Samstag, 9. November 2019

Woher die Liebe kommt - Gedanken zu einem erstaunlichen Buch über Reinkarnation und Karma



Schwäbisch Hall, der 08. November 2019 (Freitag, 5.39 Uhr)
Vorgestern fand ich das Buch „Seelenvermächtnis“ von Udo Wieczorek[1] in meinem Briefkasten. Ich hatte es gleich nach dem Vortrag von Wolfgang Gädeke beim Gmeiner-Verlag[2] bestellt. Es brauchte eine Woche, bis es im Konradweg ankam. Gestern habe ich begonnen, es zu lesen und bin nun bei Seite 126 in dem Kapitel „Die Träume sind keine Fantasie“. Die Ausgabe, die ich dabei in Händen hielt, war bereits die 6. Auflage und ist im Jahre 2018 erschienen, also hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.
Durch die spannende Erzählung des Autors, der seinen Träumen nachgeht und herausfindet, dass er bereits einmal gelebt hat, werden meine Gedanken zurückgeführt in den Ersten Weltkrieg, also in die Zeit, in der so viele Menschen sterben mussten, wie ich erst am vergangenen Dienstag wieder in der Arte-Dokumentation über die Schlacht um Verdun „erleben“ konnte. Diese vollkommen sinnlose Schlacht in einem monatelangen, zermürbenden Stellungskrieg zwischen französischen und deutschen Soldaten fand 1916 statt. Die Schlacht, die Udo Wieczorek schildert, fand bereits ein Jahr zuvor, im Jahr 1915 in Südtirol statt. Dabei kämpften italienische und österreichische Soldaten in den Dolomiten miteinander.
Innerhalb weniger Tage muss ich also zwei Schlachten innerlich miterleben, die noch zu Lebzeiten meiner Großeltern stattfanden. Was hat das zu bedeuten?
In der Dokumentation über Verdun werden unter anderem auch Briefe des Malers Franz Marc zitiert, der ja als junger Mann am 4. März 1916 vor Verdun fiel. Ausdrücklich wird dabei darauf hingewiesen, dass der „Erfinder“ der „Blauen Pferde“ ein Freund von Wassilij Kandinsky war. Auf der Spur dieser beiden bahnbrechenden Künstler war ich im Sommer 2015, also in dem Jahr, als das Buch von Udo Wieczorek unter dem Titel „Nachthall“ genau 100 Jahre nach den geschilderten Ereignissen zum ersten Mal im Gmeiner-Verlag veröffentlicht wurde und als ich zum ersten (und letzten) Mal auf dem Seminar zur Biografie-Arbeit mit Matthias Hesse im „Blauen Land“ weilte. Damals hatte ich Lena kurz zuvor kennen gelernt, nun aber eine innige Seelenverwandtschaft mit einer anderen Frau erlebt, die etwas älter war als ich: mit Annette S.. Wir haben zusammen das „Russische Haus“ in Murnau besucht und waren auch im Franz-Marc-Museum in Kochel.
Das ist aber nicht die einzige Übereinstimmung, die mir beim Lesen des Buches aufgefallen ist: Sowohl den Schauplatz der Schlacht um Verdun, als auch den Schauplatz der Schlacht in Südtirol kannte ich aus eigener Anschauung. Auf unserer Fahrt nach Santiago de Compostella machten wir im Sommer 1975 auch in Verdun halt und schauten uns die vollkommen zerstörte Landschaft und das Ossuarium von Douaumont an, in dem die Knochen der Gefallenen aufbewahrt wurden. Damals standen ein südafrikanischer Jude, eine katholische Französin und ein protestantischer Deutscher sprach- und wortlos vor dem monumentalen Denkmal, umgeben von unzähligen weißen Kreuzen. Wenige Jahre später entstand das berühmte Foto, mit dem auch die Dokumentation über die Schlacht einsetzt: Staatspräsident Francois Mitterand gibt am 22. September 1984 seinem Gast Helmut Kohl spontan die Hand[3]. Dieser Augenblick der Versöhnung zwischen den beiden Völkern war eine Geste, die sich ähnlich wie der spontane Kniefall Willy Brandts in Warschau, tief in mein Gedächtnis eingeschrieben hat.
Aber auch auf dem Schauplatz der Schlacht um Südtirol war ich, und zwar im Sommer 2011 mit meiner damaligen 8. Klasse während des 10-tägigen Schullandheim-Aufenthaltes im Arntal. Ich kann mich noch gut an den Gang über die Hochfläche des „Monte Piano“ erinnern, von dem aus wir einen fantastischen Blick auf die „Drei Zinnen“ hatten. Zwischen den beiden „Besuchen“ lagen also 36 Jahre und doch gehören sie mit ihren eindrucksvollen Kulissen zu zwei Schlüssel-Erlebnissen meines Lebens, auch wenn sie danach wieder im Unterbewusstsein versunken sind, überlagert von anderen schmerzlichen Erlebnissen wie zum Beispiel die Trennung von Andrea im Jahr 2013. Im Prolog des Buches „Seelenvermächtnis“ wird das Jahr 2013 als das „Jahr der Wahrheit“ bezeichnet. Auch für mich war es das.
Dieser Ausdruck berührt mich, denn in diesem Jahr hatte ich auch das Gefühl, dass es tatsächlich Wahrheit war, was ich spätestens seit 1992 als Reinkarnationserlebnis mit mir herumtrug: „Ich bin der wiedergeborene N.N.“.
In den spannenden Schilderungen von Udo Wieczorek geht es um nichts anderes: Er rekonstruiert anhand von Träumen und Deja-Vu-Erlebnissen bis in die Details ein früheres Leben. Das war bei mir ganz anders. Aber etwas, was Udo Wieczorek schildert, ist mir auch aus jener Zeit vertraut, insbesondere aus den Zeiten, als ich langsam „psychotisch“ wurde: alles, was ich erlebte, schien eindeutig von einer höheren Macht gelenkt zu werden.
Dieser „Automatismus“ war mir, als er im Oktober 1992 im Park von Schönbrunn zum ersten Mal bei mir auftrat und drei Tage anhielt, unheimlich. Ich habe ihn dann noch zwei weitere Male erlebt: in der Michaelizeit des Jahres 1997 und in der Michaelizeit des Jahres 2005. Ich war wie „fremdgesteuert“. Deswegen verstehe ich die Erlebnisse, die Udo Wieczorek am 22. Und 23. Juli 1994 in den Dolomiten hat, wohin ihn seine Ehefrau Daniela bei seiner ersten Reise begleitet, so gut.
Ohne Karte lässt sich der Ulmer, der in diesem Leben noch nie in Südtirol gewesen war, von einer Art „innerer Stimme“ führen und findet doch genau, was er sucht. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang die Schilderung vom 22. Juli 1994:[4] Im Kapitel „Gipfelzauber“ lese ich Sätze wie diese:
„Obwohl das Wetter traumhaft ist, stößt mich diese felsige Flanke mit ihren eingelagerten Schuttkarren mit einem Mal ab wie ein gegenpoliger Magnet. Weshalb aber habe ich diese Tour dann vorgeschlagen? Warum war sie mir gestern noch so wichtig gewesen? Habe ich Angst vor einer neuerlichen Begegnung mit der Vergangenheit? Ich horche in mich hinein, will dem unbestimmbaren Gefühl folgen. Aber ich verliere die Spur, tappe im Dunkeln an diesem strahlenden Morgen.
Die (Rotwand-) Bahn hat uns ins Grün einer atemberaubenden Bergkulisse ausgespuckt. Ich denke an das immerwährende Erlebnis, wenn ich in meinen Träumen plötzlich hier bin, auf dieser Hochebene, die hinter den stolzen Lärchen liegt. Ebenso ausgeworfen; nur in eine andere Zeit. Dann warte ich auf die übliche Rückblende…“ (S 105)
„In den direkt am Grat verlaufenden Wegpassagen gehe ich unterbewusst schneller. Und als Daniela an einem dieser herrlichen Aussichtspunkte anhält, um ein Foto zu machen, stellen sich mir unweigerlich die Nackenhaare auf. Mir ist klar, dass ich instinktiv einem tiefsitzenden Verhaltensmuster folge. Einem Habitus, der einst überlebenswichtig war; den ich nicht ausschalten kann. Nicht hier an diesem Berg. Ich würde Daniela am liebsten hinter die schützenden Felsen ziehen, obwohl ich weiß, wie idiotisch das wäre. Meine innere Stimme ist laut geworden. Ich kann sie nicht überhören. Sie sagt: Lauf endlich weiter! Ich höre Projektile pfeifen; höre sie dumpf in den mageren Boden schlagen. Ich sehe hinauf zum Gipfel, nehme die enorme Distanz wahr und flehe mich bis zum nächsten Postenstand. Stück für Stück hinauf. Meter für Meter am Leben bleiben und dem Herrn dafür danken. Wie ein ewiger Kreuzweg, der kein Ende nehmen will. Für Kaiser, Gott und…“ (S 106f)
„Der Krieg ist selbst nach 80 Jahren noch allgegenwärtig. Zumindest für denjenigen, der die Spuren der Geschichte lesen kann. Für mich ist es keine Frage des Wollens. Ich kann mich seiner knöchernen Präsenz nicht entziehen, weil ich ihn fühle; weil er in mir steckt. Tief vergraben unter einem Berg von Erinnerungen, die nie meine eigenen hätten sein dürfen.“ (S 107)
„Je weiter wir dem Gipfel entgegen steigen, desto unbehaglicher wird mir zumute. Das Gefühl, welches in mir wächst, will mich zerreißen. Wie automatisch vergleiche ich es mit jenen Eindrücken vor ein paar Tagen in dieser Schlucht im Innerfeldtal. Aber es ist anders, intensiver – mächtiger. Habe ich Angst?
Ja. Diesmal habe ich Angst. Vor was auch immer. Und dennoch gehe ich weiter, flüchte hinauf, in die falsche Richtung, wie mir mein Unterbewusstsein souffliert; mitten durch den Hagel dieser unscharfen Bilder, die aus den Tagen stammen, in denen die Berge bluteten.“ (S 108)
„Ich sehe auf das modrige Holz der Unterstände, erkenne zwischen den Balken und Brettern Keramikscherben, Dachpappe, Blechreste und ein Brillengestell. Es ist glaslos, leer. (…) Ich schließe die Augen, will nicht mehr sehen, was sich hinter den Fragmenten verbirgt. Aber das Bild bleibt, schonungslos. Ebenso wie dieses gedankliche Paradoxon, nicht zu wissen, was es hier für mich zu tun gibt, und gleichzeitig sicher zu sein, dass ich hier genau richtig bin.“ (S 108)
„Es ist mein anfangs leerer Blick ins Tal, auf die Häuser des Ortsteils Moos, der mir eine eigenartige Sicherheit verschafft. Die Aussicht ist nahezu identisch mit jener vom Gipfel im Traum. Es war zweifellos die Rotwand, auf die ich einst mit Josele geklettert war. Und eben in einem der letzten Häuser, der Ortschaft, die ich damals schon so stark wahrgenommen hatte, liegt unser Quartier und der alte Stadel mit der geschnitzten Rose. Ohne irgendeine Absicht wandere ich auf meinen alten Spuren. Wer aber führt mich?“ (S 109)
Ich mag die Sprache dieser Schilderungen. Sie ist so konkret und so präzis. Und doch gibt die ganze Schilderung gleichzeitig den Blick frei auf eine darunter liegende geistige Ebene. Wenn Udo Wieczorek sagt „Ich schließe die Augen“, nachdem er eine glaslose Brille auf dem Feld entdeckt hat, dann muss ich sofort an das griechische Wort für diese Augenbewegung denken: myein. Von diesem Wort stammen die Wörter „Myste“, „Mystik“ und „Mysterium“.
Die geistige, oder sagen wir: mystische Ebene kommt in den verschiedensten Formulierungen zum Ausdruck: Schon die Überschrift spricht von einem „Zauber“. „Ich horche in mich hinein“, „ich will dem unbestimmten Gefühl folgen“ sind nicht die einzigen Sätze, die auf diese Ebene hinweisen. Es gibt noch viele weitere, die ich hier nicht wiederholen möchte.
Bemerkenswert sind auch die Assoziationen „ewige(r) Kreuzweg“, und  „blutende Berge“. Mein inneres Ohr hört da natürlich sofort das heraus, was hinter dem ganzen Geschehen des ersten Weltkrieges steht: der Gang der Soldaten, die damals wie Franz Marc ihr Leben für einen sinnlosen Kampf der Völker opferten, entspricht menschheitlich dem Opfer-Gang Christi nach Golgatha. Die geschnitzte Rose im Stadel dagegen nimmt das Motiv der „Auferstehung“ vorweg. Diese Rose war das Erkennungszeichen. Im vorangegangenen Kapitel „Ein unscheinbares Ornament“ (18. Juli 1994, 19.30 Uhr) hatte Udo Wieczorek berichtet. Er spielt im Ortsteil Moos:
„Ich halte mit einem Mal an, sehe, wie Daniela weitergeht. Dann fällt plötzlich wieder dieser Vorhang in mir. Daniela ist wie ausradiert aus dem schwarz-weißen Bild.
Ich sehe ein altes Geländer, eine unbefestigte Straße, Giebel und Fassaden, die nicht mehr existieren. Und das Mädchen mit den Zöpfen. Diesmal sind ihre Haare nach hinten geflochten. Ich sehe sie zum ersten Mal aus der Distanz, wie sie vor einer verwitterten Holzwand eines Stadels lehnt. Sie trägt einen langen Rock und eine Bluse, die an den Ärmeln eng gefasst ist. Um den spitzenbesetzten Kragen hängt eine Kette mit einem ovalen Anhänger. Ihr Lächeln ist nicht das eines Mädchens. Es ist das einer jungen Frau – und es ist warm und einnehmend. Dann wird es wieder farbig in meiner Welt. Der Rückblick ist vorüber, wirft mich wieder in das Jetzt zurück.
Ich starre auf den Stadel. Er ist das einzige Element, das es sowohl im Davor als auch im Jetzt gibt. Verwittert, gezeichnet, aber existent. Mein Geist hat sich festgefressen – wieder einmal. Auf einer ganz bestimmten Stelle. Es ist dasselbe Schnitzwerk, das auch in den Träumen vorkam.
Daniela steht zehn Meter entfernt von mir, hebt fragend die Arme.
Ich will nicht rufen, zeige nur verhalten auf die alte Bretterwand und das kleine Ornament auf ihr. Daniela kommt zurück, nimmt mich fest an der Hand, als wolle sie mich im Diesseits halten. Spricht sie mit mir?
‚Eine eingeschnitzte Rose. Sie ist … wunderschön.‘ Ihre Stimme zittert unmerklich, als sie fragt:
‚Wer hat sie wohl dort …‘
‚Ich!‘ bricht es rau aus mir hervor. ‚Für sie.‘“ (S 100)
Und an dieser Stelle kommen mir nun meine eigenen „Erlebnisse“ aus dem Jahre 1986 wieder ins Gedächtnis. Ich hatte gerade den Film „Opfer“ von Andrej Tarkowski gesehen. Da fand ich auf einem Komposthaufen ein vertrocknetes Rosenstöckchen. Ich nahm es mit und begann, es jeden Tag um die gleiche Zeit zu gießen, so wie es Alexander (Erland Josephson) im Film mit dem Baum am Strand machte. Ich war überzeugt, dass ich das tote Holz damit eines Tages wieder zum Leben erwecken konnte. Aber es gelang nicht.
Immerhin war ich danach durchdrungen von dem Gefühl, Christian Rosenkreuz oder der Graf von Saint Germain wirkten durch mich hindurch und veranlassten mich, durch Paris zu gehen, ja sogar trotz meines Schwindelgefühls bis hinauf ins höchste Stockwerk des Eifelturms zu fahren, um die Stadt und ihre Achsen zu „segnen“.
Soll ich diese „verrückten“ Dinge überhaupt ernst nehmen? Haben sie mich nicht, wie ein Kollege später sagte, ins „mystische Delirium“ geleitet?
Die nüchternen Schilderungen der Erlebnisse, die ich gestern im Buch von Udo Wieczorek las, erinnern mich an meine eigenen damaligen Erlebnisse und vieles steigt wieder in mir hoch.
Dass ich nun offenbar einen neuen Zugang zu karmischen Erlebnissen habe, von denen Rudolf Steiner vorausgesagt hat, dass sie ab dem 20. Jahrhundert vermehrt auftreten würden, verdanke ich auch Daniele, die mich am 31. August in gewisser Weise „ernüchtert“ hat. Das Buch von Udo Wieczorek, das ich nun (8.55 Uhr)[5] weiterlesen werde, hilft mir dabei.
15.11 Uhr:
Nun habe ich den Teil des Buches, den Udo Wieczorek verfasst hat, ausgelesen und bin nun beim Teil, den der Journalist und Krimi-Autor Manfred Bomm geschrieben hat, also ab Seite 255.
Leider kann ich jetzt nicht weiterlesen, da ich mich jetzt auf meinen Unterricht mit den russischen Frauen vorbereiten muss, der um 17.00 Uhr beginnt.
Ich möchte nur noch den Gedanken erwähnen, der in mir während oder besser unmittelbar am Ende der Lektüre auftauchte. Es ist eigentlich weniger ein Gedanke, als vielmehr eine Frage. Sie lautet so: „Könnte es sein, dass sich die Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg nun wieder inkarniert haben und sich – wie Udo Wieczorek – an ihre früheren Leben erinnern?“
Mit dieser Vermutung endet der Ulmer in der Tat seine eigene Niederschrift, wenn er schreibt:
„Vielleicht gibt es mehr Menschen da draußen, denen Ähnliches widerfahren ist, als mich meine Vernunft glauben macht. Wenn es sie gibt, dann sind diese Zeilen ihnen gewidmet. In diesem Buch soll der Trost liegen, nicht allein zu sein. In ihm sollen die Zuversicht und der Mut liegen, dem zu folgen, was tief in unserer Seele wohnt.“ (S253)
Als ich gerade nach Lena schaute, mit der ich jetzt Tee trinken und den Unterricht vorbereiten möchte, sah ich auf der Treppe ein Päckchen liegen. Wie erstaunt war ich, als ich den Absender las: Hans-Jürgen Schleicher. Er hat mir zwei Veröffentlichungen aus seiner Feder geschickt: „Einträge Erkenntnisse, gemischt“ und „Undine. Eine Novelle“
Schwäbisch Hall, der 09. November 2019 (Samstag, 6.09 Uhr)
Es kommt selten vor, dass ich ein Buch von 370 Seiten innerhalb von zwei Tagen aus-, also wirklich bis zur letzten Seite lese. Bei dem Buch „Seelenvermächtnis“ von Udo Wieczorek und Manfred Bomm war es so. Ich habe es gestern noch zu Ende gelesen.
Das Buch ist wirklich eine Art Vermächtnis.
Auch wenn der Autor offenbar nichts von Anthroposophie weiß, so bestätigt er doch – wie bereits erwähnt – die Voraussagen Rudolf Steiners aus dem Jahre 1910, dass es ab dem Jahr 1933 immer mehr Menschen geben wird, in denen ein natürliches Hellsehen erwacht und die zurückschauen können in ein früheres Erdenleben, insbesondere dann, wenn sie Schuld auf sich geladen haben.
In dem Buch „Seelenvermächtnis“ wird nur einmal das Wort „Karma“ (von Udo Wieczorek) und einmal das Wort „Reinkarnation“ (von Manfred Bomm) erwähnt. Beide Begriffe fallen erst relativ spät. Es kommt den Autoren offenbar nicht auf Wörter an; was sie beschreiben, ist jedoch genau das: die Tatsache von Reinkarnation und Karma anhand eines mitteleuropäischen Schicksals. Alles erscheint vollkommen stimmig. Auch deshalb liest sich das Buch wie ein Krimi und ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen.
Die Geschichte des jungen Soldaten Vinzente Rossi aus San Nicolo di Centa bei Trient, der am 17. August 1915 am Monte Piano seinen schweren Verwundungen erlegen ist, wird nach und nach rekonstruiert. Es ist das Besondere dabei, dass der Autor Udo Wieczorek immer wieder bestimmte Träume hatte, die sich auf Orte und Menschen bezogen, die er in diesem Leben nie gesehen hatte.
Ab 1994 begann er dann, mit seiner damaligen Freundin und späteren Frau Daniela, in Südtirol auf Spurensuche zu gehen. Dabei halfen ihm sogenannte „Rückblenden“: Er wusste immer – auch ohne Karte und Wegweiser – genau, wohin er zu gehen hatte, um an die Stellen zu gelangen, wo Vincente einst gekämpft hatte. Das Erstaunlichste dabei ist, dass Udo Wieczorek am 13. August 1997 im Mauerwerk eines halbverfallenen Unterstandes beim Seikofel an der Rotwand einen Brief von Vinzente findet, den dieser am 13. August 1915 geschrieben hatte, und am 14. August einen weiteren, den sein Freund „Josele“ im Wurzelwerk einer dreistämmigen Tanne versteckt hatte. Diese zwei erstaunlichen Dokumente warteten offenbar in ihren Verstecken so lange, bis sie Udo und Daniela beinahe auf den Tag genau 82 Jahre später fanden. Sie sind für den Autor und seine Leser schließlich der endgültige Beweis dafür, dass in Udo Wieczorek die Seele von Vinzente Rossi wiederverkörpert war.
Erstaunlich ist, mit welcher „schlafwandlerischen“ Sicherheit das „Schicksal“ Udo und Daniela an die Orte führte, an denen der Autor in seinem früheren Leben aufgewachsen , verwundet und gestorben war.
In dem Buch wird nicht spekuliert. Alles ist stimmig und geistig folgerichtig, auch wenn es der rationale Verstand nicht erklären kann.
Udo Wieczorek gibt wenig von seinem Privatleben preis. Er hat offenbar nicht das geringste Geltungsbedürfnis. Er schildert nur sachlich seine inneren und äußeren Erlebnisse und wie er sie zunächst zu einem Roman verarbeitete, den er im Selbstverlag veröffentlicht hat, und dann 2015 mit Hilfe des erfahrenen Krimiautors Manfred Bomm, der seinen Kommissar Häberle inzwischen (2019) schon zum zwanzigsten Mal im Raum Ulm – Stuttgart auf „Verbrecherjagd“ geschickt hat, in einem kleinen Verlag in erweiterter Fassung noch einmal herausgebracht hat.
Ich empfinde es als angenehm, dass der Autor keinen Neurologen oder Psychologen zur Beratung herangezogen hat, obwohl er immer wieder schweißgebadet aus seinen Träumen erwachte und auch ansonsten bisweilen mitten am Tag bei seinen intensiven „Schauungen“ das Bewusstsein verlor.
Udo Wieczorek hat am 2. November 1993 auch ein Nahtodeserlebnis gehabt, das er in dem Buch (S 59ff) schildert. Er ist am 25. Oktober 1993 nach einem Waldlauf mit einem Blinddarmdurchbruch in die Klinik Seefeld am Ammersee[6] eingeliefert worden und musste dort nach der zweiten Operation reanimiert werden.
Udo hat aber nicht nur seinen Tod in diesem Leben erlebt, sondern auch seinen Tod im vorherigen Leben als „Vinz“. Jedes Mal hatte er dabei die klassischen Erlebnisse, die mir durch George Ritchie („Rückkehr von morgen“) vertraut sind: deutliche Bilder von Erlebnissen außerhalb des Leibes, das Gleiten in einen tunnelähnlichen Lichtraum, das Schauen der Gesichter verstorbener Angehöriger und schließlich das Erleben jenes Gesichtes, das die Seele mit seinem milden Lächeln empfängt und ihr den Frieden bereitet, den sie gesucht hat.
Darum geht es Udo Wieczorek vor allem: der Seele seines Freundes „Josele“, den er als junger Soldat im Krieg „versehentlich“ getötet hat, weil er ihn für einen Feind hielt, und seiner eigenen endlich den Frieden zu schenken, den die beiden Seelen durch die Schuld, die sie im vergangenen Leben auf sich geladen hatten, nicht finden konnten. Das ist auch das Motiv für die Veröffentlichung der Geschichte, nicht irgendeine „Sensationslust“, und das macht das Buch auch ehrlich und authentisch, obwohl es schier Unglaubliches erzählt. Da ist zum Beispiel die Geschichte von dem alten Mann zu erwähnen, der zweimal wie eine Art Schicksalsführer in das Leben von Udo und Daniela tritt. Dieser „alte Mann“, der wie aus dem Nichts gekommen war und wieder im Nichts verschwand, war der Anlass, dass Wolfgang Gädeke in seinem Vortrag vom 29. Oktober das Buch überhaupt erwähnte, woraufhin mein Interesse erwacht war.
Etwas hat mich an diesem Abend also angesprochen, das ich noch nicht erklären kann.
Bei der Lektüre fielen mir einige Ereignisse auf, die einen inneren Bezug zu meinem eigenen Schicksal haben, obwohl ich nie solche intensiven Träume wie Udo Wieczorek hatte und auch nicht über das „Zweite Gesicht“ verfüge. Meine geistigen Erlebnisse sind viel ruhiger und unspektakulärer. Obwohl ich es vorhatte, so könnte ich sie bisher auch nicht in einem Buch verarbeiten, das auf Interesse stoßen würde. Sie sind zu intim mit meinem Leben und den Menschen, die mir nahe stehen, verbunden.
Udo Wieczorek spekuliert nicht, sondern beschreibt lediglich, was er erlebt.
Als Leser aber erwarte ich unterbewusst, dass ich auch etwas über die anderen Menschen erfahre, die wie Daniela Wieczorek und Manfred Bomm mit ihm karmisch verbunden sind. Beide sind ab 1995 (Daniela) beziehungsweise ab 2013 (Manfred) in seine Geschichte verwoben, indem sie gemeinsam an die Orte des Geschehens in Südtirol reisen und Nachforschungen anstellen.
Es drängt sich mir beim Lesen unmittelbar die Ahnung auf, dass Manfred identisch sein könnte mit „Josele“ und Daniela mit Marie, dem Mädchen mit den Zöpfen, in das sowohl Josele als auch Vinzente einst verliebt waren. Dieses Mädchen, dem Vinzente, der Tischler von Beruf war, eine Rose in die Holzwand eines Stadels in der Ortschaft Moos bei Sexten im Pustatal geschnitzt hatte, die von Udo und Daniela 82 Jahre später wiedergefunden wird, trägt in einem Traum Udos  den Namen Marie oder Magdalena. Er nennt sie an einer Stelle einfach „Lena“ (S 274f).
Auch ein Lokalhistoriker mit Namen Rudolf Holzer kommt in dem Buch am Ende vor, der, neben dem Franziskanermönch  Siegfried Volgger, entscheidend dazu beiträgt, dass die beiden „Forscher“ im Jahr 2013 die Personen aus Udos Träumen als tatsächliche Menschen, die am Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt hatten und gestorben waren, identifizieren können.
Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich Rudolf Holzer bei unserem Aufenthalt in Südtirol selbst erleben dürfen, als er uns einen Vortrag über die Geschichte der Gegend hielt. Ich muss es durch meinen Aufzeichnungen aus jenem Jahr noch verifizieren; aber ich bin fast sicher.
9.18 Uhr:
Der Brief, den mir Hans-Jürgen in Begleitung der Büchersendung geschrieben hat, ist auf den 7. November datiert, also auf den Tag, an dem ich begonnen habe, das Buch „Seelenvermächtnis“ zu lesen.
Warum erwähne ich das?
Sowohl Udo Wieczorek, der als Finanzbeamter arbeitet und nebenher schreibt, als auch Hans-Jürgen, unser Trauzeuge, stammen aus der Stadt Ulm. Hans-Jürgen war dort Waldorfschüler und hat, wie ich weiß, wichtige Impulse von seinem Kunstgeschichtslehrer Gottfried Richter bekommen, von dem ich zwei Bücher („Ideen zur Kunstgeschichte“ und „Romanisches Burgund“) besitze. Ob die Familie Schleicher, die mit der Ulmer Firma „Oscorna“ verbunden ist, und die Familie von Udo Wieczorek sich kennen, weiß ich nicht. Aber zumindest das Aufwachsen in der Donaustadt ist ein gemeinsames Schicksal.
Wie erstaunt war ich, als ich gestern das erste Kapitel – eine Art Prolog – von Hans-Jürgens Novelle „Udine“ las. Es beginnt so:
„In letzter Zeit hatte er angefangen sich mit seinen Träumen zu beschäftigen. Im Grunde nichts Ungewöhnliches: Viele seiner Bekannten, und hierbei vor allem Frauen, erzählten von ihren Ausflügen in diese irrationale Bilderzone. Oft mit einem merkwürdigen Unterton: Als ob sie ein Mysterium verraten würden.
Der Anlass dafür war ein mehrmals wiederkehrender Traum, der ihn nicht wieder losließ. Genauer: die Bruchstücke ein- und desselben Traumes.“



[2] In diesem Verlag veröffentlicht auch meine Bekannte Wildis Streng ihre genialen Hohenlohe-Krimis.
[4] An diesem Tag wurde Lena 26 Jahre alt. Es war ihr erster Geburtstag in Deutschland. Sie wohnte mit Jakob E. und ihren Schwiegereltern  in Rechenberg; sie haben aber den Geburtstag nicht groß gefeiert. Lena war mit ihrem ersten Sohn schwanger. 
[5] Ich hatte meinen Tagebucheintrag um 6.50 unterbrochen, um mit Lena zu frühstücken und sie dann nach Rosengarten-Uttenhofen zur Arbeit  zu bringen. Hieß die Gegend in den Dolomiten, die Gegenstand der im Buch geschilderten Ereignisse ist, nicht auch „Rosengarten“?
[6] Also dort, wo ich mit Lena zweimal bei Charlotte und Jaki zu Besuch war.

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