung ist in einem Fenster der Sainte-Chapelle dargestellt, dem architektonischen „Schrein“, den der König seit etwa 1241 inmitten seiner Residenz zur Aufnahme der Reliquie errichten lässt. Die Darstellung erinnert an den Transport der Bundeslade, die die aus Ägypten geflohenen Hebräer für die Gesetzestafeln, die sie durch Moses am Sinai erhalten hatten, gebaut haben. Wie diese wird sie mit Hilfe von zwei Tragbalken von vier Trägern getragen.[4] Der Pakt, den Jahve mit dem Volk Israel geschlossen hat, dessen Symbol die Bundeslade ist, soll in der Zeit Ludwigs durch die Krone Christi erneuert werden. Nun sind seine französischen Untertanen das auserwählte Volk.
Überhaupt sieht sich Ludwig IX. in der Tradition der israelitischen Könige und will als christlicher König die Tradition erneuern. In den 24 Buntglasfenstern entfalten sich die Geschichten der Bibel, angefangen mit der Schöpfungsgeschichte und endend mit Ludwig IX. als Ziel der Heilsgeschichte.
An einem Fenster der Nordseite der Heiligen Kapelle sind alle Könige Israels dargestellt. An den Säulen aber stehen die zwölf Apostel als edelsteingeschmückte, farbige Skulpturen mit edlen Gesichtern, ähnlich wie die zwölf Stifterfiguren im Dom von Naumburg, der etwa gleichzeitig entstand.
Im Chor der Sainte-Chapelle, in dem auf einem Altar und in einem kostbaren Schrein, der seit der Französischen Revolution verschollen ist, die Dornenkrone aufbewahrt wurde, war zentral die Passion Christi dargestellt, flankiert von Darstellungen Johannes des Täufers (rechts) und Johannes des Evangelisten (links).
Die Kunsthistoriker vermuten, dass das Programm der Glasfenster von Ludwig IX. selbst entworfen wurde. Auch seine Mutter Blanca von Kastilien, deren Wappen überall zu finden ist, könnte mitgeholfen haben. Sicher haben auch die Dominikaner von Paris den König beraten, vermutlich auch Albertus Magnus, der damals an der Pariser Universität lehrte.
Blanca hatte schon vor der Errichtung der Kapelle kostbare Handschriften herstellen lassen, die reich mit vergoldeten Miniaturen illustriert waren und die biblischen Geschichten als „bible moralise“ erzählten. Dort kommen nicht nur zwölf Stämme Israels, sondern zwanzig vor. Ludwig erklärt sich, so sagt ein Kommentator im Film, „zum neuen David, zum neuen Salomon, zum neuen Moses, zum neuen Aron und zum neuen Josua“. Ludwig IX. sieht sich zugleich als König und als Priester.
Nach Ludwigs Tod am 25. August 1270  in Karthago wurde sein Leichnam – wie damals üblich – zerteilt. Das Herz und das Haupt ließ sein Enkel Philipp der Schöne nach der Heiligsprechung seines Großvaters 1297 von Saint Denis in die Sainte-Chapelle bringen, den Schädel direkt unter die Dornenkrone und das Herz unter den Schädel. Im Jahre 1843 fand man das Herz bei Ausgrabungen im Zusammenhang mit der Restaurierung der Kapelle im Boden der Apsis.
Saint Louis und Jeanne d’Arc sind bis heute die beiden Nationalheiligen des katholischen Frankreichs und als solche auf dem West-Giebel von Sacre-Coeur dargestellt.
Eine spirituelle Dimension dieser ganzen Geschichte gibt es auch. Die Heilige Kapelle wurde im Jahre 1248 fertiggestellt, etwa gleichzeitig mit dem Naumburger Dom. Vieles deutet darauf hin, dass es dieselben Steinmetzen und derselbe Baumeister war, die an beiden Kirchen gearbeitet haben. Um diese Zeit fand laut Rudolf Steiner an einem unbekannten Ort die Einweihung eines Jünglings statt, der später als Christian Rosenkreuz wiedergeboren wurde. In diesem Jüngling wirken in geheimnisvoller Weise die beiden Johannes zusammen, der Täufer und der Evangelist, der in Wirklichkeit Lazarus, der Bruder der Maria Magdalena war. Ich habe über diese Zusammenhänge früher ausführlich geschrieben, kann aber den Text, den ich auch einmal auf meinem Weblog veröffentlicht hatte, nicht mehr finden.
Bei einem Besuch auf der Burg Neuenburg über der Unstrut, die Andrea bei einer Radtour im Jahre 2010 „entdeckt“ hatte, kamen wir im Zusammenhang mit der Ausstellung über den „Naumburger Meister“ 2011  auch in die dortige Palastkapelle. Sie ist wie die Sainte-Chapelle zweigeschossig und atmet den Geist der Heiligen Elisabeth, die für Deutschland eine ähnliche Bedeutung hat wie der Heilige Ludwig für Frankreich. Sie wurde erbaut von den Thüringer Landgrafen, die einst den Sängerstreit auf der Wartburg durchführten, auf dem Wolfram von Eschenbach gegen den Zauberer Klingsor antreten musste. Die Wartburg stand im Westen, die Neuenburg im Osten des Territoriums der Landgrafen.
Für mich steht seit jenem Besuch mehr oder weniger klar fest, dass sowohl die Sainte-Chapelle, als auch der Dom von Naumburg Reflexe jener Einweihung des Dreizehnten durch zwölf Meister, wie sie Rudolf Steiner in seinen Vortrag vom 27. September 1911 (GA 130) im Schweizer Neufchatel (zu Deutsch: „Neuenburg“) schildert, sind. Aber nicht in Paris und auch nicht in Naumburg fand diese statt, sondern in der Oberkapelle der Burg Neuenburg, oberhalb von Freyburg an der Unstrut.






[2] 1214, im Jahr seiner Geburt, besiegte sein Großvater, Philipp-Auguste, in der Schlacht von Bouvines die Engländer unter Heinrich III. Plantagenet, die Anspruch auf den französischen Thron hatten. Die Engländer wurden unterstützt vom deutschen Kaiser Otto IV. aus der Dynastie der Welfen.
[3] Die Summe entspricht der Hälfte der jährlichen Einnahmen der französischen Krone
[4] Louis Charpentier behauptet in seinem Buch „Les Mysteres de la Cathedrale de Chartres“, 1966, dass diese Bundeslade von dem Templerorden unter den Ruinen des Salomonischen Tempels in Jerusalem gefunden und nach Frankreich gebracht worden sei, wie es auf einer Skulptur am Nordportal der Kathedrale von Chartres dargestellt ist. In dieser Lade sollen die Bauhütten-Geheimnisse zur Errichtung der gotischen Kathedralen verborgen gewesen sein, die „tables de la loi“.

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