Montag, 24. Februar 2020

Weltschmerz




Nun war ich also mit Hamid aus meinem Kurs, dem vor drei Jahren in der Uni-Klinik Würzburg ein bösartiger Tumor aus dem Gehirn operiert worden war, und der sich seitdem nicht mehr so gut konzentrieren kann und vieles vergisst, in Würzburg. Wir brauchten etwa eine Stunde Zeit für die Fahrt. Um 8.00 Uhr parkte ich das Auto vor der Klinik, um 8.30 Uhr musste er ins MRT; anschließend musste er mit seinem Arzt sprechen. Um 11.00 Uhr war er fertig.
Ich wartete geduldig und las in verschiedenen ausgelegten Zeitschriften, unter anderen in einer Ausgabe der Mode-Zeitschrift „Elle“ vom November 2017. Thema dieses Heftes war die Farbe „blau“. Ein Artikel hat meine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen. Er ist überschrieben: „Ach, Welt...“ und handelt vom „Weltschmerz“. Die Autorin oder der Autor sagt, dass dieses Wort, das als typisch deutsche Seelenstimmung sogar in andere Sprachen übernommen wurde[1] zum ersten Mal von dem Dichter Jean Paul benutzt wurde. Ein moderneres Wort für diese Stimmung kommt aus dem Englischen zurück: der „Blues“.
„Der Blues ist nicht bleiern wie die Depression, nicht schmerzhaft wie die Trauer. Man kann in diese Tristesse royale lustvoll abtauchen wie in ein warmes Bad. Aber wehe, man schaut durch diese mitternachtsblau getönte Brille und der Blick fällt auf eine Gruppe aufgekratzter Menschen, die sich für das siebte Selfie in Pose werfen. Schon fühlt man sich wie ein Alien. Denn das Glück ist in unserer spaßverliebten Gesellschaft die Leitkultur du jour. Wer nicht gut drauf ist, dem droht der soziale Tod.“
Weil ich noch Zeit hatte, bis ich um 15.00 Uhr für meine Nachhilfeschüler zurück in Crailsheim sein musste, schlug ich Hamid, der wegen der durch die OP verursachten Konzentrationsschwierigkeiten immer wieder in Depressionen versinkt und weint, weil er seiner Frau kein „richtiger Mann“ und seinem 11-jährigen Sohn, der sich so sehr ein Schwesterchen wünscht, kein „richtiger Vater“ sein kann, vor, ein wenig durch Würzburg zu laufen. Ich nahm ihn mit in die Hofkirche der Residenz, nachdem uns ein Blick auf Tiepolos berühmtes Fresko im Treppenhaus verwehrt worden war, um ihm den barocken Glanz der Marmorsäulen, der weißen Statuen und der Fresken zu zeigen. Er wollte als tief gläubiger Muslim die Kirche, die hier eigentlich mehr ein Museum ist, gar nicht betreten. Ich musste ihn geradezu dazu „überreden“. Ich verstand, dass es ihm unangenehm war, und führte ihn deshalb anschließend nicht durch den Würzburger Dom, sondern an ihm vorbei bis zur Mainbrücke mit ihren Heiligen- und Fürstenstatuen aus grauem Sandstein.
Hamid erklärte mir, dass er sich früher, als er noch in einer kleinen Stadt bei Skopie gewohnt hat, Kultursendungen gerne im Fernsehen angeschaut hat. An diesem Rosenmontag aber schien er kein sonderliches Interesse an europäischer Kultur zu haben, vielleicht, weil er ganz andere Sorgen hatte. Er folgte mir eher wie ein Diener, der seinem Herrn einen Gefallen tun will. Ich spürte nicht die geringste Begeisterung.
Natürlich fragte ich mich bei diesem kurzen Ausflug in die barocke Residenzstadt, wie weit die Integration unserer muslimischen Mitbürger überhaupt gehen kann. Ich hatte zum wiederholten Mal erlebt, dass die meisten Menschen vom Balkan oder den arabischen Ländern wenig Sinn für europäische Kultur haben: das Essen gefällt ihnen nicht, von deutscher Literatur wissen sie nichts, von deutscher Geschichte kennen sie gerade den Namen Hitler.
Das wurde mir besonders bewusst, als ich 2016 mit meinem ersten Kurs, in dem ich vorwiegend akademisch gebildete Syrer, Iraker und Iraner unterrichten durfte, zu einer „Wilhelm-Busch-Ausstellung“ nach Schwäbisch Hall fuhr, nachdem wir schon im Kurs die ersten Zeilen dieser „Lausbubengeschichte“ rezitiert hatten. Die Kursteilnehmer waren also vorbereitet. Dennoch spürte ich bei den wenigsten einen echten Zugang. Bei einer recht strenggläubigen Muslimin, die selber Lehrerin war und drei Kinder hat, erlebte ich sogar offene Ablehnung. Sie meinte, dass man solch ein Buch mit Kindern nicht lesen dürfe.
Ich bin – offen gesagt – kein großer Freund der Religion des Islam, auch wenn ich ihn selbstverständlich toleriere wie jede andere ehrliche religiöse Überzeugung. Schon allein das Frauenbild Mohameds gefällt mir nicht. Auch das Verbot des Baus christlicher Kirchen in den meisten muslimischen Ländern finde ich ungerecht.
Ich bin ein religiöser Mensch und würde mich als Christ bezeichnen. Niemals würde ich mich jedoch deshalb als eine Art besserer Mensch über andere erheben wollen. Für mich gilt der Satz Christi: „Was ihr einem der geringsten eurer Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Ich mag nicht, wenn sich Menschen abfällig über andere Menschen erheben und sei es auch nur über ihre Meinung oder ihren Glauben. Andererseits kann ich Kritik akzeptieren, denn ich hinterfrage meine Ansichten jeden Tag. Ich habe die Wahrheit nicht gepachtet.
Deshalb finde ich es so unverständlich, dass intelligente Menschen ständig andere abkanzeln, die ihre Meinung offen vertreten. Ich bin kein Anhänger der AfD, aber ich achte die Menschen- und Bürgerrechtsartikel unseres Grundgesetzes als Grundlage unserer Demokratie. Wenn diese jedoch ausgehebelt werden, weil sich einige darüber hinwegzusetzen meinen, weil sie „Kante“ zeigen wollen und Angst vor einer „faschistischen Machtergreifung“ haben, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wahl-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind hohe demokratische Güter. Wenn nun einer von einem Teil der Deutschen auf demokratische Weise gewählten Partei in vielen Städten durch die sogenannten „Antifaschisten“ Versammlungsräume verweigert werden, so kann ich das nicht mehr akzeptieren. Wenn diejenigen, die sich für etwas Besseres halten, die Abgeordneten der AfD als „Brandstifter“ und „Rassisten“ klassifizieren, so führt das nur zu einer Spaltung in unserem Land, die nichts Gutes für die Zukunft verspricht.
Wer ständig die Worte „Antisemitismus“ und „Rassismus“ im Munde führt, könnte tatsächlich dazu beitragen, dass genau diese Dinge in einer Art „selffulfilling prophecy“ in naher Zukunft unser Land bestimmen werden. Nicht die vielen, die ihren Mund nicht aufmachen, weil sie inzwischen Angst haben, ihre Meinung offen zu sagen, sind die „Bösen“, sondern jene, die meinen, sie seien die „Besseren“, indem sie in ihrer Selbstüberschätzung demonstrativ verbal „Haltung“ gegen rechts zeigen. Diese sich selbst für die „Anständigen“ Haltenden degradieren in Wirklichkeit die „Würde“ all jener Menschen, die sie zum „rechten Pack“ zählen. Schon allein dieser Ausdruck ist genauso diskriminierend wie die Bezeichnung „Faschist“ für den AfD-Politiker Björn Höcke.
Immer noch steht für mich der Mensch über seiner politischen Anschauung. Jeder Mensch hat eine Würde, die „unantastbar“ ist. Wer in seiner ideologischen Verblendung Menschen, die er gar nicht persönlich kennt, zu Feinden der Demokratie abstempelt, der ist für mich der wahre Feind der Demokratie.
Wenn es Menschen gibt, bei denen der „Weltschmerz“ angesichts solcher Einstellungen unerträglich wird, dass sie ihren Gefühlen in einer Wahnsinnstat Luft verschaffen, dann ist das unendlich tragisch, aber vielleicht auch eine Folge jener ständigen Isolierung und Diffamierung, die die „Anständigen“ seit ein paar Jahren betreiben.
Wie unhaltbar die sofort parate Formel vom „Rassismus“ des Täters von Hanau ist, sieht man schon daran, dass er in seiner totalen Verzweiflung die eigene Mutter getötet hat, also den Menschen, der ihm das Leben geschenkt hat. Es ist so wahnsinnig, dass es unendlich weh tut. Wenn man von Rasse im Sinne von genetischem „Material“ sprechen möchte, das von einer Generation auf die andere übertragen wird, dann wird man als echter Rassist nicht seine Mutter töten. Wenn man sich als Mitglied einer "überlegenen" Rasse für wertvoller als andere Menschen hält, dann wird man sich auch nicht selbst töten.
Ich bleibe dabei: Die Tat von Hanau war die Wahnsinnstat eines einzelnen, der den „Blues“ nicht mehr aushielt.



[1]  Ich denke dabei auch an ein anderes Wort, dass zumindest in den englischsprachigen Ländern bekannt ist, nämlich an das Wort „german angst“.

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