Freitag, 21. Februar 2020

Versuch, die Schreckenstat von Hanau zu verstehen

A screengrab showing gunman Tobias Rathjen.

Seitdem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der wir schon die „alternativlose“ Bankenrettung verdanken und die kürzlich die demokratisch unvereinbare Ministerpräsidentenwahl von Thüringen als „unverzeihlich“ rückgängig machen ließ, im September 2015 veranlasste, dass über eine Million Flüchtlinge aus den von Amerika bombardierten „Schurkenstaaten“ illegal nach Deutschland einreisen durften, indem sie optimistisch meinte, „wir schaffen das“, gibt es in unserer „demokratischen“ Republik immer mehr Menschen, die mit ihrer Politik nicht (mehr) einverstanden sind und zum Beispiel eine „Alternative für Deutschland“ wollen.
Diese Leute werden seit Chemnitz systematisch als Rechtsextreme klassifiziert, ohne dass irgendjemand einmal eine klare Definition dieses Begriffes gibt. Es reicht, „Nazi“ zu rufen, und schon wissen alle, was gemein(t) ist. Man wehrt sich gegen die „braune Flut“ und fühlt sich auf der richtigen Seite. Inzwischen wurden von den Medien zwei weitere Schlagwörter ins kollektive Bewusstsein gehämmert, die den Begriff „rechtsextrem“ scheinbar genauer umschreiben: „Antisemitismus“ und „Rassismus“. So einfach ist das Weltbild der „guten Demokraten“ gestrickt, die unsere Bundesrepublik verteidigen. Presse und Politiker zeigen sie beim Demonstrieren „gegen rechts“ und beim Reden gegen das „Gift“ des rechten Hasses.
Früher hat man einmal von „Wutbürgern“ gesprochen. Inzwischen ist aus der Wut „Hass“ geworden, und die Tatsachen scheinen diesen „Anständigen“ (Lars Klingbeil, SPD) recht zu geben: Seit Halle und Hanau steht fest: der „Feind“ steht rechts und er ist antisemitisch und rassistisch. Wehe, man sucht den Feind wo anders. Dann ist man ein wirrer Verschwörungstheoretiker. Schon wenn man von der allgemein geduldeten Meinung abweicht, ist man ein „Brandstifter“ und mitverantwortlich, wenn in Deutschland in Kürze die Nazis die Macht übernehmen.
Die Tatsachen gehen im Mediengewitter unter und werden systematisch ausgeblendet: sowohl der Einzeltäter in Halle, als auch der Einzeltäter in Hanau waren arme, psychisch kranke Menschen, die unter der unerträglichen Diskriminierung litten, die ihr unbeholfenes „Denken“ als „rechts“ stigmatisierte. Sie konnten mit niemand darüber sprechen, ihr „falsches“ Denken staute sich in ihren Seelen auf, bis  es sich durch einen Gewaltakt Luft verschaffte. In ihrem tieferen Bewusstsein richtete es sich gegen zwei Gruppen von Menschen, die sich in ihren wirren Gedanken als die Hauptschuldigen an der Misere, in die ihre Heimat seit 2015 geraten war, herauszukristallisieren schienen: gegen Juden und Moslems.
Tragisch ist dabei, dass sie für ihre Gewaltakte ausgerechnet zwei Städte auswählten, die bisher mit ganz anderen Geistern deutscher Kultur verbunden waren: Halle mit dem Pietismus des August Hermann Francke, Hanau mit den Gebrüdern Grimm.

Nun habe ich die heutige Ausgabe der Bildzeitung gelesen, die ich ja nun seit ein paar Wochen regelmäßig bekomme und tatsächlich auch lese – was für mich eine ganz neue Erfahrung ist, denn auch ich hatte bisher die üblichen Vorurteile gegen dieses „rechte Hetzblatt“ – und etwas mehr über den Täter von Hanau erfahren: Er hatte drei Tage vor seiner Gewalttat, die sich hauptsächlich gegen Türken richtete, am 17. Februar, seinen 43. Geburtstag. Er wohnte im ausgebauten Kellerzimmer seiner Eltern in einem Viertel in Hanau-Kesselstadt. Sein Vater (73) war Betriebswirt und hat noch im Jahr 2011 als Ortsrat für Bündnis 90/die Grünen kandidiert. Seine Mutter (72), die Tobias Rathjen kurz vor seinem finalen Suizid mit in den Tod riss, war Hausfrau. Tobias hat Abitur gemacht, danach eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und schließlich noch ein BWL-Studium abgeschlossen, um dann als gutbezahlter Banker in einer bayerischen Versicherungsgesellschaft zu arbeiten. Auch Fußball spielte er regelmäßig, saß also nicht in seiner Freizeit nur vor dem Computer wie die „klassischen“ Amokläufer.
Vor zwei Jahren trennte er sich im Streit von seinem Arbeitgeber.
Freunde beschreiben ihn als sehr selbstbewusst und als „einen harten Hund“, der auch schon drei Tage nach einer Operation schon wieder arbeitete. Er hielt sich selbst für überdurchschnittlich intelligent, ja für ein Genie. Und hier beginnen seine Wahnvorstellungen. Er glaubte, seine genialen Ideen würden von einer Geheimorganisation, die die Welt beherrscht, angezapft und zum Beispiel in Hollywood-Filmserien umgesetzt.
Tobias war ein regelmäßiger Filmseher und fühlte sich seit seiner Geburt als überwacht.
Mit dieser schizophrenen Wahnidee und einer Seele, die von einer Sekunde auf die andere von „lieb“ auf „aggressiv“ wechseln konnte, wie es Freunde beschreiben, gelangte er immer mehr zu seinen extremen Ansichten, die er in einem 24-seitigen wirren Manifest, das er kurz vor der Tat ins Internet stellte, formulierte. Diese Ansichten sind so abartig, dass man nicht behaupten kann, dass sie aus einem intelligenten Kopf geboren wurden, sondern sie können nur aus einem kranken Gehirn stammen. Aber was ist ein „krankes Gehirn“?
Tobias Rathjen weist in seinem Manifest selbst indirekt auf ein besonderes Ereignis hin, wenn er schreibt: „Mein Leben lässt sich in zwei Abschnitte gliedern. Einmal in die Zeit, in der ich hin und wieder gelegentlich daran dachte, ob es sein könnte, dass ich überwacht werde und in die Zeit, ab der ich die volle Gewissheit darüber gewonnen habe, dass dem so ist.“
Vielleicht fiel dieser Zeitpunkt in das Jahr 2018, als er seine Arbeit verlor. Irgendetwas ist damals mit Tobias Rathjen passiert. Ich vermute, dass der „fremde Geist“, der ihm seit Jahren wie eine zweite Person zur Seite stand, vollends die Macht über ihn übernommen hat.
Aber das ist bisher reine Spekulation, für mich aber durchaus eine mögliche Erklärung für die schreckliche Tat.


Eben fällt mir ein, dass ich zwar mein Mitgefühl gegenüber dem Täter, jedoch nicht mein Mitgefühl gegenüber den Opfern ausgedrückt habe. Auch wenn ich mit jedem gewaltsam aus dem Leben Gerissenen mitleide, egal ob es im Frieden oder im Krieg Ermordete sind, so will ich dennoch ausdrücklich auch mit tiefer Trauer der Opfer gedenken, die am Mittwochabend zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Beurteilen kann ich es nicht, denn ich kann nicht in das Schicksalsgeschehen hineinschauen, das in diesen so unvermittelt aus dem Leben gerissenen Menschen waltete. Ich weiß nur, dass es unter dem Aspekt „sub specie aeternitate“, also unter dem Aspekt einer geistigen Sichtweise, keine sinnlosen Zufälle gibt. Alles, was uns hier auf Erden als „zufällig“ erscheint, hat irgendwo einen tieferen Sinn. Zumindest glaube ich daran, auch wenn ich genauso erschüttert bin durch die Tat eines irregeleiteten Einzelnen, der mit einer mörderischen Waffe in der Hand für elf Menschen Schicksal „gespielt“ hat, darunter für seine eigene Mutter. Diese Taten werden ihn nach dem Tod verfolgen und dort wird er weinen ohne Ende, vielleicht sogar brennen.
Die Opfer aber möchte ich genauso ins Jenseits begleiten, zumal sie genau aus den Ländern stammen, aus denen auch viele Teilnehmer meiner Sprachkurse kommen: zwei aus der Türkei, je eines aus Bulgarien und aus Rumänien, eines aus Bosnien-Herzegowina und eines aus Afghanistan. Drei der Opfer hatten eine deutsche Staatsangehörigkeit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen