Samstag, 1. Juli 2017

"Was ist Wahrheit?"

„Was ist Wahrheit?“
Wieder werde ich durch diese Diskussion um den gestrigen Bundestagsbeschluss mit dieser Frage konfrontiert.
Aber wie sehr ich auch darüber nachdenke: ich komme zu keinem anderen Ergebnis als gestern. Sogar im Gespräch mit meinem besten Freund G., das wir zum Schluss vertagen mussten, weil wir uns gegenseitig „angegriffen“ beziehungsweise missverstanden fühlten, kam ich nicht zu einer neuen Sichtweise. Das tut mir weh, aber ich kann es einfach nicht mit meinem Denken vereinbaren, dass nicht sauber mit Begriffen umgegangen wird. Leider ist darunter, wie ich feststellen musste, auch mein lieber Freund, der ein durchaus rationaler Mensch ist.
Für mich ist der Begriff Ehe so klar definiert wie in der Mathematik eins plus eins zwei ist.
Meine Definition für Ehe, die ich für die allgemeingültige halte, versucht, den Inhalt dieses Wortes in einem Satz auszudrücken: „Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau mit dem grundsätzlichen Ziel oder der grundsätzlichen Möglichkeit, Vater und Mutter zu werden.“ Ich finde keine andere Definition. Auch G. konnte mir keine andere nennen.
Man kann, wenn man will, noch zwischen der „Ehe vor dem Standesamt“ und „der Ehe vor Gott“, sprich zwischen weltlicher und kirchlicher Trauung als symbolisch-rechtlichen Akten unterscheiden. Ich habe beides erlebt. Aber immer stimmt die Definition, wie sie auch in Artikel 6 des Grundgesetzes gemeint ist.
Es ist ja selbstverständlich, dass der Inhalt des Wortes „Ehe“ im tiefsten Sinne ein Ideal ist, das kaum von einem Menschen wirklich einmal gelebt werden kann. Aber das ist das Wesen von Idealen. Sie sind wie Leuchttürme, die uns Orientierung in den Stürmen des Lebens auf unruhiger See geben.

Ich habe I. am 15. Juni 1979 standesamtlich und am 17. Juni 1979 kirchlich geheiratet. Der tiefere Grund war, dass unser erstes Kind unterwegs war. Am 17. Juli 2007 habe ich mich nach 28 Jahren und einem Monat von I.– gegen ihren Willen – scheiden lassen. Am 18. November 2009 habe ich A. standesamtlich – und ganz bewusst nicht kirchlich – geheiratet. Am 29. Juli 2016 hat sie sich – gegen meinen Willen – nach nur knapp sieben Jahren von mir scheiden lassen. Für diese standesamtliche Ehe habe ich mich nur deshalb entschieden, weil ich A. vor den "bösen Zungen" auf dem Dorf beschützen wollte. Und, weil ich sie liebe.
Es gibt Begriffe, die kann und will ich nicht definieren. Darüber war ich mir mit G. einig: dazu gehört zum Beispiel das Wort „Liebe“. Auch da kann man sich natürlich dem Inhalt nähern, indem man zwischen erotischer Liebe (Eros), Nächstenliebe (Caritas) und Gottesliebe (Agape) unterscheidet. Aber Liebe ist unendlich viel größer als der Verstand und ein Mensch kann sie auch nicht mit der Vernunft erfassen.
Durch die heute übliche „Liberalität“, die mit dem Schlagwort „anything goes“ umschrieben werden kann, werden alle Kategorien des abendländischen Denkens (seit Aristoteles) umgeworfen. Jeder kann seine eigene Wahrheit „erfinden“. Wenn er eine Mehrheit findet, die ihm zustimmt, kann sogar über diese „Wahrheit“ abgestimmt werden, wie es gestern im Bundestag geschehen ist. Dadurch wird sie „sanktioniert“, aber nicht "wahr".
Das war vor 68 Jahren noch anders, als die Väter und Mütter des Grundgesetzes in einer Villa bei Frankfurt zusammenkamen, und über eine zu schaffende Verfassung für die zu gründende Bundesrepublik berieten.
Im Grunde war Helmut Kohl, der heute im Dom von Speyer mit einem Requiem „verabschiedet“ wurde, soweit ich sehe, der erste hochrangige deutsche Politiker, der einen dieser wichtigen Begriffe „in Misskredit“ gebracht hat. Ich meine nicht den Begriff „Ehe“, sondern den Begriff „Ehre“, der noch viel schwieriger zu „definieren“ ist als das Wort „Ehe“.
Er hat sich auf sein „Ehrenwort“ berufen, um die Helfer in der kriminellen CDU-Spendenaffäre zu schützen. Darf man mit dem Begriff „Ehrenwort“ die Wahrheit vertuschen? Darf man durch ein „Ehrenwort“ unehrenhafte Handlungen decken? Geht das?
Ich meine klar und deutlich: nein! Das geht nicht!
Deshalb halte ich Helmut Kohl nicht für einen großen Politiker, auch wenn er das mit seinen 1,93 m rein äußerlich schon war. 
Trotzdem habe ich mir heute die Trauerfeier im Speyrer Dom via Fernsehen (Erstes Programm) angeschaut. Ich wollte ihm dadurch, obwohl ich mit seiner Politik überhaupt nicht einverstanden war und bin, dennoch „die letzte Ehre“ erweisen.
Wenn ich aber die Herren Prälaten vor dem Altar unter dem romanischen Kreuz sehe und höre, so frage ich mich, was wohl Christus gesagt hätte, wenn er dabei gewesen wäre. Ich glaube kaum, dass er so „schöne“ Worte gefunden hätte. Ich bin sogar überzeugt, dass er die Feierlichkeit durch wahre Worte gestört hätte, von der Polizei ergriffen und aus dem Dom geworfen worden wäre – mit anschließender Verurteilung.
Warum geht mir das alles so nah?

Ich fühle mich als ein Mensch, der sich – eigenständig und mit viel Mühe – aus der christlich-abendländischen Tradition heraus ein Weltbild errungen hat und danach zu leben versucht. Solange diese Tradition noch trägt, glaube ich an sie. Aber ich leide darunter, wenn die wahren und ewigen Werte dieser Tradition leichtsinnig preisgegeben werden zugunsten von ganz anderen Werten, die im Augenblick „en vogue“ sind: Relativismus (statt Wahrheitssuche und echte Toleranz), Hedonismus (statt Leidensfähigkeit) und Narzissmus (statt wahres Interesse am anderen). 

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