Donnerstag, 15. Juni 2017

"Erdogan-Zeit" oder "Merkel-Zeit"?

Als ich gestern Mittag bei F. fertig war, fuhr ich mit meinem neuen Auto noch zum Autohaus Rettenmeyer, um es zu waschen und zu saugen (nun ist es wieder wie neu). Anschließend ging ich zum Döner-Imbiss „Bosporus“ in Randenweiler, um für sechs Euro einen Lachmacum zu essen und einen Ayran zu trinken, wie ich es immer wieder tue, seitdem ich dieses orientalische „Gericht“  bei meinem Umzug am 4. Dezember mit Herrn B. aus Syrien kennen gelernt hatte.
Der junge Türke, der mich dann immer bedient, beginnt bisweilen ein Gespräch mit mir. Gestern fiel mir auf, dass die Wanduhr in dem Imbiss um drei Stunden nachging. Ich fragte den Türken im Spaß, ob das „Erdogan-Zeit“ sei. Er überlegte kurz und antwortete dann: "Nein, „Merkel-Zeit!" Kurz darauf wollte ich wissen: „Glauben Sie, dass Präsident Erdogan Spaß mag?“ und ich bekam postwendend zur Antwort: „Spaß schon, aber keine Beleidigungen!“
Ich musste unwillkürlich an jenes unsägliche Schmähgedicht von Jan Böhmermann denken und verstand, was er meinte. Dann ergänzte er noch und positionierte sich eindeutig, indem er sagte: „ich bin Erdogan-Fan!“
Diese kurze Aussprache gab mir zu denken. Was wissen wir schon über Staatschefs wie Erdogan (Türkei), Orban (Ungarn) und Putin (Russische Föderation)?
Und wieso erlauben wir uns, über sie trotzdem zu urteilen?
Vielleicht, weil wir durch das Fernsehen und die Zeitungen ständig einseitig „informiert“ werden.
Der aktuellste Fall ist der Abbruch der ungenehmigten Demonstrationen in Moskau und anderen russischen Städten, organisiert von dem „Putin Gegner“ Nawalny.
Was wissen wir schon von diesem Mann und seinen Anhängern? Gar nichts!
Und trotzdem regt sich unsere Presse seit drei Tagen auf, dass über 700 Demonstranten, darunter auch Nawalny selbst, festgenommen worden seien. 
Meine russische Freundin Lena erinnerte mich daran, dass die Polizei selbstverständlich und mit Recht eingreife, wenn in Deutschland eine angemeldete Demonstration von „Neonazis“ ihre genehmigte Route verlässt.
Warum darf die Polizei in einem ähnlichen Fall, wie geschehen, am 25. Jahrestag der Gründung der russischen Föderation nicht eingreifen? Soll sie die (vermutlich bezahlten) Demonstranten auf den Festplatz lassen, damit sie dort „Unruhe“ stiften, das heißt ein Chaos erzeugen? Hat die Regierung - oft als "Regime" diffamiert - nicht das Recht, hier einzugreifen?
Was sind das für Demonstranten, die für die Privat-Universität eines Ungarn-stämmigen US-Milliardärs in Budapest „kämpfen“, die von der ungarischen Regierung wegen staatsgefährdender Intentionen geschlossen werden soll? Ist es nicht das Recht einer demokratisch gewählten Regierung, Institute oder NGOs zu verbieten, die nachweislich staatsfeindliche Propaganda verbreiten?
Ich muss mich immer wieder wundern über unsere Informationspolitik. Immer werden eindeutig die Guten auf der einen Seite verortet und die Bösen auf der anderen Seite. Aber: die Wahrheit ist nicht schwarz-weiß, auch wenn das Volk (Demos) gerne einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte haben möchte.

Andererseits: die Wahrheit ist auch wieder ganz einfach: die Mehrheit muss auch in einer Demokratie nicht unbedingt recht haben. Im Gegenteil: gerade, wenn etwas mit Bestimmtheit und überall ständig von den „Meinungsmachern“ wiederholt wird, dann sollte man die wirklichen Hintergründe etwas gründlicher erforschen oder zumindest die „veröffentlichte Meinung“ nicht ungeprüft als Wahrheit übernehmen und einfach nachplappern.

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