Donnerstag, 23. Januar 2020

Das "beispiellos Böse" - Holocaust-Gedenken in der Bildzeitung als Instrument gegen den Antisemitismus




Meine Freundin Karen hat mir gestern nach unserem Telefongespräch ein Foto ihres Schreibtisches per Whatsapp geschickt und dazu geschrieben: „unzensiert!“ Dabei fand ich ihren Schreibtisch im Vergleich zu meinem wunderbar ordentlich. Im Gegenzug schickte ich ihr ein Bild von meinem Schreibtisch, der seit Wochen eher chaotisch aussieht, weil ich einfach keinen Schwung habe, ihn aufzuräumen. Er ist mein persönliches „Denkmal der Schande“. Karen fiel natürlich sofort auf, dass unter all dem Papier, das da rumlag, auch ein Exemplar der „Bildzeitung“ war. Die auf Seite 93 aufgeschlagenen Spiegel-Ausgabe Nr. 48 vom 23.11.2019 mit dem Foto des jüdischen Geschäftsmannes Ihor Kolomojskyi, dem (einfluss-) reichen Paten des neuen ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Selenskyi, hat sie wohl nicht gesehen. Ich schrieb ihr ironisch zurück: „Daher hole ich mein großes Wissen.“
Ich muss nun einfach eingestehen, dass ich seit zehn Tagen, also genau seit dem 14. Januar 2020, jeden Morgen die „Bildzeitung“ bekomme, weil ich vor zwei Wochen (am 9. Januar) ein sehr attraktives Angebot für ein Jahresabonnement genutzt habe. Das hätte ich mir nie träumen lassen, aber in gewisser Weise ist Lena „schuld“ daran. Als ich an jenem Donnerstag zu meinem Kurs nach Sulzdorf musste, bat sie mich, ein Paket abzuholen, das dort an der Aral-Tankstelle lagerte. Dabei sah ich den Titel auf der neuesten Ausgabe der Bildzeitung: „KEIN KRIEG! Danke Mr. President!“ (Darunter las ich von dem Angebot).
Für mich war das natürlich eine gute Nachricht. Ich glaube, die Gefahr eines Krieges mit dem Iran war tatsächlich sehr groß gewesen, nachdem Donald Trump (in Übereinstimmung mit dem israelischen Geheimdienst) den Befehl zur Tötung des iranischen Generals Khassem Suleimani gegeben hatte. Die Trauerfeierlichkeiten für den populären Anführer der Al-Kuds-Brigaden nutzte das Mullah-Regime, um die Massen des iranischen Volkes auf den Straßen in Szene zu setzen. Es wurde medienwirksam hundert- oder tausendfach Rache geschworen. Schließlich griffen die Iraner auch zwei amerikanische Stützpunkte im Irak mit Raketen an, wobei aber angeblich keine Menschen getötet wurden – offenbar hatte der Iran zuvor eine Warnung ausgegeben. Unglücklicherweise explodierten allerdings in jener Nacht zwei Raketen in der unmittelbaren Nähe eines ukrainischen Passagierflugzeuges, das mit 176 Personen an Bord – vorwiegend Akademikern – kurz zuvor in Teheran gestartet war. Das Flugzeug stürzte ab und alle Insassen wurden getötet. Nun gab es wieder Demonstrationen in Teheran, dieses Mal nicht für, sondern gegen das Regime.
So viel kann ich den offiziellen Nachrichten entnehmen, die ich natürlich nicht nur aus der Bildzeitung beziehe.
Ich habe die Bildzeitung, die so gerne mit dem Begriff „Wahrheit“ operiert – so auch auf der Titelseite  ihrer heutigen Ausgabe wieder („Die Wahrheit über Neuners Trennung“)[1] – auch deshalb gekauft, weil die Sprache der Texte so einfach ist, dass auch Ausländer sie verstehen. Das Boulevardblatt ist die einzige Zeitung, die Lena bei Gelegenheit liest und versteht. Den Kommentar von Chefredakteur Julian Reichelt, in dem er die Liquidation von Suleimani auf der Titelseite zu rechtfertigen versucht, habe ich abgetippt, kopiert und am vergangenen Freitag meinen russischen Frauen ausgeteilt, um ihn mit ihnen zu lesen und zu besprechen.
Im Januar „feiert“ die Bildzeitung seit Jahren den wichtigsten Erinnerungstag Deutschlands, nämlich die Befreiung der Insassen aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Man kann annehmen, dass der 27. Januar zum höchsten säkularen Feiertag der Bundesrepublik werden soll, damit die Deutschen regelmäßig an ihr größtes Verbrechen erinnert werden und dadurch ein geistiges „Bollwerk“ gegen den angeblich wachsenden Antisemitismus[2] hierzulande geschaffen werden kann.
Anlässlich des diesjährigen 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 druckt die Bildzeitung „weltexklusiv“ seit gestern die 54 Tagebuchseiten von Scheindi Miller-Ehrenwald ab, die sie als 14-jährigens Mädchen heimlich geschrieben hat. Die heute neunzigjährige „Überlebende des Holocaust“ wurde vom Chefredakteur Julian Reichelt nach Berlin eingeladen, wo gestern im „Deutschen Historischen Museum“ eine Ausstellung zu ihren Tagebüchern eröffnet wurde. Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hielt die Eröffnungsrede. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schickte ein Grußwort in englischer Sprache, das Julian Reichelt bei der Eröffnung verlas. Die Bildzeitung übersetzte das Grußwort ins Deutsche und zitiert in ihrer heutigen Ausgabe daraus:
„Zur Eröffnung der Ausstellung ‚Deportiert nach Auschwitz – Scheindi Ehrenwalds Aufzeichnungen‘ sende ich aus Jerusalem herzliche Grüße („warm greetings“) an das Deutsche Historische Museum. (...) Scheindis Darstellung ihres Kampfes um das Überleben der Schrecken von Auschwitz-Birkenau, Deportation und Zwangsarbeit, erzählt mit den Augen eines jungen Teenagers[3], dient als intimes Portrait ihrer persönlichen Widerstandskraft. Es wird für Jahre nachklingen. Noch wichtiger ist es, dass wir im Laufe der Jahre und mit abnehmender Zahl der Überlebenden weiterhin ein Licht auf das beispiellose Böse[4] des Holocaust werfen. Nur durch eine solche Bildung können wir den Antisemitismus in all seinen Formen erfolgreich bekämpfen und verhindern, dass er sich weiter ausbreitet. Dieser Bericht aus erster Hand ist ein wirksames Instrument[5], um zukünftige Generationen in der Hoffnung zu unterrichten, dass solche Gräueltaten nie wieder vorkommen.“ (Bildzeitung vom 23. Januar 2020, S 9)
Interessant ist die Formulierung „ein Licht auf das beispiellose Böse“, das der Holocaust darstelle, zu „werfen“. Natürlich wird immer wieder betont, dass der „Holcaust“ „beispiellos“ oder einmalig gewesen sei, was jedoch nicht der historischen Wahrheit entspricht. Der GULAG und der Hungertod von Millionen von Ukrainern („Holodomor“), organisiert vorwiegend von jüdischen Funktionären des Sowjetstaates, waren dem Holocaust und den Lagern vorausgegangen! Aber dafür gibt es bisher keine Gedenktage, weltweit bekannte Museen oder Gedenkstätten – bis auf kleine Ausnahmen in Perm und in Kiew; aber wer weiß schon davon!?
Die Tagebücher der Frau Ehrenwald werden angesichts der Tatsache, dass es immer weniger Überlebende des Holocaust gibt, in der Tat  „instrumentalisiert“, wie es Netanjahu ganz offen zugibt, um die Deutschen, in deren Reihen das „beispiellos Böse“ einst wirkte, in Schach zu halten, als ob die Deutschen willens und in der Lage wären, solche „Gräueltaten“ wieder zu begehen. Wolfgang Schäuble, den ein Kabarettist einmal ironisch „bösäugelnd“ genannt hat, erweiterte in seiner Eröffnungsrede geschickt den Begriff des Antisemitismus, indem er sagte:
„In Deutschland haben Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus nichts zu suchen – nicht der Antisemitismus im alten Gewand, nicht der zugewanderte, nicht der als Israel-Kritik getarnte.“
Also kann man aus den beiden Statements entnehmen, dass jede Form von Antisemitismus, die aus Deutschland kommt, das „beispiellos Böse“ wiederholen könnte und dass deshalb nicht oft genug davor gewarnt werden könne. Deshalb erklingt immer wieder der bekannte Schlachtruf „Nie wieder!“, so als bestünde tatsächlich die realistische Aussicht, dass das moderne Deutschland wieder einen Weltkrieg „anzetteln“, Konzentrationslager einrichten und im industriellen Stil Juden „vernichten“ könnte.
Wer das für eine realistische Möglichkeit hält, der leidet meiner Meinung nach unter einem pathologischen Verfolgungswahn.



[1] Manuel Neuner ist der millionenschwere Torhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft, der 2014 Modell stand für sein eigenes Wachs-Abbild bei Madame Tussauds in Berlin und sich dabei in die junge Museumsmitarbeiterin Nina Weiss verliebte. Im Juni 2017 haben die beiden in Italien geheiratet. Nun scheint die Ehe des 33-jährigen Fußballers mit der 26-jährigen Museumsangestellten schon am Ende zu sein – nach nur zweieinhalb Jahren.
[2] Aus zwei unterschiedlichen Quellen habe ich in den vergangenen Tagen erfahren, dass es maximal 200.000 Angehörige jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik gäbe. Eine andere Quelle sprach von 100.000 „Gemeindemitgliedern“. Ich kann und will diese Angaben nicht hinterfragen, aber angesichts einer solch kleinen Minderheit kommt mir die Aussage, dass „Gewalttaten gegen Juden“ in Deutschland in den letzten Jahren signifikant zugenommen hätten, etwas übertrieben vor.
[3] Müsste eigentlich politisch korrekt „einer jungen Teenagerin“ heißen...
[4] Hervorhebung von mir
[5] Hervorhebung von mir

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