Samstag, 17. Juni 2017

Ist die "Kohl-Ära" schon zu Ende? - Anmerkungen zum Tod des Altkanzlers Helmut Kohl am 16. Juni 2017

Der 17. Juni war früher deutscher National-Feiertag. Heute erinnert sich kaum noch einer daran, denn er wurde nach der „Wende“ ersetzt durch den 3. Oktober. Dass der sechste deutsche Bundeskanzler, der von 1982 bis 1998 sechzehn Jahre lang die „Ära Kohl“ geprägt hat und als „Kanzler der Einheit“ in die Geschichtsbücher eingehen wird, diesen 17. Juni nicht mehr erleben durfte, weil er just einen Tag vorher, also gestern, mit 87 Jahren gestorben ist, erscheint mir wie eine Ironie des Schicksals.
Ich konnte den Machtmenschen Helmut Kohl nie wirklich leiden. Er hat aus der Wiedervereinigung eine Vereinnahmung gemacht. Er ist dafür verantwortlich, dass viele Ostdeutsche auf die deutschen Politiker bis heute nicht gut zu sprechen sind und dass sich in der ehemaligen DDR PEGIDA, AfD und mancherorts auch die NPD ausbreiten konnten. Ich habe sogar ein gewisses Verständnis dafür, dass einige Ossis Merkel und Co. als „Volksverräter“ bezeichnen, nachdem die Parole der Montagsdemonstranten vor dem Mauerfall „Wir sind das Volk“ in die Parole „Wir sind ein Volk“ umgewandelt worden war.
Die Wiedervereinigung war nicht das Werk von Helmut Kohl, sondern von den friedlichen Montagsdemonstranten in Leipzig (Nikolaikirche) und andernorts. Und es ist vor allem das Werk von Michael Gorbatschow. Kohls Leistung war lediglich, dass er rechtzeitig die Chance ergriffen hat, auf den ins Rollen gekommenen Zug aufzuspringen. Angela Merkel sagt in ihrem Nachruf deshalb mit Recht: Er war ein „Glücksfall für die Deutschen“, wenn man Glück als kurzfristige Gunst des Augenblicks definiert. Das „Wohl“ des deutschen Volkes ist etwas anderes, etwas, für das sich unsere Politiker bei der Amtseinführung langfristig einzusetzen versprechen. Hat sich Helmut Kohl in den 16 Jahren seiner Regierungszeit wirklich für das „Wohl des deutschen Volkes“ eingesetzt? Ich bezweifle es.
Schon seine Erhebung zum Nachfolger des 1982 durch ein Misstrauensvotum gestürzten Kanzlers Helmut Schmied fußte auf einer Art Verrat. Die Mitglieder des kleineren Koalitionspartners der damaligen sozialliberalen Regierung entpuppten sich unter dem Vorsitz des ebenfalls kürzlich verstorbenen Hans-Dietrich Genscher als „Wendehälse“, lange bevor dieses Wort in die deutsche Sprache eingeführt wurde.
Wie die westdeutschen Politiker mit den ostdeutschen Politikern (Honecker, Krenz, Lothar de Maiziere, Eppelmann) und den ehemaligen DDR-Bürgern umgegangen sind, zeugt von einer maßlosen Überheblichkeit. Es gab dort zum Beispiel runde Tische und Menschen wie Rudolf Bahro, die eine alternative Gesellschaft in der DDR aufbauen wollten. Aber mit dem Instrument der DM wurden alle alternativen Entwürfe nach gängiger materialistisch-kapitalistischer Methode erstickt und die Ossis in den Westen gelockt.
Es heißt, die Cleveren waren sofort da, haben Arbeit gefunden, neue Autos gekauft und die Pornokultur, nach der sie dort alle angeblich so süchtig waren, in den Osten importiert. Nur die „Dummen“ seien geblieben und das sind heute die „Rechtspopulisten“ von PEGIDA und AfD.

Ich weine dem alten Herrn keine Träne nach. Er mag nun seine Worte und Taten vor dem höchsten Richter verantworten und sein Karma für das nächste Leben vorbereiten. Dass „Kohls Mädchen“ heute Bundeskanzlerin von Deutschland und – wie ich neulich las – die „mächtigste Frau der Welt“ ist, beeindruckt mich nicht. Die ehemalige Ostdeutsche macht im Prinzip dort weiter, wo Kohl 1989 begonnen hat. Dadurch verlängert sie die Kohl-Ära lediglich bis zum heutigen Tag.
Die reale Chance, die 1989 bestand, ist vertan und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wieder so eine Chance kommt, unsere Gesellschaft in friedlicher Weise zu verändern.
Wenn ich all die Nachrufe, von den Grünen (Cem Özdemir: „großer Europäer“) über die SPD (Sigmar Gabriel: „großer deutscher Politiker“, Martin Schulz: „großer Europäer und Staatsmann“) bis zu den Linken (Gregor Gysi: „Er wollte ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa“), in den Zeitungen lese, dann kann ich nur an die Redensart denken, die auch jetzt wieder zutrifft:

„Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, nach der Jagd und während der Beerdigung.“

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